ThemenGemeindeleben

Gemeindezucht zwischen unbiblischer Härte, Notbremse in Notfällen und völligem Ausfall

Welchen Weg zeigt die Bibel und wie ist er praktisch zu gehen?

Gemeindezucht ist ein Reizwort in unseren Tagen. Sucht man Literatur dazu, wird man nur spärlich etwas finden. Auch bei Umfragen in den Gemeinden stellt man fest, dass dieses Thema immer mehr zum Problem wird. Man sucht nach Alternativen. Man meidet den Begriff Gemeindezucht und wählt Begriffe wie Gemeindeseelsorge, Gemeindekorrektur. Man streicht Mitglieder von der Liste und spricht nicht mehr von Ausschluss. Man empfiehlt Mitgliedern, die Gemeinde zu verlassen, damit man nicht den Weg des Ausschlusses gehen muss.

Während die einen das Thema der Gemeindezucht meiden, gehen andere rigoros vor. Auch in unseren Tagen gibt es Gemeinden, die Missbrauch mit Gemeindezucht treiben. Da wird der biblische Weg der Gemeindezucht verlassen, um mit unbiblischer Härte und Strenge die Gemeinde in Zucht zu halten. Es scheinen insbesondere gesetzliche Gemeinden dieser Praxis zu verfallen. Denn für sie steht an oberster Stelle die Heiligung und Reinigung der Gemeinde. Um uns diesem Thema zu widmen, müssen wir den biblischen Befund hierfür in Betracht ziehen.

Was ist Gemeindezucht?

Der Begriff „Gemeindezucht“ wird so in der Bibel nicht verwendet und wird aus diesem Grund von einigen abgelehnt. Auch in unserem heutigen Sprachgebrauch hat der Begriff eine negative Assoziation. Zucht wird häufig mit Züchtigung oder mit Zuchthaus in Verbindung gebracht und scheint deshalb unangemessen zu sein. In der Regel ist mit Gemeindezucht aber der Gemeindeausschluss gemeint. Doch dies ist meines Erachtens eine Engführung des Begriffes. Der Ausschluss aus der Gemeinde ist im Prozess der Gemeindezucht sicher einer der letzten Schritte, aber bei weitem nicht der einzige. Wer Gemeindezucht auf Gemeindeausschluss reduziert, missachtet alle biblischen Hinweise auf die seelsorgliche Vorgehensweise im Gemeindeleben. Ein guter Arzt wird, bevor er eine Amputation vornimmt, alles Erdenkliche tun, um diesen Eingriff zu vermeiden. Da mag schon manche schmerzhafte Behandlung vorausgegangen sein, aber wenn alles andere nicht hilft, ist auch im Sinne des Patienten eine Amputation der Weg zur Genesung. Das gegenseitige Zurechtweisen, Korrigieren und Ermahnen in Liebe gehört zum alltäglichen Gemeindeleben dazu. Gemeindezucht ist im biblischen Verständnis nicht von der Gemeindeseelsorge zu trennen.

Bereits im AT werden die Begriffe Zucht und Ermahnung synonym verwendet (vgl. Sprüche 12,1; 15,5). Auch in Mt 18,15-22 lesen wir, dass Jesus aufruft, den anderen zunächst zurechtzuweisen, wenn er sündigt. Hört er nicht, dann soll man den nächsten Schritt gehen. Deshalb ist Gemeindezucht:

1.1 Seelsorge aneinander

Die Bibel ruft alle Gläubigen dazu auf, füreinander da zu sein

Die Bibel ruft alle Gläubigen dazu auf, füreinander da zu sein (Hebr 10,24). Dabei soll  einer den anderen höher achten als sich selbst (Gal 6,1-2). Christen tragen füreinander Verantwortung, ob sie es wollen oder nicht. Im Deutschen spricht man von Seelsorge. Im Griechischen haben wir verschiedene Begriffe, die den seelsorglichen Aspekt in der Gemeindearbeit gut beschreiben. Das meist verwendete Wort parakaleo meint soviel wie trösten, ermahnen, bitten oder gut zureden. Schon statistisch gesehen gehört dieses Wort zu den häufigsten Begriffen im NT wenn es um Einflussnahme auf den anderen geht. Das Verb kommt 109-mal und das Substantiv 29-mal im NT vor.

In Hebr 3,12-13 werden wir ermutigt, täglich einander seelsorglich zu ermahnen, um so vor der Sünde bewahrt zu bleiben. Ein weiterer Begriff noutheteo bedeutet soviel wie den Sinn zurechtsetzen, jemanden etwas ans Herz legen, aber auch jemanden ermahnen; vgl. Kol 1,28; 3,16. Ein wunderbares Beispiel finden wir in der Apg 20,31 bei Paulus.

Unter Tränen hat Paulus drei Jahre lang Tag und Nacht jeden in der Gemeinde ermahnt. Das griechische Wort merimnao bringt noch stärker die Sorge um den anderen zum Ausdruck (vgl. 1Kor 12,25-26). Seelsorge aneinander meint also nicht einfach, dem anderen die Meinung sagen, sondern ist im wahrsten Sinne des Wortes die Sorge um die Seele bzw. das Seelenheil des anderen, für ihn da sein, an seiner Not Anteil nehmen. Wer diese Last des anderen trägt und sich auf diese Weise um den anderen sorgt, hat bereits den Weg der biblischen Gemeindezucht beschritten. Vgl. auch weitere Bibelstellen wie Röm 15,14; Eph 4,16; 1Thes 5,14; Hebr 10,24-25.

