LiteraturBiografien, Buchbesprechungen

Unvergessene Pastoren und Evangelisten

Der pensionierte Religionslehrer Matthias Hilbert zeichnet das Leben und Wirken von sechs evangelikal geprägten Persönlichkeiten nach, die alle im 20. Jahrhundert gewirkt haben und nicht in Vergessenheit geraten sollten.

Fritz Binde, der vom überzeugten Atheisten zu einem brennenden Evangelisten wurde und in Deutschland und der Schweiz wirkte, macht den Anfang.

Wilhelm Busch, Pfarrer, Evangelist und langjähriger Leiter des Essener Jugendzentrums „Weigle-Haus“, wird als zweiter beschrieben. Bis heute wird sein Longseller „Jesus unser Schicksal“, der vielen den Weg zu Jesus gewiesen hat, geliebt und gelesen. Hilbert schildert Buschs Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen und mit der Gestapo, der das Wirken des unbequemen Pfarrers ein Ärgernis war und die ihn mehrmals verhaftete und ins Gefängnis steckte. Nach dem Krieg war Busch häufig zu Evangelisationen unterwegs und diente zugleich als geschätzter Redner auf Glaubenskonferenzen. Er starb unerwartet 1966 auf der Rückreise aus der DDR, wo er seine letzte Evangelisation durchgeführt hatte.

Paul Deitenbeck war ein guter Bekannter von Busch und ebenfalls Pfarrer in der evangelischen Landeskirche. Nach der Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft erhält er eine Pfarrstelle in Lüdenscheid, die er bis zu seiner Pension innehat. Bald schon startet er mit Jugend-Gottesdiensten und lädt evangelistisch begabte Prediger wie Wilhelm Busch und Heinrich Kemner ein. Deitenbeck ist ein volkstümlicher Prediger. Er nimmt Kontakt auf zu Unternehmern und besucht mit deren Erlaubnis die Fabriken, um den Arbeitern an ihrem Arbeitsplatz das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen. Seine Gemeinde wächst und die Gottesdienste sind überdurchschnittlich gut besucht, so dass 1965 eine größere Kirche gebaut werden muss, um den Besucheransturm aufnehmen zu können. Doch Deitenbeck wirkt nicht nur segensvoll in seiner eigenen Gemeinde. Er lässt sich auch rufen, um überregional zu dienen. So ist er viele Jahre Vorsitzender der Deutschen Zeltmission (Siegen-Geisweid) und der Essener Tersteegen-Konferenz sowie Mitvorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz. Er ist ein Mann mit „Allianz-Gesinnung“, der gute Kontakte zu den Gläubigen aus Landeskirchen, Freikirchen und landeskirchlichen Gemeinschaften unterhält. Überregional bekannt wird er auch durch sein Engagement als Sprecher der Morgenandachten im Westdeutschen Rundfunk (Köln) und durch seine Andachten im Evangeliumsrundfunk (Wetzlar). Als entschiedener Gegner der Bibelkritik wendet sich Deitenbeck gegen das Entmythologisierungsprogramm des Marburger Theologieprofessors Rudolf Bultmann, das in den 1950er und 60er Jahren immer mehr Anhänger fand. Er wird einer der maßgebenden Köpfe der „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“, die sich ab 1966 mit zahlreichen Verlautbarungen und Konferenzen für die Wahrheit der Bibel einsetzt und sich gegen den ausufernden Pluralismus der Landeskirchen wendet.

Hilbert, Matthias: Unvergessene Pastoren und Evangelisten. Sechs Lebensbilder. Norderstedt: Books on Demand 2022. 164 S. Pb: 9,90 €. ISBN: 9-78375-34422-35

