In einer zunehmend sexualisierten Zeit sind wir Christen angehalten, biblisch fundierte und mit seelsorgerlicher Barmherzigkeit begleitete Antworten auf die Fragen der Menschen und besonders die der jungen Gläubigen zu geben. Diesem Auftrag versucht der Autor, der seit 2002 an der FTH Gießen lehrt, mit diesem Buch gerecht zu werden.
Das Inhaltsverzeichnis weckt Interesse und lässt bei den schon in den Überschriften aufgeführten Bibeltexten die Themenschwerpunkte sowie die argumentative Herangehensweise erkennen. White stellt sich wohltuend vielen brisanten Bibelstellen und geht unbequemen Themen nicht aus dem Weg.
Während der Autor in einem ersten Teil den biblischen Anspruch an eine christliche Sexualethik beleuchtet, geht er in Teil 2 auf moderne Herausforderungen ein.
Kapitel I stellt Grundlegendes zu einer christlichen Sexualethik dar. White führt hierbei aus, dass es für die Gemeinden notwendig ist, sich mit sexualethischen Themen zu befassen und diese nicht dem Einzelnen zu überlassen (S. 23). Für ihn sind drei allgemeingültige Grundsätze der biblischen Sexualethik maßgebend: Die Schöpfungsordnung, das Liebesgebot und die Ewigkeitsperspektive (S. 26ff.). An dieser Stelle hat der Rezensent offen gestanden einen Hinweis auf die „entstellte Sexualität“ infolge des Sündenfalls vermisst. Wenn White behauptet, dass „die Bibel ein durchwegs positives und lebensbejahendes Bild der sexuellen Beziehung malt“ (S. 44), dann kann dem nicht vollständig gefolgt werden. Zwar ist es richtig, dass Gott sich Sexualität positiv und als wertvollen Teil der Schöpfung ausgedacht hat. Allerdings zeigt die Bibel auf, dass mit der Sünde der gesamte Mensch entstellt wurde – menschliche Sexualität ist nicht an sich rein, sondern von Sünde durchzogen worden.
Im letzten Teil des Kapitels geht White auf die Frage der Anwendung biblischer Texte ein und stellt ein Modell vor, welches weithin als Kontextualisierung bezeichnet wird. Bei diesem Verfahren wird ausgehend von der biblischen Aussage versucht, das Prinzip hinter einer Aussage zu ermitteln und dann dieses Prinzip in die heutige Zeit zu transportieren. Leider hat das Modell den Nachteil, dass die heutigen kulturellen Gegebenheiten den hermeneutischen Startpunkt bilden. Aus heutigem Blickwinkel werden einzelne Passagen für nicht anwendbar erklärt, da eine wortwörtliche Entsprechung aufgrund einer geänderten Kultur nicht möglich oder zweckmäßig sei. Die Fehleranfälligkeit dieses Prinzips zeigt sich vor allem darin, dass die gegenwärtige Kultur als neutral und nicht durch die Bibel veränderbar erachtet wird. Das kann z.B. dazu führen, dass der heutigen Kultur entgegenstehende Bibeltexte (z.B. über das Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe) relativiert werden. White selber tappt mindestens zweimal in die Falle, wenn er das Scheidungsrecht ohne nähere Begründung der Frau zuspricht (S. 171; s.u.) und wenn er die Unterordnung der Frau in Eph 5,22ff. mildert (S. 119; s.u.).
Joel White. Was sich Gott dabei gedacht hat. Die biblische Basis einer christlichen Sexualethik. Holzgerlingen: SCM R. Brockhaus 224 S., Hardcover: 17,99 € ISBN: 978-3-417-24168-6
In Kapitel II geht White auf das biblische Verständnis der menschlichen Sexualität als gute Gabe Gottes ein. Schlüssig zeigt er auf, dass 1 Mo 1,27 nicht das Genderbegriffspaar, sondern das Geschlechterbegriffspaar („Männchen“ und „Weibchen“) verwendet. Zuzustimmen ist seiner These, dass Einheit in Vielfalt, die Gottes Wesen ausmacht, sich zwischen Mann und Frau widerspiegelt (S. 52). Mit Blick auf das Hohelied und die Verpflichtung zum Geschlechtsverkehr in der Ehe (1 Kor 7,1ff.) betont White, dass die Bibel keineswegs Sexualität ausklammert, sondern dezidiert und ganz praktisch von ihr spricht. Getrübt wird dieses lesenswerte Kapitel leider durch die zwar humorvolle, aber biblisch nicht sattelfeste Vorstellung, Adams Synapsen seien durch den Anblick auf die nackte Eva so überflutet gewesen, dass er verstandesmäßig nicht auf der Höhe war (S. 55). Hier legt White post-paradiesische Gegebenheiten an das Paradies an. Da Adams Verstand und Gefühl noch nicht entstellt waren, spricht Vieles dafür, dass er Herr seiner Sinne war.
Mit dem heißen Eisen der sexuellen Enthaltsamkeit beschäftigt sich das III. Kapitel. Hier stellt White wohltuend die Ehe als den Rahmen für sexuelle Beziehungen vor. Er wendet sich deutlich gegen moderne Stimmen wie Siegfried Zimmer, die das Warten auf Sex bis zur Ehe als pervers bezeichnen (S. 73). Mit Beleg auf verschiedene Studien begründet White, dass die Ehe als Schutzzone und Sexualität in der Ehe nach wie vor das (biblische) Ideal darstellt. Interessant sind auch die Ausführungen des Autors zur „Reinheit statt Jungfräulichkeit“ (S. 92ff.), wobei White die Jungfrauschaft als Ideal wohl hätte deutlicher hervorheben können – die Bibel benutzt schließlich auch dieses Ideal (z.B. 2 Kor 11,2).