1.2 Erziehung der Gemeinde

Zunächst muss festgehalten werden, dass alle Gläubigen von Gott erzogen werden. Er ist unser Vater und wir sind seine Kinder. In diesem Verhältnis übernimmt Gott die Erziehung (Hebr 12,5-13). Doch das gleiche griechische Wort, elencho, das in Hebr 12,5 steht, wird in 1Tim 5,20 (auch in Mt 18,15) verwendet. Hier wird Timotheus aufgefordert, Menschen, die in Sünde leben, zurechtzuweisen, um sie zu erziehen. Ein wesentlich häufigeres Wort ist paideuo, was erziehen im allumfassenden Sinn heißt. In Titus 2,11-12 ist die Gnade Gottes unsere Erziehung, damit wir nicht der Sünde dienen, sondern gerecht und gottesfürchtig leben. Gott liegt viel daran, dass seine Kinder rechtschaffen leben.

Und so wie ein Vater seine Kinder erzieht, sollen Menschen in der Gemeinde unterwiesen werden, das Richtige zu tun. Paulus sieht sich selbst gelegentlich in der Rolle eines Vaters für die Gläubigen (1Thes 2,11-12). Jedoch wie bei der Erziehung eines Kindes muss bedacht werden, dass dies in Liebe geschehen muss. Erziehung geschieht auch nicht nur durch Unterweisung, sondern auch durch das eigene Vorbild (vgl. Joh 13,15; 1Kor 4,16; 11,1; Eph 5,1; 1Thes 1,6-7). In diesem Sinne ist die Erziehung auch eine Form der Gemeindezucht in der Gemeinde.

1.3 Reinigung und Heiligung der Gemeinde für Christus

Gemeindezucht hat auch ganz sicher etwas mit der Reinigung und Heiligung der Gemeinde zu tun. Gott ist ein heiliger Gott, und er will, dass seine Kinder in Heiligung und Reinheit leben. Deshalb bemüht sich Gott selbst, uns zu heiligen (Eph 5,26-27). Jesus benutzt das Bild vom Weinstock und dem Weingärtner, der jede Rebe abschneidet, die keine Frucht bringt. Reben, die Frucht bringen, reinigt er, damit sie noch mehr Früchte tragen (Joh 15,2). Paulus spricht vom Sauerteig, der entfernt werden muss, damit nicht der ganze Teig durchsäuert wird (1Kor 5,6-7). Sünde darf nicht leichtfertig geduldet werden, weder im Leben des Gläubigen noch in der Gemeinschaft der Gemeinde. Wie durch einen faulen Apfel im Obstkorb alle anderen Äpfel von der Fäulnis befallen werden, wenn er nicht entfernt wird, so kann die Sünde des Einen viele mitreißen. Mit Recht schreibt Calvin:

„Zum zweiten hat die Zuchtübung der Kirche den Zweck, dass nicht die Guten, wie es zu geschehen pflegt, durch den fortgesetzten Umgang mit den Bösen verdorben werden. Denn bei unserer Neigung zum Abbiegen vom Wege geschieht nichts leichter, als dass wir durch schlechte Vorbilder von der rechten Lebensrichtung weggeleitet werden.

Diesen Nutzen der Kirchenzucht hatte der Apostel im Auge, als er den Korinthern die Weisung gab, sie sollen den Blutschänder aus ihrer Gemeinschaft verweisen“ (Calvin Institutio IV, 12,5).

Gemeindezucht dient der persönlichen Heiligung und der Heiligung der ganzen Gemeinde

Niemand ist ohne Sünde, aber wer sündigt, muss sie bekennen (vgl. 1Joh 1,5-10). Gemeindezucht dient der persönlichen Heiligung und der Heiligung der ganzen Gemeinde.
Es darf nicht übersehen werden, dass es hier um das Zusammenwirken der verschiedenen Aspekte der Gemeindezucht gehen muss. Es geht nicht nur um Fürsorge oder um Erziehung oder um Heiligung der Gemeinde, sondern es geht um das Sowohl-als-auch.

2. Wer übt Gemeindezucht aus?

2.1 Gott selber

Es ist erstaunlich, wie drastisch Gottes Maßnahmen sein können, wenn er Menschen zurechtweist. In Apg 5,1-5 wird uns berichtet, dass Ananias und Saphira sofort sterben mussten. In 1Kor 11,28-32 weist Paulus im Zusammenhang mit dem Missbrauch des Abendmahls darauf hin, das Gottes Erziehungsmaßnahmen auch Krankheit und Tod bedeuten können. Ohne Zweifel ist dies nicht Gottes generelle Vorgehensweise, sonst wären wir vermutlich alle nicht mehr da. Aber Gott meint es ernst. Diese Textstellen zeigen in erster Linie, wie verheerend die Sünde ist und nicht, wie hart Gottes Erziehungsmittel sind. Die Bibel zeigt uns, dass wir einen gnädigen, geduldigen und barmherzigen Gott haben (vgl. Röm 2,4). Doch er wartet nicht tatenlos auf die Umkehr des Sünders, sondern er bemüht sich mit allen Mitteln, ihn zurechtzubringen (Hebr 12,5-13). Deshalb übt Gott in erster Linie Gemeindezucht aus.

