Ein Buch mit über 700 Seiten! Eine Fleißarbeit, das Ergebnis jahrelangen Forschens. Ich merke schnell, dass sich dieses Werk trotz seines Umfangs flott liest. Es wirkt frisch und kurzweilig.
Holthaus beginnt mit den englischen und amerikanischen Wurzeln der Heiligungsbewewegung. Namen wie John Wesley, Phöbe Palmer, Charles Finney werden genannt. Überhaupt orientiert sich der Verfasser durch das ganze Buch hindurch ganz stark an Personen. Kurz skizziert er ihren wichtigsten Beitrag zu dieser Bewegung. Und wie der Name der Bewegung vermuten lässt ging es diesen Personen natürlich um die eine Frage, wie kann Heiligung im Leben des Christen geschehen, durch Geistestaufe, durch beständiges Wachstum oder stufenweise? Holthaus legt eine Geschichte der deutschen Heiligungsbewegung vor. Folgerichtig kommt ihre Theologie nur sehr kurz vor. Und folgerichtig schwenkt er den Blick bald vom englischen Sprachraum auf den deutschen, in dem sich diese Bewegung durch Konferenzen ab 1875 ausbreitete. Eine Schlüsselperson dafür war der amerikanische Fabrikant Robert Pearsall Smith.
Leider vermisse ich ein Kapitel, in dem Holthaus den Nährboden der Heiligungsbewegung offen legt. Welchen Mangel gab es in Kirche und Gesellschaft, aus dem heraus diese Bewegung Fuß fassen konnte? Zwar kann ich mir beim Lesen dieses Buches einige Antworten erschließen, auch nennt Holthaus auf S. 57f einige Fakten zum geschichtlichen Umfeld, in dem die Bewegung entstand, aber diese fallen kurz aus und bleiben unkommentiert. Hier wäre ein gesondertes Kapitel nötig.
Schon bald war der Heiligungsbewegung auch Evangelisation und Mission ein zentrales Anliegen. Sehr interessant ist hier ein Abschnitt über die Neuerungen in der Evangelisationspraxis. Z.B. wurde die Zeltevangelisation und der Einsatz der damals zur Verfügung stehenden Medien eingeführt. Ich finde hier die Anfänge vieler Evangelisationsmethoden, die wir heute noch kennen bzw. als ganz natürlich ansehen, so als ob sie schon immer da gewesen wären. Überhaupt ist dieses Buch eine Fundgrube, die hilft, die evangelikale Bewegung heute zu verstehen.
Stephan Holthaus. Heil – Heilung – Heiligung. Die Geschichte der deutschen Heiligungs- und Evangelisationsbewegung (1874-1909). Gießen, Brunnen Verlag 2005. 707 S. ISBN: 3-7655-9485-7
Holthaus schreibt über die Literatur und die Lieder dieser Bewegung, die oft heute noch bekannt sind. Er schreibt über ihre Frauen, die sich engagierten ohne emanzipiert zu sein, ihre Diakonie und ihr Anliegen, neben geistlicher Heilung auch zu körperlicher Heilung zu gelangen. Leider kommt die Theologie sehr kurz weg, Fragen bleiben offen. Aber das Buch hat ja schon 700 Seiten. Vielleicht findet sich ein Forscher, der die Theologie dieser Bewegung analysiert. Ein solches Werk dürfte nicht weniger interessant sein. Schließlich kommt der Verfasser noch auf die Pfingstbewegung zu sprechen, die innerhalb der Heiligungsbewegung aufkam und zur Spaltung diese Bewegung führte. Sehr sachlich schreibt er über die Schwächen und Stärken der Berliner Erklärung.
Holthaus legt eine Arbeit vor, die einen tiefen Einblick in die Entstehung und das Selbstverständnis der Evangelikalen heute gibt. Sei es das Thema Evangelisation, Bibelschule, der Umgang mit geistlichen Erfahrungen o. a., seine Auseinandersetzung mit der Geschichte liefert wertvolle Impulse für uns heute.