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ThemenWort- und Themenstudien

Gott wurde Mensch

Wissen wir überhaupt, wer Jesus war oder erzählt die Bibel nur fromme Legenden über den Mann aus Nazareth? War Jesus wirklich der Mann, dessen außergewöhnliches Leben uns in der Bibel vorgestellt wird? Der am Ende der Herrschaft von Herodes dem Großen in Bethlehem geboren und um ca. 30 n. Chr. durch den Präfekt Pontius Pilatus in Jerusalem zum Tod am Kreuz verurteilt und hingerichtet wurde? Und der drei Tage später von den Toten auferstand und Begegnungen mit einer Vielzahl seiner Anhänger hatte? Gab es diesen Menschen namens Jesus wirklich? Und wenn ja, was wissen wir heute, 2000 Jahre später, noch sicher über ihn? Das sind gute und wichtige Fragen, denn immerhin bezeichnen sich heute nominell 2,26 Milliarden Menschen als Christen, also als Nachfolger dieses Jesus von Nazareth.

Die Suche nach Hinweisen über Jesus Christus außerhalb der Bibel ist eine Indiziensuche. Wie bei einem Puzzle versucht man, Stück für Stück zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzusetzen. In diesem Artikel füge ich diese Puzzleteile vor allem aus der Geschichte und Literatur der letzten 400 Jahre des römischen Reiches und in der Archäologie zusammen. Dabei sollten wir daran denken: Als Jesus lebte, hatte er für die breite Öffent­lichkeit keinen Nach­richten­wert. Jesus selbst war nur für kurze Zeit lokal bekannt. Er war ein einfacher Mann aus einer Provinz am Rande des römischen Reiches. Er bekleidete nie ein öffentliches Amt, schrieb nie ein Buch oder tat sonst irgendetwas, um überregional Bekanntheit zu erlangen. Er war ein jüdischer Rabbi, ein „Wanderprediger“ und „Wunderheiler“. Mit der Justiz kam er nur bei seiner Hinrichtung in Berührung, sein „polizeiliches Führungszeugnis“ war bis dahin blütenrein.

Eine Vielzahl von Indizien ergeben wie Puzzleteile am Ende ein ganze Bild: Für die Historiker der ersten Jahrhunderte stand völlig außer Frage, dass Jesus von Nazareth gelebt hat und seine Nachfolger an einen historischen Jesus glaubten.

Erst mit der Ausbreitung der Anhänger von Jesus über das römische Reich nahm man außerhalb Israels Notiz von dieser Person, die dort Jahrzehnte vorher gelebt hatte, gekreuzigt wurde und wieder auferstanden war. Zur Zeit der Ausbreitung des Christentums in den ersten Jahrhunderten nach Jesu Leben stand es außer Frage, dass Jesus als historische Person existiert hat. Und auch heute gilt: Für die enorme Zeitspanne von 2000 Jahren zwischen dem Leben von Jesus und der Gegenwart ist die Indizienlage so gut wie bei keiner anderen historischen Person der Antike.

Aus der Vielzahl von Indizien, die uns heute zur Verfügung stehen und uns helfen können, zu wissen, wer Jesus war, fasse ich zehn Indizien aus den verschiedensten Bereichen der Altertumsforschung exemplarisch zusammen:

1. Die offiziellen Gerichtsakten des Prozesses von Jesus

Im ersten nachchristlichen Jahrhundert war es für die christlichen Autoren völlig klar, dass der Bericht des Pilatus über den Prozess gegen Jesus irgendwo in den kaiserlichen Archiven abgelegt war und dass er von allen eingesehen werden konnte, die Zutritt zu diesen Archiven hatten, so bezeugt es z.B. Justin der Märtyrer. Er bezieht sich um 150 n. Chr. in seiner an den römischen Kaiser Antoninus Pius gerichteten „Ersten Apologie“ (Verteidigung) des Christentums in Kapitel 35 auf diese offiziellen Berichte, „acta“, aus der Amtszeit des Pilatus und stellt klar, dass diese die christlichen Berichte über den Prozess Jesu in allen Punkten voll bestätigen.

2. Berichte antiker heidnischer Autoren

Im Jahr 64 n. Chr. wurden weite Teile Roms von einem großen Brand heimgesucht. Noch bevor die Löscharbeiten beendet waren, ging das Gerücht um, das Feuer sei auf Befehl von Kaiser Nero gelegt worden. Nero wollte diesem Gerücht den Nährboden entziehen und sorgte stattdessen dafür, dass die römischen Christen als Verschwörer gegen Rom verantwortlich gemacht wurden. Über diesen Vorfall berichtet u. a. Tacitus in seinen „Römischen Annalen“ (115-117 n. Chr.). Tacitus erklärt seinen Lesern dabei, wer die Christen sind: „Dieser Name stammt von Christus, der unter Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war. Dieser verderbliche Aberglaube war für den Augenblick unterdrückt worden, trat aber später wieder hervor und verbreitete sich nicht nur in Judäa, wo er aufgekommen war, sondern auch in Rom, wo alle Gräuel und Abscheulichkeiten der ganzen Welt zusammenströmen und geübt werden.“ (15.44)

