LiteraturBibelverständnis

Die Bibel­fäl­scher: Wie wir um die Wahrheit betrogen werden

Prof. Dr. Klaus Berger (geb. 1940) ist ein international ausgewiesener Fachwissenschaftler für das Neue Testament. Über viele Jahre hatte er einen Lehrstuhl für neutestamentliche Wissenschaft an der Evangelisch Theologischen Fakultät Heidelberg inne (1974-2006). 2006 konvertierte er offiziell zur katholischen Kirche.

Bergers Buch ist in drei Hauptteile mit insgesamt 17 Unterkapiteln gegliedert: I. „Hinführung“ (15-42), II. „Die Zerstörung des Neuen Testaments“ (43-296) und III. „Exegese der Zukunft“ (297-344). Dem schließen sich ein Schlusswort des Autors (345f), eine knappe Literaturliste (347), eine Liste der neutestamentlichen Abkürzungen (348) und ein Glossar mit Kurzerklärungen zu den häufig benutzten theologischen Fachbegriffen an (349-352).

Die Bibelfälscher ist eine Apologetik für den christlichen Glauben in traditionell katholischer Prägung. Insbesondere wendet Berger sich hier gegen jede ratio­nalistische Bibelkritik in den verschiedenen Spielarten der historisch-kritischen Bibelauslegung.

In drei großen Schritten will Berger Geschichte und Wirkung rationalistischer Infragestellung der Bibel skizzieren: „Hinführung, Zerstörung und Zukunft“ (11). Nachdem er korrekt die wesentlichen Argumente der liberalen Theologie angeführt hat, entkräftet er ihre Begründungen Punkt für Punkt und zeigt deren häufig ideologische Voreingenommenheit. Zahlreiche wörtliche und inhaltliche Zitate belegen, dass Berger mit dem aktuellen Stand theologischer Diskussion wohl ver­traut ist. Am liebsten und häufigsten zitiert sich Berger allerdings selbst (z.B. 58, 129, 259, 325, 328, 347).

Bergers Gegner sind Vertreter des theologischen Main­stream (10). „Sie repräsentieren nicht nur das Establishment, sondern dazu eine seit 50 Jahren in sich geschlossene, bis zur Un­durch­lässigkeit und Un­be­weglichkeit starre, neue Recht­gläubig­keit. Wer sie in Frage stellt, ist entweder reaktionär oder von allen guten Geistern verlassen oder überhaupt gefährlich, weil fundamentalistisch“ (11).

„200 Jahre fleißig und intelligent betriebene Bibelwissenschaft hat eine volkskirchliche Wüste hinterlassen“ (9). „Diese Exegese hat die Kirchen entleert und die Gemeinden halbiert“ (325). Auch in der katholischen Theologie sind die Thesen der Bibelkritik längst angekommen (9).

Die wissenschaftliche Bibelkritik ist nach Berger nicht offen und zukunftsgerichtet, sondern in einem selbstgewählten Zirkelschluss gefangen, Methoden konservierend, die ihrem Forschungs­gegenstand, der Bibel, nicht entsprechen und exklusivistisch in ihren eigenen Grund­­über­zeugungen.

Klaus Berger. Die Bibel­fäl­scher. Wie wir um die Wahrheit betrogen werden. München: Pattloch 2013, 352 Seiten, Gebunden: 19,99 €. ISBN: 978-3-629-02185-4

„Alles Lug und Betrug, so lautet ein typisch zusammenfassendes Urteil der radikalen Bibelkritik“ (15). Generell trete man den biblischen Aussagen mit einem Generalverdacht gegenüber (15f.). Für den theologischen Argwohn genügt schon der kleinste exegetische Befund. Im Zweifel gegen den Angeklagten, die Bibel (17f.). Theologieprofessoren versuchten – so Berger – die Dominanz ihrer Bibel­inter­pretation auch mithilfe „militanter Seil­schaften“ zu zementieren (321). Andersdenkende würden als „konservativ“ diffamiert und als „missliebige Störenfriede stigmatisiert“ (56).

