ThemenWort- und Themenstudien

Die Musik im alten Israel – Teil 2

Der zweiteilige Aufsatz benutzt die wichtigsten Ergebnisse des umfangreichen Werkes zum Thema von Alfred Sendrey und fügt eine biblische Beurteilung der Sachverhalte bei. Er bietet einen guten Überblick über die Thematik und behandelt viele Details. Es ist wohl nicht ohne Belang, in der heutigen Zeit verwirrender Angebote an »geistlicher Musik« einmal zu erfahren, wie die Musik in biblischer Zeit beurteilt und betrieben wurde. Das könnte manche verkehrte Vorstellung korrigieren helfen.

V. Der Gesang

Das Singen ist dem Menschen von Anfang an eigen. Selbst die Engel singen in Anbetung vor Gott, dem Herrn (Jes. 6, 3). Und bis zum letzten Buch bezeugt die Heilige Schrift den himmlischen Gesang. Somit kann das Singen keine menschliche Erfindung sein.

Instrumentale Begleitung gehört seit Urzeiten zum Singen. Das a-Capella-ldeal stammt aus dem 19. Jahrhundert.

Teil 1 des Aufsatzes hier

In der Bibel finden wir an allen heilsgeschichtlich bedeutsamen Höhepunkten ein Lied, das den Herrn dieser Geschichte preist. Leider aber ist das älteste Lied ein Rachegesang (Lamechs Lied in Gen. 4, 23 + 24).

Das schönste der sehr frühen Lieder ist Moses Siegesgesang in Exod. 15, 1-21. (Die Bibelkritik bestreitet allerdings das hohe Alter des Liedes). Dieses Lied wurde vermutlich im Wechselgesang ausgeführt (responsorisch), wie Vers 1 nahelegt. Nach Jes. 6, 3 ist der Wechselgesang ebenfalls himmlischen Ursprungs.

Die Gesänge aus der Zeit der Landeinnahme durch Israel haben meist heroischen Charakter. Die bereits erwähnten Bücher, in denen sie gesammelt wurden, sind wahrscheinlich verlorengegangen. Einzelne Lieder blieben aber erhalten, wie etwa das »Bogenlied« Davids (2. Sam. 1, 17-27), das aus dem Buch des Gerechten (Sefer ha-yaschar) stammt (vergl. Vers 18). Das Lied sollte vom Volk gesungen werden, um die Toten damit zu ehren. Beim Wandern durch die Wüste stimmte Mose Lieder an (Num. 10, 36). Auch bei Josaphat (2. Chron. 20, 21) ziehen die singenden Leviten dem Heer voran. Und nach der siegreichen Schlacht kehren sie unter Singen und Instrumentenspiel zum Haus des Herrn (2. Chron. 20, 27 + 28) zurück.

Aus den folgenden frühen Jahrhunderten werden dann da und dort auch Gesänge zur Arbeit zitiert: Jes. 9, 2 (vergl. Exod. 23, 16); Jes. 16, 1 0; Jes. 24, 7 + 8; Jer. 25, 30; Hiob 38, 7; Sach. 4, 7. – In diese Zeit gehört auch Deborahs Triumphlied sowie das Triumphlied aus dem apokryphen Buch Judith (Judith 16) und schließlich Hannas Lobgesang (1. Sam. 2).

Responsorisches und antiphonales Singen

Responsorisches Singen = Wechselgesang zwischen einem Solisten und einem Chor.

Antiphonales Singen = Wechselgesang zwischen zwei Chören.

Das Singen im Wechselgesang kam schon früh in Brauch (z.B. 1. Sam. 28, 6 + 7; 21, 12; 29, 5). Als aber David den Gottesdienstgesang eingeführt hatte, wurde der Wechselgesang feste Form.

Auch die Totenklage wurde im Wechsel gesungen. Ein »Buch der Klagelieder« wird in 2. Chron. 35, 25 genannt (kinot). Bei Trauerfeiern sangen berufsmäßige Klageweiber (1. Kön. 13, 30; Jer. 22, 18; Arnos 5, 16). Bei der Klage um einen Mann riefen sie »hoi ahi, hoi adoni, hoi hodoh« (=Ach, mein Bruder! Ach, mein Herr! Ach, du Edler!); wurde jedoch eine Frau beweint, so klagte man »hoi ahot« (= Ach, meine Schwester!) Diese Klagepsalmen waren in fünffüßigen Versen abgefaßt (vergl. auch Sach. 12, 12-14).

Aber nicht nur geistliche, sondern auch weltliche Lieder wurden responsorisch oder antiphonal gesungen. Auffällig ist, daß weder ein Wiegenlied, noch ein Kinderlied überhaupt überliefert ist. Daß es solche gegeben haben muß, geht aus Hiob 21, 12 hervor, und vermutlich sind auch sie meist im Wechsel gesungen worden. Knaben wirkten aber auf jeden Fall im Tempelgottesdienst mit, wie man der rabbinischen Literatur entnehmen kann. Das ist eigentlich auch logisch; denn mit 30 Jahren durften die Männer erst zum Tempeldienst zugelassen werden. Da waren sie aber bereits voll ausgebildet. Nur 20 Jahre lang durfte der Sänger seinen Dienst versehen. Mit 50 Jahren trat er also in den Ruhestand ein. Ehe er in den Tempeldienst aufgenommen wurde, hatte er eine fünfjährige Ausbildungszeit. In 5 Jahren konnte er aber unmöglich die vielen liturgischen und anderen Texte auswendig lernen, die er beherrschen mußte. Folglich muß er schon als Knabe unterwiesen worden sein. In der Mischna steht: »Niemand, der nicht das erforderliche Alter besaß, durfte den Tempelhof betreten, um dort am Gottesdienst teilzunehmen, außer jene, die mit den Leviten zusammen zu singen hatten; und sie haben den Gesang nicht mit Harfen und Lyren begleitet, sondern nur mit ihren Stimmen, um der Musik Würze beizufügen. Rabbi Elieser ben Jacob sagt: Sie sind nicht in der erforderlichen Zahl inbegriffen gewesen (d. h. sie kamen zu den vorgeschriebenen 12 Leviten dazu), noch standen sie auf der Plattform; vielmehr standen sie auf dem Flur zwischen den beiden Plattformteilen, mit ihren Köpfen zwischen den Beinen der Leviten; und man nannte sie die Peiniger der Leviten.« (Mischna, ‚Arakin II, 6; Babylon. Talmud ‚Arakin 13b). Die Knaben sangen demnach in der Oktave mit den Männern (darum: al ‚alamot = in der Stimmlage der Jungfrauen). Im NT wird ein Kindergesang in Matth. 11, 17 und Luk. 7, 32 erwähnt.

Der Psalmengesang

Ursprünglich wurden die Psalmen ausschließlich von den Leviten gesungen. Später hatte auch das Volk Anteil durch kurze Einwürfe oder Wiederholung bestimmter refrainartiger Verse. Nach und nach entfaltete sich so der Wechselgesang. Nach der babylonischen Gefangenschaft wurde der Psalter für alle das Trostbuch, das man auch im Familienkreise eifrig benutzte. Vermutlich wurde auch im Unterricht der Synagoge der Psalmengesang gelehrt.

In vielen Psalmen hatte die Gemeinde beim Wechselgesang das »Halleluja« zu singen. Handelt es sich hierbei nur um kurze Einwürfe, so haben in den Psalmen 41,  72, 89, 106 und 150 die Doxologien am Schluß eine wichtigere Bedeutung für den Gemeindegesang. Interessant ist, daß Psalm 96 zwar keinen solchen Lobpreis-Schluß enthält, dagegen aber die Parallele in 1. Chron. 16, 23-35 über einen solchen Zusatz verfügt. Daraus läßt sich entnehmen, daß man im Bedarfsfall an Psalmen derartige Doxologien anzuhängen pflegte.

Zum Pessachfest sang man im häuslichen Kreise das ägyptische Hallel (Ps. 113 und 114). Bei der Mischung des vierten Bechers der feierlichen Kulthandlung wurde der zweite Teil dieses Hallels gesungen (Ps. 115-118). Danach folgte das sogenannte »große Hallel« (Ps. 120-136). Dabei sang der Vorsänger stets den ersten Halbvers, während die Versammlung mit dem zweiten Halbvers antwortete (z.B. häufig mit den Worten »denn seine Gnade währet ewiglich!«).

Wie die täglichen Opfer im Tempel musikalisch ausgestaltet waren, läßt sich gut aus den Apokryphen ersehen (z.B. 1. Makk. 4, 52-59 u. a.).

Zum täglichen Brandopfer gab es reichlich musikalische Umrahmung, wenn auch kein bestimmter Psalm vorgeschrieben war. Aber für jeden Tag wurde ein anderer Psalm ausgewählt:

Am 1. Tag: Psalm 24 – am 2. Tag: Psalm 48 – am 3. Tag: Psalm 82 – am 4. Tag: Psalm 94 – am 5. Tag: Psalm 81 – am 6. Tag: Psalm 93 – am Sabbath: Psalm 92. Beim Ausgießen des Trankopfers stimmten die Sänger den Psalm des Tages an. Der Tradition gemäß teilte man den Psalm in 3 Abschnitte mit Pausen dazwischen. Wenn die Silbertrompeten von zwei Priestern geblasen wurden, fiel das Volk nieder zur Anbetung.

