Brauchen wir endlich einen neuen Gott, weil der alte rückständig geworden ist? Und brauchen wir einen eloquenten Reformator, der uns diesen neuen Gott schmackhaft macht? So legt es der einflussreiche amerikanische Pastor Rob Bell mit einem Buch nahe, das auch auf dem deutschen Markt zu haben ist.
Rob Bell. Mit dir. Für dich. Vor dir. Was Gott ist. Und was nicht. Asslar: Gerth Medien, 2015. 240 S. 14,99 €. ISBN: 978-395-734-066-5
Das Buch ist in vieler Hinsicht einfach schlecht. Ich bespreche es nicht, weil es mir Freude macht, ein Buch zu kritisieren, sondern weil es wahrscheinlich eine weite Verbreitung finden und trotz allem einigen Einfluss ausüben wird. So ist es jedenfalls mit dem ersten Buch (Love wins) von Rob Bell gewesen, mit dem er recht erfolgreich für eine Form der Allversöhnung eintrat, in der die Liebe und Barmherzigkeit Gottes am Ende niemanden verurteilen wird. Trotz dem Wissen darüber wurde Rob Bell auf Willow-Creek Kongresse auch nach Deutschland eingeladen. Er hat die Allversöhnung auch unter Evangelikalen in Deutschland wieder hoffähig gemacht. Aber ich halte das Buch nicht deswegen für schlecht, weil der Autor viele Meinungen vertritt, die ich aus guten Gründen nicht teile. Ausdrücklich auch nicht, weil er die Rettung aller Menschen erwartet. Diese Lehre ist durch viele Jahrhunderte der Christenheit in unterschiedlichen Facetten vorgetragen worden und in meinem Bücherregal stehen gute Bücher dazu, die mich trotzdem nicht überzeugt haben.
3 Gründe, warum Bells Buch einfach schlecht ist
Rob Bells Buch ist zuerst deswegen schlecht, weil man sich immer wieder fragt, an wen sich die Argumentation eigentlich richtet. Der größte Teil scheint Menschen im Blick zu haben, die nicht an Gott glauben können, die entweder Atheisten oder Agnostiker sind. Nur erscheint es mir zweifelhaft, dass man solche Menschen z.B. mit pauschalen Verallgemeinerungen darüber ansprechen kann, was immer mehr Ottonormalverbraucher – wie es in der deutschen Übersetzung heißt – angeblich über Gott denken.
Mit abenteuerlichen und falschen Argumentationsketten mag man Menschen blenden, aber christliches Überzeugen ist das nicht.
Aber dann finden sich vor allem Beispiele von Enttäuschten aus dem konservativ-evangelikalen Lager. Man fragt sich zweifelnd, ob sich Bell vielleicht nur an solche richtet, die vom konservativ bibeltreuen Glauben abgefallen sind. Da kommen enttäuschte Pastorenfrauen zu Wort, eine an der Ablehnung der Leitungsfunktion von Frauen Verzweifelte, manche, die nicht verstehen, warum Homosexualität Sünde sein soll, andere, die keinen Gott akzeptieren, der Menschen verurteilt. Aber sind das diejenigen, die dann Gott ganz leugnen? Wohl kaum, und für sie wäre dann mehr als ein Drittel des Inhalts deplatziert.
Und irgendwie scheint Rob Bell auch zu seinen konservativen Beobachtern und Kritikern zu sprechen. Nicht direkt zwar, aber die Ohrfeigen, die er austeilt, scheinen mir nicht allein dazu zu dienen, sich bei denen beliebt zu machen, die von Konservativen enttäuscht sind. Diese Zielgruppen in einem Buch zu vereinen, ist denkbar unglücklich.
