ThemenPredigten und Bibelarbeiten

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ – Hebräer 13,14 im Kontext des ganzen Briefes

Jesus ist der Mittler eines neuen Bundes. Das dieser Selbstanspruch nicht ohne Spannungen zu erzeugen neben dem traditionellen Judentum existieren kann, bleibt außer Frage. Der Hebräerbrief hilft, diese Spannung aufzulösen und gibt damit den angefochtenen Christen damals wie heute Kraft.

1. Die Zeit der Wende vom alten zum neuen Bund

Versetzen wir uns gedanklich in die 60er Jahre des ersten Jahrhunderts – in die Welt des Judentums mit seinem Zentralheiligtum in Jerusalem. Der lang erwartete und von den Propheten angekündigte Messias aus der königlichen Linie Davids war gekommen und hatte sein Volk heimgesucht. Doch nur ein Teil hatte ihm Glauben geschenkt, denn er kam nicht als politischer Erlöser oder „Brotkönig“, sondern, wie vorausgesagt, als „Schlachtschaf“, als „Lamm Gottes“, um die Sünden der Welt zu tragen für jeden, der ihn annehmen würde. So verläuft seither die Trennlinie nicht mehr zwischen äußerlich beschnittenen „Juden“ und äußerlich unbeschnittenen „Nichtjuden“, sondern nur noch zwischen Menschen innerlicher Beschnittenheit und inner­licher Unbeschnittenheit des Herzens, ungeachtet der Herkunft und des Geblüts. Allein von der gläubigen Annahme des Messias Jesus und dem aufrichtigen Bekenntnis zu ihm hängt seither die Unterscheidung zwischen „Volk“ und „Nichtvolk“ ab, zwischen „Schafen“ und „Böcken“, „Weizen“ und „Unkraut“ oder „nütz­lichem Kraut“ und „Dornen und Disteln“ – nicht aus selbst verdienter „Gesetzes­gerechtigkeit“, sondern aus der von Gott un­ver­dienterweise zugerechneten Gerech­tig­keit des Messias aufgrund persönlicher Glau­bens­­hingabe (Joh 1,11-13; 9,39; Mt 8,11-12; Röm 2,25-29; 3,20-30; 4,25; 5,18; 10,1-13; 1Kor 6,11 – Recht­fertigung durch Glauben).

2. Das nahende Ende der „gegenwärtigen“ Stadt

Als Folge dieser heilsgeschichtlichen Wende war das Ende des alten, überkommenen Heilssystems nahe gekommen. Das Salz war „schal“ geworden und im Begriff, „hinausgeworfen“ und „zertreten zu werden“. Der „alte, brüchig gewordene „Schlauch““ des Gesetzesjudentums der Pharisäer konnte den neuen, lebendigen Wein der Erweckung durch den Geist des Messias „nicht mehr halten und musste zerreißen“.

Der Tempel von Jerusalem mit seinem Schlachtopferdienst – unwirksam geworden aufgrund des vollbrachten Sühneopfers des Messias – diente nur noch als „Höhle“ der priesterlichen „Tempelräuber“ (Röm 2,21-22; Mt 21,13; 23,37) wie ehedem vor dem ersten Fall Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnezar 587 v. Chr. Die tragische Geschichte wiederholte sich (vgl. Jer 7,11) – diesmal als Enderfüllung der Warnun­gen durch die Propheten. Aber noch präsentierte sich dem nur auf äußerliche Herrlichkeit gerichteten Auge ein erhabener, allen heidnischen Kulten überlegener Jerusalemer Gottesdienst, der weltweite Beachtung genoss und jährlich Millionen von Besuchern aus allen Nationen anzog und Reichtümer anhäufte.

3. Messias-gläubige Juden unter dem Druck des herrschenden Judentums

Mittels der idumäischen Proselyten-Dynastie der mit Rom verbündeten Herodianer und den nie versiegenden Einkünften durch das erpresserische Tempelsteuersystem konnte die herrschende, Jesus-feindliche, korrupte Elite Jerusalems nicht nur auf die Judenheit samt ihren Millionen von Proselyten in der ganzen Welt (vgl. Mt 23,15; Apg 2,5-11) Einfluss, sondern auch Druck auf das Kaiserhaus Roms ausüben, um die Nachfolger des Messias Jesus – jüdische wie nichtjüdische „Christianer“, wie sie laut Apg 11,26 erstmals in Antiochien genannt wurden – blutig zu verfolgen. (Joh 16,1-4; Mt 23,34; Apg 21,27-36; 22,22; Hebr 10,32-34; Offb 1,9 u.v.a.)