2.2 Die Gemeindeleitung

Kommt es jedoch zu einem Gemeindeausschluss, trägt die ganze Gemeinde Verantwortung

Gott setzt in jeder Gemeinde eine Gemeindeleitung ein, damit sie die Gemeinde anleitet. Sie trägt auch die Verantwortung für die Gemeinde (vgl. Hebr 13,7). Deshalb soll sie dafür sorgen, dass die Gemeinde gut versorgt wird (Apg 20,28). Paulus ermahnt insbesondere die Gemeindeleitung, in der Verantwortung der Seelsorge voranzugehen (vgl. 2Tim 4,2). In diesem Sinne trägt die Gemeindeleitung die Hauptverantwortung für die Gemeindezucht (2Tim 2,24-26). Kommt es jedoch zu einem Gemeindeausschluss, trägt die ganze Gemeinde Verantwortung.

2.3 Die Gemeinde

Bereits im AT hat Gott die ganze Gemeinde aufgerufen, den Sünder zu bestrafen (vgl. 3Mo 24,14-16). Der Gemeindeausschluss, der im Gegensatz zum AT keine Bestrafung ist, ist aber nach Mt 18,7 ebenfalls eine Angelegenheit der ganzen Gemeinde. Es ist nicht der Einzelne, der über einen Gemeindeausschluss befinden kann, sondern es ist die ganze Gemeinde, die zum einen betroffen ist und zum anderen den Verlorenen zurückgewinnen will, und wenn das nicht möglich ist, wird er von der Gemeinde ausgeschlossen (vgl. auch 1Kor 5,4+12-13). Da Gemeindezucht aber nicht erst mit dem Ausschluss beginnt, sondern bereits die Sorge um den anderen meint, haben wir zahlreiche Bibelstellen, die jeden Gläubigen und damit die ganze Gemeinde aufrufen, Gemeindezucht zu üben (vgl. Mt 18, 15-17; Gal 6,1-2; 1Thes 5,14; Hebr 10,24).

2.4 Jeder soll sich selbst prüfen

So hilfreich die Seelsorge sein mag, jeder Gläubige trägt auch Verantwortung für sich selbst (1Jo 3,3). Paulus erinnert die Gemeindeleitung daran, zuerst auf sich selbst zu achten (vgl. Apg 20,28-31) und dann auf die Gemeinde.

In 1Kor 11,28-32 wird im Kontext des Abendmahles darauf verwiesen, dass jeder sich selbst prüfen soll, bevor man am Abendmahl teilnimmt. Auch der Hinweis in 2Kor 13,5 macht deutlich, dass wir für uns selbst Verantwortung tragen und deshalb auf unseren Lebenswandel achten sollen. Die zahlreichen Unterweisungen in der Bibel richten sich in der Regel zunächst an den Gläubigen, der sein Leben vor Gott führt und vor Gott verantwortlich ist (z. B. Gal 6,3-4). Deshalb ist Gemeindezucht auch Selbstzucht (vgl. 1Kor 9,27).

Es ist jedoch gut, dass man nicht nur für sich selbst Sorge trägt, sondern dass auch andere da sind. Und nicht zuletzt ist Gott selbst unser guter Hirte (Joh 10; Mt 18,12-14), der Sorge darum trägt, dass keines seiner Schafe verloren geht. Damit wird die Zielrichtung bereits angedeutet:

3. Warum soll Gemeindezucht ausgeübt werden?

3.1 Heiligkeit, Friede und Gerechtigkeit

Gottes Ziel der Erziehung ist unsere Heiligung, das macht Hebr 12,10-11 unmissverständlich deutlich. Die Maßnahme mag nicht erfreulich sein, aber das Ergebnis ist Friede und Gerechtigkeit im Leben des Gläubigen. Gott will, dass wir heilig leben sollen, so wie er heilig ist (vgl. Röm 6,22; 1Kor 6,11; 1Thes 4,3-8). Deshalb dient die Gemeindezucht zu unserer Heiligung.

3.2 Umkehr und Buße

Wer seine Schuld bekennt, dem muss vergeben werden, weil Gott ihm vergibt

Heiligung ist ohne Buße und Abkehr von der Sünde nicht möglich. Darum ist die Gemeindezucht immer auf die Umkehr des Sünders ausgerichtet. In 2Kor 2,5-11 beschreibt Paulus, wie man mit einem reumütigen Sünder umgehen soll. Wer seine Schuld bekennt, dem muss vergeben werden, weil Gott ihm vergibt (vgl. Spr 28,13; 2Thes 3,14-15; 1Joh 1,9). Damit ist das Ziel der Gemeindezucht erreicht.

3.3 Wiedergewinnung

In Mt 18 spricht Jesus davon, dass man den sündigen Bruder zurechtweisen soll. Wenn er darauf hört, hat man ihn gewonnen. Es ist ein Gewinn für das Reich Gottes, wenn Menschen ihre Sünde erkennen und bekennen. Um diese Tatsache zu unterstreichen, erzählt Jesus das Gleichnis vom verlorenen Schaf und dem suchenden Hirten. Wenn er das Schaf gefunden hat, ist seine Freude groß. Und Jesus schließt mit den Worten:

„So will auch euer himmlischer Vater nicht, dass einer von diesen Kleinen verloren geht“ (Mt 18,12-14).

In Gal 6,1 spricht Paulus davon, dass der Fehlgeleitete wieder auf den rechten Weg gebracht werden soll. Das gleiche griechische Wort katartizo wird auch in Mk 1,19 und Mt 4,21 für das Netzeflicken benutzt. Dieses Wort kann man auch mit „etwas in Ordnung bringen“ oder „wiederherstellen“ übersetzen. Darum geht es in der Gemeindezucht, jemanden vollkommen wiederherstellen. Wie nach einem Unfall das Fahrzeug auf der Richtbank ausgerichtet wird, so soll der in Sünde Gefallene zurechtgebracht werden.