Zweitens ist das Buch schlecht, weil es abenteuerliche Argumentationsketten bietet und auf Sachargumenten aufbaut, die schlicht falsch genannt werden müssen. Rob Bell will allen Ernstes Menschen zum Glauben einladen, indem er mit der Quantentheorie behauptet, dass man nicht erklären könne, warum die Glühwendeln im Toaster rot und nicht blau leuchten. Man ahnt, worauf er hinaus will: Die Menge an Unerforschtem soll einen Menschen in Staunen und Wundern versetzen. Dieses Wundern scheint dann schon eine Vorstufe zum Glauben zu sein oder gar der Glaube selbst. Seine Ausflüge in die Physik sind aber durchweg von so wenig Fachwissen gefärbt, dass es unverständlich ist, wie ihn Jürgen Mette in seinem Vorwort gleich zum Astrophysiker befördern konnte. Rob Bell gibt in seinen Anmerkungen am Schluss selbst zu, dass er sich das alles in populärwissenschaftlichen Büchern angelesen hat. Das hat er noch einmal so vereinfacht, dass am Ende vieles einfach nicht mehr stimmt. Wer die moderne Physik kennt, wird die Argumente lächerlich finden, wer – wie es Jürgen Mette im Vorwort von sich zugibt – keine Ahnung hat, wird vielleicht geblendet sein.
Glauben wir an Gott, den Vater, und nicht an Gott, die Mutter, weil der Pflug erfunden wurde?
Wenn nun Rob Bell versucht, die Bibel zu erklären, ist das nicht weniger abenteuerlich. Warum spricht die Bibel von Gott als Vater? Bell behauptet, dass die Menschen anfangs Göttinnen verehrten, weil die Frauen die Feldarbeit gemacht hatten und die Göttinnen um Fruchtbarkeit baten. Als die Arbeit auf dem Feld durch die Erfindung des Pfluges schwerer wurde und die Männer ran mussten, wurden die Götter eben männlich. Folglich ist es eine Sache der Umstände und endlich eine Geschmacksache, ob wir Göttinnen oder Götter anbeten. Bell bemüht statt Quantenphysik nun Religionsgeschichte, bricht ein paar zweifelhafte Theorien auf Kindergartenniveau herunter und das Ergebnis ist beschämender Unsinn.
Rob Bell gefällt sich als einflussreicher Mensch mit Sendungsbewusstsein, während er seine Kritiker als „Scharfschützen auf Glaubensdächern“ abkanzelt.
Drittens ist das Buch schlecht, weil der Autor weiß, dass er vom Time Magazin schon zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt gezählt wurde. Er gefällt sich darin und das färbt das Buch (für mich) unangenehm. Rob Bell scheint sich beim Schreiben selber zuzuschauen und ist auch sein eigener Fan, der sich Beifall gibt, wenn eine Idee ihm gelungen erscheint. An einigen Stellen finden sich seine Kommentare für sich selbst gleich in Klammern eingefügt („Ich finde, jetzt bräuchte es einen Trommelwirbel oder Ähnliches.“). Rob Bell sieht sich als eine Art Reformator, der am Puls der Zeit lauscht. Nur er hat die entscheidenden Wandlungen im Gottesverständnis festgestellt und kann die irreführenden Gottesbilder früherer Zeiten durch ein modernes Verständnis ersetzen. Das Buch atmet dabei Selbstgefälligkeit gepaart mit Sendungsbewusstsein. Wem’s gefällt!? Nur christlich ist das nicht.
Die Argumentationskette
Werfen wir einen Blick auf die Botschaft, die Rob Bell seinen Lesern weitergeben will. In der Bewegung des Zeitgeistes erkennt er, dass die Menschen Gott ablehnen, weil der „mit unserer modernen Welt (nicht) Schritt halten“ kann. Das althergebrachte Gottesbild ist ein in die Jahre gekommener Oldtimer1 , der nur von „geistlichen Wächtern, Scharfschützen auf den Glaubensdächern“ verteidigt wird, aber ansonsten „mickrig, eng, unbedeutend, gemein, nicht besonders schlau“ daherkommt. Aber Rob Bell hat erkannt, dass die Gottesvorstellung derzeit so im Wandel ist, dass es wert ist, den Oldtimer abzustoßen und sich ein aktuelles Modell zuzulegen. Diesen neuen Gott stellt Bell nun ins Schaufenster.