Doch diesem Druck der Ächtung, der Verfolgung und Repression seitens ihrer Volksgenossen schienen offenbar nicht alle jüdischen Gläubigen standhalten zu können, die sich zu dem Messias Jesus bekannt hatten. Sie liefen Gefahr zurückzuschauen und so „am Ziel ihres Glaubens vorbeizugleiten“, wie ehedem ihre Vorfahren in der Wüste nach Ägypten „zurückgeblickt“ und sie so „das Ziel des gelobten Landes nicht erreicht hatten“, sondern erst ihre Kinder.

4. Das irdische Schattenbild der alten, vorläufigen Heilsordnung

Von den Führern ihres eigenen Volkes dem Fleische nach wurden diese an Jesus als Messias und Sohn Gottes glaubenden Juden als Frevler gebrandmarkt.

  • Sie wurden aus den Synagogen ausgestoßen (vgl. Joh 9,34), weil sie beschuldigt wurden, „die Herrlichkeit des Gesetzesbundes Moses, des Dieners Gottes“, verlassen und damit den (vermeintlich) ewigen „Sinai-Bund“ „verworfen“ zu haben (dagegen Jer 31,31ff. mit 32,40).
  • Des Anrechts auf das Erbe „Abrahams“, das Land der irdischen „Sabbat-Ruhe“, waren sie für verlustig erklärt worden.
  • Sie wurden für schutzlos gehalten, weil sie die schon damals im hellenistisch beeinflussten Judentum in Mode gekommene Anrufung und kultische „Verehrung der Engelwelt“ als Schutzgeister nicht mehr praktizierten.
  • Sie erregten Anstoß unter ihren Volksgenossen, weil sie die „fremdartigen“ und nutzlosen asketischen „Speisegebote“ nicht mehr hielten, die im zunehmend bibelfremden, abergläubisch-folkloris­tischen Spät­judentum vorherrschend wurden und gegenüber nicht­jüdischen Menschen ungebührlich trennend wirkten.
  • Sie mussten die „Schmach tragen“, an einen gedemütigten und scheinbar gescheiterten, von den Römern als Verbrecher gekreuzigten „Messias“ zu glauben.
  • Sie wurden der „Lästerung“ bezichtigt und „verspottet“ (2Petr 3,3ff.), weil gemäß der Messias-Verkündigung „das gegenwärtige Jerusalem“ (Gal 4,25) bald nicht mehr die „Stadt des großen Königs“ (Mt 5,35), sondern gerichtsreif war und die gerechte „Vergeltung aller Blutschuld vom Himmel her über Stadt, Tempel und Land nahe gekommen“ sei (vgl. Mt 23,35-38), ohne dass es dafür bislang Anzeichen gegeben hätte.
  • Die Sündenvergebung wurde ihnen abgesprochen, weil sie sich dem täglichen Opferdienst der Leviten im Hause Gottes nicht mehr unterstellten und die Endgültigkeit der aaronitischen Ordnung in Abrede stellten. Kraft dieser pflegte der Hohepriester am Großen Versöhnungstag durch den Vorhang hindurch das Innerste des Herodianischen Tempels zu betreten, um für sich und das fromme Volk durch Besprengung des Altars mit Opfertierblut Sühnung vor Gott zu erwirken.

Die Herrschenden meinten also, selber alles zu besitzen und Gott auf ihrer Seite zu haben. Sie wähnten sich kollektiv „selbst“ als „der Sohn Gottes“ (Hos 11,1) und Abrahams legitimer Erbe und Besitzer des Lan­des. Wer dieses „Vorrecht“ als Jude verwarf, war ausgeschlossen und verdiene den Tod, so urteilten sie.

