ThemenWort- und Themenstudien

Die Musik im alten Israel – Teil 1

Der folgende Aufsatz benutzt die wichtigsten Ergebnisse des umfangreichen Werkes zum Thema von Alfred Sendrey und fügt eine biblische Beurteilung der Sachverhalte bei. Er bietet einen guten Überblick über die Thematik und behandelt viele Details. Es ist wohl nicht ohne Belang, in der heutigen Zeit verwirrender Angebote an »geistlicher Musik« einmal zu erfahren, wie die Musik in biblischer Zeit beurteilt und betrieben wurde. Das könnte manche verkehrte Vorstellung korrigieren helfen.

I. Einleitung

Wenn wir die Musik in Altisrael recht begreifen und beurteilen wollen, dürfen wir sie nicht isoliert von ihrer Umgebung sehen. Wie alle Kunst war sie bis zu einem ge­wissen Grade abhängig von Zeitumständen und Umwelt. So manchen Zug hat sie gemein mit der Musik der übrigen orientalischen Völker. Jedoch besitzt sie auch unverwechselbare Eigentümlichkeiten. Das wiederum zeigt, daß Israel von Natur aus eine hohe musikalische Begabung besaß.

Autonome Kunst im heutigen Sinne kannte man im Altertum nicht. Alle Kunst hatte bestimmte Ursachen und verfolgte einen ebenso bestimmten Zweck. So war Musik reine Gebrauchskunst. Der Begriff Konzert ist relativ jung. Musik als Kunstgenuß war in der alten Zeit ganz untergeordnet.

In Altisrael sollte die Musik

a) Gottesdienste bereichern und verschönern

b) Staatsakte feierlich gestalten

c) Freude ins alltägliche Leben bringen

Heute nennt man so etwas funktionale Musik, also zweckgebundene Kunst. Am meisten Anteil hatte das Volk bei der Musik des Alltags (Tanz, Lied, Instrumen­talspiel). Solche Musik muß nicht kunstvoll und anspruchsvoll sein. Sie ist gekenn­zeichnet durch rhythmische Begleitung, da sie meist mit Bewegung verbunden ist (Arbeitslieder, Tanz, Prozessionen).

Anders war dies beim gottesdienstlichen Singen und Musizieren. Das war vor al­lem Aufgabe der Leviten. Hier vertrat das Volk die Rolle des Zuhörers, während der geschulte Chor der Leviten.der Darbietende war. Das erforderte ein Berufsmu­sikertum und große Vorbereitungen. Sollte solche Musik ihren Zweck erfüllen, mußte sie zu einer hohen Kunst entwickelt werden. Das künstlerische Niveau erreichte unter David und Salomo auch rasch eine bedeutende Höhe.

Welche Forderungen sind an einen Künstler im biblischen Sinne zu stellen?

a) Er muß seine Aufgabe ganz ernst nehmen.

b) Er muß Zeit und Kraft einsetzen.

c) Er muß allein Wahrheit erstreben.

d) Er muß seinen persönlichen Ehrgeiz zurückstellen.

e) Er soll allgemeinverständlich bleiben und trotzdem nicht oberflächlich werden.

f) Er soll Musik nicht um ihrer selbst willen betreiben.

g) Er muß sich mit äußerster Disziplin vorbereiten und üben.

h) Er muß trotz aller persönlichen Leistung die Ehre dem Herrn allein geben.

Musik ist Gabe und Aufgabe; Freude, die man selber empfängt und zugleich weiterzugeben hat. Sie kann die Herzen aufschließen für das Wort Gottes, die Seele trösten und ermuntern. Sie kann aber durch ihre Schönheit uns auch einen schwachen Abglanz der Herrlichkeit und Liebe Gottes vermitteln. Allerdings kann sie nach biblischem Zeugnis keinen Menschen zum Glauben bringen, wenn das auch manche behaupten; denn der Glaube kommt aus der Predigt. Ihr eigentlicher Sinn ist also Verherrlichung und Erhöhung des Namens Gottes.

Wie sah die Vorbereitung auf diese Aufgabe in Altisrael aus?

    • Die Texte mußten vertont werden (Komposition)
    • Der Gesang mußte instrumental eingekleidet werden (Arrangement).
    • Es mußten Zwischenspiele usw. komponiert werden.
    • Man mußte Instrumente aller Art anfertigen.
    • Man mußte die Instrumente pflegen und reparieren.
    • Chor und Instrumente mußten gründlich geübt werden.

Nicht vergessen werden darf, daß dem Sänger und Musiker auch Lob und Anerkennung gebührt als Ermutigung und Ansporn. Das verlangt vom Hörer eine dankbare und positive Einstellung.

In Israel war der Gottesdienst anziehend und schön. Man zog mit Freuden zum Tempel. Der mit Würde und Ernst, aber auch großer Freude und Jubel gefeierte Gottesdienst wirkte auf die versammelte Gemeinde erhebend. Der Gläubige wurde mit Erfurcht erfüllt und betete an.

 

II. Die Musik der altorientalischen Völker

Es sollen nun kurz einige Anmerkungen über die Musik der Umwelt Israels folgen. In Sumer gab es Tempelschulen mit systematischer Musikausbildung. Man kannte liturgische Gesänge und Psalmen. Ein Beamter leitete den Chor, ein anderer hatte den Chor zu schulen. Der Chor war in mehrere Gruppen aufgeteilt. Die Psalmen wurden meist mit Saiteninstrumenten begleitet (Harfe, siebensaitige Lyra, zweisaitige Laute). Man verwendete aber auch Pfeifen, Oboen, Doppelrohrpfeifen, Handtrommeln usw. Es gab auch eine Art von Notenschrift zur Aufzeichnung von Melodieformeln. Versuche zur Entzifferung dieser Schrift sind bisher gescheitert.

In Ägypten gab es ein reichhaltiges Musikleben. Die berufsmäßigen Tempelsänger vererbten ihre Kunst durch mündliche Tradition auf ihre Nachkommen, da eine Notenschrift unbekannt war. Die Sängerzunft besaß auch ein Liederbuch mit Texten, das aber nur den Berufenen zugänglich war. Es gab Lieder verschiedener Art. Sie wurden zur Begleitung von Instrumenten von Einzelsängern oder vom Chor gesungen. Die Instrumente selbst waren kunstvoll geschmückt und verziert. Die stilleren Instrumente waren beliebter, z.B. Harfen, Leiern (ägypt. = k.nn.r), Doppelklarinetten mit parallelen Rohren, Doppeloboen mit winkelig zueinanderstehenden Rohren und Kurzoboen. Auch Metalltrompeten waren bekannt, man verwendete sie aber wohl mehr im weltlichen Bereich, z. B. bei Schlachten oder als Signalinstrumente. Daneben sind auf den wunderbaren Tempel-und Grabmalereien auch viele Schlag-und Schüttelinstrumente dargestellt wie Trommeln, Becken, Klappern, Kastagnetten und Sistren. Während die altägyptische Musik offenbar einen hohen künstlerischen und ethischen Stand aufwies, entartete diese Kunst in der Spätzeit zu einem reinen Virtuosentum.