Der Gottesdienst am Sabbathtag war wesentlich umfangreicher. Beim Ausgießen des Trankopfers wurde Psalm 92 gesungen. Beim zweiten Trankopfer stimmten die Leviten das Lied Moses aus Deut. 32 an. Dieses besteht aus 6 Abschnitten (Vers 1-6; Vers 7-12; Vers 13-18; Vers 19-28; Vers 29-39; Vers 40-52). Jeder Abschnitt hatte wieder eine dreifache Unterteilung. Zwischen allen diesen Teilen stießen die Priester dreimal in die Trompeten, und das Volk fiel wiederum nieder zur Anbetung.

Solche Opfergottesdienste wurden morgens und abends gehalten. Beim Abenddienst des Sabbaths sang man zusätzlich das Lied Exod. 15. Nach dem Opfer sangen die Leviten im Morgengottesdienst Psalm 105, 1-15, im Abendgottesdienst aber Psalm 96.

Die Anrufung des Namens Gottes geschah unter dem Gesang der Leviten. Außer diesen Opfern der ganzen Gemeinde gab es noch zahllose Opfer von Einzelpersonen, wozu besondere Opferhandlungen nötig waren. Besonders an den hohen Feiertagen war die Zahl dieser privaten Opfer so hoch, daß die große Schar der Priester die Dienste kaum bewältigen konnte (vergl. dazu 2. Chron. 29, 34). Und an solchen Tagen mußten auch die Leviten ununterbrochen dienen. Dankopfer und Chordienst wurden geradezu gleichgesetzt (Neh. 12, 31-40).

An Festtagen spielten die Hallelpsalmen eine besonders wichtige Rolle:

    • das ägyptische Hallel (Ps. 93-98)
    • das große Hallel (Ps. 120-135)
    • die Hallel-Psalmen (Ps. 146-148)

Während des Laubhüttenfestes erklang jeden Morgen Psalm 118 von Vers 25 an. Die Gemeinde umschritt singend den Altar. Auf das Trompetensignal der Priester trat alles vom Altar zurück und rief mehrmals: »Huldigung für dich, o Altar!« – Drei weitere wichtige Zeremonien dieses Festes waren das Holztragen, die Wasserspende und das Fest der Bet ha-Sche’uba. Das Holztragen fand in den Weingärten um Jerusalem statt. Die Mädchen trugen weiße Kleider, sangen im Wechselgesang und führten Reigentänze mit den jungen Männern auf.

Bei der Wasserspende begab sich ein Priester mit einem goldenen Krug zum Teich Siloah. Dort füllte er das Gefäß und trug es zum Tor zurück. Sobald er durch das Tor schritt, sang das Volk Jes. 12, 3. Nun goß er das Wasser zusammen mit Wein als Trankopfer am Altar aus. Indessen stießen die Priester in die Trompeten. Darauf sangen die Leviten das Hallel wie am Pessach, doch diesmal von Pfeifen (chalilim) begleitet. Die Pfeifen wurden aber nicht gespielt am ersten Festtag und wenn gerade Sabbath war. Nach der Opferung umschritten die Priester erneut den Altar und sangen Psalm 118, 25. Am 7. Tag des Festes aber wurde der Altar siebenmal umschritten.

Das Fest der Bet ha-Sche’uba fand bei Einbruch der Nacht am letzten Tag des Laubhüttenfestes im Vorhof der Frauen statt. Die Frauen standen auf der Doppelgalerie, während die vornehmsten lsrealiten wie einst David mit brennenden Fackeln heilige Tänze aufführten und Preis- und Lobgesänge im Wechselchor sangen. Dabei standen die Leviten auf den 15 Stufen, die in den Vorhof der Israeliten führten und sangen und spielten zu den Tänzen. Beim ersten Hahnenschrei ertönte ein Trompetensignal durch zwei Priester. Nun wandten sich alle Teilnehmer nach Osten, während die Priester sprachen: »Unsere Väter wandten den Rücken dem Tempel des Herrn zu und das Gesicht gegen Osten, und sie beteten die Sonne im Osten an; unsre Augen aber sind dem Herrn zugewandt!« (Sukkah V, 4). Mit der Zerstörung des Tempels hörte auch diese Zeremonie auf.

Beim Wochenfest (das unserem Pfingsten entspricht) wurde das Hallel wiederum von chalilim begleitet. Auch durften die levitischen Knaben mit ihren Vätern singen. Das Volk hatte großen Anteil wie beim Pessach. Am Fest des Neumondes wurde eine besondere Opferhandlung vorgenommen (Num. 28, 11-15). Die Priester bliesen die Trompeten, ob aber auch Psalmen gesungen wurden, ist nicht bekannt.

Eine besondere Rolle spielte das Neumondfest des 7. Monats. Hier wurde während des Trankopfers Psalm 81 gesungen und beim Abendgottesdienst Psalm 29.

Dreimal jährlich mußte jeder den Tempel besuchen. Der apokryphe Psalm Salomos 11 spricht von dem Jubel und der Freude, die bei solchen Anlässen die Pilger erfüllte.

Aus verschiedenen Gründen wurde auch für die Synagoge der Psalmengesang übernommen. Es gab zwar keinen Altar und somit auch kein Opfer mehr, aber

    • der lehrhaften Seite des Synagogengottesdienstes sollte Lob und Anbetung gegenübergestellt werden, wozu die Psalmen sich vorzüglich eigneten.
    • seit der Zerstörung des Tempels war die Tradition gefährdet, aber die Synagoge bildete ein Bollwerk gegen den Verfall der Tradition,
    • man hielt den Gesang für ein wertvolles Mittel, die Andacht zu fördern.

Wir wissen nicht genau, wann die Synagogen entstanden; es muß jedoch in der Zeit zwischen der Rückkehr aus Babel und dem Neuen Testament gewesen sein. Diese Lehrhäuser dienten dem Studium des Gesetzes. Philo, der die Synagoge erstmals erwähnt, führt sie auf eine Anordnung Moses zurück. Ursprünglich wurden in den Synagogen nur Thoralesungen gehalten. Nach und nach kamen gesungene Psalmen dazu. Die Art zu singen muß mit der des Tempels weitgehend identisch gewesen sein, denn in der im Hof des Tempels eingerichteten Synagoge waren immer noch die Leviten tätig. Täglich wurde dort gebetet und gelehrt. Der Vorsteher hieß Rosch ha-knesset. Der Chasan ha knesset hatte die wichtigste Funktion. Es war nun kaum noch möglich, den Gesang zu begleiten, da es in den kleineren Synagogen einfach an geeigneten Musikern fehlte. Nur an den großen Synagogen mag der Gesang dem früheren Tempelgesang noch ähnlich gewesen sein.

Es steht fest, daß die frühen Gemeinden der Christen an die jüdische Tradition des Psalmengesangs anknüpften. Das bezeugen die Kirchenväter immer wieder eindeutig. Aber auch bei den jüdischen Gemeinden in Babylon, Assyrien, Medien und Persien blieb die alte Überlieferung erhalten. Noch im 12. Jahrhundert bestätigt das Rabbi Petachyah aus Regensburg in dem Bericht über seine Reise in den Orient. Alle Synagogen besaßen eine Grundschule sowie eine Schule für das Studium des Gesetzes und der Poesie der Schrift. Zum Einprägen der Texte wurde dabei immer der Gesang benutzt. »Wer die Schrift ohne eine Melodie liest oder die Mischnah ohne eine Weise rezitiert, von dem sagt die Schrift ,Deshalb gab ich ihnen auch Verordnungen, die nicht gut gewesen sind!’« (Megillah 32a).

Eine Organisation spielte bei der Erhaltung der Tradition eine gewichtige Rolle: die »Ansehe Ma’amad«. Sie bestand aus Vertretern der entfernt gelegenen Distrikte des Landes, und sie entsprachen genau den 24 Klassen der Priester und Leviten. Folglich war das Land in 24 Abschnitte eingeteilt. Jedes Jahr zweimal schickte jeder Landesteil eine Gruppe von Laien für eine Woche zum Tempel nach Jerusalem. Sie nahmen am Gottesdienst teil und erlernten nach der Papageienmethode den levitischen Gesang. Auch wurden sie in die Geheimnisse der Kantillation eingeführt. Diese Kurse wurden immer sehr feierlich und anziehend gestaltet. Die Gäste empfing man mit allen Ehren und geleitete sie mit Musik zum Tempel. (‚Ansehe Ma’amad = Männer vom Stand; von hebr. isch = der Mann, ma’amad = Standplatz).

Die Tradition wurde ebenso in den jüdischen Sekten der Essener, Therapeuten und Samaritaner gepflegt. In diesen Kreisen entstanden auch viele neue Gesänge. Auch die ersten Christen pflegten getreu den Gesang des Tempels, da ihr Versammlungsort in der Anfangszeit der Tempel war und dort gar nichts anderes gesungen werden konnte.