3. Berichte jüdischer Autoren über Jesus

Josephus (37/38 – 100 n. Chr.) war Zeitzeuge des Aufstands der Juden im Jahr 66 n. Chr. und dessen Niederschlagung im ersten großen jüdischen Krieg (6773 n.Chr.), der durch die völlige Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahr 70 n. Chr. entschieden wurde. Josephus geriet 67 n. Chr. in römische Gefangenschaft durch den späteren Kaiser Vespasian. Er stieg in dessen Gunst auf und arbeitete für die Römer als Vermittler und Übersetzer. Später schrieb er in Rom zwei große Werke: „Die Geschichte des jüdischen Kriegs“ (in den 70er Jahren) und „Jüdische Altertümer“ (ca. 93. n. Chr.). In den Jüdischen Altertümern (18.3.3; 18.5.2; 20.9.1) berichtet er nebenbei über den Einfluss von Johannes dem Täufer und der neu entstandenen Sekte der Christen. Aus seinen Bemerkungen wird klar, dass er sowohl von Jesus als auch von seinem Bruder Jakobus weiß. Er kennt den Ruf Jesu als Wundertäter, weiß von seiner Kreuzigung unter Pontius Pilatus als Folge von Anklagen, die von den jüdischen Führern vorgebracht worden waren, und von seinem Anspruch, der Messias zu sein. Er bestätigt, dass diese Bewegung der Christen seit dem Ende des irdischen Lebens Jesu nicht ausgelöscht werden konnte.

4. Hinweise auf Jesus im jüdischen Babylonischen Talmud

Weil die alten jüdischen Quellen, die Hinweise auf Jesus enthalten, eine ablehnende Haltung gegenüber Jesus als Begründer des christlichen Glaubens einnehmen, sind sie als Quellen für Ereignisse, die das Leben Jesu betreffen, ein wertvoller Hinweis für die Historizität dieser Ereignisse. So bestätigt der babylonische Talmud (nach der Thora die wichtigste religiöse Schrift im Judentum), dass Jesus gelebt und zum Passah-Fest am Kreuz gestorben ist. Er bestätigt auch, dass die jüdischen Führer an seiner Verurteilung beteiligt waren. Indirekt bezeugt der Text sogar die Wunder Jesu, versucht sie aber als Zauberei abzutun (babylonischer Talmud Sanhedrin 43a u.a.). Diese Aussagen sind besonders glaubhaft, weil sie von Gegnern Jesu stammen.

5. Bericht von Clemens von Rom

Die nachapostolischen christlichen Schriftsteller sind Bindeglieder zwischen der Generation der Jünger Jesu, den Aposteln, den Augenzeugen und den nach ihnen kommenden Generationen. Deswegen sind ihre Berichte bei aller Parteilichkeit für den christlichen Glauben in historischer Hinsicht sehr wertvoll, weil sie zeitlich noch sehr nah an den Geschehnissen sind, die sie beschreiben. So bestätigt z.B. Clemens von Rom (gest. um 102 n. Chr.) in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth (ca. 95/96 n. Chr.), dass die Botschaft des Evangeliums mit dem historischen Jesus ihren Anfang nahm und dass diese Botschaft durch dessen tatsächliche Auferstehung von den Toten beglaubigt wurde (Brief an die Korinther 42,1-3).

6. Bericht von Ignatius von Antiochien

Ignatius von Antiochien schreibt auf dem Weg zu seiner Hinrichtung in Rom unter Kaiser Trajan (117 n. Chr.) sieben Briefe an Gemeinden und Einzelpersonen. Darin gibt Ignatius, der sich als Schüler von Petrus, Paulus und Johannes sieht, verschiedene Feststellungen über den historischen Jesus weiter. Ein Beispiel aus dem Brief von Ignatius an die Magnesier, Kapitel 11:

„Ihr könnt völlig überzeugt sein hinsichtlich der Geburt, des Leidens und der Auferstehung, die zur Zeit stattfand, als Pontius Pilatus Landpfleger war; diese Dinge sind wirklich und wahrhaftig geschehen durch Jesus Christus, der unsere Hoffnung ist.“

7. Indizien aus der Archäologie: Die Pilatus-Inschrift

Immer wieder bestätigen archäologische Funde die Richtigkeit biblischer Berichte. Dabei kann nicht jedes Detail bezüglich historischer Personen, Orte, Ereignisse oder Bräuche archäologisch belegt werden. Aber wenn etwas gefunden wird, bestätigt es immer die Dinge, auf die es sich bezieht. Das gilt auch für die biblischen Berichte über das Leben Jesu.

Über Jahrhunderte gab es außer den biblischen Berichten keinen Beweis dafür, dass Pontius Pilatus gelebt hat. Seit den 1960er Jahren sind mehrere Funde gemacht worden, die ihn als Präfekten von Judäa bezeichnen.

