LiteraturAufsatzband, Buchbesprechungen, Kirchengeschichte

Reformation und Rationa­li­tät

Der vorliegende Band enthält die Referate einer Tagung, die anlässlich des 500. Geburtstags der Promotion Luthers als Projekt der Stiftung LEUCOREA in Wittenberg statt­fand.

Der erste Teil des Tagungsbandes befasst sich speziell mit der Universität Wittenberg. Der Historiker Helmuth G. Walther schildert die „Geschichte der Leucorea im Rahmen der ernestinischen Universitätsgründungen“. Armin Kohnle, Kirchengeschichtler in Leipzig, und Beate Kusche von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften beschäftigen sich mit der „Wittenberger Theologischen Fakultät in ihrer Anfangszeit“, deren fünf geplante ordentlichen Professuren das große Gewicht zeigten, das Friedrich der Weise dieser Fakultät als Bildungsstätte für die Landesgeistlichkeit beimaß.

Selderhuis, Hermann / Waschke, Joa­chim (Hrsg.) Reformation und Rationa­li­tät. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 317 S. Hardcover: 49,99 € ISBN: 978-3-525-55079-3

Volker Lep­pin, Kirchen­ge­­schicht­ler in Tübingen, berichtet unter dem Titel „Zuspi­tzung und Wahrheits­­anspruch“ über die Dispu­tationen in den Anfängen der Wittenberger reformatorischen Bewegung. Dabei zeigt er auf, wie gerade Luther die Disputationstechnik nutzte, um „die Vielfalt denkerischer Möglichkeiten auf eine klare Alternative zuzuspitzen“, in der die Wittenberger als Vertreter der Wahrheit auftraten. Heiner Lück, Rechtswissenschaftler in Halle-Wittenberg, und Stefan Weise schließen den ersten Teil des Buches mit einer Betrachtung der „Rechtsgrundlagen und Rituale der theologischen Promotionen in Wittenberg während des späten 16. Jahrhunderts“ ab. Was zunächst recht technisch klingt, ist durchaus nicht uninteressant, wenn etwa ein Blick in die Gebührenordnung geworfen oder zitiert wird, was der Kandidat zur Prüfung mitzubringen hatte: gesüßtes Brot aus der Apotheke und einen Krug mit kretischem Wein.

Der zweite Teil des Werkes legt einen Schwerpunkt auf die wissenschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Luthers Promotion stattfand. Günter Frank, Direktor der Europäischen Melanchthon-Akademie, befasst sich mit den „philosophischen Aspekten der Reformation“. Die „Erhellung der religiösen Existenz des Menschen“ bei Luther gilt ihm als „wesentliches Stimulans der Philosophie im 20. Jahrhundert“.

Michael Weichenhan hat mit „Reformation, Rationalität und die Erneue­rung der Wissenschaften“ einen etwas weiteren Ansatz gewählt und skizziert im längsten Aufsatz des Buches die Beiträge der Refor­matoren für Disziplinen wie Astronomie, Musik und Mathematik.

Peter Opitz, Politikwissenschaftler aus München, setzt „Humanistische ‘Ratio­nalität’ und evangelische Theologie in den Anfängen der Zürcher Hohen Schule“ ins Verhältnis, indem er die Schöpfungstheologie Conrad Gessners heranzieht.

Gijsbert van den Brink, Theologe aus Amsterdam, zieht in seinem Beitrag „The Reformation, Rationality and the Rise of Modern Science“ das Fazit, dass „Protestantism as a whole stimulated active engagement in the study of the natural world and in that way helped paving the way towards modern science“.

Der dritte Teil des Bandes beleuchtet die Entwicklungen in der lutherischen und calvinistischen Orthodoxie. Aza Goudriaan, ebenfalls Theologe aus Amsterdam, berichtet über „Augustinus und die Vernunft der reformierten Orthodoxie“, während Joar Haga, Theologe aus Oslo, „Die Metaphysik der lutherischen Orthodoxie“ in den Blick nimmt.

Die noch folgenden Beiträge der Theologen Tarald Rasmussen aus Oslo, András Szabó aus Budapest, Andreas J. Beck aus Leuven und Henk van den Belt aus Groningen, deklinieren dieses Verhältnis an konkreten Beispielen, der „Bibelauslegung in Niels Hemmingsens De Methodis“, „Rationalität und Wissenschaft der Renaissance bei den ungarischen reformierten Theologen um 1600“, „Rationalität und Scholastik in der reformierten Orthodoxie, insbesondere bei Keckermann, Voetius und Coccejus“ und „Developments in Structuring of Reformed Theology: The Synopsis Purioris Theologiae (1625) as Example“ durch. Das Werk schließt mit einem Namensregister.

Schon durch die kurze Inhaltsangabe dürfte deutlich geworden sein, dass dieses Buch keinen Überblick über das Thema „Reformation und Rationalität“ bietet, sondern sich überwiegend mit sehr speziellen Einzelfragen befasst. Wer sich vertieft mit den dargestellten Themen befassen will, der ist mit diesem Werk bestens aufgehoben, schreiben hier doch ausgewiesene Experten über ihre Spezialgebiete.

Da jeder Beitrag ein ausführliches Literaturverzeichnis enthält, bestehen auch genügend Anknüpfungspunkte für eine vertiefte Weiterbeschäftigung mit einzelnen Themen. Um von diesem Band wirklich profitieren zu können, ist jedoch – nicht nur aufgrund der zum Teil langen lateinischen Passagen – eine erhebliche Vorbildung erforderlich.