In Seelsorge und Gemeinde gehören sexualethische Fragen nach wie vor zu den brennendsten Problemen. Von Anfechtungen sind auch Christen nicht frei. Kompetent, umfassend und allgemeinverständlich unterrichtet nun der Neutestamentler Jacob Thiessen über die wesentlichen biblischen Aussagen zu Ehe und Homosexualität. Dieses Buch ist eine außerordentlich wertvolle Handreichung für Theologen, Gemeindeglieder und Gemeindeleitungen, nicht zuletzt durch seine sachliche, gleichermaßen entschiedene und barmherzige Haltung.
Thiessen hält im Vorwort fest, dass Gott die Ehe so ernst nimmt, weil er den Menschen ernst nimmt. Der stabilste Bund, der innerweltlich geschlossen werden kann, bekommt darin seine besondere Würde zugesprochen, dass er biblisch als Abbild des Bundes gilt, den Gott selbst mit seinem Volk geschlossen hat. Insofern ist auch die eheliche Treue Bild der Treue Gottes. Seelsorgerliche Fürsorge und Liebe darf Gottes Gebote nicht außer Kraft setzen. Doch kann der Mensch wissen, dass Gott ihn auch in den Schwierigkeiten seiner Lebensführung nicht alleine lassen wird (vgl. z. B. Jos 1,5ff.).
Zunächst informiert Thiessen über Eheschließung und Scheidung nach dem Alten Testament. An den entscheidenden Stellen (Dtn 20,7; 22,13ff.; 28,30 u. a.), auf die Jesus in der Bergpredigt Bezug nimmt, wird deutlich, dass die Ehe eine „untrennbare Einheit“ zwischen Mann und Frau ist und dass sie öffentlichen Charakter hat. Deshalb kommt der Verlobung und dem Schutz des Vaters für seine Tochter besonderes Gewicht zu. Auffällig für den alttestamentlichen Schutz der Ehe ist, dass sie auch gilt und sanktioniert ist, wenn der Bund nicht im Namen Jahwes geschlossen wurde. Im Anschluss an Mal 2,11-16 kann grundsätzlich festgehalten werden, dass Gott Ehescheidungen hasst und ablehnt. Die Ausnahme in Dtn 24,1-4 ist klar definiert. Sie gilt im Fall von ärwat dabar, der „Blöße“, also offensichtlicher Unreinheit.
Thiessen, Jacob: Schöpfung und Menschenwürde. Grundlegende exegetische Ansätze zu Ehe und Homosexualität. Dillenburg: Christliche Verlagsgesellschaft, 2017. 96 Seiten, ISBN: 978-3-86353-4165. € 5.90
Eine der wichtigsten Einsichten Jacob Thiessens liegt darin, dass das biblische Zeugnis einheitlich ist. Hier besteht eine klare Kontinuität zwischen den beiden Testamenten. Auch Jesus erlaubt Scheidung einzig im Fall von Hurerei (porneia) bzw. ständiger ehelicher Untreue (vgl. Mt 5,32). Ansonsten gelten Scheidung und Wiederheirat als Ehebruch. Im Sinn von Mk 10,11-12, Mt 5,32 und Lk 16,18 wird deutlich, dass die Heirat mit einer geschiedenen Person den Bruch des Ehebundes bedeutet. Dieser nämlich besteht weiter, auch wenn eine Scheidung durchgeführt wurde. Damit geht Jesus, zur Überraschung seiner Jünger, über die Schule Schammais hinaus, dessen Anhänger möglicherweise gemäß Mt 19,3 Jesus in dieser Hinsicht „versucht“ haben. Thiessen betont in diesem Zusammenhang auch, dass die Bibel keinen Grund für die Annahme biete, „dass der Ehebund für beide Seiten aufgehoben sei, nur weil eine Seite ihn gebrochen hat“.
An den einschlägigen Stellen (Röm 7,2-3 und 1Kor 7,39) bekräftigt Paulus ausdrücklich, dass die Ehe ein lebenslanger Bund ist. Damit verbindet sich die klare Ablehnung einer Praxis, die in der Umwelt des Neuen Testamentes üblich war. Paulus weist es als Gebot des Herrn aus, sich nicht scheiden zu lassen, oder aber im Fall einer Scheidung künftig unverheiratet zu bleiben. 1Kor 7,15 ist nach Thiessen auf die bestehende Ehe von Christen zu beziehen, die zuvor ungläubig gewesen sind; 1Kor 7,27-28 sei dagegen nicht als Erlaubnis einer Wiederheirat zu verstehen, sondern vom Kontext her eindeutig auf Unverheiratete zu beziehen.
Thiessen weicht der Frage nicht aus, wie damit in einer komplexen Realität umzugehen ist, in der Ehen vielfach bedroht und gefährdet sind. Es führt kein Weg daran vorbei, dass Ehebruch Sünde und damit Zielverfehlung ist.
Zugleich sind Christen zum barmherzigen Umgang miteinander aufgerufen (Lk 6,36). Dies erfordert aber gerade, sich selbst gewissenhaft und klar um die Klärung der Motive des eigenen Handelns zu bemühen.
Sehr kompetent sind auch die abschließenden exegetischen Hinweise auf den Umgang mit Homosexualität. Thiessen widerspricht wohlbegründet, auch im Blick auf die antike Philosophie, der gängigen These, dass die antike Welt keine personhaft gebundene Homosexualität gekannt habe. Der sublimierende Umgang in Platons Dialog Symposion kann als Versuch der Überwindung einer gängigen homoerotischen Praxis in der griechischen Realität gelten. Bei Paulus wird an prominenter Stelle in Röm 1,26-27 die Unterscheidung zwischen „natürlichem“ und „widernatürlichem“ Verkehr getroffen. Thiessen kommt zu dem Ergebnis, dass gerade nicht bestimmten, historischen Formen von Homosexualität, sondern dieser selbst und insgesamt das Verdikt gilt. Respekt und ein Umgang gemäß ihrer Gottebenbildlichkeit darf, wie Thiessen betont, auch homosexuellen Mitmenschen nicht verweigert werden. Es gehe um Hilfe, nicht um Verurteilung und nicht um eine Scheintoleranz, die letztlich auf Gleichgültigkeit beruht. Zu erkennen ist aber, dass die biblischen Gebote über einen existentiell so zentralen Bereich wie Eros und Sexualität nicht obsolete Einengungen sind, sondern dass sich in ihnen letztlich die befreiende Kraft zeigt, als Kinder Gottes leben zu können.