LiteraturBibelverständnis

Das Inspirationsverständnis von Bibel und Koran: ein tabellarischer Vergleich

In seinem Buch Koran und Bibel vergleicht Thomas Schirrmacher das Inspirationsverständnis von Koran und Bibel und die wichtigsten Grundlehren, die aus dem jeweiligen Glauben, der Koran oder Bibel zur Grundlage hat, hervorgehen. Dabei zeigt sich, dass den wenigen Ähnlichkeiten der beiden so genannten Buchreligionen grundlegende Unterschiede gegenüberstehen. Respekt und Ehrlichkeit gebieten es, diese Unterschiede zu benennen. Wir drucken die von Thomas Schirrmacher erweiterte Version einer Vergleichstabelle aus seinem Buch und eine Buchbesprechung von Thomas Jeising.

Gott und Mensch oder nur Gott?

Bibel Koran

Gott und Mensch sind beide Autoren

(Komplementarität zu je 100%).

Nur Gott ist Autor (100% göttlich, 0% menschlich).
Die Bibel entstand sukzessive im Laufe einer langen Geschichte; die einzelnen Bücher jeweils, wenn Menschen sie niederschrieben oder zusammenstellten. Der Koran wurde nicht geschrieben, sondern „herabgesandt“, und war im Himmel immer schon als ewige „Mutterschrift“ bei Gott fertig.
Zahlreiche und vielfältige Autoren. Kein menschlicher Autor, nur ein Empfänger.
Spiegelt die menschliche Persönlichkeit der jeweiligen Autoren wider. Hat nichts mit irgendeiner menschlichen Persönlichkeit zu tun.
Die Texte sind meist eng mit der Lebensgeschichte ihrer Verfasser oder der dargestellten Personen verquickt. Der Koran findet keine Begründung in der Lebensgeschichte Muhammads.

Vielfältige normale Sprache oder einheitliche, heilige Sprache?

Bibel Koran
Sammlung von 66 Schriften. Ein einheitliches Buch.
Große literarische Vielfalt. Einheitlicher Stil.
Keine Perfektion der Sprache, sondern „normale“ Sprache; grammatische „Fehler“ selbstverständlich; viele Sprachstile und sprachliche Eigenheiten. Perfektion der Sprache als Zeichen des Wundercharakters des Korans.
Keine heilige Sprache, vorwiegend Gebrauchssprache, mehrere Sprachen und Sprachstile, wichtige Aussagen nur in Übersetzung erhalten (z. B. Jesusworte). Heilige und vollkommene Sprache.
Gebete sind in jeder Sprache der Erde möglich. Weltweit sind die täglichen Pflichtgebete und das Glaubensbekenntnis nur in der Sprache des Korans angenehm vor Gott.
Verlesen der Bibel in den Ursprachen ist sinnlos, wenn Leser und Hörer diese Sprachen nicht verstehen. Verlesen (Rezitieren) des Korans auf Arabisch ist erforderlich und verdienstvoll, auch wenn Hörer und Leser das klassische Arabisch nicht verstehen.
Notwendigkeit der Übersetzung und der Verkündigung zum Verständnis, die Botschaft entfaltet Wirkung. Wahrheit und Wirkung sind nicht auf das Verstehen angewiesen.

Wissenschaftlicher Umgang oder reine Verteidigung?

Bibel Koran
Verpflichtung zur Übersetzung und Verständlichmachung. Übersetzung eigentlich nicht möglich; Koranübersetzungen sind Interpretationen.
Textkritik ist zulässig und Teil der Geschichte. Textkritik ist nicht zulässig.
Textkritische Textausgaben mit verschiedenen Lesarten seit frühester Zeit. Glaubenssatz der Einheitlichkeit der Überlieferung.
Die Bibel unterliegt in ihrer Auslegung hermeneutischen und literaturwissenschaftlichen Prinzipien wie jeder andere Text auch. Keine Hermeneutik und Literaturwissenschaft für die Koranauslegung, wenn doch, dann eine spezielle, die für keinen anderen Text gilt.
„Wissenschaftliche Literatur zur Bibel“ meint Literatur, die für andere vernünftig nachvollziehbar die Bedeutung, Geschichte und Umwelt der Bibel kommentiert und erforscht. „Wissenschaftliche Literatur zum Koran“ meint Literatur, die den Koran als höchste Leistung der Wissenschaft darstellt und verteidigt.

Geschichtliches Buch oder geschichtsloses Buch?