Obgleich das Neue Testament nur an zwei Stellen (1. Kor. 14, 26; Jak. 5, 13) Bezug nimmt auf die gottesdienstliche Musik, wissen wir aus den Schriften der Kirchenväter doch recht viel über den Gesang der Gläubigen. Man sang schlicht und volksliedhaft. Die ganze Versammlung beteiligte sich daran. Es muß auch vom Heiligen Geist eingegebene spontane Gesänge nach traditionellen Melodien gegeben haben. So etwa kann man sich die »neuen Lieder« vorstellen, bei denen also nur der Text neu war. Früh schon begann man, solche Gesänge zu sammeln. Eph. 5, 19 und Kol. 3, 16 nennen 3 Arten von Gesängen: Psalmoi, Hymnoi und Odai pneumatikai, d. h. Psalmen, Lobgesänge und geistliche Lieder. Unter den Psalmen verstand man die Psalmen der Bibel und auch neue Lobgesänge in der Art der Psalmen. Hymnen hatten ein ähnliches Aussehen wie die Cantica in 2. Mose 15, Richt. 5, Jes. 38 usw. Geistliche Lieder waren freie Dichtungen voller Glaubensinbrunst, oft über Geschehnisse und Worte der Heiligen Schrift, manchmal wohl auch liturgischen Charakters.

Der Gesang der Christen hielt sich also lange Zeit streng an das Vorbild der Tempelmusik. Lediglich die Sprache änderte sich (Griechisch; Latein). Bei der Art der orientalischen Melodik war die Anpassung ohne weiteres möglich. Augustinus (354-430), Eusebius Pamphilus (ca. 260-340), Hermias Sozomenos Salamenes (um 443), Cassiodoros (ca. 480-575), Isidor von Sevilla (560-636), Anastasius (9. Jh.) und viele andere bestätigen, daß die christlichen Gesänge in der traditionellen jüdischen Weise ausgeführt wurden. Ambrosius (gest. 397) berichtet von dem responsorialen Gesang der Männer, Frauen, Mädchen und Kinder. Basilius der Große erklärt den Unterschied der beiden Arten des responsorischen Singens: Antiphonie (2 Chöre) und Responsorium (Vorsänger und Chor). Cassiodor sagt zum responsorischen Gesang des Alleluja: »Die Stimme des Sängers erfreut sich daran; die Gemeinde wiederholt sie freudig; und … sie werden mit immer wechselnden Melismen neugestaltet.« (Expositio in Psalterium, Ps. CIX). Wenn neue Lieder entstanden, so wurden sie an dem hebräischen Vorbild gemessen. Athanasius z. B. lehnte die häretischen Gesänge des Arius ab, weil sie nicht dem Vorbild folgten. Aus eben denselben Gründen verwarf Epiphanios (315-403) die Psalmen des Hierakas.

Die Melodien müssen recht eindrucksvoll gewesen sein. Auch scheint die Singart stark emotional gewesen zu sein. Im Laufe der ersten Jahrhunderte kam dann der Brauch auf, auch textlose Jubili zu singen, denn »solange der Sinn im Innern widerhallt, ist es gestattet, Psalmen ohne Worte zu singen, denn wir singen nicht für Menschen, sondern für Gott, der sogar die Regungen unseres Herzens hört .. ·“ (Joh. Chrysostomos, Eiston Psalmon XLI). Solche Jubili sind das Alleluja auf die Vokale AEUIA und die Doxologie Seculorum Amen auf EUOUAE. Ob es das auch in Israel gegeben hatte, ist unbekannt. Im übrigen wurde auf die Textverständlichkeit und -bedeutung größter Wert gelegt.

VI. Melodik und Rhythmik des hebräischen Gesanges

Europäische Melodik baut sich auf Motiven, Phrasen und Perioden auf. Die orientalische Musik dagegen beruht auf dem Prinzip der »Weisen«. Dies sind manchmal nur wenige Töne umspannende Melodieformeln. Beispielhaft dafür sind die arabischen Makamen (makam = Ton; im weiteren Sinn auch Musikweise). Diese Tongeschlechter heißen Tschahar Gah (c, d, e, f, g, a, b), Busch-lik (d, e, f, g, a, b, c), Kurdi (e, f, g, a, b, c, d), Rast (c, d, es+, f, g, a, b+, c), Bayati (d, es+, f, g, a, b+, c d), Sah-gah (es+, f, g, b+c, d) Najdi (f, g, a, b+, c). (Die hervorgehobenen Töne sind Haupttöne; Notennamen mit einem + haben zum vorhergehenden Ton 3/4-Ton Abstand). Dazu kommen 9 chromatische Tongeschlechter wie z.B. Hiayzi (d, es, fis, g) oder Saba (d, es+, f, ges, a). Insgesamt gibt es 12 Haupt-Makamat (»Väter«) und 13 Neben-Makamat (»Söhne«). Diese »Weisen« (Makamat) enthalten die Tonschritte und charakteristischen Wendungen der Modi oder Tongeschlechter. Hierbei sind z.B. die Anfangstöne wichtig. Im Auf-und Abstieg treten meist gemischte Modi auf. Diese Tonfolgen bestehen aus einer Anzahl motivischer Elemente, deren Grundformen unveränderlich sind. Der besondere Reiz und die Kunst ist es nun, diese Makamen durch immer neue Variationen zu verzieren. Vom Grundmakamen darf sich aber der Spieler nie entfernen. Wenn er sich in einen andern Modus verirrte, würde das als Störung empfunden und abgelehnt.

Auch der Psalmengesang unterliegt dem Makam-Prinzip. Die »Weisen«, die in den Psalmüberschriften genannt sind, stellen solche Makamen dar. Sie waren allgemein bekannt. Solche Angaben finden sich aber ausschließlich im ältesten Teil des Buchs der Psalmen, nämlich bis Ps. 88. Die ältesten Makamen gerieten mit der Zeit in Vergessenheit. Deshalb hat man wohl den späteren Psalmen keine Makamen mehr vorgeschrieben.

Die Kantillation hat mit dem Makam-Prinzip nichts zu tun. Bei ihr handelt es sich mehr um Improvisation.

Wie gesagt, beruht die orientalische Musik auf der Variation, während bei uns mehr die Komposition aus Themen und Motiven im Vordergrund steht. Von einem europäischen Künstler verlangt man heute, daß er möglichst die Intentionen des Komponisten verwirklicht. Im Orient dagegen kommt gerade der individuellen Spielweise des Musikers das Hauptgewicht zu. Als Verzierungs- und Variationstechniken kommen dabei in Frage: Koloraturen, Melismen, Umspielungen, Läufe, Triller, Tonrepetitionen, Portamenti, Glissandi. Besonders die beiden letzten Manieren sind kennzeichnendes Merkmal des orientalischen Kunstgesangs. Gerade am Anfang der Gesänge erscheinen alle Arten von Portamenti, die nasal ausgeführt werden. Die nachfolgenden Auszierungen und Umspielungen verdecken manchmal den Kern der Melodie fast bis zur Unkenntlichkeit. Wichtig ist dabei kei-neswegs die Schönheit der Gesangsstimme, sondern der Einfallsreichtum.

Im Talmud werden 3 Arten des Gesanges unterschieden:

    • psalmodierender und respondierender Gesang: rosche perakim,
    • antiphonales Singen: bahade hadade (= miteinander lesen), (auch: sam-re bade)
    • Kantillation (eine Art Sprechgesang): hakri’ya (oder hikra).

Die Kantillation ist rhytmisch gegliederte, melodische Flexion der Sprache. Bis heute wird der Talmud auf diese Art gelesen und gelernt.

Die Elemente des Gesanges sind nach dem Talmud:

    • die eigentliche Melodie: ne’ima,
    • die Prosodie (= Lehre von der Silbenmessung): ta’am,
    • die Tonangabe durch eine Stimmpfeife (Intonation): hagbeah kol.

In der alten Zeit wurde das Kantillieren der Thora rinnah schel torah (= Jauchzen der Thora) genannt. Die von den Masoreten verwendeten Akzentzeichen (= ta-amim), die ursprünglich vielleicht eine Art Zeichensetzung waren, nahmen mit der Zeit eine musikalische Bedeutung an. Die Kantillation wurde für poetische Bücher der Psalmen, Sprüche und Hiob genau festgelegt, und zwar nicht nur für die tatsächlich zu singenden Teile, sondern für den vollständigen Text dieser Schriften. Als Skalen oder Modi werden die sogenannten »Steiger« verwendet, deren Stufen wie die arabischen Makamat z. T. aus Vierteltönen bestehen. Man kann sie in unserer europäischen Notenschrift nicht genau aufzeichnen. Um die Erforschung dieses Tonsystems hat sich besonders der Forscher Abraham Zwi ldelsohn verdient gemacht (1882-1926).

