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„…und sie bewegt sich doch!“ Galileo Galilei – ein Held?

Galileo Galilei gilt vielen als Märtyrer, der von der römischen Kirche dafür verfolgt wurde, dass er die Wahrheit über das Weltall verbreitete. Ein genauer Blick zeigt allerdings, dass es so einfach nicht ist, denn er stand auf der Gehaltsliste der Kirche, starb nicht etwa in einem Kerker und hat ein pompöses Grabmal in einer katholischen Kirche. Wie es zu dem heutigen Bild von ihm kam und warum es anders war.

Wenn man in einer fremden Gegend unterwegs ist, braucht man eine gute Landkarte oder Wegbeschreibung, um sein Ziel zu finden. So war das zumindest früher. Heute haben wir es leichter. Wir benutzen ein Navigationssystem (liebevoll „Navi“ genannt), das leicht einen Weg finden lässt. Am bekanntesten ist das vom US-Militär entwickelte GPS (Global Positioning System). Im Jahr 2014 soll nach langer Vorbereitungszeit ein von der Europäischen Raumfahrtanstalt (ESA) entwickeltes ziviles Navigationssystem in Betrieb genommen werden. Es trägt den Namen „Galileo“ und erinnert damit an den berühmten Mathematiker und Astronomen Galileo Galilei. Er wurde vor 450 Jahren (1564) in Pisa geboren und starb 1642 in der Nähe von Florenz. Was wissen wir über diesen Mann?

1. Das Leben des Galilei

Unter diesem Titel hat Berthold Brecht eines seiner berühmtesten Theaterstücke geschrieben. Er stellt darin seinen Helden als genialen Wissenschaftler dar, der leider moralisch versagt hat, als er in die Mühlen der Inquisition geriet. Er hat damit zwar ein spannendes Drama geliefert, aber mit den historischen Tatsachen hat das Dargestellte kaum etwas zu tun. Brecht hat seine Wunschvorstellungen in die Person Galileis hineingelesen.

Ganz ähnlich sieht es mit den zahlreichen Biografien oder Romanen über Galilei aus: Sie sind äußerst zahlreich erschienen1 , verbreiten aber zum großen Teil nur längst widerlegte Legenden über Galilei. Man braucht heute nur einmal die entsprechenden Internetseiten aufzublättern (z.B. „Galilei und Kirche“), um zu erfahren, dass der Mann nach wie vor als Held gepriesen wird, der unerschrocken gegen die Wissen­schaftsfeindlichkeit der Kirche gekämpft hat. Wir werden dazu gleich noch einiges hören.

Zunächst will ich den Lebenslauf Galileis kurz skizzieren:

Jugend und Lehrzeit

  • geboren am 15. Februar 1564 in Pisa, Vater: Tuchhändler, mit Hobby Musik und Musiktheorie sowie Physik;
  • Galileo wurde zunächst als Novize im Benediktinerkloster ausgebildet, ohne jedoch ins Kloster ganz einzutreten;
  • ab 1580 zum Medizinstudium in Pisa (nicht ab­ge­schlossen)
  • 1584 Wechsel zum Mathe­matikstudium in Florenz.

Erste Entdeckungen und Erfindungen

Galileos Notizen zu den Jupitermonden

  • 1585/86 erste Veröffentlichungen zu physikalischen Problemen (spezifisches Gewicht, Schwere von festen Körpern);
  • 1589 Lektor an der Mathematischen Fakultät; erfindet ein (noch sehr ungenaues) Thermometer; untersucht Pendelbewegungen und Fallgesetze (angeblich am Schiefen Turm in Pisa2 );
  • 1592 als Prof. für Mathematik nach Padua berufen (die Stadt gehörte zur Republik Venedig), erteilt nebenbei Privatunterricht, u.a. zwei späteren Kardinälen; erfindet einen Proportionszirkel, den er ab 1597 geschäftstüchtig verkaufen lässt;
  • Galilei kritisiert die antike Naturkunde des Aristoteles, die damals in der Römisch-Katholischen Kirche noch als maßgeblich galt; vor allem aber hält er das geozen­trische3 Weltbild des Ägypters Ptolemäus (2. Jh. n.Chr.) für überholt; das hatten schon vorher andere in Frage gestellt (z.B. Kopernikus);
  • Galilei setzt als erster Fern­­rohre zur Himmelsbeobachtung ein; das Fernrohr war zuvor von Jan Lippershey in Holland erfunden worden4 ; er entwickelt diese Technik durch eigene Linsenherstellung weiter (bis zu 33-fache Vergrößerung); dadurch macht er interessante astronomische Entdeckungen: Unebenheiten auf Mondoberfläche (Krater); die vier größten Jupitermonde; Milchstraße ist nicht nur ein Nebel, sondern besteht aus unzähligen Sternen;
  • 1610 veröffentlicht er diese Entdeckungen in seinem Buch „Sidereus Nuntius“ (Sternenbote); es findet reißenden Absatz, obwohl sich bald herausstellt, dass er manches frei erfunden hat (z.B. einen Mondkrater, den es gar nicht gibt);
  • Herbst 1610: Berufung zum Hofastronomen bei den Medici-Fürsten in Florenz (Herzöge der Toskana); gleichzeitig Mathematikprofessor in Pisa, ohne Lehrverpflichtungen, d.h. volle Freiheit für eigene Forschungen;
  • Beim Ortswechsel trennt er sich auch von seiner bisherigen Haushälterin Marina Gamba, mit der er drei Kinder hatte.