Die Relevanz biblisch theologischer Aussagen steht und fällt nach Berger mit ihrer Historizität (48f). Unter dem Einfluss des Deutschen Idealismus habe die evangelische Theologie immer mehr ihren historischen Wahrheitsanspruch aufgegeben und habe ihre Texte soziologisch, psychologisch interpretiert (50f.). Zunehmend ging es nicht mehr um Gott und seine Mitteilungen, sondern um den Menschen und dessen Empfindungen.

Statt um Fragen des Heils, der Sünde oder Gottes, ging es zunehmend um „das Engagement für Menschenrechte, für jede Art Emanzipation, für sexuelle Minderheiten und für Umweltschutz inklusive Mülltrennung“ (54). Jesus werde hier nach eigenen weltanschaulichen Vorstellungen oder nach den Bedürfnissen des Zeitgeists jeweils neuinterpretiert (265f.).

„Nun besteht aber in der Tat die Schwierigkeit für den Exegeten darin, dass er die eingeforderte Historizität mit nichts beweisen kann, außer er glaubt sowieso an alles“ (57). Damit soll nicht gesagt sein, die Bibel sei historisch unzuverlässig. Ihre entscheidenden Aussagen zu Gott, der Person Jesu, der Vergebung oder dem ewigen Leben aber entziehen sich der historischen Überprüfbarkeit (57). Der eigentliche Erweis der Wahrheit bib­lischer Aussagen steht nach Berger natürlich noch aus, weil dieser erst mit der Wiederkunft Christi oder dem eigenen Tod zweifelsfrei belegt werden könne (18f.).

Eine ausschließlich historisch-kritische Zugangsweise zur Bibel schließe aber methodisch von vornherein das übernatürliche Handeln Gottes aus. Damit wird die selbsterklärte Grundabsicht biblischer Autoren beiseitegeschoben, ehe die Beschäftigung mit dem Bibeltext überhaupt begonnen hat (58f.).

Von den zahlreichen von Berger genannten und diskutierten „Befunden“ bibelkritischer Methodik und Exegese sollen hier einige Beispiele genannt werden:

Berger kritisiert die theologische Formel des „Osterglaubens“. Damit sei keinesfalls der Glaube an die historische Realität der Auferstehung Jesu gemeint (91), sondern der Beginn der Gemeindefrömmigkeit, die sich erheblich von den Aussagen Jesu unterscheide. „In der Fachsprache der Exegeten bedeutet ‚nachösterlich‘ immer: unecht, von der Gemeinde erdacht“ (93). Jesus hätte nie behauptet, er sei Gott. Die Vorstellungen von Amt, Dogma und Absolutheitsanspruch seien erst nach seinem Tod entstanden (90f.). Jesus hätte seine Auferstehung nicht angekündigt, schon gar nicht sei er leibhaftig auferstanden (93). Das Christentum sei ein Ergebnis von weitgehend unbekannten Entwicklungen aus dem 2. Jahrhundert (55f.). Kirche ist nach Berger aber mitnichten erst die Erfindung einer späteren Generation, sondern geht auf die Initiative Jesu zurück (97, 269f.).

Was heute im Neuen Testament steht, stimme nicht mit den wahren Aussagen Jesu überein, so die moderne Bibelkritik (85ff.). Berger hingegen plädiert für eine größere Kontinuität zwischen der Wirksamkeit Jesu und der ersten Gemeinde (89).

Das Verbot Jesu, über seine Messianität zu sprechen („Messiasgeheimnis“), hatte nach Berger durchaus einen Sinn und ist nicht auf die „nachösterliche Gemeinde“ zurückzuführen. Jesus wollte einfach keine unnötige Konfrontation mit der jüdischen Religionselite in Jerusalem durch die öffentliche Verbreitung spektakulärer Aussagen (92).