Babylonier und Assyrer übernahmen ihre gesamte Kultur von den Sumerern. Das Sumerische galt als heilige Sprache und wurde für rituelle Texte verwendet. Die Musik wurde vom Priester (= kalu), dem Psalmsänger (= sammaru) und dem Wehklager (= lallaru) ausgeführt. Auf einem assyrischen Bild ist Sennacherib dargestellt, der von Musikanten empfangen wird, welche Harfen, Trommeln und Zimbeln spielen. Ein anderes Bild zeigt die Begrüßung Aschurudannipals (Aschurahbal) durch eine große Musikerschar. Man sieht 9 Sängerknaben, die zugleich den Rhythmus klatschen, 3 Harfenspieler (zwei davon gehen in Tanzschritten), einen Mann mit Doppeloboe, einen mit einem Hackbrett (ebenfalls tanzend), 4 Frauen mit großen Harfen, eine Frau mit Doppeloboe und 6 singende Frauen, worunter eine sich auf den Kehlkopf drückt. Auffälligerweise fehlen die Schlaginstrumente, dagegen ist die Zahl der Vokalisten groß.

Man kann sich gut vorstellen, wie diese Musik geklungen haben muß: fein und sanft. Aus Babel ist ferner bekannt, daß Liebeslieder zu einer zehnsaitigen Harfe gesungen wurden und bei Jahresfesten dramatische Musikaufführungen stattfanden. Die Musiker erhielten ihre Ausbildung in Schulen. In umfangreichen Bibliotheken wurden Texte auf Tontafeln aufbewahrt. Erwähnenswert ist auch, daß in Babylon der responsorische Gesang gepflegt wurde (Wechselgesang).

Die Chaldäer (bibl. heißt Chaldäa erez kasdim: Gen. 11, 28 usw.) gehörten zur indoeuropäischen Sprachgruppe, wogegen die Babylonier Semiten waren. Ihr Wohnsitz ist bis heute zweifelhaft. Sie eroberten um 1300 v.Chr. Babel und gründeten nach dem Zusammenbruch Assurs das großbabylonische Reich (mat kaldu). Manche Historiker halten die Chaldäer für semitische Aramäer. Aber König Sennacherib unterschied stets zwischen kaldi und semitischen Arabern und Aramäern. Auch die Heilige Schrift unterscheidet bene Babel und kasdim. Abraham stammte aus ur’kasdim. In Bogazköj in der Türkei wurden Tausende von Tontafeln in 10 verschiedenen Sprachen ausgegraben. Eine darunter ist indogermanisch.

Diese nannte man Hethitisch, obgleich dieser Name auf den Tafeln selbst nirgends vorkommt. Später entdeckte man eine weitere Sprache auf diesen Tontafeln, von der ausdrücklich angegeben war, daß es sich um die Sprache der Chatti oder Hethiter handelte. Nun korrigierte man aber nicht den früher gemachten Fehler in der Benennung, sondern bezeichnete das eigentliche Hethitisch mit Chattisch. Diese fälschlicherweise Hethitisch genannte Sprache könnte wohl Chaldäisch gewesen sein. Die Chattili-Sprache ist dagegen mit keiner anderen Sprache ähnlich und wurde auch ausschließlich für rituelle Texte verwendet. Das Pseudohethitische (= Chaldäische) wurde dagegen für profane Texte gebraucht, diplomatische Texte aber waren in Babylonisch abgefaßt. Das Chattili (das echte Hethitisch) könnte vielleicht die Sprache der Lyder gewesen sein. Lydien lag in Kleinasien. Dort verehrte man die Kybele in einem orgiastischen Kult. Die Musik dieses Kultes war lärmend und aufpeitschend. Doch kannten die Lyder auch eine edle Musik, die von den Griechen geschätzt wurde (Lydischer Modus C-Dur). Auch der syrische Adoniskult wurde mit orgiastischer Musik gefeiert (Oboe!). Die Phrygier liebten dagegen weiche Pfeifenklänge mit klagender Melodik.

Die Phöniker (Tyros/Sidon) waren musikalisch von den Ägyptern beeinflußt, hatten aber auch ein eigenes Gepräge. Man verehrte die lschtar oder Astarte (= Venus) und den Moloch. Um die Schreie der geopferten Menschen zu übertönen, wurde eine überaus lärmende Musik vollführt. Diese oblag den Kedeschen (= Tempelhuren). An Instrumenten waren der Kinnor (=Lyra), der Trigonon (= eine Dreiecksharfe), der Phoinix (= ein Saiteninstrument unbekannter Form) und der sidonion nabla (entsprechend dem hebr. nebel) bekannt. Da ägyptischer Einfluß vorlag, mußte die phönikische Musik allerdings ursprünglich einmal sanft und edel geklungen haben.

Die Musik der in Israel noch lebenden Kanaaniter dürfte ebenfalls wild und ausschweifend gewesen sein, wie man aus der Begebenheit mit Elia und den Baals-priestern auf dem Karmel schließen kann.

III. Die Musik in der Bibel

In Gen. 4, 20 wird der Beruf des Musikers zum erstenmal erwähnt. Neben dem Hirten und dem Schmied zählt er also zu den Urberufen.

    • Jabal war Hirte. Sein Beruf diente der Ernährung.
    • Tubal-Kain stellte Werkzeuge und Waffen her.
    • Jubal, der Musiker, wollte das Leben durch Kunst verschönern.

Der Name Jubals leitet sich von hebr. yobel = das Horn her.

Der erste in der Bibel überlieferte »Gesang« ist Lamechs Rede in Gen. 4, 23. Das ist eine noch recht rohe Art von Sprechgesang. In Gen. 31, 27 wird dann erst-malig das Musizieren erwähnt. Man sang damals zur Begleitung von »Harfen und Pauken«.