Wachsende Nähe zum Papst

  • Schon in den Jahren davor führt er Gespräche mit den gebildeten und einflussreichen Jesuiten wegen Phasenveränderungen der Venus; diese sprechen für die Bewegung der Planeten um die Sonne;
  • 1611 Besuch in Rom bei Papst Paul V.; Galilei trifft seinen Schüler Maffeo Barberini (Kardinal, später Papst Urban VIII.); der Papst empfängt Galilei in Privataudienz und ehrt ihn durch eine selbstverfasste Lobeshymne; Galilei wird ehrenvoll als Mitglied in die „Academia dei Lincei“ (Akademie der Luchse) aufgenommen, die damals erst sieben Mitglieder hatte.

Wichtige Entdeckungen

  • Zwischen 1611 und 1614 macht Galilei weitere physikalische Entdeckungen, z.B. bestimmt er das spezifische Gewicht der Luft und des Wassers; er beschäftigt sich mit der Lichtbrechung durch Wasser und Glas; er versucht sich an der mathematischen Beschreibung der Beschleunigung von Körpern;
  • Ende 1610 beobachtet er als einer der Ersten durchs Fernrohr die „Sonnenflecken“; dabei verdirbt er sich die Augen, so dass er später ganz erblindet; er weist nach, dass diese Flecken nicht Schatten von anderen Planeten sind; er erkennt aber noch nicht, dass sich diese Flecken relativ stark verändern, z.B. fast ganz verschwinden können;
  • Galilei hat sich schon 1597 Johannes Kepler gegenüber als Anhänger des heliozentrischen Weltbildes (Kopernikus) zu erkennen gegeben; erst 16 Jahre später bekennt er sich auch öffentlich dazu;
  • 1615 veröffentlicht in Rom der katholische Theologe Paolo Foscarini ein Buch, in dem er nachzuweisen versucht, dass das kopernikanische Weltbild den Aussagen der Bibel eigentlich nicht widerspricht; dagegen wird Anzeige bei der Inquisition5 erstattet und ein Prozess eröffnet, der ein Jahr später mit dem Verbot dieses Buches endet6 . – Im Zusammenhang dieses Verfahrens wird auch Galilei befragt und durch den berühmten Jesuiten-Kardinal Robert Bellarmin (1542-1621) „ermahnt“, das heliozentrische Weltbild nicht als Tatsache zu bezeichnen, sondern als unbewiesene Hypothese. Galilei hält sich in den nächsten Jahren an diese Auflage.
  • 1623 wird sein Freund und Förderer Barberini in Rom zum Papst Urban VIII. (1623-1644) gewählt; Galilei widmet ihm sogleich sein neuestes Buch „Saggiatore“ (= Goldwaage).

