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ThemenEthische Themen, Kritik der Bibelkritik

Diffamierung als „bestes“ Argument

Der Ludwigsburger Theologe Siegfried Zimmer verbindet seine Argumentation für eine Akzeptanz homosexuellen Lebens in der Bibel mit einer vehementen Verächtlichmachung konservativer Christen, die mit biblischen Argumenten am Nein zur Homosexualität festhalten. Seine eigenen Argumente erweisen sich bei genauem Hinschauen als äußerst schwach.

Auf der Internetplattform worthaus.org hat der Ludwigsburger Theologie-Professor Dr. Siegfried Zimmer seit ein paar Jahren zahlreiche Vorträge eingestellt. In der 5.Vortragsreihe findet sich seit Mitte April 2015 auch seine Sicht zur christlich-biblischen Einordnung von Homosexualität. In den vergangenen Jahren avancierte Siegfried Zimmer immer mehr zu einem beliebten Konferenzredner auch in evangelikalen Veranstaltungen, wie z.B. dem Ferienfestival „Spring“ der Deutschen Evangelischen Allianz, mit zuletzt über 3000 Teilnehmern aus Gemeinden, die der Evangelischen Allianz nahestehen.

Lesen sie eine Zusammenfassung dieses ausführlichen Artikels.

Seit längerem sehnen sich viele Christen danach, in Fragen der Homosexualität nicht mehr als gesellschaftliche Außenseiter und anscheinend dumm dazustehen. Wesentlich leichter wäre es, die Mehrheitsmeinung zu vertreten und sich dabei vielleicht sogar als Freiheitskämpfer für die Rechte der Schwulen zu gerieren. Für so etwas braucht es nämlich selten wirklich überzeugende Argumente. Man muss lediglich vehement die gegenwärtig dominierende Meinung präsentieren und das Denken vergangener Tage als absurd hinstellen. Das funktioniert immer, zumindest solange, bis ein neuer Sturm des Zeitgeistes das hinwegfegt, was gerade noch als aktuelles und unhinterfragbares Wissen galt.

Diffamierungen Andersdenkender sind meist ein Zeichen von Ignoranz und Intoleranz und bauen Schranken auf, die dem notwendigen Dialog über Homosexualität schaden.

Wer in der Gegenwart in Sachen Homosexualität von der medialen Meinung abweicht, muss sich über die Bezeichnung homophob nicht wundern. Er könne nur von einer krankhaften Angst (Phobie) vor Homosexuellen bestimmt sein. Solche Diffamierungen waren in der Vergangenheit immer Kennzeichen von Ignoranz, Intoleranz und Fanatismus. Mit ihnen werden neue Gedankenschranken und Tabus aufgebaut. Das schadet m.E. einem notwendigen offenen Dialog über Homosexualität weit mehr als Unterschiede in der Einschätzung. Wenn wortreich beklagt wird, wie ungerecht Homosexuelle in der Vergangenheit behandelt wurden, ist das berechtigt. Es sollte aber nicht dazu führen, heute Andersdenkende auf der anderen Seite zu diffamieren, solche die Homosexualität mit nachvollziehbaren Gründen ethisch kritisieren.

In einem eineinhalbstündigen Vortrag mit dem Titel „Die schwule Frage – Die Bibel, die Christen und das Homosexuelle“ präsentiert Prof. Dr. Siegfried Zimmer seine ethische Einordnung der Homosexualität.1

Vor allem will er dabei aufzeigen, was in der Bibel über Homosexualität gelehrt wird. Außerdem ist es sein erklärtes Ziel, die historischen Verfolgungen Homosexueller zu brandmarken und Mitgefühl für die inneren Kämpfe heutiger homosexuell Lebender zu wecken.

Die Diagnose der „Krankheit“ konservativer Christen

In etwa einem Viertel seines Vortrags bringt Zimmer seinen – man kann es leider nicht anders nennen – Hass auf konservative Christen zum Ausdruck. Mit zahlreichen üblen Unterstellungen und Anklagen diskreditiert er jede konservativ-christliche Stellungnahme zur Homosexualität. Wie er selbst mutmaßt, seien die darin vorkommenden Verurteilungen der Homosexualität möglicherweise Teil einer Verarbeitung der eigenen Biographie.