Clemens von Alexandria vergleicht den davidischen Psalmengesang mit dem altgriechischen tropos spondeikos, in dem die Trinklieder (Skolien) gesungen wurden (von spende = Trankopfer). Es handelt sich um die Tonfolge e, g, a, h, c, d, e, oder e, f, g, a, h, d, e. Wie man sieht, ist das eine unvollständige Tonleiter, die noch Merkmale der Pentatonik aufweist und verwandt ist mit dem Dorischen. Die Griechen hielten den dorischen Modus für besonders günstig zur Erziehung der Jugend, weil er einen ruhigen Charakter besitzt. Daraus kann man zumindest schließen, daß die hebräische Musik einen ernsten, ruhigen, würdevollen Ausdruck gehabt haben muß. Dementsprechend müssen auch die dem Orientalischen eigenen Verzierungen beim Gesang gezügelt gewesen sein. Sendrey war noch der Auffassung, daß der Gesang in Altisrael grundsätzlich einstimmig, ohne harmonische Begleitung gewesen sei. Doch der Musikwissenschaftler M. Rabina (»Organum Befi Haschomronim«, 1966) untersuchte den samaritanischen Gesangsstil und stellte fest, daß die von europäischer Musikkultur und auch jüdischer Tradition entfernte Gruppe der Samariter eine vieltausendjährige ungebrochene Überlieferung haben muß, und in ihren Synagogen kann man das »Organum« hören, wie es auch heute noch bei urtümlichen ethnischen Gruppen lebendig ist. Das Parallel-Organum ist eine Art Mehrstimmigkeit, bei der die zweiten und dritten Stimmen in parallelen Quinten, Quarten und Oktaven geführt werden. Rabina erklärt: » … es hört sich so attraktiv und natürlich an, daß sich das Ohr erfreut, es zu vernehmen … « (ibid. S. 14).

Obgleich man schon in der Frühzeit der israelitischen Geschichte ein feines Empfinden für die Schönheit des Singens hatte, entfaltete sich erst nach und nach eine Ästhetik (vergl. 2. Sam. 23, 1 : David wird hier der »süße Sänger« genannt). Nach Ansicht der Weisen war ein Mensch mit schöner Stimme verpflichtet, damit dem Herrn zu dienen (Spr. 3, 9 !). Wenn die Stimme alterte, mußte der Sänger seinen Dienst aufgeben.

Man unterschied drei Gesangstile:

    • feierlicher Gesangstil: schirah,
    • Lobgesang in Verzückung: halila oder hallel (melismatisch),
    • Psalmodie und Kantillation: simrah (heute noch in Verwendung).

Der Gesang sollte fröhlich sein, was nichts mit Ausgelassenheit zu tun hat. Im weltlichen Bereich sang man besonders viel bei Hochzeiten, wo angesehene Rabbis vor dem Brautpaar tanzten und sangen (Jer. 7, 34; Psalm 45). Davon berichten viele Talmudstellen. Auch das Hohelied hat die Gestalt eines Hochzeitslieds. Es ist aber irrig, zu meinen, daß dieses Lied nur weltlich zu verstehen sei und deshalb in die Bibel aufgenommen worden sei, weil man es allegorisch auslegte. Für den Gläubigen hat es mit »der Hochzeit des Lammes« im Neuen Testament zu tun.

Es ist ein starker Ausdruck der Strafe Gottes, wenn der Freudengesang in Klagen verwandelt wird (z. B. Arnos 8, 10 u. v. a.).

In der hellenistischen Zeit muß der weltliche Gesang zur Frivolität entartet sein, so daß der Talmud zu einer ablehnenden Haltung kam. »Die Kinder haben sich eine Harfe gemacht, auf der sie wie die Gaukler spielen.« (Sanhedrin 101 a). Als der Hohe Rat als Kontrollorgan nicht mehr existierte, griff auch die Zügellosigkeit beim weltlichen Gesang um sich. Die Rabbiner gaben dem Hellenismus dafür die Schuld. So erließen die Schriftgelehrten die Anordnung, daß aller fröhliche Gesang zu verstummen habe, als der Tempel zerstört war. Das wurde aber nur insoweit befolgt, als die instrumentale Begleitung unterblieb.

ldelsohn bewies durch seine Forschungen, daß die hebräische Melodie den altchristlichen Gesängen sehr ähnlich gewesen sein muß. Er stellte Übereinstimmungen zwischen gregorianischen und jüdischen Psalmodien und Lamentationen, zwischen den lntonationen der Kirche und den orientalischen Pentateuch- und Tefilla-Weisen fest.

Selbst wenn diese Melodien von jüdischen Gruppen stammten, die extrem weit voneinander entfernt leben, ist die Übereinstimmung erstaulich exakt. Die Juden des Yemen und Babylons waren in sehr früher Zeit weggeführt worden und scheinen seit damals eine ungebrochene Tradition gewahrt zu haben. Curt Sachs analysiert diese Melodien und kam zu dem Ergebnis, daß diese Melodien

  • tetrachordale Bildungen im Rahmen einer Quarte aufweisen, die stark mit dem griechischen Dorisch (e‘-e) und Phrygisch (d‘-d) übereinstimmen,
  • halbtonlos-fünfstufig gebaut sind und damit ihre Herkunft von der Pentatonik verraten (kommen doch einmal Halbtöne vor, so werden sie nur flüchtig berührt) und
  • modalen Charakter haben, d. h. die kleinen Terzen treten innerhalb des Quartumfangs an verschiedenen Stellen auf, wobei der Füllton höher oder tiefer gesetzt werden kann (Anm. Diese Terzen ergeben sich aus der Pentatonik).

Die epischen Texte des Pentateuch stehen im dorischen Modus. Die lyrischen Gesänge (wie die »Klagelieder«) gehören dem phyrygischen Modus an. Jubelnde Lobpreisungen verwenden den lydischen Modus.

Heute ist man sich in der musikwissenschaftlichen Forschung ziemlich gewiß, daß die jemenitischen und babylonischen Gesangsweisen aus der Zeit vor dem Exil stammen, obgleich die Bibelkritik bis dato meint, die Schreiber der Bibel hätten in ihren Aussagen über die Musik stark übertrieben und überhaupt seien die Bücher der Chronik erst im 3. Jh. v. Chr. entstanden!

Über dem hebräischen Text der Bibel stehen die sogenannten Akzentzeichen. Es handelt sich um neumenartige Zeichen. Neumen waren im europäischen Mittelalter die Vorläufer unserer Notenschrift (von griech. ne’uma = Wink mit der Hand). Peter Gradenwitz meint, das Wort Neume stamme etymologisch von hebr. ne’ima (= Weise, Melodie, s. o.) her. Offenbar sind die Akzente auch so etwas wie Neumen, d. h. Bilder von Handbewegungen, die eine Melodie andeuten sollen. Das Zeichen schalschelet (= Kette) hat die Form einer gezackten Linie und bedeutet einen Triller. Man nimmt an, daß dieser Triller durch eine zitternde Handbewegung angezeigt wurde.

Die Formeln für die lateinische Rezitation sind sozusagen die Makam-Typen. Die von ldelsohn gesammelten hebräischen Melodiebeispiele stellen bereits variierte Formeln dar.

Die orientalische Musik kennt weder Takt noch Metrum. Dagegen spielt der Sprachrhythmus eine wichtige Rolle. So kommt den Schlaginstrumenten eine bedeutende Aufgabe zu. Die Bibel kennt z. B. keinen Ausdruck für Rhythmus. Jedoch verwendet sie 22 verschiedene Ausdrücke für den Tanz. Und das weist auf die Wichtigkeit einer Bewegung beim Musizieren hin.

Im Bibeltext kann man Poesie und Prosa nicht ohne weiteres trennen. Die Texte müssen mehr vom Inhalt her bestimmt werden. Hat aber ein Text ein Metrum, so ist er mit Sicherheit poetisch. Somit muß man die meisten Teile des Alten Testaments als poetisch ansehen (natürlich nur der Form nach). Dazu gehören die Psalmen, die Sprüche, das Hohelied, der Prediger, Hiob, Teile der Propheten (und aus den Apokryphen Teile von Jesus Sirach, Judith, Tobit usw.).

Die metrischen Texte umfassen

    • liedartige Stücke, die gesungen wurden
    • erzählende Abschnitte,
    • belehrende Texte, die rezitiert wurden.

Das hebräische Metrum ist nicht quantitativ, sondern akzentuierend. Dazu gibt es heute zwei entgegengesetzte Ansichten:

  • Mora-System (morae = imaginäre Zählzeiten wie der Takt in der Musik, die jedem Vokal eine bestimmte Zeit zumessen: für einen kurzen Vokal sowie für das schwa und chatef ein mora; für einen langen Vokal zwei morae). Das Maß hängt dabei nicht von der Zahl der Silben ab, sondern von den morae. Dies ist identisch mit griechischer Verslehre, nach der lange Silben 2 Zeiteinheiten erhalten und kurze 1 Einheit.
  • Freiakzentuierter Rhythmus: betonte und unbetonte Silben folgen einer natürlichen Verteilung. Es kommt dabei nicht auf die symmetrische Anordnung der Versfüße an. Mit andern Worten: die hebräische Rhythmik wird nicht durch die Silbenzahl, sondern durch die Wortbetonung bestimmt. »Dieser Wortakzent hängt nicht von der relativen Stellung der hervorstechenden Silbe zu den umgebenden Silben ab, sondern von der relativen Stellung der wichtigen Silbe innerhalb der Verszeile«. (Elcanon Isaacs, The Metrical Basis of Hebrew Poetry, 1918, S. 29).