Der Streit um das Weltbild eskaliert

  • 1630 reist Galilei erneut nach Rom, um beim Papst die Druckerlaubnis (Imprimatur) für sein nächstes Buch zu erreichen. Es erscheint im Februar 1632 in Florenz unter dem Titel „Dialogo“ (= Gespräch); es ist in italienischer Volkssprache verfasst und wendet sich an eine breitere Öffentlichkeit; Galilei vertritt in dem Buch das heliozentrische Weltbild und polemisiert gegen das geozentrische Weltbild; aber er legt keine überzeugenden Beweise für seine Ansicht vor. – Es gab noch zu viele Unklarheiten, die vor allem bei Wissenschaftlern dieser Zeit auf Widerspruch stießen, weniger bei der Kirche!
  • Galileis Buch erfährt in Rom harsche Kritik; er wird 1633 von der Inquisitionsbehörde vorgeladen und vernommen (allerdings nicht etwa gefoltert!); beim Prozess bestritt er dreist, das kopernikanische System in seinem Buch gelehrt zu haben; er berief sich dabei auf die Dialogform des Werkes, durch die er die verschiedenen Theorien nur bestimmten Personen in den Mund gelegt habe.
  • Galilei wird wegen Ungehorsam gegen kirchliche Auflagen verurteilt; seine Strafe besteht in Hausarrest und Lehrverbot; dass er am Ende des Prozesses trotzig behauptet habe „…und sie bewegt sich doch“ (d.h. die Erde um die Sonne), ist die legendäre Erfindung eines späteren Biografen.
  • Seine letzten Jahre verbringt Galilei in Siena unter der Aufsicht des dortigen Erzbischofs, der zu seinen glühendsten Verehrern gehört. 1636 gibt er in Holland sein letztes großes Werk heraus, die „Discorsi“ (= Diskussionen).
  • 1638 erblindet Galilei völlig.
  • Gestorben ist Galileo Galilei am 8.1.1642 auf einem Landgut in Arcetri (bei Florenz), im Alter von 78 Jahren.

2. Der Hintergrund: Streit um das Weltbild7

Wie wir anhand der Biografie gesehen haben, gehen auf Galilei wichtige astronomische Entdeckungen zurück. Berühmt geworden ist er für die Nachwelt aber vor allem dadurch, dass er für das heliozentrische Weltbild gekämpft hat.

Dabei muss man die historischen Hintergründe beachten. Nicht alles, was heute in Schulbüchern oder auch in Kommentaren und Handbüchern zur Bibel steht, ist zutreffend und richtig. Da findet man häufig die Behauptung, die biblischen Schreiber stellten sich die Erde als Scheibe und den Himmel als darüber gestülpte Glasglocke vor. Das ist Unsinn. Dass die Erde eine Scheibe ist und sich der Himmel wie eine Käseglocke darüber wölbt, hat schon seit dem 2. Jahrhundert n.Chr. kein vernünftiger Mensch mehr geglaubt. Das ist nicht „das Weltbild der Bibel“, sondern der alten Babylonier8 ! Man wusste auch im sog. „finsteren Mittelalter“ sehr wohl, dass die Erde eine Kugel sein musste. Schließlich konnte man mit bloßem Auge beobachten, dass bei ankommenden Schiffen zuerst der Mast zu sehen war, ehe das ganze Schiff am Horizont auftauchte.

Aber dass die Erdkugel den Mittelpunkt des Weltalls bilden muss, um den sich alles andere dreht – davon war man jahrhundertelang fest überzeugt. Wie sollte es anders sein? Ist nicht der Mensch die Krone der Schöpfung und hat Gott nicht seinen eigenen Sohn als Retter auf diese Erde geschickt und auf keinen anderen Planeten? – Das alles waren gutgemeinte Überlegungen, aber die Bibel sagt an keiner Stelle, dass die Erde im Mittelpunkt des Weltalls stehen muss.

Erst im 16. Jahrhundert meldeten sich Astronomen wie Nikolaus Kopernikus (1473-1543) zu Wort, die Zweifel daran anmeldeten. Sie vertraten die Ansicht, dass die Erde um die Sonne kreist. Das Problem war nur, dass es noch einige Jahrzehnte dauerte, bis man das stichhaltig beweisen konnte. Zunächst ging man noch davon aus, dass sich die Planeten auf Kreisbahnen um die Sonne bewegen. Dazu passten aber die praktischen Beobachtungen am Himmel nicht. Erst Johannes Kepler9 (1571-1630) kam auf den Gedanken, dass sich die meisten Unklarheiten auflösen, wenn die Umlaufbahnen Ellipsen sind.

Diese neue Erkenntnis ging vor allem von Forschern im protestantischen Norden aus. Deshalb hielt man in Rom offiziell zunächst nicht viel davon, auch wenn man sich intern durchaus mit dem Für und Wider des geozentrischen Weltbildes beschäftigte. Man war allerdings noch längere Zeit der Überzeugung, dass es sich bei der Heliozentrik um eine (noch) nicht bewiesene Theorie handelte. In diesem Sinne wurde Galilei 1616 zur Zurückhaltung ermahnt. Dass er dann 15 Jahre später doch noch durch die Inquisition verurteilt wurde (wenn auch relativ mild), löst Verwunderung aus. Dabei haben aber offensichtlich andere Gründe die entscheidende Rolle gespielt.

