Erwin Lutzer, ehemaliger Pastor der Moody Church in Chicago und bekannter Buchautor, legt mit seinem neusten Werk eine treffende Analyse der politischen, kulturellen und religiösen Situation der USA vor. Es ist dem betagten Autor (im Oktober 2021 wurde Lutzer 80 Jahre alt) anzuerkennen, dass er mit seinem Buch ein heißes Eisen anpackt, das für uns in Deutschland immer mehr greifbar wird.
Schon in seinem Prolog positioniert sich der Autor eindeutig. Ein Großteil des Christentums unterwerfe sich in vielen Lebensbereichen der Kultur (S. 22). Evangelikale würden fatalerweise aufgerufen, das Christentum zu einer inklusiveren Religion umzugestalten und andere Heilswege anzuerkennen (ebd.).
In Kapitel 1 stellt Lutzer den Kulturmarxismus als Feind der christlichen Werte vor. Er verspreche „soziale Gerechtigkeit“ (S. 28), beabsichtige aber die Zerstörung der Kernfamilie, indem die Erziehung der Kinder aus den Händen der Eltern genommen und dem Staat überlassen werde (S. 30). Hierbei nehme der Marxismus gesellschaftliche Kämpfe, Spaltungen und Destabilisierungen dankend an, um das große Ziel der Kulturrevolution herbeizuführen (S. 31).
Kapitel 2 beschreibt die Taktik der Kulturmarxisten, die Vergangenheit neu zu schreiben, um die Zukunft zu kontrollieren. Mit dem Auslöschen des Vorhandenen sei der Weg zur Erstellung einer neuen Kultur frei, die dann ein weltweit gültiges Rechtssystem, eine Weltordnung und eine föderale Regierung habe (S. 67). Versprechungen einer unsterblichen Erlösung oder Angst vor ewiger Verdammnis seien für Marxisten illusionär und schädlich.
Ein realistisches und dennoch beängstigendes Bild zeichnet der Autor in Kapitel 3. Vielfalt werde genutzt, um zu spalten und zu zerstören. Grundlegende These hierbei ist, dass es nur vordergründig um soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung geht, sondern vielmehr um strikte Machtübernahme. Der Autor wendet sich hierbei scharf gegen die sog. kritische Rassentheorie, die lehrt, dass Ethnien ein soziales Konstrukt sind, das von der dominierenden Gruppe geschaffen wurde, um ihre Überlegenheit zu erhalten. Ausgehend davon wird eine „weiße Schuld“ zur Sprache gebracht, die gesühnt werden müsse. Lutzer verneint Rassismus in den Staaten nicht, sieht aber in Jesus und in der Gemeinde die Überwindung der Unterschiede und eine gemeinsame Basis (Kol 3,11).
Durchaus relevant für Europa ist die lesenswerte Analyse Lutzers zur Meinungsfreiheit (S. 119ff.). Während freie Meinungsäußerung früher einen besonderen Wert hatte, mehrten sich die Stimmen, die bestimmte Meinungen verbieten oder sanktionieren möchten. „Fast die Hälfte der Millenials glaubt, dass Hassreden verboten werden sollten“ (S. 124), wobei heutzutage oft die politische Rede des Gegners als Hassrede definiert werde (ebd.). Die Beispiele, die der Autor aufführt, müssen aufrütteln: Seit 2008 will die Organization of Islamic Countries ein Gesetz von den Vereinten Nationen verabschieden lassen, das jede Kritik am Islam zu einem Verbrechen macht (S. 136). Der Psychologe Nicholas Humphrey sagt Folgendes: „Kinder haben ein Recht darauf, dass ihr Verstand nicht durch Unsinn vernebelt wird. Und wir als Gesellschaft haben die Pflicht, sie davor zu schützen. Deshalb sollten wir Eltern genauso wenig erlauben, ihren Kindern beizubringen, dass sie zum Beispiel an die buchstäbliche Wahrheit der Bibel glauben oder dass die Planeten ihr Leben bestimmen, wie wir Eltern erlauben sollten, ihren Kindern die Zähne auszuschlagen oder sie in einen Kerker zu sperren“ (S. 122).
Im Ergebnis beschreibt Lutzer treffend die Ironie, dass die Zensoren in der Kultur als tolerant wahrgenommen werden, während diejenigen, die an christlichen oder traditionellen Ansichten festhalten wollen, als intolerant gelten (S. 138).
Kapitel 5 zeigt auf, wie heutzutage Propaganda funktioniert. Die Macht der Worte beeindruckt, wenn diejenigen, die gegen Abtreibung sind, als solche beschrieben werden, die „mit den Frauen auf Kriegsfuß“ stehen (Anm. d. Rez.: oder als „militante Abtreibungsgegner“), während Abtreibungsbefürworter die Gesundheit der Frauen schützen (S. 151). Lutzer geht hierbei auf Mittel wie Political Correctness und Gaslighting ein – der Leser kann hierzu näher im Internet recherchieren.