Er beginnt beim religiösen Gefühl: „Ich spürte, wie etwas Erhabenes anfing, in mir zu summen.“ Es ist der „Geschmack oder Schimmer, wenn wir spüren und uns zutiefst bewusst wird, dass es da ‚mehr‘ im Leben gibt“. Dieses Summen will Bell nicht zu den „althergebrachten, überlieferten religiösen Erfahrungen“ führen, sondern sucht „andere Wege“. Er selbst sei auf diesen Weg durch eigene Zweifel gelangt und durch einen Berater, der ihn in der Krise begleitet habe. Er bleibe Christ, denn seine „Erfahrungen mit Jesus haben mein Denken und mein Herz geöffnet für einen größeren, weiteren, sich weiter ausstreckenden, geheimnisvollen und liebenden Gott, dem, so glaube ich, tatsächlich etwas an dieser Welt liegt.“ Damit der neue Gott nun aber nicht zu bedrängend wird, steckt Bell die Grenzen so weit, wie nur möglich. Es bleibt mit diesem Gott alles offen, im „sowohl als auch“. Und im Übrigen sei das Wesentliche gesagt, wenn Gott „mit, für, voraus“ ist. Voraus ist Gott als eine Energie und Macht, die immer bei uns und für uns da ist, weil er fortschrittlich ist und immer mit der Zeit geht. Er ist nie irgendwo „hinten festgefahren“, immer modern und uns vorwärtsbringend.
Rob Bell verbindet alles mit allem und stolpert von der Gravitation über schwarze Löcher holterdiepolter vorbei an Quarks, dem Toaster und der Seele schließlich zu Gott.
Rob Bell versucht zuerst, über ein paar Ausflüge in die Physik beim Leser einen Geschmack für das Unendliche zu befördern oder ihn auch nur daran zu erinnern, dass er diesen Geschmack, dieses Summen doch irgendwie kennt. Das führt über die Rotverschiebung des Lichtes, die Gravitation, die schwarzen Löcher, Erdbeben, die Relativitätstheorie holterdiepolter irgendwie zu den Quarks, das Higgs-Bosom, den Toaster, die Körperzellen, das Atom, die Seele und zu Gott: „Das klingt ein bisschen nach Gott, denn wenn ich von Gott rede, dann rede ich über eine Wirklichkeit, die erkannt, geführt, erfahren wird, aber die nicht an einem bestimmten physikalischen Ort in irgendeiner Weise lokalisiert werden kann“. Eine seltsame Argumentation, aber in Bells Weltbild hat doch alles irgendwie mit allem zu tun und hinter allem steckt irgendwie Gott. So sind ihm diese lockeren Assoziationsketten zulässig und ersetzen tragfähige Argumente.
Zulässig erscheinen Rob Bell auch Geschichtsverzerrungen. Er passt alles in seine Geschichtsphilosophie ein, die an Hegel erinnert. Das Mittelalter war finster und alles wurde nur damit erklärt, dass Gott es so gesagt habe. Die Aufklärung und Newton2 erklärten alles rationalistisch, pflegten eine reduktionistische Weltsicht und behaupteten, alles erklären zu können. Davon müssten wir uns jetzt wieder befreien, weil nicht alles erklärt werden kann, und wieder für das Wundersame, Göttliche, Seltsame offen werden. Dabei müsse aber alles Reden von Gott im „sowohl als auch“ bleiben. Besser geeignet scheint das Gefühl, das Ahnen, das Erleben, dass dies oder das noch eine tiefere Dimension hat. Und diese Dimension ist dann Gott, der immer und überall dabei ist, die göttliche Energie, die irgendwie alles belebt und alles mit allem verbindet. „Wenn wir aber von Gott sprechen, sprechen wir von der schlüssigen Behauptung, dass alles eine einzelne, allgemeine Quelle hat und unbegrenzt, endlos und zutiefst miteinander verknüpft ist“.
Das führt Rob Bell zu seinem „Evangelium“, das einfach heißt, dass Gott für uns ist. Das könne man dann erleben, wenn man ehrlich sein Versagen, seine Schwachheit und Hilfsbedürftigkeit eingestehe. Dann aber diene der christliche Glaube der Entfaltung und Entwicklung des Menschen. Das sei nicht auf den christlichen Glauben beschränkt, auch andere Religionen könnten (Es kommt eine Werbepause für den Dalei Lama.) nach dem Eingeständnis der eigenen Grenzen, „zu einem besseren Selbst und einer besseren Zukunft für uns alle“ verhelfen. Die Menschen dürfen nur nicht der „Wahrheit über das göttliche Vorwärtsbringen“ widerstehen.