3.4 Errettung seiner Seele

In 1Kor 5,5 haben wir einen recht schwierigen Text, der hier nur kurz erläutert werden kann, damit das Ziel der Gemeindezucht deutlich wird. Paulus ist betroffen, dass ein Sünder, der in Hurerei lebt (1Kor 5,1), in der Gemeinde einfach geduldet wird. Deshalb fordert er die Gemeinde auf, mit ihm zusammen diesen Menschen „dem Satan zu übergeben zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet werde am Tage des Herrn“ (V. 5). Doch was meint Paulus damit? Es ging definitiv um eine schlimme Sünde, die selbst unter Heiden kaum anzutreffen war. Hurerei und pervertierter Geschlechtsverkehr waren bereits im AT Gräuel vor Gott (vgl. z. B. 3Mo 18). Scheinbar fühlten sich die Korinther geistlich so stark, dass sie glaubten, diese Sünde dulden zu können, ohne Schaden zu erleiden. Deshalb greift Paulus hier auf eine drastische Weise ein und ordnet an, diesen Menschen dem Satan zu übergeben. Auch in 1Tim 1,20 spricht Paulus, dass er Hymenäus und Alexander dem Satan übergeben hat. Beide Stellen machen deutlich, dass es eine Form des Ausschlusses ist, die der Zurechtweisung des Sünders dienen soll. Einige Ausleger sind der Meinung, dass Paulus hier vom physischen Tod der Sünder spricht, doch der Vergleich von 1Tim 1,20 und 2Tim 2,17; 4,14 macht deutlich, dass diese Menschen nicht gestorben sind bzw. getötet wurden, denn sie lebten weiter. Auch wäre der Hinweis in 1Kor 5,11, mit einem solchen auch keine Tischgemeinschaft zu pflegen dann überflüssig. Barrett kommentiert treffend:

„Aus dem Bereich ausgestoßen zu werden, in dem das Werk Christus galt, bedeutete nichts weniger, als in den Machtbereich des Satans ausgeliefert zu werden.“ (Barrett, Der erste Brief an die Korinther, S. 153.)

Man fühlt sich nie so kalt, als wenn man anfängt, sich an den heimischen Herd zu erinnern

Es mag schon stimmen, dass Menschen, die ausgeschlossen werden, sich verbittern und noch tiefer in die Sünde fallen, aber wer die ganze Wucht der Sünde zu spüren bekommt, wird erleben, wie qualvoll und enttäuschend die Sünde ist.

„Man fühlt sich nie so kalt, als wenn man anfängt, sich an den heimischen Herd zu erinnern“ (White, Heilung für Verwundete, S. 106).

Thiessen schreibt in einem im Internet veröffentlichtem Artikel:

„Gott lässt Menschen, die ihm nicht gehorchen wollen, sozusagen die Sünde ‚genießen’, bis sie satt sind und die schädlichen Folgen der Sünde selbst zu spüren bekommen und dadurch zur Umkehr gelangen … Damit ist wohl klar, dass Paulus durch die Aussage … ‚zum Verderben des Fleisches’ zum Ausdruck bringt, dass der Mensch, der wegen seines sündigen Verhaltens aus der Gemeinde ausgeschlossen wird und so in den Herrschaftsbereich Satans und der Sünde zurückfällt, an seinem eigenen Leib und seiner eigenen Person die Folgen der Sünde zu spüren bekommt. Das erhoffte Ziel ist die Umkehr, wodurch er (‚sein Geist’) am Tag des Herrn, d.h. wenn der Herr Jesus wiederkommt, gerettet würde (vgl. Röm 8, 9-11).“1

Es soll bereits hier deutlich gesagt werden, dass ein Gemeindeausschluss nicht gleichzeitig der Verlust des ewigen Leben bedeutet. Nur Gott entscheidet, wer ewiges Leben hat, darüber hat die Gemeinde keine Gewalt. Das Ziel der Gemeindezucht dient aber als Warnung auf dem Weg des Abfalls, damit der Sünder umkehrt und gerettet wird.

3.5 Warnung für die Anderen

Ein weiteres Ziel der Gemeindezucht ist die Warnung der anderen. In 1Tim 5,20 sagt Paulus unmissverständlich, dass andere durch die Zurechtweisung gewarnt werden sollen. Damit bekommt die Gemeindezucht einen vorbeugenden Charakter. Damit die Sünde nicht leichtfertige Nachahmer findet, soll dem Sünder deutlich die Grenze aufgezeigt werden. Dabei darf aber die Gemeinde nicht der Gefahr unterliegen, einer Person den „schwarzen Peter“ anzuhängen, um sie dann den anderen immer wieder vorzuführen. Der Missbrauch von Gemeindezucht wurde bereits in der frühen Kirche sichtbar. So werden im nordafrikanischem Bußkanon bei Petrus von Alexandrien vier Gruppen von Bestraften aufgeführt: Die Weinenden – sie standen vor der Kirchentür und flehten die anderen an, für sie in der Kirche zu beten, weil sie selbst nicht hinein durften. Die Hörenden – standen im Eingangbereich der Kirche und durften bereits dem Gottesdienst folgen. Die Knienden – hielten sich im Kirchenraum zwischen den andern auf, mussten aber den ganzen Gottesdienst auf Knien verbringen. Die Mitstehenden – durften wie alle anderen auch stehend den Gottesdienst verfolgen, aber sie waren vom Abendmahl ausgeschlossen. Dieses System wurde im Laufe der Zeit weiter verfeinert und katalogisiert. So schreibt z. B. Basilius von Cäsarea in den Jahren 374-376 n. Chr. in seinen Briefen 15 Jahre Gemeindezucht für Ehebrecher vor: 4 Jahre bei den Weinenden, 5 Jahre bei den Hörenden, 4 Jahre bei den Knienden und 2 Jahre bei den Mitstehenden. Man mag diese Maßnahmen als unsinnig bezeichnen, doch die Gemeinde von Jesus steht ständig in der Gefahr, die Gemeindezucht auch als Machtmittel zu missbrauchen (vgl. auch Stemmler, Heilende Gemeindekorrektur, S. 43-44).