5. Die himmlische Wirklichkeit der neuen, ewigen Heilsordnung: „Besser, größer, erhabener, höherstehend, wirksamer“ als der alte Bund

In dieser Glaubensnot der Gefahr des Rückfalls und auf diesen Verfolgungsdruck hin, dem die beschnittenen Messias-Jünger am ganzen Erdkreis ausgesetzt waren, schrieb jemand, dessen Namen wir nicht kennen, die wohl gewaltigste Apologie und Auslegung der biblischen Heilsgeschichte, die wir überhaupt besitzen, den sogenannten „Hebräerbrief“. Deutlicher und ausführlicher als in den meisten anderen Schriften des Neuen Testaments sind darin die messianischen Weissagungen ausgelegt. Anhand einer Fülle von biblischen Belegen und Zitaten unterzog er die verkehrte judaistisch-antimessianische (= anti-christliche) Sichtweise einer Fundamentalkorrektur und führte aus:

  • Gottes endgültiges Wort am Ende dieses levitischen Zeitalters geschah durch den wahren Sohn Gottes, Jesus, den Erben aller Dinge. Nur an ihm allein hatte der Höchste Wohlgefallen gefunden angesichts der Gerichtsreife seines Volkes.
  • Dieser war auf Erden nur kurze Zeit unter die Engel erniedrigt, um in allem – ausgenommen die Sünde – den Menschen gleich und so ein wahrer Mittler, Erlöser und Hoherpriester zu werden, der allein für sie eintreten kann, auch und gerade, wenn sie Verfolgung litten, weil auch er gelitten hat. Er ist aber gemäß der Verheißung durch die Auferstehung und Einnahme des Herrscherthrons „zur Rechten der Erhaben­heit in den Himmelshöhen“ um soviel erhabener als alle Engel geworden, die als dienstbare Geister ihn anbeten sollen, der mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt und dem alles unterworfen ist.
  • Er ist nicht nur erhabener als die Engel, weil er von Anfang an ist und in alle Ewigkeit bleibt, sondern er ist auch größer als Mose, so wie der Erbauer des Hauses größerer Herrlichkeit und Ehre gewürdigt wird als der Diener des Hauses.
  • Jesus ist auch größer als Josua, denn dieser hatte das Volk nur in die vorläufige Ruhe eines – sehr unruhigen – irdischen Landes geführt. Die Propheten jedoch hatten von einer endgültigen Sabbatruhe geweissagt, die noch ausstand. In diese Ruhe himmlischer Landverheißung führt der wahre „Josua“ (Jehoschua/Jeschua, lat. „Jesus“) alle, die sich ihm, dem Anfänger (Urheber, Begründer, Anführer) und Vollender des Glaubens, als seine Genossen anvertraut haben und diese anfängliche Glaubenszuversicht bis zum Ende standhaft festhalten.
  • Jesus ist auch größer als Aaron und seine hohenpriesterlichen Söhne, denn diese waren mit Schwach­heiten behaftet und sündig, sodass sie zuerst für sich selber ein Opfer zur Vergebung bringen mussten, bevor sie vor Gott für andere eintreten durften. Jesus aber als erhabener Hoherpriester ist untadelig, ohne Sünde und vollendet, sodass er sich selbst als Opfer darbringen und so Urheber ewigen Heils für alle werden konnte, die sich heiligen lassen und sich nicht auf vergebliche Opfer sterblicher Priester verlassen, die doch niemals Sünden wegnehmen können.
    Das Hohepriestertum des Mes­sias ist eine ewige Heilsordnung ohne Anfang und ohne Ende, unver­änderlich und unübertragbar (vgl. Ps 110; Mt 22,41-46). Es beruht nicht auf dem Gesetz eines fleischlichen Gebots wie der alte Bund, sondern auf der Kraft eines unauflöslichen Lebens und hat das schwache, sterbliche levitisch-aaronitische Priestertum abgelöst. Dieses war im Begriff, zu Ende zu gehen und ein für allemal zu ver­schwinden samt allen kultischen Einrichtungen des Tempels und den darin archivierten jüdischen Stamm­baum-Registern (vgl. Hebr 8,13), denn leibliche Abstammung und Geblüt sind in dem angebrochenen Königreich des Messias keine Kategorien mehr.
  • Das Zelt der Offenbarung in der Sinai-Wüste, die „Stiftshütte“, und der spätere Opferdienst im Tempel von Jerusalem waren nur ein gleichnishaftes Abbild, eine Vorschattung der kommenden wahren Dinge, wie sie in dem „neuen“ und „besseren Bund“ des vergossenen Blutes des Messias und seines vollbrachten Sühneopfers schließlich erfüllt worden sind. Der Verfasser des Hebräerbriefes deutet viele dieser Einrichtungen des am Sinai-Berg von Gott gebotenen Opferdienstes als ein Gleichnis für das Werk der Sündenerlösung des Messias Jesus und seiner Gegenwart inmitten des Volkes des neuen Bundes.
  • In Erfüllung des jährlichen „Großen Versöhnungstages“ (3Mose 16) der alten Ordnung ist Jesus als wahrer Hoherpriester mit seinem Blut ein für allemal in das größere und vollkommenere Zelt hineingegangen, das nicht mit Händen gemacht ist, d.h. nicht von dieser Schöpfung, und hat eine ewige Erlösung erfunden. Der „Vorhang“, durch den er den Weg zur Erlösung und den Zutritt seiner Nachfolger zum Thron der Gnade gebahnt hat, ist sein Fleisch. Darum ist er Mittler eines neuen Bundes geworden zur Erlösung von den Übertretungen des ersten Bundes. Er hat den ersten Bund weggenommen, um den zweiten aufzurichten, der ein ewiger Bund ist, durch den Gottes Gesetz in die Herzen der Gläubig­gewordenen und in ihre Sinne geschrieben wird. „Wo Vergebung gewährt worden ist, bedarf es keines Opfers mehr für die Sünde“ (Hebr 10,18 nach Jer 31,33-34).
  • So „wirksam“ das Blut war, das Abel mit dem besten seiner Lämmer im Glauben an das zukünftige Opfer des Messias dargebracht hat, und so unschuldig noch mehr sein eigenes Blut war, das sein neid­erfüllter Bruder Kain vergossen hatte, so redet das durch die Obersten der Brüder seines Volkes (Apg 13,27) aus Neid vergossene Blut Jesu, des Mittlers des neuen Bundes „besser“, „wirksamer“, „unschul­diger“ als Abels Blut.