Nach Isaacs ist der klassisch-griechische Vers »mechanisch«, der hebräische dagegen »dynamisch«.

Der hebräische Vers setzt sich aus zwei deutlich erkennbaren Halbzeilen zusammen. Er ist bekannt als Parallelismus membrorum. Der zweite Halbvers bringt entweder eine Bestätigung und Verstärkung oder einen Gegensatz zum ersten Halbvers.

Jeder Halbvers hat nun entweder 2, 3 oder 4 Füße (d. h. Akzente). Ein »Fuß« besteht aus einer betonten Silbe und einer veränderlichen Zahl von unbetonten Silben. Hier einige Beispiele:

– 4-füßig: Genesis 4, 23

‚adȃh w’zillȃh schemȃ’an kóli /

neschȇ lȇmech ha’asennȃh ‚imratî.

Ada und Zilla, hört meine Rede!/ Ihr Weiber Lamechs vernehmt meinen Spruch!
– 3-füßig: Deut. 32, 1 + 2

ha’sînu ha-schamȃyim w‘ ‚adabbȇrah / w-tischmȃ ha-‚ȃrez ‚imrefi

ya’arȃf kammatȃr lik’hî / tizzȃl kattȃl -imrati

Merket auf, ihr Himmel, denn ich will reden,/ und du, Erde, vernimm die Rede meines Mundes!

Meine Lehre triefe wie der Regen, meine Rede fließe wie.der Tau.

– 2-füßig: 2. Sam. 1, 24 (Davids Bogenlied)

b’nôt yisraȇl / ‚el-schaȗl b’kȇnah / hammalbisch‘ kȇm schani’im-‚ adanîm hammah’alȇh ‚adi sahȃb ‚al ‚-buschkȇn …

Ihr Töchter Israels,/ weint über Saul,/ der euch reizend in Purpur kleidete/, der eure Gewänder mit goldenen Kleinodien schmückte!

 

Oft haben diese strophenartigen Gebilde einen regelmäßigen Bau. Jedoch kommen auch unregelmäßige Strophen vor. Die strophische Struktur wird von manchen Gelehrten bestritten. Für die Musik jedoch ist es wichtig, daß der Text Strophenaufbau hat. Für den babylonischen Schöpfungsmythos und auch für ägyptische Dichtungen wurde strophische Form nachgewiesen. Ganz deutlich aber ist sie bei den Ras-Schamra-Gedichten.

Psalm 2 hat 6-füßige Zeilen (außer Vers 12, der 4-füßig ist), die sich meist in 3 + 3 genau halbieren lassen; jedoch muß Vers 5 in 4 + 2 geteilt werden und Vers 6 in 2 + 2 + 2. – Psalm 5 zeigt 5-füßige Verse (außer der zweiten Hälfte von Vers 12 und dem letzten Vers) usw. Auch bei Prosatexten kommen Metren vor (z. 8. Num. 23 = Bileams Weissagung).

Der Sänger verwendete ein melodisches Grundmodell, das er bei jeder Strophe anders auszierte, wodurch der Text durchkomponiert erscheint. Wenn ein Text überwiegend prosaisch ist, aber auch poetische Teile enthält, wurde er wahrscheinlich kantilliert. Von den vielen regelmäßig metrischen Texten lernte die Jugend die Lehrgedichte (Hiob, Sprüche). Das Lernen wurde durch die Regelmäßigkeit der Verse erleichtert. Wechselnde Metren aber finden sich vor allem bei den Propheten. Erzählende Abschnitte sind darin in kleinere Absätze zusammengefaßt, und dadurch entsteht fast der Eindruck des Volksliedmäßigen. So ist das besonders beim »Hohenlied«, das fast durchweg unregelmäßige Metren aufweist, was offensichtlich beabsichtigt ist.

Fast immer beginnt ein Vers mit einer oder mehreren unbetonten Silben. Andererseits endet ein Vers oft mit einer Betonung. So erhält der hebräische Versrhythmus jambischen (–) oder anapästischen (—) Charakter und beginnt mit einem Auftakt. Wenn der Vers mit einer unbetonten oder halbstummen Silbe endet, so entsteht eine Pause. Im Grunde ist dies eine Eigenart des hebräischen Wortes, doch tritt es am Versende rein zufällig auf. Versende und Halbversende ergeben im allgemeinen eine mehr oder weniger lange Pause. Darum wurden hier beim Gesang Verzierungen angebracht. Bei den Klageliedern findet sich über längere Strecken die Versfußformel 3 + 2. Diese Versform des Klagegesangs heißt hebräisch kinah (z. B. Klagelieder 2, 1 ff.). Allerdings tritt dieses Metrum auch anderweitig auf. ldelsohn hat diese Erkenntnis durch Untersuchung an jeminitischen Klagegesängen (kinot) bestätigt.

Hebräischer Gesang war in der Regel nicht laut und lärmend, wenn es auch besondere Anlässe gab, wo dies anders war. In 2. Chron. 1 5, 1 2-14 heißt es » … schwuren dem Herrn mit lauter Stimme« (hebr. b’kol gadol = mit großer Stimme). Das bedeutet aber eigentlich nicht lärmend. So ist auch Psalm 42, 2 „· .. so schreit meine Seele zu dir … « nicht wörtlich zu verstehen, sondern mit »sehnen, schmachten, lechzen« zu übersetzen. Hebräischer Gesang war vielmehr wohlklingend und voll Ebenmaß. Wie anders sollte man sich die überwiegende Verwendung von leisen Saiteninstrumenten erklären?

Schreiendes Singen ist den orgiastischen Kulten eigen gewesen und wurde von Pfeifen, Hörnern und Schlaginstrumenten begleitet. Aus der Zeit des Zweiten Tempels ist bekannt, daß mindestens 21, aber höchstens 48 Trompetenstöße geblasen wurden. Der Gesang wurde mit 2-6 Harfen und 2-12 Pfeifen begleitet. Am Sabbath dagegen spielten viel mehr Instrumente. Die Pfeife (Chalil) wurde nur an insgesamt 12 Tagen vor dem Altar gespielt (am 1. Pessachtag, an Pfingsten und an den 8 Tagen des Laubhüttenfestes). Im Gottesdienst war insgesamt nur 1 Paar Zimbeln erlaubt.

VII. Die Musikinstrumente in der Bibel

Die meisten Instrumente Israels wurden nach ägyptischem Vorbild gebaut. Allein der Schofar ist von Aschur übernommen. Man fertigte sie aus Silber (Trompeten), Widderhorn (Schofar), Rinderhorn (Keren), Messing (Zimbeln), Zypressen- und Sandelholz (Saiteninstrumente), Kinnor und Nebel müssen mit Elektron (= Gold-Silber-Legierung) verziert gewesen sein. Die kostbaren Tempelinstrumente wickelte man in Tücher, wenn man sie nicht benutzte. Teilweise hatte man auch Etuis. Für Blasinstrumente gab es Kästen. Pfeifen bewahrte man in Säcken auf, wie man das auch heute noch macht.

Übersicht über die biblischen Instrumente:

Schlaginstrumente Blasinstrumente Saiteninstrumente
Tof

Meziltayim

Zelzilim

Schalischim

Mena’anim

Pa’amonim

Mezillot

Holz:

‚Ugap

Chalil

Machol

Mechilot

Mekeb

Maschrokita

‚Alamot(?)

Sumponyah

Leiern:

Kinnor

‚Asor

(Schuschan)

Kathros

Hörner:

Schofar

Keren

Yobel

Harfen:

Nebel

Gittit

Trompeten:

Chazozerot

Lauten:

(Neginot (?))

Sabbeka

Zither:

Psanterin

aus der rabbinischen Literatur kennen wir auch noch:

Tabla

‚Erus

Tanbura

Rebi’it

Sog

Niktimon

Karkasch

Scharukita

‚Abub

Magrephah(?)