In Exod. 15 singt Mose sein vom Geist erfülltes Siegeslied. Formal ist daran zu erkennen, daß der Prophet wohlbewandert war in der poetischen Ausdrucksweise. Unmittelbar auf dieses Lied folgt der Gesang der Mirjam. Sie begleitete sich auf der Handpauke (Tamburin), und alle Frauen folgten ihr mit Pauken und im Reigen. Woraus man sieht, daß das Singen und Musizieren längst geübter Brauch gewesen sein muß. Die vielen Instrumente hatte das Volk Israel bereits aus Ägypten mitgebracht. Und auch Mirjam mußte sich in der Dichtkunst auskennen. Daß das Volk allgemein mit dem Singen und Musizieren vertraut war, läßt sich in negativer Weise auch aus dem Tanz ums goldene Kalb ersehen. Hinsichtlich der Stellung Moses zur Musik schreibt Joel Walbe: »Als er die Schafe seines Schwiegervaters Jithro, des Priesters von Midian, hütete, wanderte er mit seiner Herde tage- und wochenlang in der Einsamkeit der Wüste von Oase zu Oase. Die erhabene, strenge Schönheit dieser Landschaft, die sie begrenzenden kahlen, hoch in den Himmel ragenden Berggipfel, unter ihnen der Berg Sinai, vertieften zweifellos seine Naturverbundenheit. Es war dies auch die Zeit, da er wegen des Schicksals seines Volkes litt, das unter Pharaos Fron schmachtete. Es ist gut vorstellbar, daß diese Einwirkungen und Erlebnisse Mose zur Musik führten und in ihr ihren Ausdruck fanden. Es ist nach den Ausgrabungen Nelson Glücks sicher, daß Moses Weidegründe von den Leidensstätten der Kinder Israels nicht allzu weit entfernt lagen. Aus seiner Brust bricht ein Strom von Liedern, die zwischen Bergen und Wüstenoasen widerhallen. Es sind die Dankgesänge an den Weltschöpfer, der sich ihm im brennenden Dornbusch offenbarte« (Der Gesang Israels und seine Quellen, S. 4 f.).

Lev. 23 beschreibt die Feste des Herrn. In Vers 24 wird ein Gedächtnisfest mit Posaunenklang festgelegt. Es muß hier allerdings richtiger Schofar heißen, und das ist keine Posaune, sondern ein Horn. In Lev. 25, 9-10 wird für das Jobeljahr das Schofarblasen am 10. Tag des 7. Monats angeordnet. Das ist der große Versöhnungstag.

Exod. 28, 35 erwähnt die Pa’anomim (= Glöckchen) am Rocksaum des Priesters. Sendrey (»Die Musik in Alt-Israel«) hält dies fälschlich für den Rest eines alten Aberglaubens, weil gesagt wird: » … auf daß er nicht sterbe.“ Diese Pa’anomim wechseln ab mit goldenen Granatäpfeln. So ist ihre Bedeutung wahrscheinlich diese: Das blaue Obergewand des Priesters weist auf den himmlischen Charakter des wahren Hohenpriesters Jesus hin. Granatäpfel und Pa’anomim sind dann Gleichnisse für geistliche Frucht. Das Verdienst Jesu ist es, das uns vor dem Tode errettet. Zum Zeugnis muß der Priester diese Kleidung tragen. Damit wird in Demut zugestanden, daß Gottes Heilsweg der einzig rettende ist.

Ein wichtiges Instrument, von dem die Thora spricht, ist die Metalltrompete. In Num. 10, 2-10 gibt es genaue Anweisungen, wie sie aussehen muß. Sie soll paarweise vorhanden und aus Silber getrieben sein. Sie dient nicht eigentlich als Musikinstrument, sondern als Signalinstrument. Sie soll

    • das Volk zur Stiftshütte rufen (beide Trompeten)
    • die Fürsten zusammenrufen (nur eine Trompete)
    • zum Kampf rufen (»Lärmblasen«)
    • zum allgemeinen Aufbruch blasen (»Lärmblasen«)
    • beim Opfer anläßlich eines Freudenfestes das Volk bei Gott in Erinnerung bringen

Für alle Zeiten war festgelegt, daß nur Aaron und seine Nachkommen, d. h. nur die priesterliche Familie, diese Trompeten blasen durften (Num. 10, 8).

Ausdrücklich sei noch einmal hervorgehoben, daß die silbernen Trompeten auf eine besondere Anweisung Gottes selbst zurückgehen (Num. 10, 2).

In Num. 29, 1 ist von einem besonderen Trompetentag die Rede.

Die bei der Zerstörung Jerichos (Jas. 6) verwendeten Posaunen waren in Wirklichkeit Schofarot. In der Bibel werden diese Instrumente nur in besonderem Zusammenhang gebraucht:

    • Ankündigung kommenden Unheils
    • Verbreitung von Angst und Schrecken
    • Kriegssignal (Richt. 3, 27; 6, 34; 16, 1 8-20, 22; 7, 7 + 16); auch beim reichen Abschluß eines Feldzugs (2. Sam. 2, 28)
    • Fröhliche Anlässe wie z. B. die Überführung der Bundeslade oder die Salbung eines Königs.

Ereignisse, bei denen der Schofar erklang waren z. B.:

2. Sam. 15, 10: Absaloms Thronbesteigung wird verkündet.

2. Sam. 20, 1-22: Aufruhr Sebas und die Niederschlagung durch Joab.

1. Kön. 1, 34: Salbung Salomos

1. Kön. 1, 39-41 : Thronbesteigung Salomos

2. Kön. 9, 13: Salbung Jehus.

Im weltlichen Bereich war der Schofar das einzige Signalinstrument. Im Gottesdienst wurden dagegen, wie erwähnt, Signale mittels der Trompeten gegeben. Was in vielen Übersetzungen mit Posaunen bezeichnet wird, muß stets richtiger Schofar oder Horn heißen.

In der alten Zeit wurden Lieder mündlich überliefert. So heißt es z. B. in Deut. 31, 19-22: »So schreibt euch nun dieses Lied auf, und lehret es die Kinder Israel und leget es in ihren Mund, daß mir dies Lied ein Zeuge sei wider die Kinder Israel … Also schrieb Mose damals dieses Lied und lehrte es die Kinder Israel.« Daneben gab es Bücher mit Gesängen wie das Sefer milhamot Adonai (= Buch von den Kriegen des Herrn: Num. 21, 14), das Sefer ha Yaschar (= Buch der Gerechten: Jos. 10, 13) oder bei anderer Punktation auch als Sefer ha Schir zu lesen (= Buch der Lieder), sowie das (Sefer) ‚al ha-kinot (= Buch der Klagelieder: 2. Chron. 35, 25). Diese Bücher sind entweder verloren oder in anderen Büchern aufgefangen.