Kapitel IV befasst sich mit der Bedeutung der sexuellen Beziehung in der Ehe. Treffend stellt White fest, dass Geschlechtlichkeit tief in der menschlichen Persönlichkeit verankert ist und aus biblischer Sicht kein gesellschaftliches Konstrukt ist (S. 106). Leider irritiert White hier die „konservativen“ Christen mit seiner unklaren Position zur christlichen Haustafel nach Eph 5,22ff. (S. 115). Dass „sich unterordnen“ lediglich „Achtung und Respekt entgegenbringen“ bedeuten soll (S. 119), ist unzureichend. Es geht hier wie in vielen anderen Bibelstellen um eine stellungsgemäße Unterordnung, wobei der Mann von Gott her das Haupt ist (1 Kor 11,3; siehe auch 1 Petr 3,5ff.).
Im V. und letzten Kapitel des ersten Teils geht White auf die Notwendigkeit der Heiligung auch im Bereich der Sexualität ein. Jeden Mann sollten seine Ausführungen zur Pornografie und der damit verbundenen Abwertung der Frau ansprechen (S. 127). Deplatziert wirkt jedoch die Werbung Whites für die sog. Center Churches (S. 132ff.), deren Struktur er als einzig tragfähiges Modell in einer nachchristlichen Gesellschaft bewertet. Hier wären einige Rückfragen zu stellen, die allerdings den Rahmen dieser Rezension sprengen würden.
Das VI. Kapitel beschäftigt sich mit dem Singlesein als der ersten von drei näher beschriebenen Herausforderungen. An der These Whites, dass Gemeinden familienzentriert sind und ungewollt den Eindruck vermitteln, „dass man nur jemand ist, wenn man verheiratet ist“ (S. 153) ist wohl viel Wahres dran. Die Vorschläge, wie man Singles einbeziehen kann, sind bedenkenswert und gut. Leider irritiert auch hier White mit Aussagen zu einer früheren Ehe von Paulus (S. 147f.; die Argumente dafür sind insgesamt recht dürftig) sowie zur Masturbation. Sofern man sich nicht „dabei allzu viel“ vorstelle, sei aus biblischer Sicht nichts gegen sie einzuwenden (S. 158f.). Die Argumentation wirkt hier hemdsärmelig (ist „nicht allzu viel“ Sünde dann gut??) und wegen der konstruierten Trennung von Fantasie und „Technik“ weltfremd.
Scheidung und Wiederheirat bilden das Thema des VII. Kapitels. Der Autor setzt sich hier mit den wichtigsten Bibelstellen des AT und NT auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass Scheidung bei Ehebruch möglich ist: „Für Jesus ist jedenfalls klar: Ehescheidung ist einem oder einer Verheirateten nur gestattet, wenn seine Frau oder ihr Mann Ehebruch begangen hat“ (S. 171). Ehebruch umfasse nach Paulus mit Blick auf 2 Mo 21,10f. nicht nur den sog. Seitensprung, sondern „auch (…), wenn man die Pflichten, die ein Ehebund mit sich zieht, grob vernachlässigt“ (S. 175), z.B. durch die Verweigerung der sexuellen Beziehung oder die Vorenthaltung von Nahrung und Kleidung (ebd.).
White verschweigt hier leider, dass Mt 5,32 und 19,9 nicht moicheia als das allgemein übliche griechische Wort für Ehebruch verwenden, sondern porneia (Unzucht, Hurerei). Er erkennt deshalb auch nicht, dass die Elberfelder Übersetzung wohl nicht ohne Grund „den griechischen Begriff mit dem altmodischen und leicht missverständlichen Begriff „Hurerei““ (S. 169) übersetzt hat. Davon ausgehend argumentieren verschiedene Bibelausleger (z.B. John Piper, Carl Laney, Abel Isaksson, Gordon Wenham), dass Ehebruch als Scheidungsgrund biblisch nicht legitimiert ist.
Leider fehlt in diesem Kapitel auch eine explizite Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich die biblische Ethik dazu positioniert, wenn der/die Gläubige „Opfer“ des Ehebruchs von dem ungläubigen Partner geworden ist. Auch eine Besprechung von 1 Petr 3,1ff. wäre sinnvoll gewesen.
Nebenbei bemerkt, fehlt dem Leser auch eine logische Begründung für die Scheidungsmöglichkeit der Frau, die White ohne nähere Begründung kontextualisiert (S. 171). Sowohl Mt 19,3ff. als auch 5 Mo 24,1ff. sprechen lediglich von Männern, die diese Möglichkeit hatten (auf Mk 10,12 geht White nicht ein).
Im abschließenden Kapitel VIII stellt der Autor Homosexualität aus der Sicht der Bibel dar. Hier wiederum sind die Ausführungen Whites zu empfehlen. Besonders seine Auseinandersetzung mit den typischen Gegenargumenten zu seiner Position ist lesens- und bedenkenswert.
Insgesamt bekommt der Leser einen hilfreichen Einblick in die sexualethischen Fragestellungen. Verständlicherweise hat der Autor sich auf die wesentlichen Fragen beschränkt, wobei andere Themen wie Geburtenkontrolle, Abtreibung etc. durchaus einer Besprechung würdig gewesen wären. Zu würdigen ist, dass der Autor warmherzig schreibt und zumeist ausgehend von der Bibel seine Position begründet. Der Leser bekommt zu verschiedenen Einzelfragen gute Argumente an die Hand.
Leider gibt es aber auch einige Punkte, die den Wert des Buches schmälern. Vor allem dann, wenn White sich Nebenschauplätzen widmet, wirken seine Ausführungen nicht immer gelungen. Für eine Neuauflage wäre eine Überarbeitung mehr als wünschenswert.