Barbolin (korablin)

Kalmeyles

Pandura

Chinga

Adrabolin

Über die Saiteninstrumente ist folgendes bekannt:

1. Der Kinnor war die »Harfe« Davids. Es handelt sich aber um eine Leier. Erfinder ist nach Gen. 4, 21 Jubal. Das Wort Kinnor (Plur. Kinnorim oder Kinnorot) kommt von syr. kenara, was »Lotos« bedeutet. Lotosholz fault nicht und könnte daher einst sich für solche Instrumente geeignet haben. Der See Genezareth (Kinneret) hat seinen Namen von diesem Instrument, obgleich seine Form keineswegs der des Kinnor gleicht. Vielleicht aber wuchsen am See früher Lotospflanzen. Kinnor heißt griech. Kithara oder Kinnyra oder auch Lyra (letztere ist eine kleinere Kitha-ra). Die Spielweise des Instruments wird mit »schlagen« (hebr. hikkisch) bezeichnet, woraus aber nicht hervorgeht, daß es mit einem Plektrum gespielt wurde. Die Saiten waren aus Schafdärmen, manchmal aber auch aus Pflanzenfasern hergestellt (hebr. minnim, später nimin). Die Wirbel hießen niktimon. Der Rahmen, in dem die Wirbel steckten, hieß markof. (Diese beiden Ausdrücke kommen aber in der Bibel nicht vor.) Zum gottesdienstlichen Gebrauch mußten die Instrumente stets in völlig intaktem Zustand sein, sonst hätte das Opfer keine volle Gültigkeit gehabt. Der Kinnor hatte wahrscheinlich 6 Saiten. Manche Abarten des Instruments mußten aber auch 8 Saiten oder mehr gehabt haben. Das Spielen der Saiteninstrumente wird mit naggen bezeichnet (1. Sam. 16, 16ff. u. a.). Das bedeutet mit den Fingern zupfen oder mit Plektrum schlagen. Ein Plektrum bestand aus einem Federkiel, einem Holzstäbchen oder einem Stäbchen aus Knochen oder Metall. David soll den Kinnor mit der Hand gespielt haben (= higgen beyado) (vergl. 1. Sam. 16, 16; 16, 23; 18, 1 0; 19, 9). Aus der Erwähnung geht hervor, daß das ungewöhnlich gewesen sein muß. Anscheinend wurde im Normalfall mit Plektrum gespielt. Nun ist es allerdings beim Solospiel nötig, mit c!er Hand zu greifen, um mehrere Saiten gleichzeitig zum Klingen zu bringen.

Eine andere Bezeichnung für das Spiel der Saiteninstrumente ist sammer. Sie bedeutet Singen zur Begleitung von Saiteninstrumenten (z.B. Ps. 71, 22 + 23; 98, 5 etc.).

Der Kinnor war schon in der Zeit der Patriarchen im Gebrauch (Gen. 31, 27). Er wurde von Hirten und Frauen gespielt. Bei Klageliedern wurde er aber nicht ver-wendet. Davids Klagepsalm auf den Tod Jonathans war unbegleitet. Der Klang des Kinnor wird als süß (na’ayim) und feierlich (higgayon) beschrieben (Ps. 92, 4). Der berühmteste Spieler des Instruments war ohne Zweifel David. Die Schrift erwähnt nur noch einen Musiker, der ihm ungefähr gleichkam: Jeduthun (Ethan).

2. Der Nebel (= anschwellen, bauchig sein) ist eine Harfe. Die Griechen kannten das Instrument unter dem Namen Nabla und hielten die Phöniker für seinen Erfinder. Eusebius schrieb es den Kappadokiern zu. Dieses soll das richtige Psalterion sein. Der Resonanzkörper befand sich nach den Beschreibungen oben. Es handelte sich vielleicht um ein Baßinstrument, wogegen der Kinnor eher Altlage hatte. Man zupfte es mit beiden Händen wie alle Harfeninstrumente. Nach Josephus soll es 12 Saiten besessen haben. Die Psalmen 92, 33 und 1 44 geben jeweils 1 0 Saiten an (wobei man in Ps. 92 genauer übersetzen müßte »Instrumente von 10 Saiten und dem Psalter«). In 1. Sam. 10, 5 wird der Nebel erstmals erwähnt. Daher muß man annehmen, daß er nicht aus Ägypten stammt. So ist sein Ursprung ungewiß. Sollte er z.B. aus Aschur übernommen sein, so müßte seine Form mit den auf assyrischen Reliefs dargestellten Exemplaren übereinstimmen. Diese jedoch haben den Resonanzkörper nicht oben.

3. Asor soll nach einigen Autoren eine 10-saitige Harfe aus Aschur (Name!) sein. Sendrey hält das Instrument aber für eine Art Zither mit 10 Saiten (wie auch Curt Sachs). Es wird in Ps. 33, 92 und 144 genannt.

I. Saiteninstrumente: 1. Formen des Kinnor (leier) 2. Assyrische Winkelharfe (Nebel, Sabekka); 3. Ägyptische Bogenharfe (Sabekka)

II. Blasinstrumente: Mundstückblasinstrumente 4. Ägyptische Trompete (Chazozerah); 5. Schofare in gestreckter und gebogener Form; (ähnlich: Keren und Yobel); Flötenartige Blasinstrumente: 6. einfache und doppelte Pfeife (Ugab); Rohrblattinstrumente 7. Schalmeien, Oboen, Doppeloboen (Chalil, Aulos)

III. Rhythmusinstrumente: Schlaginstrumente 8. Zimbel (Meziltajim; Zelzilim); 9. Handtrom-mel (Tot); Schüttelinstrumente 10. Sistrum; 11. Glöckc

4. Gittit (von der Stadt Gath) könnte eventuell eine Lautenart gewesen sein, jedoch sind die Auffassungen recht widersprüchlich (in Ps. 8, 81 und 84).

5. Die Sabbeka wurde (nach Dan. 3, 5ff.) am Hofe Nebuchadrezzars gespielt. Es gilt als ziemlich sicher, daß es sich hierbei um eine Winkelharfe handelte (ähnlich der griech. dreieckigen, viersaitigen und in hoher Lage gestimmten Sambyke).

6. Psanterin (Dan. 3 ff.) muß eine Art Hackbrett gewesen sein (von arab. santir = hackbrettartiges Instrument).

7. Kathros (Dan. 3 ff.) ist vielleicht eine entwickeltere Form der Kithara.

Alle diese zur Begleitung des Gesanges geeigneten Saiteninstrumente hießen hebräisch kle schir (=Saitenspiel).

Die Blasinstrumente:

8. Ugap war eine kleine Art von Pfeife mit lieblichem Ton (agab = lieblich).

Dieses Instrument hat daher vielleicht Ähnlichkeit mit unserer Blockflöte (die ital. ebenfalls die Bezeichnung flauto dolce = süße Flöte führt). Ugap scheint es in verschiedenen Größen gegeben zu haben (Gen. 4, 21; Hiob 21, 12; 30, 31; Ps. 150, 4).

9. Chalil (Plur. chalilim von chalal = durchbohren. Somit hohles Rohr!) ist eine Oboenart mit Rohrblatt und war vermutlich aus Schilfrohr gefertigt (babylon. malilu; assyr. chalchalattu oder chalalu oder imbubu bzw. ebubu). Nach der Mischna war dieses Instrument auch aus Metall oder mit Metall überzogenem Holz gebaut, doch habe man die aus Rohr gefertigten Exemplare wegen ihres weicheren Klanges vorgezogen.

Auch dieser Ausdruck scheint eine ganze Familie von Instrumenten zu bezeichnen. Nach dem Talmud durfte der Chalil nur an 12 Tagen des Jahres im Tempel erklingen. Nach einer anderen Stelle wurde er zweimal täglich verwendet. Jedenfalls war er am Sabbath verboten, weil er nicht zu den »heiligen Instrumenten« gehörte. Sein Klang war schalmeienartig scharf. Darum galt er als Instrument der Freude und Fröhlichkeit und wurde besonders bei Festen gespielt. Andererseits erklang der Chalil auch bei Trauerfeiern wegen seines klagenden, näselnden Tones (Jer. 48, 36 + 37). Das Instrument war in ganz Israel verbreitet und wurde von Berufsmusikern ebenso wie von Laien gespielt.

Die späteren Rabbiner lehnten es aber ab. Das Wort für Pfeifenbläser (simri) wurde geradezu als Synonym für eine unzüchtige Person gebraucht. Der Grund dafür mag in der Verwendung des Instrumentes bei griech. und röm. Orgien zu suchen sein.

10. Nechilot (Ps. 5) bedeutet wahrscheinlich »mit Pfeifen«, bezeichnet also kein bestimmtes Instrument. Das Wort kommt von der gleichen Wurzel wie Chalil.

11. Machol (von chul = Rundtanzausführen; arab. chala) wird beim Tanz ums goldene Kalb (Exod. 32, 19) erwähnt. Al machalat könnte deshalb ungefähr »mit Begleitung von Flöten« bedeuten.

12. Maschrokita (Dan. 3, 5 ff.) ist ein Instrument unbekannter Bauweise, möglicherweise aber eine Syrinx (Panflöte).

13. Sumponyah (Dan. 3, 5 ff.) ist vielleicht wie im Griechischen Symphonia das ganze Orchester (jedenfalls kein Dudelsack, wie manche annehmen).

14. Chazozerah (Plur. chazozerot) heißt die silberne Trompete (von chazar = versammeln, zur Versammlung rufen). Josephus, der diese Instrumente noch aus eigener Anschauung gekannt haben dürfte, gibt ihre Länge mit 1 Elle (= 50 cm) an. Das Schallrohr war etwas weiter als das des Chalil und lief in einen Schalltrichter aus. Das Mundstück hatte breite Form. Solche Trompeten sind auf dem Titusbogen dargestellt. Der griechische Name für die Chazozerah lautet Salpinx. Somit wären die in Offenbarung 2, 8 ff. erwähnten »Posaunen« Trompeten, denn sie werden mit Salpinges bezeichnet.

