Diese Einleitung zum Alten Testament ist ein europäisches Projekt, an dem 32 Autoren mitgeschrieben haben. Wie für Einleitungen üblich beleuchtet sie die Hintergründe der Entstehung der Bücher des Alten Testaments und skizziert deren Aufbau und Theologie. Im Gegensatz zu den meisten gängigen deutschsprachigen Einleitungen ist es ausdrückliches Ziel des Werkes, die biblischen Texte als historische Zeugnisse ernst zu nehmen. Die Autoren bezeichnen das als „historisch-kanonischen Ansatz“ und wollen damit „mutig neue Wege jenseits eines im Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts verhafteten Mainstreams“ aufzeigen.
In einer allgemeinen Einleitung werden zunächst ausgewählte alttestamentliche Einleitungen vorgestellt. Dann wird darauf zurückgeblickt, wie klassische Einleitungsfragen in Altertum, Mittelalter und Neuzeit reflektiert wurden. Weiter finden sich hier Aufsätze zur Geschichte der hebräischen Sprache, zu den verschiedenen Textgattungen und zur Geschichte des Kanons. Besonders bemerkenswert ist der Artikel von Alan Millard zur Frage der Schriftlichkeit im Alten vorderen Orient. Er zeigt auf, dass die Annahme, mündliche Traditionen seien nur in Krisenmomenten verschriftlicht worden, nicht zur Faktenlage passt.
Im zweiten Hauptteil wird eine Einleitung in die drei Kanonteile geboten. Koorevaar unterscheidet zwischen Priesterkanon (Genesis bis 2.Könige, ohne Rut), Prophetenkanon (Jesaja bis Maleachi, ohne Daniel und Klagelieder) und Weisheitskanon. Diese schon in seiner „Theologie des Alten Testaments“ vertretene Einteilung überzeugt nicht wirklich. Koorevaar will Exodus, Levitikus und Numeri als „literarisches Einheitswerk“ sehen und die Bücher Genesis bis Könige als literarischen Block von sieben Büchern, der den Priesterkanon bilden soll. Die hierfür genannten Argumente erscheinen aber schwach. Dass mit Genesis „eine historische Linie mit Büchern“ beginnt, die „nicht mit Deuteronomium, sondern mit den Königsbüchern endet“, ist selbst eher eine Behauptung als eine Begründung. Dass die Bücher Josua bis Könige in der jüdischen Tradition zu den „Vorderen Propheten“ gerechnet werden, spricht jedenfalls gegen die hier vorgenommene Aufteilung. Und ob den Büchern Josua bis Könige wirklich ein „priesterliches Interesse“ zugrundeliegt, ist zumindest diskutabel. Jedenfalls scheint dies nicht in einem Maße der Fall zu sein, das eine Aufgabe der klassischen Dreiteilung von Gesetz, Propheten und Schriften nahelegen würde.
Hilbrands, Walter / Koorevaar, Hendrik (Hrsg.): Einleitung in das Alte Testament. Ein historisch-kanonischer Ansatz. Gießen: Brunnen 2023. 1264 S. Hardcover. 50,00€
Im dritten Hauptteil werden dann die Bücher im Einzelnen besprochen, wobei Exodus bis Numeri konsequent als Einheitswerk behandelt werden. Das von den Autoren angekündigte Bemühen, die biblischen Texte als historische Zeugnisse ernst zu nehmen, wird dabei durchaus sichtbar. Der Schöpfungsbericht wird als „theologische Geschichtsschreibung“ angesehen, der mit historischem Anspruch auftritt. Auch die Patriarchengeschichten werden mit guter Begründung als historisch zuverlässig eingeordnet. Merkwürdig sind die Ausführungen zur Verfasserschaft. Die Entstehung der Genesis wird auf 1407 v. Chr. datiert, in „die letzten Monate“ von Mose. Sodann wird behauptet, Mose habe „selbst zu wenig Zeit“ gehabt, um ein Buch wie Genesis zu schreiben und die Abfassung daher, mit oder ohne Aufsicht, einem anderen anvertraut. Diese Datierung scheint unnötig eng und die daraus gezogene Schlussfolgerung zu weitgehend. Für das Deuteronomium werden dann schon klarer „mosaische Ursprünge“ angenommen. Das Buch Josua wird einem levitischen Priester zugeschrieben, der als Augenzeuge fungierte. Dabei beschäftigen sich die Autoren auch mit der komplexen Frage der Landnahme und ihrer Datierung. Bezüglich des traditionell besonders umstrittenen Buches Jesaja ist es laut den Verfassern „möglich, dass der gesamte Inhalt des Buches dem Propheten selbst zugeschrieben werden kann“. Auch das Buch Daniel wird für echt gehalten, da es seinem Selbstzeugnis nach den Anspruch erhebt, von Daniel verfasst worden zu sein. Schließlich wird auch das Sondergut der Chronik als gegründet in zeitgenössischen Dokumenten angesehen.
Diese kurzen Bemerkungen zu dem äußerst umfangreiche Buch (1264 Seiten) sollten genügen, um einen ersten Eindruck zu vermitteln. Das ambitionierte Werk wird seinem Selbstanspruch, die biblischen Texte als historische Zeugnisse ernst zu nehmen, weitgehend gerecht. Es bietet eine Fülle von Hintergründen zur Entstehung des Alten Testaments und seiner einzelnen Bücher und setzt sich jeweils mit „kritischen“ Auffassungen auseinander, die argumentativ überzeugend erschüttert bis widerlegt werden. Verzichtbar erscheint vor allem die (Neu-)Gliederung der Kanonteile, die ohne gewichtige Argumente vorgenommen wird – und zudem unnötig ist, da sie für das Verständnis der Texte und die spezielle Einleitung am Ende kaum eine Rolle spielt. Insgesamt sollte das Werk jedenfalls für Theologiestudenten zur Pflichtlektüre werden, da es die Schwächen der meist spekulativen vorherrschenden Einleitungsmodelle aufzeigt und gute Gründe für eine Vertrauenswürdigkeit der biblischen Texte anführt. Auch andere Leser, die sich für die Entstehung des Alten Testaments interessieren, sind mit dieser Einleitung gut bedient.