Rachel Hanan wird 1929 in Rumänien geboren. Ihre Eltern sind strenggläubige Juden, die der chassidisch-aschkenasischen Richtung angehören. Zusammen mit ihren sieben Geschwistern wächst sie in behüteten Verhältnissen auf. Ihr Vater ist Kaufmann und leitet ehrenamtlich die jüdische Gemeinde des Ortes. Schon früh wird die junge Rachel mit dem jüdischen Glauben vertraut gemacht und erfährt durch ihn Geborgenheit und Sicherheit.
Ab Sommer 1940 ändert sich die politische Lage in jenem Teil Rumäniens, in dem Rachel wohnt. Jüdische Kinder werden in der Schule benachteiligt und geschlagen; bald müssen alle Juden den Davidstern tragen. Antijüdische Ausschreitungen nehmen in den folgenden Jahren immer mehr zu und gipfeln im Befehl, dass alle Juden ihre Häuser verlassen und sich am Bahnhof einfinden müssen. Eine grausame Zugfahrt in Viehwaggons nach Auschwitz beginnt. Schon während der Fahrt sterben Menschen durch Verdursten und Erschöpfung. Am 15. Mai 1944, Rachels 15. Geburtstag, erreicht der Zug das berüchtigte KZ in Polen. Die Familie wird getrennt. Vater, Mutter und zwei jüngere Geschwister werden vom „Lager-Arzt“ Josef Mengele aussortiert und in die Gaskammern geschickt. Rachel und ihre drei Schwestern bleiben am Leben, weil sie als arbeitsfähig gelten. Fortan müssen die vier Schwestern die Hölle von Auschwitz durchleben. Sie halten zusammen und ermutigen sich gegenseitig, um die Grausamkeiten des Lagerpersonals und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen überstehen zu können. Nach einigen Monaten Auschwitz werden die Schwestern ins KZ Bergen-Belsen gebracht, danach in ein Außenlager des KZ Buchenwald und schließlich nach Theresienstadt. Im dortigen KZ erleben sie am 9. Mai 1945 die Befreiung.
Es dauert Monate, bis die abgemagerten Schwestern physisch wieder auf die Beine kommen. Psychisch werden sie ihr ganzes weiteres Leben unter den Traumata des vergangenen Jahres leiden. Da die Eltern tot sind, orientieren sie sich Richtung Israel und beginnen dort ein neues Leben. Rachel wird Mitglied in einem Kibbuz, heiratet und bekommt zwei Kinder. Lange kann sie über ihre Vergangenheit nicht reden. Doch nach 1993 bricht sie ihr Schweigen, fährt in den folgenden Jahren rund 15-mal mit Jugendlichen und Militärangehörigen nach Auschwitz und informiert über den Holocaust und ihre persönlichen Erfahrungen.
Hanan, Rachel: „Ich habe Wut und Hass besiegt.“ Was mich Auschwitz über den Wert der Liebe gelehrt hat. München: Wilhelm Heyne Verlag. 2023. 284 S. Hardcover: 20 €. ISBN: 978-3-453-21841-3
In Kapitel 30 geht Rachel unter der Überschrift „Gott“ auf die Theodizee-Frage und auf ihren eigenen Glauben ein. Kann sie, die einst gläubige Jüdin, nach Auschwitz noch an Gott glauben? Sie gibt zu, dass sie seit dem Zeitpunkt, als sie Auschwitz betrat, keinen einzigen Gedanken an Gott gehabt und kein einziges Gebet an ihn gerichtet habe, obwohl sie früher regelmäßig gebetet hatte. Und sie bekennt, nach Auschwitz nicht mehr an einen „liebevollen, gerechten, gütigen Gott“ glauben zu können (S. 239). An die Stelle des Glaubens an Gott ist für Rachel „der Glaube an sich selbst“ (S. 241) getreten. Interessanterweise behauptet sie, den Glauben an die Menschen – trotz der Gräuel der Nazizeit – nie verloren zu haben. Dies ist für sie ihr „persönlicher Sieg über die Mächte des Bösen“ (S. 284). Hass und Vergeltung dagegen lehnt sie ab, weil sie weiß, dass „Rache und Hass niemals satt machen“ (S. 249). Die vergebende Liebe ist für Rachel zum Wichtigsten überhaupt geworden.
Das flüssig geschriebene und lesenswerte Buch wird durch 20 Fotos aus Rachels Leben, ein Glossar und eine Liste weiterführender Bücher zum Thema Holocaust abgerundet.