LiteraturBibelverständnis

Spurensuche: Zum Verhältnis von Datierung und biblischer Archäologie

Die Bibel mit Gewinn zu lesen, das ist das Ziel vieler Christen. Viele sind neugierig, historische und kulturelle Hintergründe biblischer Texte und Begebenheiten genauer zu erkunden. Eine der zentralen Aufgaben für das Bibelstudium ist dabei die chronologische Datierung von Ereignissen, die in der Bibel beschrieben werden. „Wann lebte Abraham? Wie war das mit dem Auszug aus Ägypten? Wann wirkte welcher Richter?“ In diesem Bereich dient die Archäologie als Grundlagenwissenschaft, um in Erdschichten gefundene Exponate zu erfassen und entsprechend zeitgeschichtlich seriös zu „deuten“ und ggfs. auch noch zuverlässig mit biblischen Personen und Episoden in Einklang zu bringen. Diese Aufgabe ist allerdings nicht so einfach, wie man als ungeübter Laie eventuell meinen könnte, insbesondere im Blick auf die alttestamentlichen Erzählungen und Berichte im Kontext zeitgleicher altorientalischer Völker mit ihren Überlieferungen. Das Verhältnis von alttestamentlichen Texten und der Archäologie in den Ländern der Bibel zueinander (S. 12) samt einer zuverlässigen Datierung solcher vielfältigen Datenbestände sind höchst kompliziert. Schwierig auch deshalb, weil es in der modernen Archäologie sehr stark abweichende Datierungen in der Abfolge von historischen Personen und Ereignissen im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. gibt, die dazu führen, dass gravierende Zweifel auftreten können, ob in diesem oder jenem Zeitraum dies oder jenes überhaupt hat stattfinden können, wie es beispielweise die Bibel darlegt.

Uwe Zerbst hat auf beeindruckende Weise eine gute und verständliche Einführung in die komplexe „Spurensuche“ nach zuverlässigen Datierungen und Chronologien auf wenigen 47 Seiten vorgelegt. Jede Bibelleserin, jeder Bibelleser sollte dieses Heft sorgfältig und gründlich lesen. In meiner privaten Bibliothek habe ich duzende umfangreiche Fachbücher zum Thema. Doch diese kurze Entfaltung zur Datierung und biblische Archäologie hat mich begeistert, weil wegweisende Hinweise zur Orientierung gegeben werden, die jeder Christ als Bibelleser kennen sollte, auch deshalb, um mit Verstand und Sachkenntnissen über Hintergrundwissen zur Bibel, zur Geschichte, zur Archäologie und zu Jahreszahlen einigermaßen Bescheid zu wissen.

In sechs Kapiteln wird entfaltet (das Vorwort von P. van der Veen bitte ebenfalls lesen!), unterstützt mit nützlichen Graphiken, wieso die Fragestellung des Heftes so wichtig ist. Zu Beginn (S. 11f.) wird die komplizierte Problemstellung beispielhaft-illustrativ mit zwei Weltbestsellern zur Bibel ins Rampenlicht gestellt: Auf der einen Seiten Werner Kellers „Und die Bibel hat doch Recht (1955), der für alle biblischen Berichte archäologische Beweise darlegen zu können meinte und damit die ‚absolute‘ Zuverlässigkeit der Bibel belegen wollte. Auf der anderen Seite Finkelstein/Silberman „Keine Posaunen vor Jericho“ (2002), die genau das Gegenteil begründeten, dass alles das, was vor dem 7. Jahrhundert v. Chr. in der Bibelgeschrieben steht, historisch nie stattgefunden habe, alle Personen nie existiert hätten. In diesen beiden Büchern werden „Wissensstände“ der archäologischen, der altertumswissenschaftlichen und der alttestamentlichen Forschung skizziert, die extrem weit voneinander entfernte und sich widersprechende Thesen aufstellen. Wie soll sich da ein heutiger Bibelleser orientieren können, der die Bibel als Wort Gottes ernstnimmt? Kann man denn dann überhaupt noch historische Ereignisse, archäologische Funde, Deutungen der Funde, Datierungsangaben und biblische Aussagen miteinander synchronisieren, so dass die Bibel von den geschilderten Inhalten her tatsächlich (doch) Recht hat? Oder ist das (letztlich) unmöglich geworden?

Uwe Zerbst. Spurensuche. Zum Verhältnis von Datierung und biblischer Archäologie. Logos Editions/ W&W, Ansbach 2021, EUR 4,95

Zerbst schreibt als Experte, als Wissenschaftler. Daher macht er sich die Sache auch nicht leicht. Er verweist auf vorhandene Datierungsschwierigkeiten, auf Probleme bei der Deutung von archäologischen Funden, die man – will man seriös bleiben – nicht unterschlagen oder übergehen darf. So ist wichtig zu wissen: „Die Jahresangaben (…), die wir in den Anhängen zu unseren Bibeln finden, sind nicht auf direktem Weg den Texten entnommen, sondern das Ergebnis eines wissenschaftlichen Modells, das zusätzlich assyrische und astronomische Informationen heranziehen“ (S. 14). Zugleich ist Zerbst kritisch gegenüber sog. „StandardChronologiemodellen“, die z.B. vor-urteilsbehaftet Schlüsse aus Funden zieht, die so nicht gezogen werden müssen oder sogar nicht gezogen werden sollten (vgl. z.B. Bemerkungen zur „Keramik-Stratigrafie“, S. 18ff.). Die Synchronisierung von biblischen Textaussagen, außerbiblischen Texten und archäologischen Exponaten bleibt „die“ herausfordernde Aufgabe der unterschiedlichen Forschungsbereiche (S. 23f.). In Kap. 3 (S. 26-31) wird begründet, wieso die biblischen Berichte durch die Archäologie nicht widerlegt worden seien. Diese Infragestellungen werden in Kap. 4 (S. 31-34) vertieft (Erörterungen von Finkelsteins chronologische „Vor-Urteilen“). In Kap. 5 unternimmt Zerbst einen „vorsichtigen Versuch“ (S. 34), eine alternative, revidierte Datierung und Chronologie für die biblische Archäologie vorzulegen (S. 34-45), die Impulse liefert, biblische Personen und Ereignisse als historische zuverlässig zu betrachten. Eine Zusammenfassung ermutigt die Interessierten am Thema, in umfangreicher Fachliteratur vertiefte Sachkenntnisse zu erwerben, um die Bibel noch mehr mit Gewinn als in jeder Hinsicht zuverlässig zu lesen (S. 45-47).