6. Die wahre zukünftige „Stadt, die Grundlagen hat“

Aber nun kommt gleichsam der Höhepunkt biblischer Unterweisung für die angefochtenen messiasgläubigen Hebräer: Schon die wahren Gläubigen des alten Israel lange vor der Wende hatten nicht einfach an ein irdisches, vergängliches Land und eine irdische Stadt mit einem sichtbaren, anfassbaren kultischen Gottes­dienst geglaubt. Sie hatten vielmehr in festem Glauben unbeirrbar auf das zukünftige, unerschütterliche Reich des damals noch unsichtbaren Messias geblickt, das Gott für sie vorbereitet hatte. So heißt es im Hebräerbrief (Auswahl aus Kapitel 11):

„Durch Glauben verließ Mose Ägypten und fürchtete die Wut des Königs nicht; denn er hielt standhaft aus, als sähe er den Unsichtbaren. Und selbst Abraham erwartete keine irdische Stadt, sondern die Stadt, die Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Alle hatten sie solcherart den Messias erwartet und in standhaftem Glauben die Verheißung von ferne gesehen und begrüßt. Sie hatten bekannt, dass sie Fremdlinge und Gäste1 auf der Erde seien. Denn die solches sagen, zeigen deutlich, dass sie eine Heimat suchen [epizeteo: suchen, erstreben, wollen, wünschen]. ‚Darum schämt sich Gott nicht, ihr Gott genannt zu werden, denn er hat ihnen eine Stadt bereitet.‘ Hebr 11,16“

Damit ist belegt, dass die Alten das irdische Land Kanaan nicht als ihre wahre Heimat verstanden hatten. Wie also konnten nun hebräische „Christianer“, jüdische Messias Jesus-Gläubige, in die Versuchung geraten, wiederum zu dem vergeblichen irdischen Opferdienst zurückzukehren und sich des Messias zu schämen? Wie konnten sie sich neuerlich „an einer Stadt orientieren“, über die schon„ Johannes der Täufer “ die „Feuer­taufe des Endgerichts“ ausgerufen hatte, die der auf den Richterstuhl Israels erhöhte Messias (Apg 2,34-36) an ihr vollziehen würde und deren Zeitpunkt unaufhaltsam näher rückte? Hatte dieser in seinen irdischen Tagen den Seinen nicht geboten, rechtzeitig „aus der Stadt zu entweichen“, bevor die auf sie hin geweissagten letzten „Tage der Vergeltung“ anbrechen würden? (Lk 21,20-24)