Siegfried Zimmer bezeichnet konservative Christen als „dümmlich“, „engstirnig“, „tragisch“, „bibelverkorkst“ und „rechthaberisch“.

Ganz allgemein haben konservative Christen, so Zimmer, zahlreiche Vorurteile. Sie seien „dümmlich“, „rechthaberisch“ und verstehen die Bibel nicht wirklich. Konservative und entschiedene Christen „haben ihre Ausblendungen“ und „Einseitigkeiten“. Sie sind „engstirnig“ und haben kein Interesse, sich zu informieren, meint Zimmer. Konservative Christen sind „tragisch“, bei ihnen wird die Bibel „dumm zitiert“. Sie „liegen fürchterlich daneben“ in ihrem Umgang mit der Bibel, weil sie „nicht einmal das ABC historischer Hintergrundkenntnis“ mitbringen.

In ihrem Umgang mit der Bibel seien sie keinesfalls bibeltreu, wie sie selbst behaupten, sondern „bibelverkorkst“. Mit ihrer Theologie betrieben sie „schwerste Bibelmanipulation“. In ihren Argumentationen „eiern hin und her“. Bei den konservativen Christen wird die Bibel „missbraucht“ und „instrumentalisiert“. Sie „haben die Bibel in ihrem Schwitzkasten“ und „bauen eine eigene Ideologie auf“, behauptet Zimmer. Aber nicht genug!

Konservative Christen gehen mit der Bibel um „wie die islamischen Salafisten“ mit dem Koran. Sie gehören „in Nachbarschaft zu Zeugen Jehovas und Mormonen“. Diese Evangelikalen seien generell „unseriös“, und da sie nicht wissenschaftlich arbeiten wollen, haben sie lediglich einen „Röhrenblick“ auf die Bibel. Sie lesen die Bibel immer nur mit der Brille ihrer eigenen Weltanschauung, wohingegen sich Siegfried Zimmers eigene Interpretation angeblich auf die offensichtlichen „Ergebnisse der Wissenschaft“ stützen kann.

Unter diesen Konservativen, die sich kritisch zur Homosexualität äußern, seien aber auch fromme, „fehlgeleitete Leute“, die nicht so genau hinschauen, weil sie unkritisch nach Gründen für eine Ablehnung der Schwulen suchten. Ihre Auffassung sei oftmals lediglich auf mangelnde persönliche Kontakte mit homosexuell orientierten Menschen zurückzuführen. Ihre distanzierte und „kalte Sprache“ beruhe meist darauf, dass sie „keinen Kontakt mit Schwulen und Lesben“ haben.

Doch letztendlich seien auch ihre „dummen Sprüche“ mitverantwortlich für schwere Menschenrechtsverletzungen, behauptet Zimmer. Im Umgang mit Homosexualität seien die Konservativen „eiskalt“ und „gefühllos“. Sie seien „unmoralisch“, weil ihre Kritik an der Homosexualität „Menschen in eine Lügenwelt zwingt“. Zimmer wirft Kritikern der Homosexualität vor, für die Ermordung von Schwulen in der Vergangenheit verantwortlich zu sein, „schweren Missbrauch“ zu begehen, die „Botschaft Jesu zu verfälschen“ und homosexuelle Menschen zu hassen. „Es gibt christliche Gruppen, die das [Verfolgung von Homosexuellen] heute noch machen“ oder verteidigen. „Man sollte es wirklich nicht für möglich halten.“

Obwohl sich diese Christen auf deutliche biblische Aussagen stützten, sollten sie „sich schämen“, fordert Zimmer – wenig ausgewogen und wenig akademisch. Er „kann solche Christen und bibeltreuen Ausbildungsstätten nicht besonders ernst nehmen“, solange sie nicht die Verfolgung von Lesben und Schwulen erforschen und sich dafür entschuldigen, proklamiert der Professor.

Keine Homosexualität in der Bibel?