Neben geistlichen und weltlichen Liedern gab es den geistlichen und weltlichen Tanz. In Richter 21. 21 gehen die Töchter Silos mit Tanzen im Reigen in den Weinberg. In 1. Samuel 18, 6+7; 21, 12 wird David von den Frauen mit Gesang, Reigen, Pauken, Freuden und Geigen empfangen. (Hier ist auch der Wechselgesang oder Responserialgesang erstmals genannt.) Im übrigen tanzten nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Davids Tanz vor der Bundeslade her ist ein Beispiel für den geistlichen Tanz.

In Israel gehörten aber auch Prophetie und Gesang zusammen. Schon Hannas Lobgesang in 1. Samuel 2 ist ein Lied voll prophetischer Kraft (und ganz nebenbei ein wunderbares Stück Poesie). In 1. Sam. 10, 5 weissagen die Propheten mit Psalter, Pauke, Flöte und Harfe. Auch der Prophet Elia weissagt zum Klang eines Kinnor (2. Kön. 3, 15). Man wußte in Israel auch, daß man durch Musik in Verzückung geraten kann (1. Sam. 19, 20-24); aber auch von der beruhigenden Wirkung der Musik wird berichtet (1. Sam. 16, 16). (Übrigens muß David außergewöhnlich gut gespielt haben, wenn man gerade ihn holte; denn es gab mit Sicherheit damals viele Musikanten, die ihr Instrument beherrschten. Freilich hören wir in 1. Sam. 18, 10, daß David sein Instrument täglich übte!).

Zu Salomos Zeiten war das Singen und Musizieren im Volk allgemein verbreitet. Bei der Salbung Salomos z.B. sang und spielte alles Volk (1. Kön. 1, 40). Pfeifen waren dabei offenbar besonders beliebt, wie aus dieser Stelle zu schließen ist. Ja, König Davids Leben war geradezu geprägt von Musik und Dichtung. Selbst seine letzten Worte in 2. Sam. 23, 2-7 haben noch die Form eines Psalms.

Die Tempelmusik

Die geistliche Musik des Tempels oblag den Leviten (1. Chron. 6, 16). Damit sie ihren Dienst mit ganzer Hingabe tun konnten, waren die Sänger von allen sonstigen Aufgaben im Tempel befreit. Nachdem David die Bundeslade heimgeholt hatte, bekam die Musik im Tempel ihren festen Platz zugewiesen. Aus 4000 Sängern (1. Chron. 23, 5), die alle zugleich Instrumentalisten waren, wurden schließlich 288 ausgewählt (1. Chron. 25, 7), welche allesamt Meister ihres Fachs waren. Sie wurden in 24 Gruppen oder Klassen zu je 12 Sängern eingeteilt. Jeder Gruppe stand ein Leiter vor, der namentlich erwähnt ist. Durch das Los wurde die Rangfolge dieser Gruppen ermittelt. Alle aber hatten gleiche Rechte (1. Chron. 25, 8). Alle Sänger, die im Tempel Dienst taten, mußten 30 Jahre oder älter sein.

3 Vorsänger leiteten die Chöre:

Asaph, Heman und Jedithun (oder Ethan).

Mit ihren Zimbeln gaben sie den Beginn des Gesangs an. Weitere 8 Gruppenleiter mußten mit dem Kinnor (= Leier, Lyra) die Melodie führen. Sie wurden von 6 Gruppenleitern mit Harfen unterstützt. Oberster Chorleiter, sozusagen der Musikdirektor, war Chenanja. Jeder Sänger war, wie gesagt, zugleich Musiker (1. Chron. 13, 8).

Neben den Trompeten, die, wie erwähnt, Signale zu geben hatten, und den Zimbeln, die den Beginn des Gesanges anzeigten, wurden viele Saiteninstrumente im Tempelgottesdienst verwendet. Sie dienten der Begleitung des Gesanges und wurden kleschir ha’Elohim (= Saitenspiel Gottes) genannt. Die wichtigsten dieser Saiteninstrumente waren kinnor und nebel (Leier und Harfe).

Das sind stille Instrumente; Folglich muß diese Musik in ihrem Charakter sanft, ernst und würdig geklungen haben. Auf jeden Fall hatte der Gesang Vorrang, die Instrumente begleitende Funktion.

Die Tempelmusik erreichte rasch einen hohen Standard, da man täglich übte. In 2. Chron. 5, 13 wird die hervorragende Leistung des Chores gelobt: »Da war es, wie wenn die, welche die Trompeten bliesen und sangen, nur eine Stimme hören ließen, zu loben und zu danken dem Herrn .. ·“

Der künstlerisch hochbegabte Salomo verbriefte die Tempelmusik als immerwährende Einrichtung (2. Chron. 8, 14). Doch ließ er die einfachen Instrumente seines Vaters durch prunkvolle aus Sandelholz ersetzen (1. Kön. 10, 12; 2. Chron. 9, 11 ). Er selbst betätigte sich als Dichter von 1005 Psalmen und 3000 Sprüchen. Das zeugt von einer unter Fürsten selten zu findenden Begabung.

Nach Salomo wurde das Reich geteilt. Zugleich damit wurde auch die Musik vernachlässigt. Nie mehr erreichte die Kunst eine solche Höhe wie zur Zeit der beiden frühen Könige. Josaphat erneuerte den Tempelgottesdienst und belebte die musikalische Gestaltung neu (2. Chron. 20, 19). Immer, wenn nun das Volk in den nachfolgenden Jahrhunderten vom lebendigen Gott abfiel, wurde auch die Tempelmusik in Mitleidenschaft gezogen. Und in Zeiten der Besinnung und Umkehr wie unter Joas und Hiskia bekam die Musik wieder neuen Glanz. Hiskia setzte die Musiker wieder in ihre alten Rechte ein und sorgte für ihren Lebensunterhalt, so daß bald ihr Können überall gerühmt wurde. So wird es verständlich, daß Sennacherib als Gegenleistung für seinen Abzug aus Jerusalem die Sänger und Sängerinnen forderte. Sie stellten gewissermaßen einen hohen Kulturwert dar. – Josia (639-609) ließ den Tempel ausbessern und die stark beschädigten Instrumente instand setzen. Die Leviten führten dabei die Aufsicht (2. Chron. 35.15).

Als Nebuchadrezzar Jerusalem eroberte (587) und das Volk wegführte, verstummte alles öffentliche Singen (Psalm 137, 2-4). Gottesdienste gab es nicht mehr. Sicher wurde in den intimeren Kreisen auch jetzt noch gesungen, doch darüber gibt das Wort Gottes keine Kunde.