Diese Instrumente waren nicht gegossen, sondern aus Silber getrieben.

Im Tempel wurden sie stets paarweise geblasen, und zwar einstimmig.

Darum ist klar, daß sie die gleiche Mensur hatten. Man konnte zunächst relativ wenige Naturtöne hervorbringen: den 2. Teilton (= die Oktave des Grundtones), die Quinte darüber, die zweite Oktave und eventuell noch die Dezime. (Wenn z. B. der tiefste Ton c wäre, so hätte man also c‘, g‘ c“ und e“ blasen können.) Der Ton klang rauh; jedoch scheint er mit der Zeit verbessert worden zu sein. Bei der Einweihung des ersten Tempels wirkten bereits 120 Trompeten mit, so daß um diese Zeit das Spiel bereits kunstvoller gewesen sein dürfte (2. Chron. 5, 13).

Das fanfarenähnliche Naturtoninstrument war aus mehreren Stücken zusammengesetzt, die manchmal auseinanderfielen.

Außer bei den in Kapitel III genannten Anlässen erklangen die Chazozerot nach Num. 10, 10 auch bei

    • allen religiösen Feiern und Freudenfesten (z.B. 2. Kön. 11, 14),
    • den Neumondfeiern und
    • den täglichen Brand-und Dankopfern.

Bei ganz besonderen geschichtlichen Ereignissen wie die Überführung der Bundeslade, die Einweihung des ersten Tempels, die Grundlegung des Zweiten Tempels und die Einweihung der neuen Mauern von Jerusalem nach dem Exil wurden ebenfalls die Trompeten geblasen.

Man kannte zwei Arten von Trompetenstößen:

1. teki-ah und 2. teru’ah (von ru’ah = lärmen, unruhig sein).

Die erste Art bezeichnete langausgehaltene Töne, die zweite kurze, schmetternde Stöße.

Täglich wurden mindestens 21, aber höchstens 48 Trompetenstöße geblasen:

    • 3mal beim Öffnen der Vorhoftore des Tempels,
    • 9mal beim Morgenopfer,
    • 9mal beim Abendopfer.

Am Sabbath, Neumond und an Feiertagen blies man zusätzlich 9 mal. Am Vorabend des Sabbath wurden zusätzlich 6 Stöße gegeben, um die Israeliten zur Einstellung der Arbeit aufzufordern. Beim Eintritt des Sabbaths ertönten noch einmal 3 Stöße.

Am Sabbathvorabend in der Woche des Laubhüttenfestes blies man insgesamt 48mal:

    • 3 mal bei der Öffnung der Tore,
    • 3 mal beim Nikanortor,
    • 3 mal beim Osttor,
    • 3 mal beim Wasserschöpfen,
    • 3 mal am Altar,
    • 9 mal beim Morgenopfer,
    • 9 mal beim Abendopfer,
    • 9 mal bei zusätzlichen Opfern,
    • 3 mal zur Einstellung der Arbeit und
    • 3 mal zur Ankündigung des Sabbathbeginns.

Die Bläser standen auf dem höchsten Punkt der Stadt, dem chazzan ha-knesset. Der Beginn des Signalrufes hieß natal, das Ende desselben gamal. Zwischen natal und gamal mußte die Arbeit beendet werden.

15. Der Schofar (von assyr. schapparu = Steinbock oder von schu = leer, far = hohl; das Horn ist hohl und leer!) muß stets aus Widder- oder Steinbockshorn gefertigt sein. In der alten Zeit war seine Form natürlich gekrümmt. Später weichte man die Hörner ein und konnte sie so biegen, wie man wünschte. So finden sich Exemplare, die gestreckt geformt sind und erst kurz vor der Schallöffnung eine Biegung besitzen. Das Mundstück wurde teils mit Gold belegt, jedoch war nach der Zerstörung des Tempels jede Ausschmückung verboten.

Sinn des Schofarblasens:

    • Gott soll an sein Versprechen, das er Abraham, Isaak und Jakob gegeben hat, erinnert werden,
    • an Festtagen soll es den Gläubigen an den Widder erinnern, den Abraham statt seines Sohnes schlachtete.

Nach der Zerstörung des Tempels war von allen Instrumenten nur noch der Schofar erlaubt. Einst wird der Prophet Elia den Schofar ertönen lassen und damit das Kommen des Messias verkünden. So lehren die Rabbiner. Die spätere Form des Schofar besaß ein Bechermundstück. Man bringt aber meist nur 2 Töne damit hervor (Oktave zum Grundton und die Superquint). Heute unterscheidet man 4 verschiedene Schofarrufe:

  • teki’ah (früher kurzer, heute langer Stoß; der lange Ruf hieß einst maschah; Exod. 19, 13; Jos. 6, 5),
  • schebarim (= Brüche; Staccato oder Tremolo),
  • teru’ah (= Getöse, Schmettern) und
  • teki’ah gedolah ( der große Ruf)

Die gegenwärtigen Schofarot sind etwa 30-40 cm lang, jemenitische dagegen fast 1 m. Die Tonhöhe ist ungenau und die Zahl der Obertöne verschieden (2-4).

Der Schofar wurde geblasen bei der Überführung der Bundeslade (2. Sam. 6, 15; 1. Chron. 15, 28), bei der Erneuerung des Bundes durch Asa (2. Chron. 15, 14), bei der Ankündigung des Neumondes (Ps. 81, 4), bei der Danksagung für Gottes Wundertaten (Ps. 98, 6; Ps. 150, 3), bei Jehus Thronbesteigung (2. Kön. 9, 13). Im Kriege diente er als Signalinstrument (z.B. Richt. 3, 27). Die »Posaunen« von Jericho waren schofarot ha-yobelim mit weitem Schalltrichter. Nach Joel 2, 1 und 15 kündet der Schofar das Kommen des Herrn an (Ebenso Hes. 7, 14). In Arnos 2, 2 bedeutet er Verzweiflung und Zerstörung. In Jes. 18, 3 und vielen andern Stellen weist er auf das schreckliche Gericht hin. Nach dem Auszug sollte das Schofarblasen das Volk vom Berg Sinai fernhalten (Exod. 19, 6 usw.). Die Anlässe zum Schofarblasen sind meist ernsten Charakters, stellen in die Gegenwart des heiligen Gottes, rufen zu Buße und Heiligung auf.

16. Keren (= festes, hartes Rinderhorn) ist ein Horn, das nur in weltlicher Musik verwendet wurde (Gen. 22, 13).

17. Yobel (in Lev. 25, 9-25 in Verbindung mit schanat ha-yobel = das Jobeljahr, das Halljahr, 50. Jahr) ist ein Horn (= schofar teru’ah = hallender Schofar). Mit dem Ruf dieser Hörner wurde der 10. Tag des 7. Monats im 50. Jahr eingeleitet. Und davon hat dieses Jahr auch seinen Namen erhalten. Die Übersetzung mit Jubeljahr ist schlecht, weil das Wort Jubel von lat. annus jubilei kommt und nichts mit Yobel zu tun hat.

Die Schlag-und Schüttelinstrumente:

18. Tof (Plur. tuppim) heißen alle Arten von Handtrommeln (von assyr. tuppu; su-mer. dup; arab. duff). Die Handtrommeln hatten einen Rahmen aus Holz oder Metall und waren mit Tierhaut (Widder oder Steinbock) bespannt. Man schlug sie mit den Fingern oder der Faust. Die Bibel erwähnt häufig, wie Frauen und Mädchen diese Instrumente spielten. Tof begleitete den Tanz, der meist von Frauen ausgeführt wurde. Das Instrument ist Sinnbild der Freude.

19. Meziltayim, Zelzelim waren Zimbeln aus Bronze (von zalal = erklingen, klirren, klingen, schallen). Auf assyr. Bildern werden 2 Arten dargestellt: flache und mehr gewölbte, glockenartige mit langen Griffen. Die israelitischen waren vermutlich eher flach wie die ägyptischen. Die in 1. Kor. 13, 1 erwähnten »tönendes Erz« und »klingende Schelle« sind wohl zwei Formen dieser Meziltayim.

Zimbeln zeigten den Beginn des Chorgesangs an.

Die in Psalm 150 genannten zilzele schema (= helle Zimbeln) und zilzele teru’ah (= lautklingende Zimbeln) hatten verschiedene Größen. Die etwas kleineren zilzele schema waren aus Messing, die andern aus Bronze. Im übrigen gab es im Tempelgottesdienst nur 1 Paar Zimbeln.

20. Schalischim war vielleicht eine Art Sistrum (von schalosch =drei; schloscha = dreimal), jedoch auf keinen Fall eine Geige, wie Luther übersetzt.

21. Mena’an’im (kommt nur einmal in 2. Sam. 6, 5 vor; von mu’a = schütteln) war ein Sistrum.

22. Pa’amonim (von pa’am = schlagen; Exod. 28, 33; 39, 25 + 26) hießen die kleinen Glöckchen am Rocksaum des Priesters. Sie waren aus Gold hergestellt und klangen hell, aber unaufdringlich – gerade laut genug, um den Stand-platz des Priesters anzuzeigen. Sie hatten keine musikalische Bedeutung.