In seiner Reflektion zu den biblischen Aussagen kommt Siegfried Zimmer einerseits zum Ergebnis, dass Homosexualität in der Bibel generell abgelehnt wird. Mit wortreichen Erklärungen versucht er dann aber zu belegen, dass jeweils nur eine besondere zeitgeschichtliche Facette der Homosexualität kritisiert wird. Im Alten Testament ginge es vor allem um den Schutz des Patriarchats und um einen sparsamen Umgang mit dem männlichen Samen. Im Neuen Testament werde Homosexualität lediglich als Ausdruck unfreier sexueller Ausschweifung abgelehnt. Liebevolle, treue Homosexualität, wie sie heute überwiegend anzutreffen sei, hätten die biblischen Autoren nicht im Blick gehabt und folglich auch nicht abgelehnt. Auffällig ist, dass Zimmer seine Begründung lediglich auf zweifelhafte historische Konstruktionen und Spekulationen aufbaut. Klare Hinweise aus den relevanten Bibelstellen, die seine Deutung stützen könnten, kann er nicht anführen.

Wer sich ein gutes Bild von dem machen will, wie Gott gelingende Sexualität versteht, sollte allerdings nicht mit ihren Sonderformen beginnen, sondern mit dem Grundmodell. Hunderte von Versen der Bibel sprechen über Sexualität, Ehe, Partnerschaft und geschlechtliche Liebe. Dutzende mehr oder weniger glückliche Paare werden vorgestellt. Und unter all denen findet sich kein einziges homosexuelles Paar. Gelegentlich unternommene Versuche, David aufgrund seiner Freundschaft zu Jonathan als homosexuell darzustellen, wirken eher belustigend.2 Zum einen wird an keiner Stelle eine sexuelle Beziehung zwischen beiden erwähnt. Zum anderen wird uns David in der Bibel eher als Frauenheld vorgestellt, der sogar gesetzliche Grenzen überschritt, um mit einer verheirateten Frau zu schlafen.3

Ähnlich konstruiert wirken Ideen, Jesus oder Paulus wären homosexuell veranlagt gewesen, weil sie nicht geheiratet haben.4 Wenn aus nicht vorhandenen Versen der Bibel eine homosexuelle Veranlagung herauszulesen versucht wird, gibt das wohl eher Auskunft darüber, dass wirkliche Argumente für eine biblisch bejahte Homosexualität fehlen.

Wenn aus nicht vorhandenen Versen der Bibel eine homosexuelle Veranlagung herauszulesen versucht wird, gibt das wohl eher Auskunft darüber, dass wirkliche Argumente für eine biblisch bejahte Homosexualität fehlen.

Wohl aus diesem Grund versucht Zimmer erst gar nicht, einen positiven Beleg für Homosexualität in der Bibel zu finden. Offensichtlich ist die positiv in der Bibel beschriebene Sexualität immer heterosexuell. Dieser Sachverhalt wird von Zimmer allerdings vollständig ausgeblendet, weil er seine Darstellung von vornherein nicht ergebnisoffen, sondern mit dem erklärten Ziel beginnt, frei ausgelebte Homosexualität als von Gott gewollte Verhaltensweise zu präsentieren. Aus demselben Grund nennt er auch an keiner Stelle Schwachpunkte seiner eigenen Argumentation oder die guten Gründe der Theologen, die bis heute dazu stehen, dass ausgelebte Homosexualität in der Bibel durchgängig kritisch betrachtet wird.

Das Fehlen des Begriffs „Homosexualität“ als Grundlage der Argumentation

Professor Zimmer beginnt seine Ausführungen mit der vehement vorgetragenen Feststellung, dass keine der alten Sprachen einen Begriff für Homosexualität kenne und sich dieser erst im 19. Jahrhundert etabliert habe. Das wird für ihn zur Grundlage seiner Untersuchung, verbunden mit der Suggestion, dass dann auch das heute mit Homosexualität gemeinte in der Bibel nicht angesprochen werde.

Im weiteren Verlauf seines Vortrags wird dann allerdings deutlich, dass der Sachverhalt der Homosexualität natürlich auch in den Kulturen des Alten Orients und der Antike bekannt war. Lediglich das Konzept andauernder homosexueller Orientierung wurde nicht diskutiert. Im mittelalterlichen Europa beispielsweise galt Homosexualität als eine Sonderform sexuellen Verhaltens und wurde mit anderen unter dem Begriff Sodomie5 zusammengefasst.

Dass sich in der biblischen Terminologie kein Begriff für Homosexualität findet, ist keine Überraschung,  Es findet sich nämlich auch kein Fachbegriff für heterosexuelle Orientierung, weil man in fast allen Kulturen euphemistisch über Sexualität spricht.