Bibel Koran
Im Laufe von Jahrhunderten entstanden. In 22 Jahren herabgesandt und im Himmel immer schon vorhanden.
In unterschiedlichen Kulturen niedergeschrieben. Innerhalb einer Kultur offenbart.
An den unterschiedlichsten geografischen Orten niedergeschrieben und zusammengestellt. In einem kleinen geografischen Gebiet offenbart.
Viele Details über eigene historische Entstehung finden sich in der Bibel selbst. Keine historischen Details über eigene Entstehung, zumal es keine historische Entstehung gibt.
Viele historische, chronologische, geografische Angaben; häufige Verknüpfung mit der Geschichte anderer Völker. Kaum greifbare historische Angaben.
Für unterschiedliche, letztlich für alle Völker. Zunächst für die arabische Welt.
Fortschreitende Offenbarung und Heilsgeschichte stehen im Mittelpunkt. Alle Propheten verkündigen die ewig gleiche Botschaft.
Keine besondere Wertschätzung des einzelnen Buchexemplars. Äußerster Respekt und Verehrung gegenüber dem einzelnen Buchexemplar.

Zweifel, Klage, Vertrauen oder nur für richtig Halten?

Bibel Koran
Zweifel und Klagen gegenüber Gott sind in das Wort Gottes aufgenommen worden (z. B. Klagelieder Jeremias, Klagepsalmen). Zweifel und Klagen gegenüber Gott sind ausgeschlossen und nicht im Buch zu finden.
Aufforderung zur Prüfung durch Gott. Prüfen verboten, da es bedeuten würde, den Schöpfer zur Rechenschaft zu ziehen.
Glaube = für wahr halten und vertrauen auf Gott, vor allem auf seine Versöhnung. Glaube = für wahr halten und sich Gott unterwerfen.
Gott legt sich per Eid selbst fest. Er schließt einen Bund mit Menschen. Er bindet sich an sein Wort. Gott ist nicht an sein Wort gebunden, sondern auch darin souverän und unerforschlich.
Gewissheit des Glaubens und des Heils, da Gott sich mit Eid an seine Heilszusage bindet. Keine letzte Gewissheit, da Gott souverän bleibt und am Ende ganz frei auch anders entscheiden kann.

Selbstkritik oder Triumph?

Bibel Koran
Unterscheidung zwischen Buchstaben und Geist, das heißt zwischen tötender Umsetzung des Formalen und lebendigem Erfülltsein mit Sinn und Botschaft. Keine vergleichbare Unterscheidung zwischen Buchstabe und Geist, der Buchstabe ist der Geist.
Kritische Darstellung der Gläubigen bei „Versagen“, demgegenüber nimmt die Kritik an anderen viel weniger Raum ein, und Ungläubige können Gläubigen als Vorbild hingestellt werden. Triumph der Gläubigen; keine kritische Darstellung der Gläubigen, demgegenüber nimmt die Kritik an den anderen den größten Raum ein; Ungläubige können nie Vorbilder sein.
Ständige Selbstkritik der Gläubigen im Buch selbst. Keine Selbstkritik der Gläubigen im Buch selbst.
Gebot der Selbstkritik und Prüfung der eigenen Religion. Abwehr oder mit Strafe belegtes Verbot jeder Selbstkritik und Prüfung der eigenen Religion.

Offenbart Gott sich oder bleibt Er verborgen?

Bibel Koran
Gottes Wort gilt als echte Offenbarung des Wesens Gottes. Gott offenbart sich nicht und bleibt trotz der Herabsendung des Korans verborgen.
Gott offenbart sich selbst in der biblischen Offenbarung und noch viel mehr in seinem Sohn Jesus Christus, auf den die biblische Offenbarung abzielt und der Gott als Mensch offenbart. Gott bleibt verborgen, er sendet nur ein Buch herab.
Jesus Christus ist das fleischgewordene Wort Gottes, womit die eigentliche Offenbarung Gottes in persona geschieht. Keine Offenbarung Gottes in persona.
Es gibt viele christliche Feste, die sich auf Jesus beziehen, aber keines, das die Bibel feiert. Der Fastenmonat Ramadan feiert die Herabsendung des Korans. Er endet mit dem Fest des Fastenbrechens und hat einen Höhepunkt gegen Ende in der „Nacht der Macht‘“, in der die erste Offenbarung an Muhammad geschah.
Der Stifter Jesus steht über der Heiligen Schrift. Sie erhält ihre Bedeutung von ihm. Jesus ist das eigentliche „Wort Gottes“, die Schrift legt als „Wort Gottes“ von ihm Zeugnis ab. Der Religionsstifter Muhammad steht unter der Heiligen Schrift. Er erhält seine Bedeutung von der Schrift, da er ihr Empfänger ist.
Der Stifter ist nicht nur Prophet, sondern selbst Gott und der, der das Heil bringt und erwirkt. Der Stifter ist nur Prophet.
Gott hat vor allem Jesus aus der Ewigkeit herabgesandt, das Buch (die Bibel) kündigte dies nur an, bezeugt und verkündigt es. Gott hat vor allem den Koran aus der Ewigkeit herabgesandt.

