Beide Exemplare liegen auf meinem Schreibtisch, die alte Ausgabe von 1990 und die neue von 2011. Die neue Ausgabe ist größer und dicker, noch nicht „eingelaufen“ wie die Vorgängerversion, in der einige Büroklammern auf wichtige Seiten verweisen. Sie liegt noch etwas unhandlich auf meinem Schreibtisch. Die alte Ausgabe war ein Standardwerk für alle evangelikalen Studenten und darüber hinaus. Wie die alte Version so soll auch die neue ein Nachschlagewerk für die sein, der gerade lernen und auch für die, die schon viel Erfahrung im Umgang mit neutestamentlichen Texten haben. Wie in der alten Version beginnt der erste Hauptteil mit Alphabet, Aussprache, Lesezeichen u.s.w., der zweite Hauptteil enthält die Formenlehre, der dritte Hauptteil die Syntax, Inhalte und Übersichten, die mir von der alten Version schon bekannt sind. Besser scheint mir jedoch die neue Gliederung. Die Zählung mit Paragraphen behielt von Siebenthal bei. Sie ist mit der alten Version identisch. Hier muss ich mich nicht umstellen.
Abweichungen gibt es laut Vorwort nur bei der Untergliederung einiger Paragraphen. Die Hauptteile sind nicht mehr mit Buchstaben, sondern rein numerisch untergliedert. Das Inhaltsverzeichnis wirkt dadurch überschaubarer. Beim Vergleichen beider Inhaltsverzeichnisse fällt mir auf, dass die Einleitung deutlich umfangreicher als die alte Version ist, ein völlig neuer vierter Hauptteil über Textgrammatik eingefügt wurde und der Anhang um einen Abschnitt über Wortbildungslehre erweitert wurde. Mir begegnet Bekanntes und Neues. Ich stoße z. B. auf § 192, Zeitformen und Aspekte. In der alten Ausgabe umfasste dieser Abschnitt nur eine, mit recht großem Abstand beschriebene Seite, in der neuen Ausgabe umfasst dieser Abschnitt zweieinhalb eng beschriebene Seiten. Deutsch und Latein sind Tempussprachen, Griechisch dagegen eine Aspektsprache. Gut verständlich und anhand von Beispielen vermittelt von Siebenthal diesen Unterschied wesentlich eingängiger als in der Vorgängerversion. Auch die Konjugationstabellen, zum Beispiel § 76ff., heben diesen Akzent noch mehr hervor, als das die Vorgängerversion tat. Präsens und Imperfekt stehen fast in einer Spalte, denn beide tun sich mit dem durativen Aspekt hervor. Positiv ist hier, dass jeweils die erste Person Singular ins Deutsche übersetzt ist. Das hilft demjenigen, der noch Probleme mit bestimmten Begrifflichkeiten der Grammatik hat. Fast überall ist Kleingedrucktes dazugekommen. Das erhöht die Textlastigkeit. Ein wenig Geduld zum Lesen muss man mitbringen. Alles wird von der Pike auf erklärt und geht dann in die Tiefe.
Was nun verbirgt sich im vierten Hauptteil, der Textgrammatik?
Siebenthal, Heinrich von. Griechische Grammatik zum Neuen Testament. Gießen: Brunnen 2011. 803 S. Hardcover: 60,00 €. ISBN 978-3-7655-9558-5.
Hier geht es um die oberste Textstrukturebene. Der Text besteht aus Buchstaben, die Worte bilden. Ich kann die einzelnen Worte grammatisch und lexikalisch bestimmen. Worte bilden Sätze. Um diese zu verstehen, brauche ich die Syntaxlehre. Als oberste Ebene finde ich schließlich den Text, der aus einem oder meist mehreren Sätzen besteht. Diese kann ich in inhaltliche Elemente, sog. Propositionen zerlegen. Diese wiederum auf Kohärenz untersuchen. Von Siebenthal erklärt Textfunktionen, Kohärenz, Konnektoren, Referenzidentität u.a.m. Alles läuft darauf hinaus, Strukturen in einem Text zu finden, die helfen, seinen Gehalt zu erfassen, Bausteine einer Exegese auf akademischem Niveau also.
Dieses Buch ist ein wertvoller Beitrag zur wissenschaftlichen Arbeit am Text des Neuen Testamentes, der LXX und außerbiblischer Koinetexte. Seine Ergänzungen helfen zum Verstehen. Es ist ein Handbuch für Ausleger und Bibelübersetzer.