3.6 Reinigung der Gemeinde

Wir haben bereits erwähnt, dass die Gemeindezucht der Reinigung und Heiligung dienen soll. In 1Kor 5,6ff. hat Paulus die Gemeinde im Blick. Es scheint, als hätte Paulus hier im Blick auf die Sünde mehr Sorge um das Verhalten der Gemeinde als um den Sünder. Paulus weiß natürlich, dass die Gemeinde nicht sündlos ist. Deshalb benötigen wir ständig Vergebung unserer Sünden. In 1Joh 1,7 lesen wir:

„Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut von Jesus, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde“.

Wenn aber ein Sünder seine Sünde nicht erkennt und bekennt, muss die Gemeinde eingreifen und den Sünder zurechtweisen.

„Wo keine Zurechtweisung oder Gemeindezucht erfolgt, sündigt die ganze Gemeinde“2

4. Wann soll Gemeindezucht ausgeübt werden?

Häufig werden nur bestimmte Sünden in der Gemeinde verfolgt

Wenn man Gemeindezucht so umfassend wie beschrieben versteht, dann ist sie ein beständiger Prozess des Gemeindelebens. Beobachtet man aber die Praxis in den Gemeinden, werden häufig nur bestimmte Sünden in der Gemeinde verfolgt. Laut Statistik sind es überwiegend Sünden im sexuellen Bereich. Außerdem werden Streit, Spaltung und Irrlehren als Grund für Gemeindezucht gesehen. Liest man Spr 6,16-19 werden 7 Sünden genannt, die Gott ein Gräuel sind: Stolze Augen, falsche Zunge, Hände, die unschuldiges Blut vergießen, ein Herz, das böse Intrigen plant, Füße, die sich beeilen, andere zu schädigen, falsche Zeugen und Streit zwischen Brüdern.

Erstaunlicherweise werden hier sexuelle Sünden gar nicht erwähnt, was nicht bedeutet, dass diese Sünden harmloser wären. Aber es muss deutlich gemacht werden, dass Gott jede Sünde hasst. Deshalb kann man sagen, dass Gemeindezucht immer dann geschehen muss, wenn eindeutige Sünden vorliegen.

4.1 Eindeutige Sünden

Sünde meint Zielverfehlung. Dort wo ein Mensch etwas tut, was gegen Gottes Bestimmung ist, sündigt er. Im NT findet man nirgends einen Gesamtkatalog aller Sünden. Auch bei Paulus werden immer wieder nur exemplarisch Sünden aufgezählt, wie Zwietracht und Ärgernis in Röm 16,17-18, Ungehorsam in 2Thes 3,6+14 (vgl. auch in Mt 18,17), Unzucht, Götzendienst, Lästerung, Alkoholismus, Raubdiebstahl usw. in 1Kor 5,1+11 und Irrlehre in 2Jo 10-11. Bei all diesen aufgezählten Sünden handelt es sich nicht um Meinungsverschiedenheiten noch um unterschiedliche kulturelle oder gesellschaftliche Gewohn- heiten. Es sind Dinge, die im Kontext der ganzen Bibel als Sünden bezeichnet werden.

4.2 Unbußfertigkeit

Die Bibel kennt keine weiteren Maßnahmen, wenn ein Sünder Buße getan hat

Sowohl in Mt 18,17 als auch in 2Kor 12,21 wird darauf hingewiesen, dass Gemeindezucht Folgen haben muss, wenn ein Sünder unbußfertig bleibt. Jedoch, sobald der Sünder Buße tut, ist die Gemeindezucht abgeschlossen und der bußfertige Sünder wiederhergestellt (vgl. 2Kor 2,7-11). Die Bibel kennt keine weiteren Maßnahmen, wenn ein Sünder Buße getan hat. Paulus ermutigt sogar die Korinther, den Bußfertigen mit Liebe und Vergebung zu begegnen.

5. Wie soll Gemeindezucht ausgeübt werden?

5.1 Fortschreitende Gemeindezucht (Mt 18,15-17)

Zunächst finden wir in Mt 18 die fortschreitende Gemeindezucht. Wer einen anderen sündigen sieht, soll hingehen und ihn zurechtweisen. Wenn der seine Sünde einsieht, ist die Gemeindezucht abgeschlossen (vgl. auch Lk 17,3).

Nur wenn der Betroffene seine Schuld nicht einsieht, sollen Zeugen hinzugezogen werden. Und wenn er auch auf sie nicht hört, soll die ganze Gemeinde ihn zurechtweisen. Wenn er auch auf die Gemeinde nicht hört, soll er als Heide und Zöllner (Mt 18,17), also als Ausgeschlossener, betrachtet werden. Diese Vorgehensweise schützt und hilft allen Beteiligten. Es könnte sein, dass sich jemand irrt und etwas als Sünde betrachtet, was keine Sünde ist. Dies kann bei der fortschreitenden Gemeindezucht aufgedeckt und korrigiert werden. Aber im Falle einer eindeutigen Sünde muss der unbußfertige Sünder gegebenenfalls durch viele die Überführung von seiner Schuld erfahren.