Als nach langer Gefangenschaft ein Teil des Volkes zurückkehrte, fanden sich noch 128 Sänger unter den Nachkommen Asaphs (Esra 2, 41 ). Neh. 7, 44 zählt deren dagegen 148. Dazu kamen 200 Sänger, die nicht von Levi abstammten. Letztere Zahl mag abgerundet sein, denn Neh. 7, 47 gibt 245 Sänger und Sängerinnen an. In den Büchern Esra und Nehemia werden die Sänger und Sängerinnen stets gesondert erwähnt (Esra 2, 41; 2, 70; 7, 7+24; Neh. 7, 44; 10, 29+40; 12, 29; 13, 5+10). Das weist auf ihre besondere Bedeutung und Wertschätzung hin. Darius traf auch Anordnungen, die u. a. ihren Lebensunterhalt durch Abgaben sicherten. Artaschasta (Artaxerxes) erließ eine Verfügung, die allen Tempelbediensteten Steuerfreiheit zusicherte. Oberster Leiter der Sänger wurde Usi aus dem Stamme Asaph (Neh. 11, 22). Der Unterhalt der Sänger bestand aus Nahrungsmitteln und einem täglichen Gehalt aus der Schatzkammer des Königs (Neh. 12, 47).

Der Wiederaufbau der Stadt und des Tempels wurde mit viel Musik und Gesang gefeiert (Neh. 12, 27 ff.). Der Leiter der Sängerchöre war dabei Jisraja (Neh. 12, 42). Man sang nach den alten Überlieferungen.

Während der folgenden Jahrhunderte änderte sich am Gottesdienst wenig, ob-gleich diese Zeit viele Leiden für Israel brachte.

Erst kurz vor der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 geschah es unter der Herrschaft des Königs Herodes Agrippa II (t um 100), daß die Sänger die Einberufung des Hohen Rates forderten. Man forderte das Recht, die gleichen leinenen Gewänder tragen zu dürfen wie die Priester und setzte es auch durch. Außerdem wurde einem Teil des Stammes Levi, dem der niedere Dienst oblag, erlaubt, die heiligen Gesänge zu erlernen. Das stand aber mit den alten Anordnungen im Widerspruch. Man führte das Gericht über Jerusalem teilweise auf diesen Bruch der Tradition zu-rück. So schreibt Josephus: » •.. und so konnte es nicht ausbleiben, daß der Gesetzesübertretung die verdiente Strafe folgte.« (Flavius Josephus, Jüd. Altertümer, Buch 20, Kap. 9, 6).

Weltliche Liedertypen

An verstreuten Stellen werden in der Bibel Lieder weltlichen Charakters genannt. Es sind dies folgende Liedtypen:

    • Kriegsgesänge (Num. 21, 11-15; 21, 27+30)
    • Triumph-und Siegeslieder (Exod. 15, 20; Richt. 5, 1 ff.; 1. Sam. 21, 12; Jes. 14, 4)
    • Marschlieder (Num. 10, 35-36; 2. Chron. 20, 21)
    • Arbeitslieder (Num. 21, 16-18; Richt. 9, 27; Jes. 5, 1; 16, 10; 27, 2; 65,8; Jer. 25, 30; 48, 33; Hos. 2, 17)
    • Lieder beim Legen des Grundsteins (Sach. 4, 7)
    • Lieder beim Legen des Ecksteins (Hiob 38, 7)
    • Lieder des Wächters (Jes. 21, 12)
    • Liebeslieder (Psalm 45; Hohelied 2, 14; 5, 16; Hes. 33, 32)
    • Hochzeitslieder (Gen. 31, 27; Jer. 25, 1 O; 33, 11)
    • Trinklieder (Hiob 21, 12; Psalm 69, 13; Jes. 24, 9; 33, 11)
    • Tanzlieder (Exod. 15, 20; 32, 18+19; 1. Sam. 18, 6+7; 21, 12; 29, 5; Psalm 26, 6; 68, 26; 87, 7)
    • Palastlieder (2. Sam. 19, 35)
    • Lieder der Dirne (Jes. 23, 15+ 16)
    • Spottlieder (Hiob 30, 9; Klagelieder 3, 14+63)
    • Klage-und Trauerlieder (2. Sam 1, 18-27; 1. Kön.13, 30; 2. Chron. 36, 25; Pred. 12, 5; Jer. 9, 16 (17); 22, 18; Hes. 27, 30+32; Arnos 5, 16; Sach. 12, 12-14)

Die poetischen Bücher der Schrift

Von den poetischen Büchern der Schrift wurde das Hohelied wahrscheinlich mit Instrumentalbegleitung gesungen, jedoch finden sich darüber im Text ke.i.ne Hinweise. Ähnlich verhält es sich mit den Büchern Sprüche und Prediger. Uber die Psalmen weiter unten.

Schon im alten Israel kam es zum Mißbrauch der Musik. Sie wurde z. B. bei Gelagen und anderen sündhaften Tätigkeiten zur Unterhaltung benutzt. Davon spricht schon Hiob 21, 11-12. Aber auch die Propheten Jesaja (5, 11-12) und Arnos (6, 4-5) geißelten die Entartung. Sie drohten an, daß aller Gesang verstummen werde, wenn das Gericht komme. Erst bei der Erlösung solle wieder Jubel und Gesang ertönen.

 

IV. Die Psalmen(= hebr. Tehillim)

Die 150 Psalmen werden in 5 Bücher eingeteilt:

    • Buch 1 : Psalm 1-41
    • Buch 2: Psalm 42-72
    • Buch 3: Psalm 73-89
    • Buch 4: Psalm 90-1 06
    • Buch 5: Psalm 107-150

Nach der Tradition wurden sie ganz oder teilweise mit Instrumentalbegleitung gesungen.

Die heutigen 5 Bücher müssen aus kleineren Sammlungen hervorgegangen sein. Viele Psalmen weisen ein hohes Alter auf, andere stammen erst aus der Zeit nach dem Exil. Um 200 v.Chr. bekamen die Bücher der Psalmen jedenfalls ihre letztgültige Form. Datierungsfragen sollen hier nicht berührt werden. Äußerlich gesehen, finden sich formal ähnliche Dichtungen auch bei den Nachbarvölkern Israels (Babylon, Ägypten, Kanaan). Doch haben diese ein weit niedrigeres Ethos.

Viele Psalmen nennen in der Überschrift einen Verfasser: 73mal David, 12mal Asaph, 11mal die Kinder Korahs, 2mal Salomo, 4mal Jedithun (Ethan), 1mal Mose, 1mal Heman. Salomo, der ja über tausend Psalmen gedichtet hat, ist auffällig selten vertreten. Möglicherweise sind seine Lieder zum größten Teil verloren. Die Korahiten waren eine Familie von Schriftgelehrten, die besonders seit Hiskia ihre Beiträge geleistet hat. Asaph, Heman und Jedithun-Ethan waren Leviten.