3. Die Kirche als Feind des wissenschaftlichen Fortschritts?

Grundsätzlich muss festgehalten werden: Es war nicht die Angst vor der Römischen Kirche und der Inquisition, die Galilei jahrelang daran hinderte, sein Plädoyer für das heliozentrische Weltbild zu veröffentlichen. Und es war auch nicht die nackte Angst vor der Folter, die ihn 1633 im Prozess bewegte, seine Verteidigung des Kopernikanischen Weltbildes zurückzunehmen und auf einmal das Gegenteil zu behaupten.

Seriöse Biographen10 weisen schon seit Jahren darauf hin, dass man diese Theorie sehr wohl in Rom kannte und diskutierte. Vor allem die damals dort wissenschaftlich führenden Jesuiten standen dieser Anschauung sogar sehr aufgeschlossen gegenüber.

Widerstand erwartete und erfuhr Galilei vor allem von Seiten seiner Wissen­schaft­lerkollegen. Die große Mehrheit der Gelehrten und Professoren hielt zäh an dem alten Weltbild und den daraus gezogenen philosophischen Folgerungen fest.

Thomas Kuhn hat in seinem Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revo­lu­tionen“ dazu auf etwas sehr Interessantes aufmerksam gemacht: Im Lauf der Geschichte war es oft genug nicht die Kirche, die den wissenschaftlichen Fortschritt behindert hat, sondern die sog. „Wissen­schaftsgemeinschaft“, d.h. die etablierte Profes­soren­schaft, die an den „alten Zöpfen“ hing11 . So war das auch bei Galilei. Er fürchtete sich davor, sich vor seinen gelehrten Kollegen lächerlich zu machen.

Viele Wissen­schaftler favorisierten damals das Modell von Tycho Brahe, das einen Kompromiss zwischen Geozentrik und Heliozentrik herzustellen versuchte12 . Es gab eigentlich nur einen, der Galileis pro­kopernikanische Argu­mentation von Anfang an unterstützte: Das war der junge Johannes Kepler in Prag (später Regensburg), den Galilei aber in seiner Arroganz missachtete. Er hielt ihn nicht einmal für würdig, ihm eines seiner Fernrohre zur Verfügung zu stellen, die er sonst an alle möglichen Großen seiner Zeit großzügig verteilte. Kepler musste sich ein solches Gerät erst in Regensburg borgen, um die astronomischen Entdeckungen Galileis nachprüfen zu können.

Als Galilei in Rom 1615/16 erstmals zum Thema Weltbild befragt wurde, standen ihm in der Kurie und bei den Jesuiten Leute gegenüber, die es ausgesprochen gut mit ihm meinten. Eine Reihe von ihnen – unter anderem der Papst selbst – verehrten ihn als hochangesehenen Gelehrten. Aus diesem Grund wurde auch kein Inquisitionsverfahren gegen ihn eröffnet und seine Schriften kamen nicht auf den Index (die Liste der für Katholiken verbotenen Bücher). Das Einzige, was man ihm vorhielt, war, dass er keine exakten Beweise für sein „neues“ Weltbild vorlegen konnte oder wollte. Er behauptete zwar, er habe solche, aber er hielt es nicht für angebracht, sie vorzustellen. Man würde sie sowieso nicht begreifen, – das war seine arrogante Begründung. Einige Jahre später hat Galilei dann z.B. als Begründung für die Rotation der Erde die Gezeiten der Meere (Ebbe und Flut) angeführt. Das war falsch, zumal Kepler schon damals die wahre Ursache in der Anziehungskraft des Mondes vermutete, – wie es später durch Isaac Newton auch nachgewiesen wurde.

Es versteht sich fast von selbst, dass man Galilei damals in Rom zur Zurückhaltung aufforderte (Kardinal Bellarmin). Er sollte sein „neues“ Weltbild nicht als Tatsache vertreten, solange dafür nicht ausreichend Beweise vorlagen. Das wird man kaum als Haltung der Wissenschafts- und Fortschrittsfeindlichkeit auslegen können – auch wenn man sich wundert, dass man die von Kepler schon 160913 veröffentlichte Entdeckung der elliptischen Bahnen (1. Keplersches Gesetz) dabei scheinbar einfach ignorierte oder falsch einschätzte.