7. „Wir haben hier keine bleibende Stadt“

„Deshalb hat auch Jesus, um das Volk durch sein eigenes Blut zu heiligen, außerhalb des Stadttores gelitten. So wollen wir denn zu ihm vor das Lager hinausgehen und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt [= Wohnstätte, Heimat], sondern suchen die zukünftige.“ (Hebr 13,13-14)

So vermittelt der Verfasser eine zweifache Botschaft. Indem er (1) gleichnishaft an die Stiftshütte anknüpft (vgl. 3Mose 16,27) und auffordert, „hinauszugehen, außerhalb des Lagers, und seine [des Messias] Schmach zu tragen“, drückt er die unausweichliche Notwendigkeit aus, sich von den Einrichtungen des alten Bundes zu trennen, ohne zurückzuschauen. Denn die noch dem alten Opferdienst im Tempel dienten und sie schmähten, hatten in Wahrheit „kein Anrecht, am [wahren] „Opferaltar zu essen“ (13,10).

Zugleich war dieses Wort (2) eine unmissverständliche Absage an die Illusion, dass mit dem „gegenwärtigen“ „Jerusalem“ – oder sonst einer irdischen Metropole oder Einrichtung – eine heilspolitische Verheißung verbunden sei.

Es war Zeit, das Gebot des Meisters zu befolgen und angesichts der bevorstehenden, geradezu „kosmischen Erschüt­te­rungen“ von Stadt und Land auszuziehen, die der landesweite Aufstand der nationalistisch radikali­sierten Juden und ihre Niederwerfung durch die Römer, des göttlichen Richters Werkzeug, bringen würde. So wie die gläubigen Hebräer des alten Israel als wahre „Kinder Abrahams“ (Gal 3) im vorausschauenden Glauben „eine himmlische, unvergängliche Heimat suchten und erstrebten“, wurden die Hebräer des neuen Israel, des „neuen, besseren Bundes“, aufgefordert und ermutigt, die bevorstehende Erfüllung der Verheißung zu „suchen“: die zukünftige, unvergängliche „Stadt des lebendigen Gottes“, das „himmlische Jerusalem, das auch Abraham gesucht hatte“! Als „Teilhaber des neuen Bundes in dem Messias“ besaßen sie in allen Belangen des Heils das „Bessere“, während die Diener des alten Bundes, die sich reich wähnten, in Wahrheit nichts mehr besaßen, das vor dem lebendigen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs Gültigkeit hätte.

8. Wehe denen, die ihre Hoffnung auf eine „vergängliche Stadt“ setzen

Umso mehr gilt auch uns Menschen des 21. Jahrhunderts diese Ermutigung und die Warnung vor der Illusion eines irdischen Gottesstaates. Immer wieder wurde in der Geschichte dieser selbstherrliche Irrweg gesucht, nicht nur 66–74 n.Chr., sondern auch weiterhin in den wiederkehrenden falschen Messiasbewegungen des jüdischen und samaritanischen Nationalismus wie 115–117 unter Trajan und 132–135 unter Hadrian mit dem Versuch, den Tempel in Jerusalem wiederzuerrichten, sowie 484, 529, 614 vor dem Arabersturm und auch danach bis in die Neuzeit.

Auch in der Geschichte der Christenheit gab es Versuche der Etablierung „heiliger“ politischer Reiche „aus Gottes Gnaden“ unter Außerachtlassung des Messias-Wortes, dass sein Reich „nicht von dieser Welt“ ist. Die anfängliche Gleichsetzung der Herrschaft Gottes mit dem „christianisierten“ Römerreich wie auch der spätere Anspruch des „Heiligen Stuhls“ in Rom auf das „Patrimonium Petri“ („Vermögen des Petrus“) führten nach dem Zerfall des Römischen Reiches unter Berufung der Päpste auf die – später als Fälschung enttarnte – „Konstantinische Schenkung“ schließlich zum monarchischen „Kirchenstaat“ und der absolutistischen Papstherrschaft. Deren religiöser Totalitarismus verursachte in der Geschichte grauenhafte Gemetzel unter christlichen, nichtkatholischen Waldensern, Anabaptisten, Katharern, taufgesinnten Friedenskirchen und Hugenotten wie auch Pogrome unter Juden, ebenso die Herrschaft der „christlichen“ Kreuzfahrer in Palästina unter Andersgläubigen.