 

Thomas Schirrmacher äußert sich „kurz und bündig” – so die Reihe, in der das Buch erschienen ist – zum Vergleich zwischen Koran und Bibel. Damit das überhaupt möglich ist, macht er in der Einleitung des Buches so viele Einschränkungen, dass man schon befürchtet, nur eine oberflächliche Abhandlung vorzufinden. Es ist aber das Gegenteil der Fall. Es gelingt dem Autor in erstaunlicher Kürze, nicht nur die Unterschiede zwischen Koran und Bibel tiefgründig zu erhellen, sondern seine Leser auch zu befähigen, sie anderen erklären zu können. Dabei zeigt sich, dass die sinnvollste Ausgangsposition im Hinblick auf die Bibel die ist, dass man dazu die traditionelle Inspirationslehre zur Grundlage macht. Es wird sehr deutlich, dass nicht die relativierende historisch-kritische Bibel­haltung für das Gespräch und den Vergleich mit dem Islam besonders geeignet ist, sondern die Position, die die Bibel als Autorität und Wort Gottes begreift.

T. Schirrmacher legt viel Wert auf eine faire Darstellung. Dabei will er nicht nur, dass sich auch Muslime mit diesem Buch informieren können. Deswegen hinterfragt er die Eigendarstellung des Islam nicht. Gleichzeitig sollen sich nicht nur Evangelikale wiederfinden, sondern jeder der die traditionelle, konservative Bibelhaltung teilt. Deswegen zitiert er, wo es passt, auch katholische Quellen. Was er als Inspirationsverständnis darlegt, ist weitgehend das aus der Chicago-Erklärung bekannte. Er beantwortet jedoch implizit an verschiedenen Stellen auch Kritik, z.B. wo er auf den Vorrang Gottes und Jesus Christus vor der Bibel aufmerksam macht und zugleich verdeutlicht, dass der Glaube und die Beziehung zu Gott auf dem schriftlich offenbarten Wort Gottes beruht.

Das Buch beginnt mit einem Ver­gleich zwischen dem Inspirations­ver­ständnis von Bibel und Koran. Im zweiten Teil stellt es das Verhältnis des Menschen zu Gott dar, wie es jeweils durch Bibel und Koran begründet wurde. Ergänzt wird das durch ein Kapitel, in dem Schirrmacher die Grundeinstellung der Liebe anmahnt, mit der Christen in ein Gespräch mit Muslimen eintreten sollten. Schließlich findet sich eine Literaturliste, die weit über die zitierten Werke hinaus einen Weg zu vertiefenden, seriösen Informationen weist. Dabei finden sich ebenso rein musli­mische Quellen wie auch Ein­­schät­­zungen aus christlicher Sicht zu vielen Ein­­zel­aspekten.

Thomas Schirrmacher. Koran und Bibel. Die größten Religionen im Vergleich. 5. Aufl. Neuhausen: SCM Hänssler, 2014. S. 128. Kartoniert 7,95 €. ISBN: 978-3775148023.

Das Ergebnis des Vergleichs zeigt, dass mit der Rede von den „abrahamitischen Religionen” mehr Überein­stim­mung angedeutet wird, als es tatsächlich gibt. Beide Religionen verkünden einen ab­soluten und souveränen Gott, aber damit ist es im christlichen Glauben nicht zu Ende. Der Vater Jesu Christi hat sich an sein Wort gebunden. Er ist treu und zuverlässig. Gläubige nehmen ihn beim Wort. Das können Muslime in ihrem Glauben nicht tun, weil Allah als der vorgestellt wird, der besser täuschen kann als jeder Mensch. Der Gott der Bibel dagegen schwört bei sich selbst, weil er die Unwiderruflich­keit seiner Zusagen deutlich machen will. Deswegen dürfen Christen Gott auch auf seine Zuverlässigkeit prüfen, während das für den Koran undenkbar ist.

Damit in Zusammenhang macht Schirrmacher darauf aufmerksam, dass es allein der christliche Glaube ist, der selbstkritisch ist. Die Bibel im AT und NT kritisiert die Gläubigen zuerst und besonders. Der Koran richtet sich in seiner Kritik immer nur gegen die Ungläubigen. Der Islam tut sich von daher mit Selbstkritik schwer, während es für Christen zum täglichen Brot gehört, danach zu fragen, ob sie noch auf dem Weg Gottes unterwegs sind.

Gerade in der gerafften und übersichtlichen Form liegt ein Gewinn. Das Buch kann auch eine gute Hilfe im Gespräch mit Muslimen sein und sogar an sie weitergegeben werden. Aber es bietet auch handfeste Argumente, wenn eine bibeltreue Schrifthaltung mit der Behauptung diffamiert wird, sie sei islamisch.