5.2 Mehrere Zeugenaussagen

Paulus macht in 2Kor 13,1-2 deutlich, dass es bereits im AT wichtig war, dass eine Aussage durch mehrere Zeugen bestätigt wird (vgl. 5Mo 19,15). Dabei geht es sicherlich darum, dass es nicht zu einer falschen Verurteilung kommt.

Deshalb ist es auch bei der Gemeindezucht wichtig, dass man unter Umständen mehrfach oder durch mehrere den Sünder ermahnt.

5.3 Formen der Gemeindezucht:

Bei genauerer Betrachtung der einschlägigen Bibelstellen lassen sich verschiedene Formen der Gemeindezucht erkennen:

5.3.1 Ermahnung, Zurechtweisung und Korrektur

Das Ermahnen, Zurechtweisen bzw. Korrigieren ist wohl die häufigste Form und der erste Schritt in der Gemeindezucht. Wie bereits erwähnt, kennt die Bibel verschiedene Begriffe für denselben Sachverhalt. Es handelt sich um Sünden, auf die eine Person hingewiesen werden muss. Dabei ist jeder in der Gemeinde gefragt (vgl. Apg 20,31; 1Thes 5,14; 2Tim 4,2).

5.3.2 „Bezeichnen“

Unerklärlich ist aber, wenn jemand trotz Buße für eine gewisse Zeit vom Abendmahl ausgeschlossen wird

Das Wort, das Paulus in 2Thes 3,14 verwendet, kommt nur einmal im NT vor und kann mit „sich merken“ oder „jemanden bezeichnen“ übersetzt werden. Gemeint ist wohl im Kontext, wer nicht auf das Wort von Paulus hört und unordentlich lebt, der soll unter besondere Beobachtung fallen. Es scheint dabei auch einen öffentlichen Charakter zu haben. Andere wissen, dass diese Person besonders beobachtet wird. Es scheint so etwas wie eine öffentliche Verwarnung zu sein, damit die Person erkennt, dass die Sachlage ernst ist. In manchen Gemeinden hat diese Textstelle zu der Praxis geführt, dass der Sünder vom Abendmahl ausgeschlossen wird, weil er in Sünde lebt, aber es ist noch kein öffentlicher Ausschluss aus der Gemeinde. Es ist eine Art Bedenkzeit für den Unbußfertigen. Diese Praxis lässt sich zwar nachvollziehen, ist aber von dieser Bibelstelle her nicht abzuleiten. Unerklärlich ist aber, wenn jemand trotz Buße für eine gewisse Zeit vom Abendmahl ausgeschlossen wird, damit er sich in der Gemeinde bewähren kann. Diese Praxis scheint jeglicher biblischer Grundlage zu entbehren.

5.3.3 Meiden

Im NT begegnet man einigen verschiedenen Formen des Meidens: Man soll sich abwenden von Menschen, die Streit und Ärger anrichten, insbesondere, wenn sie falsche Lehren aufbringen (Röm 16,17). Menschen, die ihre falschen Lehren trotz mehrfacher Korrektur nicht ablegen wollen, soll man meiden (Tit 3,10). Auch von Menschen, die unordentlich leben, soll man sich distanzieren (2Thes 3,6). Irrlehrer, die als solche bekannt sind, sollen weder aufgenommen werden, noch soll man sie grüßen (2Joh 10). Außerdem soll man keine Tischgemeinschaft mit Menschen haben, die sich Bruder oder Schwester nennen lassen, aber tief in der Sünde verstrickt und nicht zur Buße bereit sind (1Kor 5,11). Sowohl das Grüßen als auch die Tischgemeinschaft waren damals deutliche Zeichen der Identifikation mit den anderen. Deshalb waren die Pharisäer und Schriftgelehrten so entrüstet, als sie sahen, wie Jesus mit den Zöllnern und Sündern am Tisch aß (Mk 2,15-17). Eine Form der Gemeindezucht ist, dass man die Gemeinschaft mit der betroffenen Person völlig meidet. Detlev Fleischhammel meint: „In besonders gravierenden Fällen muss unbußfertigen Gläubigen auch der Besuch aller anderen Gemeindeveranstaltungen (selbst der Gottesdienstbesuch!) verboten werden“ (Fleischhammel, Den Bruder und die Schwester gewinnen, S. 119). Dabei scheinen in besonderer Weise Menschen mit falschen Lehren, Irrlehren und besonders schwerwiegenden Sünden gemeint zu sein, die ihre Sünde nicht erkennen und sich für geistlich halten.

5.3.4 Gemeindeausschluss

In der Regel wird die Person von der Gemeindeliste gestrichen und darf nicht mehr an den Mitgliederversammlungen teilnehmen

Die schwerwiegendste Form der Gemeindezucht ist der Ausschluss aus der Gemeinde. Eindeutig ist dies nach Mt 18,27 die letzte Konsequenz, wenn jemand nach längerem Bemühen nicht bereit ist, umzukehren. Auch die Textstellen in 1Kor 5,1ff. und 1Tim 1,20 zeigen uns, wie bereits erwähnt, dass es sich um weitreichende Folgen für den Betroffenen handelt. Der Ausschluss meint, dass man diese Person nicht mehr als Gläubigen anerkennt. „Er sei dir wie ein Heide und Zöllner“ (Mt 18,17), meint nicht, dass er ein Heide und Zöllner ist, sondern dass er nun betrachtet und behandelt wird wie einer, der nicht zur Gemeinde gehört. Die Form des Ausschlusses hängt von der Organisation der Gemeinde ab. In der Regel wird diese Person von der Gemeindeliste gestrichen und darf nicht mehr an den Mitgliederversammlungen teilnehmen. Er wird behandelt wie jemand, der nicht zum Leib des Christus gehört.