Die 51 Psalmen, die keinen Verfasser angeben, heißen nach den Rabbinen verwaiste Psalmen.

Man findet zwei Arten von Überschriften:

  • Die einen beschreiben die Gattung oder den Charakter des Psalms.
  • Die andern beziehen sich auf musikalische Sachverhalte (z. B. auf die Melodie oder auf die Ausführung der Musik).

Über die Bedeutung der Überschriften gehen die Meinungen der Gelehrten aber auseinander. Sendrey z. B. vermutet, daß darin viel mehr musikalische Bedeutung liege, als gemeinhin angenommen wird.

Während der kanonische Text keine allgemeine Bezeichnung enthält, sondern nur Einzelbezeichnungen wie schir (= Lied) oder mizmôr (= Gesang mit Instrumenten), heißt das Buch der Psalmen bei den Juden Sefer Tehillim (= Buch der Loblieder), Tehillah kommt vom Zeitwort hallel = lobpreisen. Mit Hallel wird der Gesang im Gottesdienst bezeichnet.

Nur Psalm 145 trägt die Bezeichnung tehillah. Vermutlich fehlt sie bei den übrigen Psalmen einfach deshalb, weil sich von selbst verstand, daß es sich um Preislieder handelte.

Vier Psalmen werden als tefillah (= Bittgebet) beschrieben (Ps. 17, 90,102, 142). Der Ausdruck findet sich aber auch bei Habakuk 3. Der letzte Vers von Psalm 72 nennt die vorausgegangenen Psalmen tefillot.

57 Psalmen tragen die Bezeichnung mizmôr, die in der Bibel sonst nicht vorkommt. Der Ausdruck bedeutet einen von Instrumenten begleiteten Gesang. Das Begleitinstrument ist in der Regel der nebel (= Harfe).

In den Psalmen 7, 45 und 46 findet sich das Wort schir (=Gesang), was zunächst einmal allgemein einen Gesang aus freudigem Anlaß bedeutet, später aber mehr den religiösen Lobgesang bezeichnet, wie ihn die Leviten vorzutragen hatten.

Meistens tritt der Ausdruck schir zusammen mit mizmôr auf: mizmôr schir (8mal) und schir mizmôr (5mal). Allein kommt er nur einmal vor (Ps. 46, 1 ). Die Form schirah erscheint ebenfalls einmal (Ps. i 6, 1).

Nach dem Midrasch ist ein schir mizmôr ein Psalm, der vom Chor gesungen wird. In Jes. 23, 16; Arnos 6, 5; 8, 10 bedeutet schir ein weltliches Lied. Ein schir mizmôr ist aber immer ein religiöser Gesang.

Die Psalmen 120-134 tragen die Überschrift schire ha-ma’alot (Psalm 121 hat die Form schir la-ma’alot). Das bedeutet Stufengesänge, Gesänge des Aufstiegs. Nach der Tradition bezieht man diese 15 Psalmen auf die 15 Stufen, die vom Vorhof der Frauen zum Hof der Israeliten im Tempel führten. Auf Jeder Stufe soll ein Psalm gesungen worden sein. Später interpretierte man den Ausdruck mit »Lieder beim Aufsteigen zum Tempelberg nach der Rückkehr aus dem Exil«. Denn in Esra 7, 9 wird die Rückkehr aus Babel mit ha-ma’alah mi-Babel bezeichnet. Diese Deutung ist aber fragwürdig, weil die Psalmen 122 und 134 den vollendeten Tempel bereits voraussetzen. Die größte Wahrscheinlichkeit besitzt aber folgende Auslegung: Wenn die Pilger jährlich einmal zum Tempel kamen, um ihre Erntegaben zu bringen, sangen sie diese Lieder. Somit wären es Lieder der Wallfahrer, wie z. B. auch die Schlachterbibel übersetzt. Die Psalmen 122, 131, 132, 133 enthalten zudem klare Hinweise auf Wallfahrten. Diese Deutung findet ihre Bestätigung bei Philo von Alexandrien.

Es wird angenommen, daß diese 15 Psalmen ursprünglich ein eigenes Buch darstellten.

13 Psalmen führen die Bezeichnung maskil (32, 42, 44, 52-55, 7 4, 78, 88, 89, 142}. Der Ausdruck kommt ebenfalls in Psalm 47, 8 vor. Er wird meist mit Verständnis, Einsicht wiedergegeben. Psalm 45 trägt außerdem den Zusatz »ein Brautlied«, Psalm 142 »Gebet,,. Die Deutungen von Gesenius (Lehrgedicht) und Luther (Unterweisung) sind deshalb unwahrscheinlich. Auffällig ist bei diesen Psalmen die teilweise kunstvolle Form mit Kehrreimen. Sendrey interpretiert maskil mit »Bußlied«, weil alle diese Psalmen außer Ps. 45 und 78 von Buße sprechen.

In 6 Psalmen kommt der Ausdruck miktam in der Überschrift vor (Ps. 16, 56, 57, 58, 59, 60). Das Wort hängt zusammen mit hebr. katab oder katam (= Schrift, Gedicht, Rätsel, Sinnspruch). Nach Gesenius kommt es von katam = verbergen. Nach anderen leitet es sich her von ketem = Gold. Luther übersetzt mit » Ein gülden Kleinod«. Inhaltlich handelt es sich durchwegs um Klage- oder Bitt-Psalmen. Nach Mohwinckel wäre miktam ein Lied, das die Sünde und Schuld bedecken soll (von assyr. katamu = bedecken). Nach dem Targum besteht das Wort miktam aus mak und tam, was zart und vollkommen bedeuten soll. Es wird aber auch mit Abschrift oder Erklärung übersetzt. Schlachter überträgt mit Denkschrift (Ps. 16).

Über diesen miktam-Psalmen stehen aber auch Überschriften, die mit dem Inhalt selbst nichts zu tun haben. Das könnte man als Hinweise auf bekannte Melodien verstehen, nach denen der Psalm zu singen wäre. Jedoch sind viele dieser Titel erst später hinzugefügt worden, denn frühe Bibelversionen enthalten diese Zusätze nicht. Die Syrische Bibelversion trägt ganz andere Überschriften. Sie gehörten also offensichtlich nicht zum Text, sondern waren als Gebrauchsanweisungen zu verstehen.

Psalm 60 hat die Überschrift miktam le-David und den Zusatz lelammed = zu lehren. Man nimmt an, daß es sich um einen Psalm handelt, den Jugendliche auswendig lernen sollten. So heißt es ja auch in 2. Sam. 1, 18: »Und David befahl, man solle die Kinder Juda das Bogenlied lehren.«

Zwei Psalmen tragen die Überschrift le-haskir, was mit „zum Gedächtnis« oder »zur Erinnerung« wiedergegeben wird. Gott soll an den Sänger erinnert werden. Der Targum aber deutet den Ausdruck als Opferhandlung (vergl. Ps. 38). Psalm 7 hat im Untertitel schiggayon, Hab. 3, 1 dagegen ‚al schiggionot.