Ein Beispiel: bis 1961 waren die einzigen historischen Nachweise für die Existenz von Pontius Pilatus biblische Erwähnungen seiner Person im Zusammenhang mit der Verurteilung Jesu. Aber 1961 wurde bei Ausgrabungen in Caesarea Maritim eine etwa 82 cm hohe und 65 cm breite Tafel gefunden. Die rekonstruierte lateinische Inschrift lautet: „Pontius Pilatus, Präfekt von Judäa, hat den Einwohnern Caesareas das Tiberium gestiftet.“ Dieser Fund ist der erste archäologische Beleg für die Existenz von Pontius Pilatus und kann heute im Israel-Museum in Jerusalem besichtigt werden.

8. Indizien aus der Geschichte der Urgemeinde

Wenn die ersten Christen wussten, dass sie die Botschaft von dem auferstandenen Jesus selbst erfunden hatten, es also eine Lüge war, dann nahmen sie dafür viel in Kauf. Tacitus berichtet, dass sie z.B. in die Felle von wilden Tieren eingenäht und von Hunden zerfleischt oder ans Kreuz geschlagen wurden oder als Fackeln zur nächtlichen Beleuchtung dienten (Annalen 15.44).

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9. Niemand fand ein „volles Grab“

Die Berichte über die Auferstehung Jesu wären ganz leicht zu widerlegen gewesen, wenn man den Zeugen seiner Auferstehung das Grab Jesu mit seinem Leichnam hätte zeigen können. Aber in allen Berichten, die wir in der Bibel, im Talmud, im Koran und darüber hinaus haben, geht es immer nur um die Deutungshoheit über das leere Grab. So wird z.B. versucht, mit der Bestechung der römischen Wachsoldaten eine plausible Erklärung für das leere Grab zu konstruieren (Mt 28,13-15). Die Jünger und Nachfolger Jesu werden nach der Auferstehung immer nur bedroht, nicht weiter zu behaupten, Jesus sei von den Toten auferstanden (Apg 4,18.21, vgl. 5,28.40). Es ist in den ersten Jahrzehnten nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu offensichtlich jedem klar, dass das Grab von Joseph von Arimathäa, in dem Jesus nach der Kreuzigung bestattet wurde (Mt 27,59.60), nun leer war. Diese Tatsache war unbestritten und konnte offensichtlich nicht widerlegt werden. Es ging nur noch um die Frage: was ist passiert?

10. Die Zeugenliste der Auferstehung im 1. Korintherbrief

Ein besonderes Indiz, welches das Leiden, Sterben und die Auferstehung Jesu Christi bestätigt, ist die sogenannte „Zeugenliste“. Sie steht im ersten Brief des Paulus an die Korinther, im 15. Kapitel, die Verse 5-8. Diese Liste nennt über 500 Zeugen, die Jesus nach seiner Auferstehung persönlich gesehen haben. Der erste Korintherbrief gilt auch in der liberalen Theologie als „echter“ Paulusbrief, geschrieben spätestens um das Jahr 54/55 n. Chr. Das heißt, diese Zeugenliste entstand ca. 25 Jahre nach der Auferstehung Jesu. Sie ist damit zeitlich so nah an dem Ereignis der Auferstehung Jesu, dass zu ihrer Abfassungszeit noch viele dieser Zeugen lebten, um die Wahrheit der Aussagen von Paulus über die Passion und Auferstehung Jesu, bzw. ihre Zeugenrolle, zu bestätigen. Eine solch explizite Liste „falscher Zeugen“ hätte sich nicht im ersten Korintherbrief halten können. Wir sehen: Je näher die Indizien zeitlich an das Leben von Jesus heranrücken, wir uns also in Zeiten befinden, in denen noch Augenzeugen lebten, desto unwichtiger war die Frage: „Wissen wir überhaupt, wer Jesus war?“ Denn die Menschen wussten, wer der Mensch Jesus war. Sie kannten sein Leben und wussten von seinem Sterben. Oder sie kannten Leute, die es ihnen berichten konnten. Und sie konnten sich das leere Grab anschauen. Sie mussten für sich entscheiden: Wer ist dieser Mensch Jesus, der stärker ist als der Tod? Die Christen kamen zu dem Ergebnis, dass Jesus der mensch­gewordene Sohn Gottes ist. Dass er stärker ist als der Tod und diesen auch für die, die zu ihm gehören, besiegt hat (1Kor 15,2022; Offb 1,17.18). Diese Botschaft, dass der Tod nicht mehr das letzte ist, nahm ihm den Schrecken so sehr, dass die ersten Christen damals und viele Christen bis heute bereit sind, lieber für Jesus Christus zu sterben, als ihn aufzugeben.


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Der Artikel ist eine Leseprobe aus dem neuen Buch: Go(o)d News 3: Vernünftig glauben.