Im Rahmen der so genannten „Third Quest“ konzentrierte sich die evangelische Theologie seit 1970 auf die Erforschung der sozialgeschichtlichen Hintergründe des Neuen Testaments. Dadurch werde Jesus häufig auf die Rolle eines sozialen Reformers, eines Lehrers der Nächstenliebe oder eines jüdischen Wander-Rabbiners reduziert (118f.).

Dem hält Berger die Breite des Wirkens Jesu gegenüber, zu der selbstverständlich auch seine metaphysischen Aspekte gehören.

Die jahrzehntelange Suche nach den „wirklich echten Aussagen Jesu“, die aus den Evangelien herausgearbeitet werden sollten (ipsissima vox), hält Berger für ideologisch geleitet (125). Der Theologie fehlen die überprüfbaren methodischen Voraussetzungen, um ein solches Unter­nehmen erfolgreich durchführen zu können. Die einen hielten nur Aussagen Jesu für echt, die keinerlei Dogmatik enthalten (128), andere behaupteten, alles „Nicht-Christliche“ gehe auf Jesus zurück (130), wieder andere meinten, nur „das Jüdische“ solle wirklich von Jesus stammen, allerdings nicht das traditionell jüdische (135f.).

Diese sehr unterschiedlichen Ansätze schließen sich gegenseitig aus. Darüber hinaus legen sie willkürliche Denkvoraus­setzungen fest. Außerdem ist es angesichts der Breite jüdischer Tradition schlichtweg nicht möglich, zu bestimmen, was wirklich „jüdisch“ ist und was nicht (136f.). Es ist auch nicht überzeugend plausibel zu machen, warum Jesus keine dogmatischen Aussagen gemacht haben sollte, obwohl selbst jüdische Rabbinen sich nicht vor eindeutigen lehrmäßigen Aussagen an ihre Schüler scheuten. Schlussendlich kommt Berger zum Resümee: „Was echt sein darf, bestimmt der Zeitgeist“ (139).

Auch gesellschaftlich kontroverse Themen werden von Berger verhandelt, wie die Diskussion um die Existenz des Teufels (181) und der Engel (183f.). Er geht der These liberaler Theologie nach, Maria sei keine Jungfrau gewesen (235-242) und macht glaubhaft, dass trotz religionsgeschichtlicher Parallelen genau das die Aussageabsicht der neutestamentlichen Autoren gewesen war. Des Weiteren verteidigt Berger Bethlehem als Geburtsort Jesu gegen die Zweifel moderner Bibelkritik (243ff.).

Im Grunde genommen ist die akademische Bibelkritik für Berger nicht kritisch genug, weil sie ihre eigene Arbeitsweise zu wenig kritisch hinterfragt. Die von der Aufklärung geleitete Theologie sollte bereit sein, die Grenzen der Vernunft anzuerkennen (84). In der Religion gehe es primär ums Herz des Menschen, nicht um die Vernunft, die für sich genommen nicht göttlich sei (83). Nach Berger zeigt die Bibel in erster Linie das Wesen Gottes und die Begrenztheit des Menschen, kein rationalistisches Lehrsystem.

Immer wieder schlägt Berger konstruktive, aber rudimentäre Alternativen für die theologisch-exegetische Arbeit am Neuen Testament vor (z.B. 57f., 143f., 299f.).

Im Schlussteil seines Buches versucht Berger seinem Leser die Vielfalt, die Relevanz und die positive Spannung biblischer Texte nahezubringen (299-304). Sehr authentisch wirken Bergers Ausführungen über seinen eigenen persönlichen Umgang mit der Bibel (306ff.).

Der Generalverdacht, dem evangelische Theologen die Bibel während der vergangenen 200 Jahre aussetzten, lautete nach Berger: „Mit dem Text ist etwas nicht in Ordnung, er ist falsch und muss vom Exegeten korrigiert werden.“ (345) Demgegenüber fordert Berger nun, der Ausleger solle sich stärker dem Bibeltext unterordnen, als ihn schulmeistern zu wollen.

