Die Kurzfassung dieser Buchbesprechung finden Sie hier.
Das Apostolische Glaubensbekenntnis ist in der uns vorliegenden Form wahrscheinlich im 5. Jahrhundert entstanden. Es ist nicht apostolisch in dem Sinne, dass es von jenen Jüngern formuliert wurde, die Jesus noch selbst gesehen haben (vgl. 1Kor 9,1). Als apostolisch gilt es, weil es nach Überzeugung der Alten Kirche die Botschaft der Apostel verdichtet in einem trinitarischen Bekenntnis zusammenfasst. Auch die Reformatoren haben es im 16. Jahrhundert zusammen mit dem nicaenischen und athanasischen Bekenntnis als für den christlichen Glauben grundlegend anerkannt.
In meinem Regal stehen ein paar Bücher, die sich mit der Auslegung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses befassen. Die meisten dieser Werke sind darum bemüht, das alte Bekenntnis aus der Perspektive zeitgenössischer Theologie heraus zu interpretieren. Demnach enthalte das Apostolikum nach wie vor ein „unverzichtbares Grundmuster unseres christlichen Glaubens“ (so etwa H. G. Pöhlmann, Das Glaubensbekenntnis, 2003, S. 7). Aber die Aussagen mit ihren „alten Formeln“ müssten freilich durch neue Zugänge für die Menschen von heute „freigelegt“ werden. Das bedeute dann zum Beispiel, dass der Glaube an „Gott, den Vater“ zu überdenken sei, da „uns die ständige Anrede Gottes als Vater auf ein bestimmtes Gottesbild“ festlege (so Theodor Schneider, Was wir glauben, 2014, S. III).
Benjamin Kilchör, Professor für Altes Testament an der STH in Basel (Schweiz), hat für sein neues Buch einen anderen Weg gewählt. Er geht davon aus, dass das alte Bekenntnis „ganz zeitlos formuliert ist“ (S. 11) und wie ein Konzentrat das biblische Wort zusammenfasst. Das Apostolikum führt seiner Meinung nach in das biblische Wort hinein – auch in das Alte Testament. Es eigne sich sogar dafür, zu zeigen, dass das Alte Testament nicht nur eine Verstehenshilfe für das Neue Testament ist, sondern dass beide Teile der Heiligen Schrift eine Einheit bilden.
Die Wichtigkeit des Alten Testaments
Ausgangspunkt für die Entstehung des Manuskripts war die Beobachtung, dass in Gemeinden und sogar in den Pfarrschaften eine gewisse Unsicherheit „in Bezug auf die Bedeutung des Alten Testaments für den Glauben und das Leben als Christ besteht“. Dabei sind die Wurzeln der Bekenntnisaussagen, die im Apostolikum ausgesprochen werden, schon im Alten Testament zu finden. Wir dürfen uns – so Kilchör – von diesen nicht abschneiden, „da ein Baum ohne Wurzeln stirbt“ (S. 9).
Das Alte Testament vom Glaubensbekenntnis her verstehen ist so aufgebaut, dass es den einzelnen Artikeln des Apostolikums folgt. Es will hauptsächlich auf der Grundlage des Alten Testaments herausarbeiten, „wer der Gott ist, an den wir Christen glauben, und in welchem Verhältnis wir zu ihm stehen“ (S. 11). Das Glaubensbekenntnis ist nämlich nicht einfach eine Sammlung von Aussagen über Gott, „sondern es setzt diejenigen, die es sprechen, in ein persönliches Verhältnis zu Gott“ (S. 14).
Kilchör brilliert im Buch durch akribische Einzelbeobachtungen am alttestamentlichen Text; es erweist sich außerdem als hilfreich, dass er immer wieder Bezüge zum Neuen Testament herstellt. An einem Beispiel möchte ich verdeutlichen, wie er vorgeht.
Gott schuf den Menschen nach seinem Bild
Im ersten Kapitel, in dem Gott als Schöpfer vorgestellt wird, erörtert Kilchör auf der Grundlage von 1. Mose 1,26–28 die Gottebenbildlichkeit. Die imago dei, wie sie lateinisch genannt wird, ziele darauf ab, „dass der Mensch als Statthalter Gottes die himmlische Herrschaft auf Erden repräsentiert und auch selbst das Geschenk des Lebens, das er von Gott empfangen hat, weitergibt“ (S. 29). Es fällt auf, dass „von Gott“ in der Mehrzahl gesprochen wird. Der Plural ist jedoch laut Kilchör nicht als Hinweis auf die Dreieinigkeit zu deuten. Das „Wir/Uns“ weise darauf hin, dass Gott nicht einsam im Himmel throne. „In der Forschung spricht man von einem ‚Thronrat‘ oder ‚Hofstaat‘ Gottes, der ihn umgibt (man könnte auch von einer Art himmlischem Kabinett sprechen). In 1. Könige 22 sieht der Prophet Micha den Thron Gottes umgeben vom ganzen himmlischen Heer, mit dem Gott sich berät“ (S. 29).