Ebenfalls ein Kämpfer für die biblische Wahrheit ist der Landwirtssohn Heinrich Kemner. Als Pfarrer in Ahlden baut er nach dem Zweiten Weltkrieg eine blühende Jugendarbeit auf. Die Jugendtreffen werden schon bald von mehreren Tausend Teilnehmern besucht. Kemner wird überregional bekannt und erhält viele Einladungen zu Evangelisationen. Dabei darf er immer wieder erweckliche Aufbrüche erleben. So wird zum Beispiel bei einer von Kemner durchgeführten Evangelisation in Adelshofen der ganze Ort erfasst und viele finden zum Glauben an Jesus Christus. Als „Spätfolgen“ dieses Aufbruchs entstehen 1958 eine Bibelschule (heute: Theologisches Seminar Adelshofen) und 1962 eine evangelische Glaubens- und Lebensgemeinschaft, die Kommunität Adelshofen. Nach seiner Pensionierung baut Kemner das Geistliche Rüstzentrum Krelingen in der Lüneburger Heide auf, das als größte evangelikale Institution in Norddeutschland gilt. In einem Rehabilitationszentrum werden psychisch Kranke sowie Menschen mit Suchthintergrund aufgenommen, erhalten eine Therapie und werden wieder ans Arbeitsleben herangeführt. Im Krelinger Freizeit- und Tagungszentrum werden Kongresse, Seminare und Tagungen angeboten. Und das Krelinger Studienzentrum bereitet auf das Theologiestudium an Universitäten vor, indem es u. a. Kurse in den alten Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch sowie in Philosophie anbietet. Ziel der Studienarbeit ist es, angehenden Theologiestudenten eine bibeltreue Grundlage mitzugeben, damit sie das bibelkritische universitäre Theologiestudium einigermaßen unbeschadet überstehen. Kemner kannte aus seinem eigenen Theologiestudium und aus der Arbeit innerhalb der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ die großen Gefahren des Universitätsstudiums und hat auf diesem Hintergrund die Arbeit des Studienzentrums als äußerst wichtig betrachtet.

Innerhalb der deutschen evangelikalen Bewegung weniger bekannt als die bisher genannten Männer ist der baptistische Pastor und Evangelist Friedrich Sondheimer. Nach seiner theologischen Ausbildung am theologischen Seminar der Baptisten in Hamburg wird Sondheimer zunächst Pastor. Doch schon bald sieht er sich in die evangelistische Arbeit gerufen. Er wird Mitarbeiter der baptistischen „Wagenmission“. Dabei handelt es sich um eine volksmissionarische Arbeit; die Mitarbeiter ziehen mit ihrem Wagen von Ort zu Ort und verkündigen auf Freiversammlungen das Wort Gottes. Obwohl es auch Widerstand gibt, bekehren sich Hunderte. Später wird Sondheimer als Evangelist in die Zeltmissionsarbeit der Baptisten berufen und bleibt dieser Berufung bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 1965 treu. Auch hier erlebt er erweckliche Aufbrüche mit vielen Bekehrungen. Gott gebraucht Sondheimer aber nicht nur als Prediger. Vielmehr kommt es im Zusammenhang mit Sondheimers Dienst auch erstaunlich häufig zu Krankenheilungen und vereinzelt auch zur Befreiung von dämonisch Belasteten.

Den Abschluss des Buches bildet das Porträt von Corrie ten Boom und ihrem Vater Caspar ten Boom. Weithin bekannt geworden ist die ten Boom Familie durch den Film „Die Zuflucht“. In ihm wird gezeigt, wie diese holländische Familie Juden vor dem Zugriff der Gestapo zu schützen versuchte. Doch sie werden von einem Spitzel verraten. Noch in einem holländischen Gefängnis stirbt der Vater; Corrie und ihre Schwester Betsie werden ins KZ Ravensbrück deportiert, wo Betsie nach einiger Zeit stirbt und Corrie überraschend entlassen wird. Nach Ende des Krieges reist Corrie durch mehr als 60 Länder und berichtet von ihren Erfahrungen. Dabei steht im Zentrum ihrer Botschaft die Erfahrung der Liebe und Vergebung Gottes, die uns Menschen befähigt, sogar den eigenen Feinden vergeben zu können.

Hilbert hat ein leicht lesbares und sehr informatives Buch geschrieben, das dazu beiträgt, die Glaubenserfahrungen früherer Christen nicht zu vergessen. Diese Erfahrungen machen uns heute Mut, Jesus treu zu bleiben und den Glauben an Ihn zeugnishaft weiterzugeben.