23. Mezzillot (von der gleichen Wurzel wie meziltayim und zelzelim; Sach. 14, 20) waren wohl größere und lautere Schellen, denn sie tragen die Inschrift »Heilig dem Herrn« (kodesch le-YHWH). Auch sie haben keine musikalische Bedeutung.

Alle übrigen in der obigen Aufstellung genannten Ausdrücke sind offensichtlich keine Bezeichnung für Instrumente, werden aber bei den verschiedenen Übersetzern der Bibel als solche interpretiert. Die im rabbinischen Schrifttum vorkommenden Bezeichnungen sollen hier nicht weiter erklärt werden.

Das Orchester

Schon in Gen. 31, 27 begegnet uns zum erstenmal eine Musikergruppe. Das erste richtige Orchester wird aber in 1. Sam. 10, 5 dargestellt: eine Gruppe von Prophetenschülern. Auch als David vor der _Bundeslade herzog, begleitetet das Volk mit vielen Instrumenten den Gesang (2. Sam. 6, 5; 1. Chron. 13, 8). Nach Davids Anordnung in 1. Chron. 15, 16ff. bestand das Tempelorchester aus

    • 3 Zimbelspielern (Heman, Asaph, Jeduthun)
    • 8 Nebel-Spielern
    • 6 Kinnor-Spielern
    • 7 Priestern mit Trompeten

also insgesamt aus 14 Musikern, wobei allerdings die Zimbeln und Trompeten eine besondere Funktion hatten.

Den Tempelgottesdienst gestalteten mindestens 12 Sänger. An Instrumenten wurden mindestens 2 Nebalim (höchstens aber 6), mindestens 2 Chalilim (höchstens jedoch 12), mindestens 2 Chazozerot (oder beliebig viele), mindestens 9 Kinnorot (oder beliebig viele) und 1 Paar Zimbeln verwendet.

Die Sänger waren zugleich auch die Musiker.

Für die Proben hatte der Tempel eigene Übungsräume (Hes. 40, 44).

Die Musik wurde wahrscheinlich durch cheironomische Zeichen (wie auf ägyptischen Bildern z. B. dargestellt) geleitet, wie man das bei einfachen Verhältnissen noch heute bei uns macht. Aus diesen Handzeichen entwickelten sich im Laufe der Zeit die Neumen.

Der Ton wurde mittels einer Pfeife angestimmt. Das Anstimmen oblag in der späteren Zeit den nethinim, d. h. Sklaven.

Die Plattform, auf der die Musiker standen, war ungefähr 1,25 m höher als der übrige Raum.

VIII. Der religiöse Tanz

In Israel gab es religiöse Tänze, bei denen Männer und Frauen getrennt tanzten. Diese Reigentänze hatten würdevollen und gesetzten Charakter (Vielleich ähnlich wie heute noch bei der äthiopischen Kirche).

Solche Tänze wurde aufgeführt bei dem Fest der Erstlingsfrüchte, nach Beendigung der Erntearbeit und bei der Einbringung der gesamten Ernte. (Chag ha-mazzot = das Fest der ungesäuerten Brote Deut. 16, 9; chag schabuot = Wochenfest Exod. 34, 22; und sukkot oder chag ha-asif = Laubhüttenfest oder Fest des Erntedanks Exod. 23, 16).

Alle Männer mußten teilnehmen (Exod. 23, 17; 34, 23).

An Sukkot wurde ein feierlicher Reigen um den Altar getanzt. In der Nacht zwischen dem 1. und 2. Tag des Laubhüttenfestes wurde im Vorhof der Frauen von angesehensten Israeliten ein Fackeltanz aufgeführt (vergl. Kap. IV).

Daneben war in Israel natürlich immer der Volkstanz allgemeiner Brauch. Viele Ausdrücke in der Bibel beschreiben den Tanz.

IX. Die musikalische Erziehung in Israel

Zu Davids Zeit treten in Israel plötzlich Tausende von guten Musikern auf. Der König kann sofort Chöre und Orchester bilden, indem er die besten Männer auswählt. Hunderte erweisen sich als Meister ihres Fachs. Ohne eine lange schon vorhandene Musikerziehung ist das aber undenkbar. Wie kann man sich den hohen musikalischen Bildungsstand des Volkes erklären?

Sendrey verweist auf die Prophetenschulen, wie sie uns bei Samuel erstmals deutlich vor Augen treten. Zu Najoth in Rama wohnte der Prophet und versammelte um sich viele Schüler, die er unterwies. Wir lesen in 1. Sam 10, 5, daß diese Schüler zum Spiel von Instrumenten weissagten. Hier begegnet ihnen Saul, fällt in Verzückung und weissagt ebenfalls. Später, als David sich auf der Flucht vor Saul in Rama aufhält, schickt der König zunächst mehrmals Boten und kommt dann selbst nach Rama, wo es ihm erneut geschieht, daß er in Verzückung fällt. (1. Sam. 19).

Die jungen Männer scheinen von Samuel auf bestimmte religiöse Funktionen vorbreitet worden zu sein, u. a. auf die Musik. Auch Elia (2. Kön. 2, 12) und Elisa (2. Kön. 6, 1) hatten solche »Prophetenschulen«. Die Schüler wurden »Söhne der Propheten« genannt (2. Kön. 6, 1 ). Sie lebten zusammen mit ihren Lehrern (2. Kön. 4, 38). Oft bekamen sie von dem Propheten den Auftrag, prophetische Botschaften an verschiedenen Orten bekannt zu machen. Sie selbst werden »Propheten« genannt, sind es aber nur in einem weiteren Sinne, denn wir erfahren nichts darüber, daß sie tatsächlich die Funktion der Propheten erfüllt hätten.

Man muß aber annehmen, daß diese Prophetenschüler außer im Gesetz und in den Schriften auch im Psalmengesang unterwiesen wurden. Zugleich damit müssen sie ein Instrument erlernt haben, weil der Gesang begleitet wurde (vergl. auch 1. Chron. 25, 1 und 7). Freilich lernten nicht alle Schüler ein Instrument, sondern nur solche, die auch die nötige Begabung aufwiesen. Alle aber lernten Gesänge.

Sendrey nennt Samuels Schule die »erste öffentliche Schule für Musik in der Geschichte«.

Zu Najoth in Rama (najoth = Hütten, Siedlung) hatte Samuel auf einem erhöhten Platz einen Altar errichtet und hielt täglich morgens und abends Gottesdienste ab. An diesen Platz (bamah) zog dann stets die Schülerschar in feierlicher Prozession unter Gesang und Spiel (1. Sam 10, 5). In Samuels Schule, so erfahren wir, wurde das Spiel auf dem Nebel, dem Chalil, dem Kinnor und dem Tof erlernt. Es ist anzunehmen, daß auch Psalmdichtung gepflegt wurde.

Weitere solche Schulen entstanden in Gibeah, Beth-EI, Gilgal, Mizpah, Jericho und eventuell auch auf dem Carmel.

Möglicherweise faßte David den Gedanken an eine ausgebaute Tempelmusik damals, als er auf der Flucht vor Saul bei Samuel weilte. Jedenfalls war in Rama bereits das Vorbild vorhanden.

Nachdem die Tempelmusik geordnet und voll etabliert war, fiel den Leviten die musikerzieherische Aufgabe zu. Der Unterricht war einseitig auf die liturgische Musik bezogen. Der poetische Unterricht wurde aber vernachlässigt, obgleich immer wieder begabte levitische Dichter gefunden wurden. In Zeiten des Niedergangs, wo die Tempelmusik wenig gepflegt wurde, muß aber die Musik insgeheim doch geübt worden sein, weil sie weiterhin funktionierte, sobald die Verhältnisse wieder geordnet waren.

 

Verwendete Literatur:

Engel, Hans, Musik der Zeiten und Völker, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 1968

Eusebius‘ Ecclesiastical History, translated from the original by Christian Frederick Gruse, Baker Book House, Grand Rapids, 1971 /6

Gradenwitz, Peter, Die Musikgeschichte Israels, Bärenreiter-Verlag, Kassel 1961

Herzfeld, Friedrich, Ullstein-Lexikon der Musik, Ullstein-Verlag, Darmstadt 197 4/7

Josephus (Flavius), Jüdische Altertümer, Fourier-Verlag, Darmstadt, o.J.

Josephus, The Works of Flavius Josephus, translated by William Whiston, Grand Rapids, o.J. (Reprint)

Rienecker, Fritz, Lexikon zur Bibel, R. Brockhaus-Verlag, Wuppertal 1960/1

Riessler, Paul, Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, F. H. Kerle-Verlag, Heidelberg 1975/3

Sachs, Gurt, Die Musik der Alten Welt, Akademie-Verlag, Berlin 1968

Sendrey, Alfred, Musik in Altisrael, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1970

Stuttgarter Biblisches Nachschlagewerk, Württembergische Bibelanstalt, Stuttgart 1955

Walbe, Joel, Der Gesang Israels und seine Quellen, Christians-Verlag, Hamburg, 1975