Der Mensch sei also nicht nur zum Bilde Gottes geschaffen, sondern auch zum Bilde der himmlischen Wesen, die ihrerseits Ebenbilder seien (vgl. S. 30). Diese Deutung wird laut Kilchör durch Psalm 8,4–10 gestützt (S. 31):
„In deutschen Bibelübersetzungen heißt es in der Regel, Gott habe den Menschen ‚wenig niedriger gemacht als Gott‘. Doch schon die Septuaginta, die in vorchristlicher Zeit angefertigte griechische Übersetzung des hebräischen Alten Testaments, übersetzt: ‚Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Engel‘ und deutet damit Elohim nicht auf Gott selbst, sondern auf die himmlischen Wesen des göttlichen Thronrates. Dieser Deutung schließt sich im Neuen Testament der Hebräerbrief an (Hebräer 2,15–19) [sic!, Hebr 2,1–5, R. K.], der Psalm 8 auf Jesus Christus bezieht, der in seiner Menschwerdung ‚eine kleine Zeit niedriger gewesen ist als die Engel‘.“
Nachdem Kilchör das weiter ausführt und dabei auch auf die Propheten, Jesus und Paulus eingeht, kommt er schließlich auf 1. Mose 5,1–3 zu sprechen. Dort ist zu lesen, dass Adams Sohn Set nach seinem Bild gezeugt wurde. „Wie Adam und Eva ‚Gott gleich und nach seinem Bilde‘ geschaffen sind, so ist Set ‚Adam gleich und nach seinem Bilde‘ gezeugt. Es wird hier deutlich, dass Ebenbildlichkeit letztlich Kindschaft bedeutet“ (S. 33). Allerdings ist laut 1. Mose 1–2 die Ebenbildlichkeit erst darin verwirklicht, dass Gott dem Menschen seinen Atem einhaucht. Jesus, der vom Heiligen Geist gezeugt wurde, ist der „Sohn Gottes“ und somit Erstling aller, die den Heiligen Geist empfangen (vgl. S. 33; mit Verweis auf Röm 8,14–17). Der Satz des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, „Ich glaube an Gott, den Vater“ führt uns folglich „zur Erschaffung des Menschen im Ebenbild Gottes zurück und sogar zur Erschaffung der himmlischen Welt, die in 1. Mose 1 nur angedeutet ist. Letztlich führt das Bekenntnis zu Gott dem Vater auch zu Jesus Christus als dem Sohn Gottes von Ewigkeit her“ (S. 34).
Fokussierung auf biblische Texte
Kilchör, Benjamin: Das Alte Testament vom Glaubensbekenntnis her verstehen. Gießen: Brunnen Verlag 2023 238 S., Softcover, 20,00 € ISBN: 9783765521515
Im gesamten Buch lassen sich bemerkenswerte Textbeobachtungen und praktische Implikationen finden. Die Fokussierung auf biblische Texte, die verständlich ausgelegt und in Beziehung zu verwandten Texten gesetzt werden, überzeugt. Auf diese Weise wird deutlich, dass das alte Apostolikum biblisch fest verankert ist und so, wie es ist, in unsere spätmoderne Zeit hineinspricht. Sichtbar wird fernerhin, wie umfangreich und tiefgründig das Alte Testament die großen Themen des Neuen Testaments vorbereitet, insbesondere das Kommen des eingeborenen Sohnes. Was Kilchör über die Erniedrigung und Erhöhung von Jesus Christus schreibt, hilft, das Evangelium besser zu verstehen. Angenehm ist, dass bei schwierigen Themen wie etwa Christi Abstieg in die Unterwelt Auslegungsmöglichkeiten mit der angemessenen Zurückhaltung vorgestellt werden (vgl S. 110–117). Gewünscht hätte ich mir hier eine Betrachtung der lateinischen Formulierung „descensus Christi ad inferos“ (so die lt. Fassung des Apostolikums), die in der Geschichte der Kirche auch als „Höllenfahrt“ gelesen und von manchen im Sinne einer Allversöhnung gedeutet wurde. Christus habe demnach die ganze Menschheit aus der Unterwelt erlöst.
Einige technische Anmerkungen: Es erleichtert die Lektüre, dass die Bibeltexte im Buch direkt aufgeführt werden (meist in der Übersetzung Luther 1984). Der Leser erspart sich so das jeweilige Aufsuchen der Bibelabschnitte und kann entspannter studieren. Die Tabelle mit alttestamentlichen Bibeltexten zum Glaubensbekenntnis sowie das Bibelstellenverzeichnis im Anhang erweisen sich als nützlich. Es lohnt sich, die Endnote aufzuschlagen. Dort sind nicht nur die Quellenangaben, sondern verschiedentlich lohnende Anmerkungen und Literaturhinweise zu finden.
Fazit: Ich habe Das Alte Testament vom Glaubensbekenntnis her verstehen mit großem Gewinn gelesen und empfehle es von Herzen weiter. Möge es vielen Christen dabei helfen, die Liebe zum Alten Testament zu erwecken oder zu festigen.