4. Der Eklat von 1632

Noch mehr verwundert es, dass es 15 Jahre später doch noch zu einem Inquisitionsprozess gegen Galilei kommen konnte, – da sich doch die Indizien für die Richtigkeit des heliozentrischen Weltbildes im Laufe der Jahre mehrten. Für dieses Verfahren waren offenbar andere Gründe ausschlaggebend als wissenschaftliche Argumente. Dies wird bei der Beurteilung des Falles Galilei meist übersehen. Darum will ich zum Schluss noch darauf eingehen.

Es waren vor allem zwei Probleme, die Galilei auf eine Katastrophe zusteuern ließen: sein Charakter (a) und politische Veränderungen (b).

a) Galileis Persönlichkeit

Galilei war ein schwieriger Charakter. Darin sind sich die Biografen einig. Schon als Student hatte er den Spitznamen „Zänker“. Er war eigensinnig und überempfindlich. Er besaß das seltene Talent, überall Feindschaft zu erregen, selbst da, wo man schon lange nicht mehr das geozentrische Weltbild verteidigte. Einer der Biografen bringt es auf die Formel: „Genie plus Überheblichkeit minus Bescheidenheit = Galilei“14 . A. Koestler schreibt:

„Seine Methode war, den Gegner lächerlich zu machen – und damit hatte er immer Erfolg, gleichgültig ob mit Recht oder Unrecht… Die Methode erwies sich als ausgezeichnet, um im Augenblick Triumphe zu feiern – und sich Feinde fürs Leben zu schaffen.“15

Galilei war davon überzeugt, dass nur er allein wissenschaftliche Entdeckungen machen könne. Alle anderen hielt er für unfähig. Er ignorierte andere Forscher und teilte ihnen seine Forschungsergebnisse nicht mit. Dieses Verfahren praktizierte er – nach anfänglicher Sympathie – auch gegenüber Kepler.

Als er 1633 gegenüber der Inquisition behauptete, in seinem „Dialogo“ habe er nicht das geozentrische Weltbild angegriffen, sondern es vielmehr verteidigt, da war das eine derart dreiste Lüge, dass selbst seine Richter offenbar sprachlos waren. Man kann dieses Verhalten nur mit einer „pathologischen Verachtung seiner Zeitgenossen“ erklären. Am Ende ließ man ihn nur seine Aussage unterschreiben und schickte ihn als „hoffnungslosen Fall“ einfach nach Hause.

b) Politische Veränderungen

Dramatisch wurde das Ganze, als sich Galilei auch noch mit dem Papst selbst anlegte. Urban VIII. galt ursprünglich als Freund und Bewunderer Galileis. Aber er war ein ebenso eingebildeter und machtgieriger Despot. So konnte man es schon vorher absehen, dass es irgendwann zum Krach zwischen beiden kommen musste. Der Punkt war erreicht, als sich der Papst durch Galileis Buch „Dialogo“ (1632) betrogen und beleidigt fühlte. Zunächst hatte sich Galilei die päpstliche Druckerlaubnis erschlichen mit dem Versprechen, er wolle das geozentrische Weltbild verteidigen. Das war, wenn man sich den Text des Buches ansieht, offensichtlich nicht der Fall.

Den Ausschlag aber gab wohl, dass Galilei Urbans Lieblingsargumente gegen die Kopernikanische Lehre im Buch einem Einfaltspinsel (Simplicio) in den Mund legte, dessen Ansichten sich ständig als falsch erwiesen. Der Papst musste in Simplicio eine Karikatur seiner selbst sehen, obwohl Galilei das bestritt.

Das führte dazu, dass die Freundschaft zwischen beiden in erbitterte Feindschaft umschlug. Im gleichen Jahr führte Urban eine Säuberungsaktion im Vatikan durch, der fast alle Gönner Galileis zum Opfer fielen16 . Am Ende wurde Galilei verurteilt, nicht etwa weil er der Bibel widersprochen hatte, sondern weil er sich den Anordnungen des Papstes widersetzte.

Papst Urban hat den Prozess gegen Galilei aus persönlicher Rache angezettelt. Die Richter waren keineswegs gegen Galilei voreingenommen. Bei der von Papst Johannes Paul II. 1979 angeordneten Wiederaufnahme des Verfahrens stellte sich heraus, dass 3 von 10 Richtern ihre Unterschrift unter das Urteil verweigert haben, indem sie vorher abreisten. 1992 wurde Galilei offiziell vom Vatikan rehabilitiert.