Das Wort leitet sich her von schegi’ot = Fehler, das Stammwort aber ist schagah = wandern, fehlen, schwanken, irregehn. Es handelt sich demnach um einen Psalm mit wechselndem Versmaß oder mit abwechselnder Melodie (Sendrey).

Schiggayon mag aber auch mit assyr. schigu zusammenhängen, was ein Klagelied mit mehreren Strophen bedeutet (schigu = toben, wehklagen, heulen, klagen).

Musikalische Angaben in den Psalmen

Damit die Tradition genau eingehalten werden konnte, mußte der Leiter der Sängerchöre eine Art Partitur haben, in die alle aufführungspraktischen Anmerkungen eingetragen wurden. Dazu gehörten

    • Textanfänge der Uedweisen, nach denen gesungen werden sollte,
    • Hinweise auf die Instrumentation,
    • spezielle Angaben für die Instrumente.

Wie man das auch heute noch macht, konnten solche Angaben am Anfang oder Ende des Psalmtextes stehen. Sie gehören natürlich nicht zum Text selbst. In der Antike pflegte man Texte ohne deutliche Einteilung in Abschnitte oder ohne Abstand zwischen den Wörtern zu schreiben. Die uns vertraute Gliederung in Kapitel und Verse stammt von den Masoreten. Somit bestand eine gewisse Unsicherheit über Anfang und Ende eines Psalms. Es ist möglich, daß Angaben in den Überschriften manchmal zum vorausgehenden Psalm gehören (z. B. endet Hab. 3, also das Buch, mit einer solchen Anweisung; ebenso Jes. 38, 10-20). Bei assyrisch-babylonischen Liedern folgt stets am Ende des Textes der Verfasser, das Instrument, die Liedweise usw.

Welche Ausdrücke finden sich nun in den Psalmen?

a) la menazzeah: (von nazzah = siegen, scheinen, anführen). In 1. Chron. 2, 1+17 bedeutet das Wort als Substantiv einen Aufseher. In der Verbalform heißt es »Lob zu singen« (1. Chron. 23, 4), vorstehen (Esra 3, 8+9), vorzusingen (1. Chron. 15, 21 ). Sonst kommt es nur in den Psalmen und in Habakuk 3, 19 vor (Dieses Danklied Habakuks gehört eigentlich zu den Psalmen, wie man schon an dem dreimal vorkommenden Selah sehen kann). In den ersten drei Büchern der Psalmen kommt la-menazzeah allein 52mal vor, im 5. Buch dann noch dreimal. Der Ausdruck weist auf die Aufgabe des Vorsängers hin, der den Chor leitete und einübte und eventuell auch die Soli auszuführen hatte. {Vergleichbar dem späteren Chasan). Erster Chormeister war Chenanja (1. Chron. 15, 22). Asaph, Heman und Jedithun waren hingegen Solisten. Namentlich werden sonst nur noch die Gesangsmeister Matthanja, Bakbukja und Obadjah erwähnt (Neh. 12, 25). In den Psalmen mit dem Zusatz la-menazzeah gab es also Solostellen, oder aber der ganze Psalm wurde solistisch dargeboten. Man kann dann annehmen, daß Psalmen ohne eine solche Angabe chorisch ausgeführt wurden. In den Solopsalmen hatte der Chor nur zu respondieren. Das geht auch aus dem Wechsel von der Ich-Form zur Wir-Form hervor. So ist das etwa in Psalm 5 und 9. In letzterem folgt nach Vers 17 der Hinweis higgayon selah, und das heißt, daß hier ein Zwischenspiel einzuschieben ist. Geht man von der Urbedeutung des Wortes nazzah (= scheinen) aus, so läßt sich la-menazzeah als ein Hinweis darauf verstehen, daß hier der Solist durch seine Kunst glänzen kann.

b) neginah: (Plural neginot, von naggen = die Saiten rühren). Das Wort erscheint in den Psalmen 4, 6, 54, 55, 61, 67, 76, 77 (Vers 7); außerdem in Klagelieder 5, 14, in dem Danklied des Hiskia Jes. 38, 20 und in Hab. 3, 19. Manchmal steht auch das Wort sqommer = mit Musikbegleitung singen oder singen zur Begleitung eines Kinnor (Ps. 71, 22; 144, 9; 1. Chron. 16, 42; 2. Chron. 5, 13; 7, 6; 34, 12; Arnos 6, 5). Durch den Zusatz be(bi) oder al wird angezeigt, daß das Instrument Begleitfunktion hat. Demgemäß heißt es in den Überschriften bineginot oder al-neginot (Ps. 61 ). In Verbindung mit la-menazzeah besagt das dann, daß der Gesangsmeister auf einem Saiteninstrument begleiten soll. Der Harfenspieler heißt menaggen. In späterer Zeit bekam neginot dann die Bedeutung eines Akzentzeichens bei der Kantillation.

c) al’alamot: (von almah = Jungfrau oder Geheimnis). Das weist auf Sängerinnen hin, wobei unentschieden bleibt, ob es sich um weltliche oder gottesdienstliche Sängerinnen handelt. Der Ausdruck steht in Ps. 46; 1. Chron. 15, 20; 2. Sam. 19, 36; 2. Chron. 35, 22; Esra 2, 65; Neh. 7, 67; Pred. 2, 8. Den Frauen oblag ja der »heilige Reigen« (Ps. 68, 25+26). Al’alamot könnte auch als Hinweis auf die Sopranlage der Frauenstimme angesehen werden. Dann wäre der Psalm 46 von Frauenstimmen auszuführen. Das gilt besonders, wenn man die Überschrift als Unterschrift von Psalm 45 versteht (Ps. 45 ist ein Brautlied!). Nach dem Exil durften die Frauen nicht mehr am Tempelgesang teilnehmen. Statt ihrer dienten Knaben. In 1. Chron. 15, 20 heißt es „mit Psaltern al-alamot«. Damit ist vielleicht eine kleinere Art von Nebel in hoher Tonlage gemeint {kleine Harfe). Steht das Instrument in der Stimmlage der Männer, so wird der Ausdruck al-hascheminit gebraucht.