Bell meint, was die Bibel sagt, sei in früherer Zeit ein Fortschritt gewesen. Wer aber heute darauf baut, der glaube an den Gott einer überholten Stammesreligion.
Was die Bibel für Rob Bell bedeutet, ist nicht wirklich klar3. Offenbarung von Gott ist sie nicht, aber sie scheint auch nicht nur Ausdruck menschlicher Frömmigkeit zu sein. Sonst müsste sich Bell nicht bemühen, manches Schwerverdauliche der Bibel zu erklären. Er greift dabei zu seiner Geschichtsphilosophie: Da Gott dauernd die Welt und die Menschen nach vorne bringt, sind etliche Aussagen der Bibel für frühere Zeiten ein Fortschritt gewesen. Da wir aber heute viel weiter sind, sollten wir nicht wieder zum Überholten zurückkehren. Das funktioniert ganz gut mit vielen sexualethischen Bestimmungen, aber auch mit der Frage nach dem Dienst der Frau. Wenn ich richtig verstehe, dann wendet Rob Bell sein Prinzip auch auf die Gottesvorstellung an: Was zu Zeiten der Bibel ein Fortschritt im Gottesbild war, das ist heute überholt, nur ein Oldtimer, der von manchen noch gepflegt wird, aber eben nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist.
Auf der Höhe der Zeit ist in Bells Augen offenbar ein religiöses Gefühl, das sich an eine positive Energie hängt, die überall zu finden ist und uns alle vorwärts bringt, ganz wie es der Titel sagt: Mit dir, für dich, vor dir: Das ist Gott. Dass das biblisch ist, will Bell wieder assoziativ an den hebräischen Wörtern ruach (Geist, Wind, Atem, Hauch) und kabod (Herrlichkeit) erweisen. Leider zeugt das auch nur von vorgetäuschter Sprachkenntnis und ist keine Bibelauslegung. Beide Begriffe gehören zur Gottesoffenbarung, können aber nicht von dieser abgetrennt werden.
Fazit
Bleibt zum Schluss die Frage, warum Christen von solcher Frömmigkeit begeistert sein können und Rob Bell als „eine Mischung aus Einstein-Versteher, Astrophysiker und Evangelisten“ verehren, der über ungewöhnlich hohe Sachkenntnis verfüge. So jedenfalls scheint es, wenn man das Vorwort von Jürgen Mette gelesen hat. Ehrlich gesagt, habe ich keine Antwort darauf. Ich warne nur davor, das halbgare Physikwissen zu übernehmen und irgendwo als Argument zu benutzen. Damit kann man sich und die christliche Botschaft nur lächerlich machen. Für seine Bibelauslegung gilt das erst recht.
Bells Botschaft ist im Übrigen ein alter Hut. Man kann sie – brillant vorgetragen – besser in Friedrich Schleiermachers 200 Jahre alten Reden über die Religion lesen. Ich hoffe ehrlich, dass aufgrund dieses schlechten Buches nicht wirklich jemand erwägt, Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, wie er sich uns durch die Bibel offenbart hat, gegen eine positive Energie á la Rob Bell einzutauschen. Auch wer sich von Bell verstanden fühlt, weil er innerhalb der konservativ-bibeltreuen Christenheit verletzt und enttäuscht wurde, möge sich bitte nicht täuschen lassen, sondern einen anderen Weg suchen, seine Verletzungen zu überwinden. Er muss dazu den wahren Gott und sein Wort nicht über Bord werfen.
Bell bietet als Werbung für sein Buch auch einen kurzen Videoclip mit seinem Oldtimer und ein paar seiner Thesen. https://www.youtube.com/embed/rG1CDec4qkg?rel=0 ↩
Newton war kein Rationalist im heutigen Sinn. Bell scheint seine ontologische Naturphilosophie damit zu verwechseln. ↩
Inzwischen ist allerdings sein Buch zur Bibel auch erschienen, in dem er das genauer erklärt. Die Besprechung lesen sie ->hier. ↩