Schlussbemerkung

Wenn man einen Blick auf die historischen Fakten wirft, stellt sich der Fall Galilei ganz anders dar, als man ihn gewöhnlich kennt.

Der Mann war nicht der „Held“ der Wissenschaft, der gegen den mittelalterlichen Aberglauben der Katholischen Kirche kämpfte. Galilei blieb bis an sein Ende gläubiger Katholik. Im Vorwort zu seinem „Dialogo“ äußert er, dass es ihm darum ginge, im Einklang mit der Bibel und dem kirchlichen Lehramt zu stehen. Und selbst wenn man dieses Vorwort als taktische Variante einstuft, bleiben gleichlautende Zitate aus privaten Briefen, die über jeden Propagandaverdacht erhaben sind.

Galilei war alles andere als ein nichtchristlicher, moderner Aufklärer. Er bemühte sich, die sich ergebende Differenz zwischen Wissenschaft und Glaube mit den Mitteln seiner Zeit zu überwinden. Gerade wegen dieses Bemühens geriet er in Konflikt mit den Lehrautoritäten der Kirche. Das muss man beachten, um aus Galilei nicht einen falschen Helden zu machen, wodurch man nur den Geschichtsklitterungen der Nachaufklärungszeit Vorschub leistet.

aus Theologische Handreichungen


  1. Thomas Schirrmacher spricht für 1964 von knapp 6.000 Titeln der Galilei-Bibliografie, die inzwischen auf fast 8.000 angewachsen sein dürften (vgl. Schirrmacher, Galilei-Legenden, Bonn 1995; zusammenfassender Aufsatz im Internet, siehe: Professorenforum-Journal 2000/1). 

  2. Was aber mit den damaligen Messmethoden gar nicht möglich war; auch von ihm selbst nie behauptet wurde. 

  3. Geozentrisch = die Erde steht im Mittelpunkt, um sie herum bewegen sich die Planeten; heliozentrisch = die Sonne steht im Zentrum, die Planeten bewegen sich um sie herum (auch die Erde). 

  4. Nicht von Galilei selbst, wie er selbst offenbar eine Zeitlang behauptet hatte. 

  5. Die Inquisition gab es seit dem Mittelalter. Es war die für Lehre und Irrlehre zuständige katholische Instanz. 1965 wurde die Inquisition durch Paul VI. aufgelöst und in die „Kongregation für Glaubenslehre“ umgewandelt, deren Vorsitzender Kardinal Ratzinger von 1981-2005 war, ehe er Papst wurde. 

  6. In diesem Verfahren ging es vor allem darum, dass sich die päpstliche Kurie nicht die Deutungshoheit über die Bibel aus der Hand nehmen lassen wollte. Das Lehramt der Kath. Kirche galt schon immer als unfehlbar. 

  7. Vgl. dazu ausführlicher: Gottfried Herrmann, Das Weltbild der Bibel, in: THI 2010/3, S. 2ff. 

  8. Wenn man behauptet, die Bibel habe das babylonische Weltbild übernommen, geht man davon aus, dass die fünf Bücher Mose nicht von ihm stammen, sondern erst im Babylonischen Exil (6. Jh. v.Chr.) zusammengestellt wurden! 

  9. Kepler kam 1600 nach Prag an den Hof Rudolf II. und wurde Nachfolger von Tycho Brahe. Er hat dessen über Jahre gesammelten astronomischen Beobachtungsergebnisse ausgewertet 

  10. Vgl. Arthur Koestler, Die Nachtwandler, Die Entstehungsgeschichte unserer Welterkenntnis, Frankfurt/M. 1980, S. 362f. 

  11. Thomas Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt ²1969. 

  12. Der berühmte Prager Astronom Tycho Brahe(1546-1601) z.B. hatte einen vielbeachteten Kompromiss zwischen Geozentrik und Heliozentrik entwickelt: Die Erde steht zwar im Mittelpunkt und die Sonne kreist um sie herum, aber alle anderen Planeten kreisen um die Sonne (Tychonisches Weltbild). 

  13. In seinem Buch „Astronomia nova“, in dem er seine ersten beiden „Gesetze“ veröffentlichte. 

  14. A. Koestler, aaO., S. 374. 

  15. Ebd., S. 459. 

  16. Die Aktion richtete sich vor allem gegen den Medici-Clan, dessen Gunst sich Galilei seit Jahren erfreute.