Die Kurzfassung dieser Buchbesprechung finden Sie hier.
Lorenz Puntel vereint verschiedene Disziplinen, die selten zusammen vorkommen. Er studierte sowohl Theologie als auch Philosophie, promovierte anschließend in Theologie und wurde anschließend Professor für Philosophie an der Universität München. Mit Puntel betätigt sich also ein katholischer Theologe auf höchstem akademischen Niveau als Philosoph. Den wohl wichtigsten Teil seiner Forschung legt er nun mit der Vervollständigung einer Trilogie vor, die er bereits 2006 mit dem Buch Struktur und Sein begann.
Der Band Sein und Gott widmet sich der Frage nach Gott in der Philosophie und gliedert sich in vier Kapitel. Im ersten Kapitel (S. 9-65) gibt Puntel einen Überblick über die Behandlung der Gottesfrage in der Philosophie und geht darin auch auf ältere und neuere Gottesbeweise ein. Im zweiten Kapitel (S. 67-143) diskutiert und kritisiert Puntel die Seinsphilosophie M. Heideggers und auch dessen Umgang mit der Gottesfrage und wendet sich darin auch gegen die Kritik Heideggers an der christlichen Theologie. Dies ist insofern bemerkenswert, weil Puntel selbst Schüler von M. Heidegger war und daher nicht unter den Vorwurf gerät, die Philosophie Heideggers etwa falsch oder missverstanden zu haben. Im dritten Kapitel (S. 146-291) folgt eine kurze Zusammenfassung des ersten Bandes der Trilogie und ermöglicht somit, dass man Sein und Gott auch ohne Kenntnis des ersten Bandes Struktur und Sein zur Hand nehmen kann. Hier werden also Grundbegriffe wiederholt, die Puntel zur Behandlung der Gottesfrage voraussetzt. Im vierten und letzten Teil (S. 294-426) setzt sich Puntel schließlich mit den Philosophen É. Lévinas und J.-L. Marion und deren Diskussion der Gottesfrage auseinander.
Puntel legt mit großer Präzision ein Grundproblem frei, das bei der Frage nach Gott immer wieder begegnet. Nach Puntel ist die Frage „Existiert Gott?“ eine Frage, die häufig so diffus gestellt wird, dass man sie kaum beantworten kann (S. 1-3). Die Frage setzt nämlich voraus, dass man über Gott wie über einen abstrakten Gegenstand sprechen kann, der in einer bereits vorgegebenen Welt entweder existiert oder nicht existiert. Diese Voraussetzung ist aber problematisch, weil Gott nicht nur ein Ding oder eine Person ist, über deren Existenz man von außen nachdenken kann, sondern allem andere überhaupt erst Existenz, Sinn und Struktur verleiht. Damit hat nicht derjenige ein Problem, der Gott für den Urheber und Urgrund allen Seins hält, sondern derjenige, der ohne einen solchen Urheber voraussetzt, dass überhaupt irgendetwas „ist“ oder „existiert“.
Ganz ähnlich verhält es sich nach Puntel mit der endlosen „Warum“-Frage nach Letztbegründungen. Die Frage „Warum existiert Gott“ ist nach Puntel ebenfalls eine sinnlose Frage – denn entweder sieht man Gott als Letztbegründung an (womit sich die Frage erledigt), oder man sieht ihn nicht als Letztbegründung an, hat damit aber einen Theorierahmen vorausgesetzt, der unvollständig ist (S. 61-65). Daher muss auch eine naturwissenschaftliche Erklärung des Universums spätestens hier an unüberwindbare Grenzen kommen (S. 257).
Puntel, Lorenz: Sein und Gott. Ein systematischer Ansatz in Auseinandersetzung mit M. Heidegger, É. Lévinas und J.-L. Marion. Tübingen: Mohr Siebeck 2012. 444 S. Broschüre: 69,00 €. ISBN: 978-3-16-151913-0
Für Puntel ist daher klar: Man kann erst sinnvoll über Letztbegründungen reden, wenn man von einem Theorierahmen ausgeht, indem es bereits eine Art Urgrund des Seins selbst gibt. Nach Puntel kann diese Seinsdimension jedoch nichts Abstraktes sein, sondern muss personale Eigenschaften haben (S. 194). Erst unter diesen Voraussetzungen ist in der Philosophie die Rede von „Gott“ dann überhaupt sinnvoll. Die akribisch vorgetragenen Überlegungen Puntels führen so stringent dahin, dass jede philosophische Überlegung und jede Ontologie Gott letztlich voraussetzen muss, um sinnvoll zu sein. Was Puntel so präsentiert, kann man (auch wenn Puntel dies nicht für sich in Anspruch nimmt) durchaus als eine Art Gottesbeweis betrachten. Doch im Gegensatz zu den klassischen Gottesbeweisen kommt nicht der Mensch durch seine Überlegungen zu Gott, sondern muss Gott bereits voraussetzen, um überhaupt sinnvoll nachdenken zu können.
Genau damit sind auch die Grenzen menschlichen Nachdenkens über Gott skizziert: Nach Puntel kann am Ende nicht die Philosophie, sondern nur die Offenbarung Gottes in der Geschichte weiteren Aufschluss darüber geben, wer und wie dieser Gott ist (S. 272-274). Damit führen die Überlegungen Puntels am Schluss zur Bibel und zum christlichen Gott hin und verweisen bei jeder weiteren Überlegung zu Gott auf das Gebiet der schriftlichen bzw. geschichtlichen Offenbarung Gottes.
Insgesamt liefert Puntel damit akribisch ausgearbeitete Überlegungen, die sich in der christlichen Apologetik fruchtbar machen lassen. Auf philosophisch hohem Niveau seziert Puntel so manches vordergründige Argument, das gegen Gott ins Spiel gebracht wird. Puntel gibt damit ein positives Beispiel dafür, wie philosophische Überlegungen nicht im Gegensatz, sondern im Dienst des Glaubens stehen können.