Ähnliche Bestrebungen gab es auch in der islamischen Welt wie das Kalifat der Mahdi-Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts, die auch die zeitgenössischen „Gottesstaats“-Ansprüche der Islamisten mit inspiriert hat.

9. Wider einen anti-christlichen „Zionismus“

Doch auch die rückwärtsgewandten, politisch-militärischen, pseudomessianischen Judenstaat-Phantasmen nehmen offenbar kein Ende. Im vergangenen Jahrhundert und bis heute haben wir erlebt, dass unter missbräuchlichem Rückgriff auf das Buch Josua und unter dem Beifall christlicher Steigbügelhalter – in Verkennung des Charakters des „neuen Bundes als Reich des Friedens des Messias“ – durch zugewanderte gewaltbereite Siedler ein exklusiv „jüdischer“ Staat angestrebt und mit „Großisrael“ als Endziel schließlich ausgerufen worden ist, geistesgeschichtlich ein Hybrid zwischen Marxismus und spätjüdischem Nationalismus des 19. Jahrhunderts. Damals wie heute wurde und wird um eines behaupteten „göttlichen Erbrechts“ willen eine indigene Bevölkerung mit Waffengewalt völkerrechts- und bibelwidrig verdrängt. Doch schon Sacharjas Weissagung hatte dagegen­gehalten: „Nicht durch Heeresmacht, noch durch Gewalt oder menschliche Kraftanstrengung, sondern durch den Geist des Erlösergottes sollte der wahre Tempel des neuen Bundes durch den Messias gebaut werden“ (4,6; 6,12f.). Einzig gültige „Waffe“ „des“ „wahren Gottesvolkes“, die bedeutsamerweise auch und gerade im Hebräerbrief geboten wird, ist „das lebendige und wirksame Wort Gottes, schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist und ein Richter der Gedanken und Gesinnung des Herzens“ (Hebr 4,12; vgl. Eph 6,17; 2Kor 10,4).

10. Der erhöhte Messias Jesus, unsere Gegenwart und Zukunft – auch die Deine?

Was ist uns diese alles überwältigende Erkenntnis wert, wie sie uns die ursprünglichen „Augen- und Ohrenzeugen“ bestätigt und wahrheitsgetreu überliefert haben (Hbr 2,2-4)? Ist nicht die einzig redliche Konsequenz die, sich diesem „ein für allemal erhöhten und verherrlichten Messias“-„König aller Könige“ rückhaltlos anzuvertrauen für Zeit und Ewigkeit, um schon jetzt der unzählbaren Schar von versammelten Messiasgläubigen anzugehören, wie sie den Briefempfängern in Hbr 12,22-24 bildhaft vor Augen gestellt werden?

„Ihr seid zu dem Berge Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, herangetreten und zu vielen Tausenden von Engeln, zu einer Festversammlung und zur Gemeinde der im Himmel aufgeschriebenen Erstgeborenen und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten, und zu Jesus, dem Mittler des neuen Bundes, und zum Blute der Besprengung, das wirksamer redet als [das Blut] Abels.“

Welch eine machtvolle Botschaft, die geeignet ist, Messias Jesus-Nachfolger aller Zeiten, auch und gerade in Verfolgung und Repression um seines Namens willen, und solche, die unter dem Druck von Versuchungen und Zweifeln stehen und unter Todesdrohungen und Misshandlungen leiden, zu ermutigen, am inwendigen Menschen zu stärken und standhaft durchzutragen!

Keine noch so herrliche Stadt, keine irdische Heimat, nichts und niemand könnte überbieten, was das wahre Volk Gottes in dem Messias Jesus für Zeit und Ewigkeit geschenkt bekommt, wenn es„ in Glauben und Bekenntnis unbeirrbar und standhaft an ihm festhält“ und ihm allein in hingebender Liebe dient, zu seiner Verherrlichung und Ehre – koste es, was es wolle!

Gehörst Du zu ihm?


  1. griech. „parepidemos“: jemand, der für eine kurze Zeit an einem fremden Ort weilt.