d) al’ha-scheminit: (wird gedeutet als -. auf der achten, über der achten; im Targum »Zither mit acht Saiten“; Luther: »Auf Harfen mit acht Saiten«). Dieser Ausdruck kommt vor in Psalm 6, 12 und 1. Chron. 15, 21. Der Kinnor hatte 10 Saiten und ebenso der Asor. Der Nebel aber verfügte sogar über 12 Saiten. Verschiedene Deutungen erklären den Ausdruck nun mit der tieferen Oktave oder damit, daß die Töne in der Oktave zu verdoppeln seien. Es ist aber anzunehmen, daß im alten Israel die Oktave nicht aus 8 Tönen bestand wie unsere diatonische Oktave. Möglich ist, daß die Israeliten die Teilung der Saite in der Mitte zur Oktave kannten, unwahrscheinlich ist aber, daß das bei ihnen der achte Ton war. Zumindest ist das unbeweisbar. Sendrey meint, daß religiöse Gründe gegen die Oktave spächen, weil sie der griechischen Musiktheorie entstammte und von den Hebräern heftig abgelehnt worden sei. Er sieht die einzige und einfachste Lösung in 1. Chron. 15, 21 gegeben. Dort werden auf Geheiß Davids die levitischen Sänger berufen. V. 20: Und Sacharja, Asiel, Semiramoth, Jehiel, Unni, Eliab, Maaseja und Benaja binebalim ‚al’alamot (mit Harfen ‚al’alamot); V. 21: Matthithja, Eliphelehu, Mikneja, Obed-Edom, Jeiel und Afasja beklrmorot ‚al ha-scheminit lanezzeah (mit kinnorot ‚al’ha-scheminit lanezeah). Die Instrumente Nebalim und Kinnorot werden in der Regel ohne Zusätze gebracht. Hier aber ist das anders. Nach Sendrey deutet das darauf hin, daß hier Abarten der beiden Instrumente gemeint sein müssen:

    • eine kleinere Art von Nebel, also höher gestimmt und
    • eine größere Art von Kinnor, also tiefer gestimmt.

So hätte entgegen der Gewohnheit der Nebel die Melodie zu führen, der Kinnor aber dieselbe in tieferer Lage mitzuspielen.

e) ‚al mahalat (Herkunft ungewiß; manche leiten es ab von hebr. mahaleh, maalah = Krankheit; andere sehen einen Zusammenhang mit hebr. machol = Tanz, jedoch hat der Psalminhalt mit keiner dieser Deutung eigentlich etwas zu tun). Raschi bringt das Wort in Zusammenhang mit chalal = durchbohren und übersetzt »mit Begleitung von Pfeifen« (Chalil Pfeife mit Löchern). Der Ausdruck erscheint in Psalm 53 und 88 (hier mit dem Zusatz al’annot = von anah = rufen, schreien, singen, unterdrücken, betrügen, sich demütigen).

f) ‚el ha-nechilot {meist von chalal = durchbohren abgeleitet). Der Psalm wird mit Flöten begleitet.

g) ‚al-hagittit ist ein Sammelbegriff für Saiteninstrumente zur Begleitung. In Psalm 8, 81 und 84.

h) Folgende Ausdrücke stehen in keinem Zusammenhang mit dem Psalm selbst. Es handelt sich um Melodieangaben, nach denen der Psalm zu singen war. Vielleicht waren das bekannte Volksweisen. Es sind dies:

    • ‚al mut-labben (= Der Tod des Kämpfers -> Goliath) Ps. 9
    • ‚al ‚ayyelet ha-schachar (= Das Reh im Morgengrauen) Ps. 22
    • ‚al schoschannim (= über »Die Lilien«) Ps. 45, 69 und 80
    • ‚ alschuschan ‚edut (= Psalm für den zweiten Festtag des Pessach) Ps.60
    • ‚al yonat ‚eiern rechokim (= über »Die Taube des fernen Pinienhaines«) Ps. 56
    • ‚al taschchet (= »Zerstöre nicht«; Motto für Bußpsalmen) Ps. 58, 75

 

Die Namen in den Überschriften

Vor den Namen in den Überschriften steht die Präposition le (z.B. le-David). Das wird von den meisten Interpreten mit für übersetzt. Demnach wäre »Ein Psalm Davids« falsch übersetzt. Richtiger müßte es heißen »Ein Psalm für David«. Man kann annehmen, daß solche Psalmen aus Sammlungen der genannten Person oder Familie stammten und bei der Aufnahme in den Psalter den Zusatz beibehielten. Das geht auch daraus hervor, daß z. B. Ps. 88 zuerst die Kinder Korahs nennt und dann noch Heman den Esrachiter. Heman war nach 1. Kön. 5, 11 ein berühmter Weiser, ein Nachkomme des Judäers Serah. So wäre dieser Psalm eventuell von Heman gedichtet, später aber für die Korahiten bestimmt.

Selah

Der Ausdruck kommt 71 mal vor, darunter 39mal in den Psalmen mit der Überschrift la-menazzeah. Auch in Hab. 3 steht 3mal Selah. Außerbiblisch findet sich der Begriff auch noch im Schemoneh’Esreh, das ist das berühmte jüdische Achtzehn-Gebet. Das ist wichtig, weil der Ausdruck demnach zur Zeit der Entstehung des Achtzehn-Gebets noch in Gebrauch gewesen sein muß (noch 70 n.Chr.).

Die Mischnah führt uns auf die Spur der Bedeutung des Wortes Selah. Sie bezeugt, daß Psalmen in späterer Zeit in mehreren Abschnitten gesungen wurden. Die Pausen dazwischen wurden durch Trompetenstöße angezeigt. Somit muß Selah eine solche Pause bedeuten. Das weist auf eine Art Zwischenspiel hin (etwa während einer feierlichen Opferhandlung). Vorspiele aber gab es offensichtlich nicht. »Ben Arza ließ die Zimbeln ertönen, und die Leviten begannen den Gesang. Sobald im Singen eine Unterbrechung erfolgte, wurden die Trompeten geblasen, und das Volk fiel nieder; bei jeder Unterbrechung wurden die Trompeten geblasen, und bei jedem Trompetenstoß gab es einen Niederfall. Dies war die Zeremonie des täglichen Vollopfers im Dienste des Hauses unseres Gottes.« (Talmud »Tamid« VII, 3; T. B. – Erubin 54a). Bei Selah erfolgt also ein instrumentales Zwischenspiel oder aber es gibt den Wechsel der Chorgruppe bei responsorischem Gesang an. In Psalm 9, 1 7 kommt der Ausdruck higgayon selah vor. Er zeigt eine Unterbrechung des Gesangs an, weil hier eine kultische Handlung oder Kultrufe mit Instrumentalspiel als Untermalung erfolgen sollen.

Teil 2 des Aufsatzes hier