Ähnlichkeiten zwischen Bergers Thesen und evangelikalen Bedenken zur Bibelkritik dürfen nicht über tiefgreifende Differenzen hinwegtäuschen. Berger wehrt sich gegen einen „naiven Positivis­mus[, der behauptet:] ‚Es ist eben alles von Jesus‘“ (127). Für ihn gibt es keinen Gegensatz zwischen Schöpfung und Evolution (83). Kritisch wendet sich Berger gegen den „Fundamentalismus“, in dessen Nähe er ebenfalls evangelikale Christen rückt (vgl. 320). Diese gingen fälschlich von einer Identität von Bibeltext und Wirklichkeit aus. Dann kolportiert Berger auch noch zahlreiche Vorurteile gegenüber „Fundamentalisten“ als Menschen, die andere „zur Bekehrung zwingen“, unwissenschaftlich arbeiteten, keine anderen Meinungen stehen lassen könnten usw. (172-181). „Fundamentalismus schließlich beruht stets auf einem Mangel an Intelligenz“ (175).

Aus evangelikaler Sicht bleibt Berger mit seiner Kritik und seinen theologischen Alternativargumentationen gelegentlich auf halber Stecke stehen.

Die Quellenscheidung und Teile der Redaktionsgeschichte übernimmt Berger von der modernen Bibelkritik (123). Er geht von einer Logien-Quelle Q ebenso aus wie von verschiedenen deutlich unterscheidbaren, miteinander konkurrierenden „Theologien“ innerhalb des Neuen Testaments (123f, 131, 194, 329).

Für Berger stehen die neutestamentlichen Apokryphen (z.B. das Thomas­evangelium) ganz nahe bei den kanonischen Texten des Neuen Testamentes (129). So zitiert Berger diese Texte auch zur Untermauerung seiner eigenen Aussagen (309). Ein inspirierter biblischer Kanon spielt für Berger keine entscheidende Rolle.

Immer wieder tritt Bergers Sympathie für die klassisch katholische Theologie zutage, in der er eine Alternative zur zersetzenden Bibelkritik zu erkennen meint. Gerne verweist er auf bedeutende katholische Theologen (z.B. 82, 173, 271, 286, 307, 334), ihre Lehren (181) oder ihre Glaubenspraxis (83).

Wie so oft zeigt sich auch bei diesem Buch, wer die richtige Diagnose stellt, hat noch nicht die passende Therapie

Wie so oft zeigt sich auch bei diesem Buch, wer die richtige Diagnose stellt, hat noch nicht die passende Therapie. Bergers Ärger über eine destruk­tive, oft ideologische Bibelkritik, wird klar und anhand zahlreicher Beispiele ausgedrückt. Seine Kritik an der Kritik wiederholt sich zwar im Laufe des Buches immer wieder, ist aber nachvollziehbar und berechtigt. Bergers Alternativen theologischen Arbeitens hingegen werden etwas stiefmütterlich auf wenigen Seiten zusammengefasst und bleiben zumeist sehr allgemein und nebulös. Zuweilen bleibt unklar, wo Berger sich selbst sieht, wie er die von ihm kritisierten Begriffe interpretiert.

„Die Bibelfälscher“ ist für jeden geeignet, der sich bereits mit grundsätzlichen Fragen der akademischen Theologie beschäftigt hat und auf verhältnismäßig leicht verständliche Art und Weise eine begründete Auseinandersetzung mit moderner Bibelkritik lesen will. Das Buch ist faktenreich, nachvollziehbar und flott geschrieben. Insbesondere wäre es jedem Studierenden der evangelischen Theologie zu empfehlen. Es könnte dabei helfen, das eigene theologische Arbeiten kritisch zu reflektieren. Auch Evangelikale werden von einer Lektüre profitieren, sollten aber die katholischen und bibelkritischen Ansätze Bergers nicht übersehen.