Damit übernimmt die Gemeinde wieder den Auftrag, ihn mit dem Evangelium zu erreichen. Ein solcher Gemeindeausschluss darf nicht übereilt vollzogen werden und muss immer in Liebe geschehen (vgl. Eph 4,1-2; 1Kor 13; 1Petr 4,8).

6. Wichtige Hinweise zur Gemeindezucht

6.1 Gemeindezucht ist keine Bestrafung für Sünden

Unmissverständlich macht das Wort in Jesaja 53,5 klar, dass die Strafe für unsere Sünden auf Christus liegt. Er ist für uns bestraft worden. Paulus unterstreicht diese Wahrheit, indem er deutlich macht, dass der Lohn für die Sünde der Tod ist, Gottes Gabe aber ist das ewige Leben (Röm 6,23). Deshalb wird im NT der Begriff Strafe nur im Zusammenhang mit dem Gericht über die Ungläubigen verwendet (vgl. 2Thes 1,9; Hebr 10,29; 2Petr 2,9; Jud 15).

Strafe hat etwas mit Schuldtragen oder Büßen für die Schuld zu tun. Züchtigung hat aber den Aspekt der Erziehung. Deshalb wird im NT nirgendwo im Zusammenhang mit Gemeindezucht von Bestrafung des Sünders im Sinne der Sühne für die Sünden gesprochen.

6.2 Gemeindezucht ist kein Gericht

Die Gemeinde ist nicht beauftragt worden, Gericht zu üben, geschweige denn sich zu rächen an Menschen, die in Sünde leben (Mt 7,1-5). Auch dann nicht, wenn dabei jemand verletzt oder schwer betroffen worden ist (Röm 12,19).

Gedanken wie „das geschieht ihm recht“ oder „der soll spüren, was er da angerichtet hat“ sind Verurteilungen, die sich nicht gehören. Gott wird zu seiner Zeit das gerechte Urteil über jeden Menschen sprechen (Hebr 10,30). Wo jedoch Sünde vorliegt, muss diese aufgedeckt und beim Namen genannt werden, denn wir wollen damit einander in Liebe und in gegenseitiger Achtung helfen (Gal 6,1-2). Womit aber nicht gesagt ist, dass unter Umständen bei gewissen Sünden, die gleichzeitig ein Verbrechen sind, eine Anzeige erfolgen kann. Wir sind auch Bürger eines Staates und haben uns nicht nur vor der Gemeinde zu verantworten, sondern auch vor dem Staat (Röm 13,1-5).

6.3 Gemeindezucht soll keine Feindschaft schaffen

Leider scheint die Gemeindezucht häufig für Spannung und Streit zu sorgen. Das liegt manchmal daran, dass man lieblos ermahnt oder dass man, statt zurechtzuweisen, den anderen beschimpft. Paulus ermutigt uns, den anderen nicht wie einen Feind, sondern wie einen Bruder oder eine Schwester zu behandeln (2Thes 3,15). Auch Jesus hat mit „Heide und Zöllner“ (Mt 18,17) nicht einen Feind gemeint, der zu meiden sei, sondern lediglich, dass die Person gesehen wird wie einer, der nicht zum Reich Gottes gehört. Häufig liegt es aber auch an den Betroffenen, die ihre Schuld nicht anerkennen wollen und sich verletzt zurückziehen. Hier gilt das Wort:

„Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden“ (Röm 12,18).

6.4 Gemeindezucht soll im Rahmen der Gemeinde geschehen

Sowohl Jesus als auch Paulus machen unmissverständlich klar, dass Gemeindezucht, zumindest wenn es um schwerwiegende Maßnahmen geht wie Ausschluss, nur im Rahmen der Gemeinde geschehen soll (Mt 18,17; 1Kor 5,13). Die Gemeinde ist der Leib des Christus (1Kor 12) und hier kann und soll gegenseitige Korrektur und Hilfe stattfinden. Deshalb ist in erster Linie die Ortsgemeinde gefragt, wenn jemand in Sünde lebt und Korrektur bedarf.

Deshalb tun christliche Werke wie Missionswerke oder Bibelschulen gut daran, wenn sie so eng wie möglich mit den Ortsgemeinden zusammenarbeiten.

6.5 Gemeindezucht muss in Demut geschehen

Allzu schnell unterliegt man der Gefahr, wenn man jemanden sündigen sieht, sich über ihn zu erheben. „Wie konnte das nur passieren?“, „Das wäre mir nie passiert!“. Diese Art von Gedanken und Worten sind in der Gemeindezucht fehl am Platz. Die Bibel gibt uns genug Warnung, was geschehen kann, wenn man überheblich wird (vgl. z.B. 1Kor 10,12; Gal 6,1-3). Deshalb sollten wir in Demut dem anderen begegnen. Wenn der Betroffene das spürt, wird er sicher manche Korrektur auch besser annehmen können.