Für Eltern von besonderer Relevanz ist Kapitel 6, in dem der Autor die beabsichtigte Sexualisierung der Kinder beschreibt. Es ist erschütternd, wie mittels Grooming versucht wird, Kinder für den sexuellen Missbrauch von Erwachsenen zu desensibilisieren. Man fragt sich, wie Menschen (hier: Judith Levine) die These vertreten können, dass einvernehmlicher Sex mit kleinen Kindern nicht schädlich für diese sei (S. 188f.). Dass sich christliche Colleges immer mehr den LGBTQ-Werten unterwerfen, muss erschüttern.
Lutzer, Erwin: Wir werden nicht schweigen. Als Christen für Freiheit und Werte eintreten. Dillenburg: Christliche Verlagsgesellschaft und Dübendorf: Mitternachtsruf 2021 (Co-Produktion) 320 S., Paperback 14,90 €. ISBN: 978-3-86353-773-9 bzw. 978-3-85810-560-8
Kapitel 7 geht auf die Kapitalismuskritik des Sozialismus ein. Lutzer vertritt eher einen kapitalistischen Ansatz, da hier der Leistungsgrundsatz im Vordergrund stehe. Der Sozialismus sei trügerisch, da er „die Grundbedürfnisse der Bevölkerung nicht befriedigen kann“ (S. 225). Er tendiere von Natur aus eher zu Gier und Korruption (S. 226). Für meinen Geschmack etwas zu spät zeigt der Autor auch die negative Seite des Kapitalismus auf, der zu oft die Armen ausbeute und an die Habgier des menschlichen Herzens appelliere (S. 233). Lutzer hätte hier deutlicher darauf eingehen müssen, dass die Bibel sehr oft und deutlich die Reichen kritisiert, die die Armen ausbeuten. Die Kirchengeschichte ist voll von Beispielen, wie raffgierige Reiche an Kriegen, Ausbeutung, Zerstörung beteiligt gewesen sind und wie sie mehrfach ein Hindernis für das freimachende Evangelium waren. Dass viele neue Bewegungen, die Lutzer kritisiert, eben auch von reichen, kapitalistischen Lobbyisten unterstützt werden, muss zum Nachdenken anregen.
Nachvollziehbar zeigt Lutzer in Kapitel 8 die Verbrüderung des Sozialismus mit dem radikalen Islam auf. Nach meiner Einschätzung trifft dies auch auf Europa zu. Man stellt sich die Frage, warum Linke „eine fundamentalistische Theokratie (…) verteidigen, die an der Steinigung von Homosexuellen, an religiöser Bevormundung und an der Unterdrückung von Frauen (wenn nicht sogar Gewalt gegen sie) festhält“ (S. 239). Die Antwort liegt in dem höheren Ziel der Zerstörung bisheriger Werte und der Schaffung einer neuen Gesellschaftsordnung. Damit dies gelingt, wird einem Kritiker des Islams Islamophobie vorgeworfen, um zu diffamieren und den Kritiker in eine Ecke zu stellen (S. 248). Lesenswert ist Lutzers Antwort der Gemeinde. Die Bereitschaft, für Wahrheit einzustehen und im schlimmsten Fall als Märtyrer zu sterben, wird für Christen dieser Zeit immer mehr relevant.
Ebenfalls für Deutschland sehr relevant beschreibt Lutzer in Kapitel 9, wie radikale Säkularisten Gegenmeinungen verteufeln und an den Pranger stellen. Sie würden öffentlich denunziert oder werden Opfer von Gewalt (so z.B. durch die Antifa). Die Polizei werde hierbei systematisch verunglimpft, beschuldigt, respektlos behandelt, weil sie die letzte Verteidigungslinie gegen Anarchie darstelle (S. 265). Es ist zu wünschen, dass die Kämpfer gegen die sog. soziale Ungerechtigkeit mehr auf die Worte des Agnostikers David Horowitz hören würden: „Die Ungerechtigkeit wurde (…) nicht durch unterdrückende Rassen und Geschlechter oder allein durch unsere politischen Feinde verursacht. Ungerechtigkeit ist das Ergebnis von menschlichem Egoismus, Bosheit, Neid, Gier und Lust. Die „Gesellschaft“ ist nicht die Ursache von Ungerechtigkeit. Die Gesellschaft ist lediglich ein Spiegelbild dessen, was wir sind.“ (S. 268)
Mit dem Schlusskapitel „Wach auf und stärke das Übrige!“ platziert Lutzer die Antwort der Gläubigen bzw. der Gemeinde Jesu in diese Zeit. Der Autor fordert zu Entschlossenheit im Leben und im Bezeugen vom Evangelium auf. Man dürfe die Position nicht aufgeben, dass Christus der einzige Weg zum Vater ist. Auch dürfe sich der sexuellen Kulturrevolution nicht gebeugt werden. Ein Christentum ohne Mut sei kultureller Atheismus (S. 295).
Insgesamt ist Lutzers Buch sehr lesenswert und bis auf die zu starke Kapitalismussympathie analytisch gelungen. Möge dem Leser nach dem Durcharbeiten des Buches Jesu Wesen vor Augen stehen: „Keine Lockerung der Standards; kein Neuschreiben der Regeln, damit sich eine Frau besser fühlt. Stattdessen bot er Gnade an angesichts einer heuchlerischen, selbstgerechten Gemeinschaft“ (S. 289)