LiteraturBibelverständnis, Buchbesprechungen

Die Bibel und ich: von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen

Vor uns liegt das ungewöhnliche Experiment des amerikanischen Journalisten A. J. Jacobs, der bereits damit bekannt geworden ist, dass er die Enzyclopedia Britannica Artikel für Artikel durchlas und darüber eine Art Tagebuch verfasste. Nun verarbeitet er in gleicher Art eine etwas mehr als ein Jahr dauernde Erlebnisreise durch ein Leben, in dem er sich an ausnahmslos alle biblischen Gebote halten wollte. Herausgekommen ist ein unterhaltsam zu lesendes Buch, das eine Menge Einsichten zu bieten hat. A. J. Jacobs tritt seine Reise nämlich als typischer New Yorker Agnostiker an. Ob es einen Gott gibt oder nicht? Er hatte sich bis dahin wenig Gedanken darüber gemacht. Trotzdem merkt er eine religiöse Sehnsucht nach irgendeiner spirituellen Erfahrung, die durch seine väterliche Verantwortung für seinen ersten Sohn noch verstärkt wird. Auf der Suche nach einem neuen Buch-Projekt und in der Begegnung mit einzelnen seiner jüdischen Vorfahren reift die Entscheidung, einmal zu versuchen nach der Bibel zu leben.

Jacobs meint es ernst, auch wenn er die Sache mit einem gesunden Humor angeht. Mit dem durchschnittlichen Bibelwissen des amerikanischen Bildungsbürgers muss er sich erstmal eine Sammlung der einzuhaltenden Gebote verschaffen. Er liest Bibeln, zur Sicherheit gleich mehrere in verschiedenen Übersetzungen und verfasst eine Liste von rund 700 Anweisungen, bei der ihm sofort klar wird, dass er nicht in der Lage ist, sie alle gleichzeitig und sofort einzuhalten. Trotzdem will er auch die in seinen Augen kuriosen Forderungen der Bibel beachten. Zu den weniger schwierigen zählt etwa das Verbot von Mischkleidung. Jacobs lässt seinen Kleiderschrank von einem jüdischen Spezialisten aussortieren. Er versucht sich an den Reinheitsgeboten und berührt vorsorglich keine Frau mehr: sie könnte ja ihre Regel haben. Er gibt den Zehnten und versucht sich an den jüdischen Essensgeboten. Er trägt weiße Kleidung und lässt sich einen Bart wachsen.

A.J. Jacobs. Die Bibel und ich. Von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen. Übers. Thomas Mohr. Berlin: Ullstein, 2008. 432 S. Gebunden 19,90 EUR. Ab Oktober 2009 auch als Paperback 9,95 EUR

Jacobs versucht das alles aber nicht nach seiner eigenen Auslegung. Er gibt zu, dass ihm die Bibel bisher unbekannt war. Er sucht sich zahlreiche Berater, zu denen Rabbiner ebenso gehören wie evangelikale Prediger und liberale Pastoren. Jacobs sucht Gemeinden auf, die von sich selber sagen, dass sie bibeltreu leben und besucht nicht nur Veranstaltungen ekstatischer Chassidim, sondern auch einen Hauskreis evangelikaler Homosexueller, eine Gemeinde die Gottesdienste mit Giftschlangen feiert, das neueste Museum der Kreationisten und eine Megagemeinde. Was bei all dem wohltuend ist, dass Jacobs allen ehrlich und mit Respekt begegnet und dabei entdeckt, dass Manches, was aus der Entfernung kurios erscheint und worüber man sich als Journalist leicht lustig machen könnte, bei näherem Hinsehen echten Respekt verdient. Jacobs bleibt dabei immer ehrlich. So gibt er offen zu, dass wenn er frei wählen könnte, er eher zu einer liberalen Auslegung der Bibel tendierte, aber dass ihm zugleich klar ist, dass diese sich die Bibel nach der eigenen Fasson zurechtmacht und nicht richtig sein kann. Insgesamt hat mich wieder erstaunt, wie viel richtige Erkenntnisse auch jemand, der keine Ahnung hat, erlangen kann, wenn er sich ernsthaft mit Gottes Wort beschäftigt.

Das Buch ist durchaus lesenswert und führt gut vor Augen, dass Bibeltreue nicht darin bestehen kann, die Bibel als eine Art Kochbuch mit Anweisungen für ein schmackhaftes Leben zu betrachten. Zugleich wird sehr deutlich, was auch Jacobs bemerkt: man muss die Bibel interpretieren und auf unser Leben anwenden. Dabei kann es nicht nur zu zahlreichen Missverständnissen kommen. Es lässt sich auch offenbar nicht eindeutig bestimmen, wie ein Leben nach der Bibel genau auszusehen hat. Wer jedoch  nicht zu dem Gott durchdringt, der der Geber seines Wortes ist, wer nicht Jesus Christus als den Herrn und Retter für die Welt erkennt, der geht, auch wenn er sich an zahlreiche Gebote der Bibel irgendwie hält, am Sinn der Bibel vorbei. Jacobs scheint manchmal wenigstens in der richtigen Richtung unterwegs zu sein, entscheidet sich aber letztlich für eine namenlose spirituelle Erfahrung statt für den Namen Jesus. Was mich trotzdem gefreut hat: er begegnete auf seiner Reise nicht wenigen überzeugenden und glaubwürdigen Christen, die Gottes Wort ernst nehmen und ihm Christus bezeugen.