6.6 Gemeindezucht bedeutet nicht Ausschluss aus dem Reich Gottes

Die Gemeinde entscheidet nicht darüber, wer zum Reich Gottes gehört und wer nicht

Manche Christen glauben, wenn jemand aus der Gemeinde ausgeschlossen wird, dass er damit das ewige Leben verloren hat. Dies ist absolut falsch. Kein Mensch, auch nicht die Gemeinde, entscheidet, wer ewiges Leben hat und wer nicht. Es ist Gott allein, der uns ewiges Leben gibt (Joh 10,28). Auch der Hinweis auf Mt 18,18 „Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein“ ist falsch gedeutet, wenn man damit meint, dass die Gemeinde darüber entscheidet, wer zum Reich Gottes gehört und wer nicht. Wir haben bereits festgehalten, dass Gemeindezucht eine pädagogische Maßnahme ist. So kann man den Vers in Mt 18,18 nur so verstehen, dass Gott der Gemeinde eine große Verantwortung übergibt. Da, wo eine Gemeinde den Weg der Gemeindezucht geht, wird Gott diesen Weg mitgehen. Er nimmt die Entscheidung ernst. Er wird die Erziehungsmaßnahme der Gemeinde ebenfalls nutzen, um dem Sünder zurechtzuhelfen. Ganz sicher ist dieser Vers kein Freibrief für die Gemeinde, diese Autorität zu missbrauchen. Da wird Gott nicht einfach mitspielen. Gottes Ziel ist, den Sünder zu retten. Das muss auch das Ziel der Gemeinde sein (vgl. 1Kor 5,5; Hebr 10,19ff.).

6.7 Gemeindezucht kann nur bei eindeutigen Sünden und nicht bei Meinungsverschiedenheiten vorgenommen werden

In einer Gemeinde darf es Meinungsverschiedenheiten geben. Hierfür gibt die Bibel uns einen klaren Fahrplan, wie dabei vorzugehen ist (vgl. Röm 14). Was aber Sünde ist, legt auch das Wort Gottes fest. Gemeindezucht soll und muss dann geübt werden, wenn eindeutig jemand gesündigt hat (vgl. 1Kor 5,11; Mt 18,15).

6.8 Gemeindezucht heißt nicht notwendigerweise Hausverbot

Die Gemeinde soll dem Sünder nicht verbieten, zur Gemeinde zu kommen, denn er soll Raum zur Buße finden (vgl. Mt 18,17; 1Kor 5,11). Deshalb sollte in der Regel dem Betroffenen kein Hausverbot erteilt werden, wobei bei Irrlehrern und Sektierern wohl eine Ausnahme im NT zu erkennen ist (Tit 1,10-14; 2Jo 10). Die Gefahr, durch solche Menschen Verführung in die Gemeinde zu bringen, scheint größer zu sein als die Chance, ihnen zurechtzuhelfen.

6.9 Gemeindezucht ist immer leidvoll für die ganze Gemeinde

Gemeindezucht betrifft immer die ganze Gemeinde, auch dann, wenn sie nicht voll involviert ist. Jedes Mitglied ist Teil der Gemeinde, und leidet einer, so leiden alle mit (1Kor 12,26-27). Deshalb darf sich niemand gleichgültig verhalten gegenüber Menschen, die in Sünde leben. Je härter die Maßnahmen sind, umso leidvoller ist die Situation für die Gemeinde. Gleichgültigkeit in einer solchen Lage ist ein Zeichen von Lieblosigkeit. Denken wir an das Bild des suchenden Hirten (Mt 18,12-14) und an den Dienst des Paulus in Ephesus. Unter Tränen hat er Tag und Nacht jeden Gläubigen ermahnt (Apg 20,31; vgl. auch 1Kor 5,2).

7. Schluss

Abschließend kann man festhalten, dass der Begriff Gemeindezucht leider oft mit Gemeindeausschluss gleichgesetzt wird. Mit Recht schreibt John White:

„Der Begriff Gemeindezucht weckt bei vielen von uns die Vorstellung eines geistlichen Katastrophenschutzes, der nur fällig werden darf, wenn etwas sehr schiefgegangen ist. Dass die Gemeindezucht, wie sie heute praktiziert wird, nicht funktioniert, erklärt sich zum Teil daraus, dass wir die Sprühanlage erst einschalten, wenn es schon brennt“ (White, Heilung für Verwundete, S. 17).

Wer also Gemeindezucht nur als Notbremse in Notfällen versteht oder auf Gemeindeausschluss bei schwerwiegenden Sünden reduziert, verkennt den biblischen Befund zum Thema Gemeindezucht und einen wesentlichen Sinn und Auftrag der Gemeinde. Gemeindezucht geht weit darüber hinaus. Es geht darum, dass man einander weiterhilft.

Dort, wo jemand gesündigt hat, soll man ihn zurechtweisen, damit er sich nicht verliert auf dem Weg zum Ziel. Ob der Begriff „Gemeindezucht“ wirklich passend ist, darüber mag man verschiedener Meinung sein, aber über den Sachverhalt, dass Gemeindezucht in jeder Gemeinde notwendig ist, lässt sich nicht verhandeln. Denn „wer Zucht verwirft, der macht sich selbst zunichte; wer sich aber etwas sagen lässt, der wird klug“ (Spr 15,32).


  1. J. Thiessen: Ein Gemeindeglied dem Satan übergeben? Der Aufsatz ist in Bibel und Gemeinde 4/2008, S. 53-62  abgedruckt. 

  2. White/Blue, Heilung für Verwundete. Biblische Gemeindezucht als Gebot der Liebe, S. 68.