Auch dass sich in der biblischen Terminologie kein Begriff für Homosexualität findet, dürfte nur den überraschen, der oberflächlich hinschaut. Es findet sich nämlich auch kein Fachbegriff für heterosexuelle Orientierung. Der Geschlechtsakt wurde wie in vielen anderen Kulturen und Sprachen euphemistisch umschrieben; im Alten Testament meist als „liegen bei“ oder „erkennen“.6 Genauso verfahren die biblischen Autoren bei der Benennung der Homosexualität. Übrigens verhält es sich im modernen Sprachgebrauch ganz ähnlich. Die heterosexuelle Beziehung wird – sprachlich unscharf – oft einfach als Liebe bezeichnet und das konkrete Sexualverhalten als „miteinander schlafen“, wobei jeder genau weiß, dass diese Umschreibung nicht dem eigentlichen Handeln entspricht.

Homosexualität im Alten Testament

Bevor er auf konkrete Bibeltexte zu sprechen kommt, hebt Zimmer hervor, dass Homosexualität in der Bibel nur sehr selten besprochen wird. Daraus leitet er eine geringe Relevanz ab. Allein aus der Häufigkeit der Nennung auf die Bedeutsamkeit der Sache zu schließen, muss aber als logische Fehlargumentation betrachtet werden. Beispiel: Obwohl heute relativ wenig von Sklaverei in Deutschland gesprochen wird, besteht kaum Zweifel darüber, dass der Besitz von und der Handel mit Menschen strikt abgelehnt wird. Die seltene Nennung eines Sachverhaltes kann auch so gedeutet werden, dass es sich um eine weitgehend selbstverständliche Angelegenheit handelt. Wenn also damals homosexuelles Verhalten weitgehend verpönt war, erscheinen lange und wiederholte Erklärungen unnötig.

Homosexuelle Vergewaltigung in Sodom

An dieser Stelle geht Zimmer auf den, auch in der theologischen Literatur häufig besprochenen, Bericht von der Zerstörung Sodom und Gomorras ein (1Mo 19). Die am Südende des Toten Meeres gelegenen Städte wurden von Gott aufgrund ihrer zahlreichen Sünden ausgelöscht (1Mo 13,13). Auf Abrahams Bitte hin wurden zwei Engel nach Sodom gesandt, um Lot und seine Familie vor der nahenden Zerstörung der Stadt zu retten. Die beiden Engel kehren bei Lot ein. Die Männer der Stadt rotten sich vor dem Haus zusammen und fordern die Auslieferung der fremden Männer. Man wollte sie vergewaltigen. Lot weigerte sich und bot dem Mob als Ersatz seine beiden noch unverheirateten Töchter an. Da die Engel an dieser Stelle eingriffen, kam es zu keiner Vergewaltigung. Stattdessen konnten Lot und die Seinen Sodom kurz vor der Katastrophe verlassen.

Zimmer macht Sodom zum verschlafenen Provinznest, um zu behaupten, ihr Problem sei nicht die Homosexualität gewesen, sondern ihre Fremdenfeindlichkeit.

Wortreich versucht Zimmer zu begründen, dass das drohende Verbrechen der Sodomiter seine Ursache nicht in ihrer Homosexualität hatte, sondern es sich um Fremdenfeindlichkeit handelte. Zur Begründung seiner These skizziert Zimmer Sodom als verschlafenes und unbedeutendes Provinznest. Die Bewohner hätten selten mit Fremden zu tun und verhielten sich deshalb äußerst ablehnend.

Das entspricht allerdings weder den biblischen Angaben noch den Ergebnissen historischer Forschung.7 Demnach gehörten Sodom und Gomorra zu einem regional bedeutenden Bund von fünf Städten. Da das Land damals noch relativ fruchtbar war, konnte man erfolgreich der Landwirtschaft und Viehzucht nachgehen. Auch befand sich die Stadt in der Nähe wichtiger Handelsruten nach Ägypten, was eher dafür spricht, dass Fremde in Sodom alltäglich waren.8

Obwohl also die Details von Zimmers Erklärung des Bibeltextes zweifelhaft sind, liegt er in der Beurteilung des Tatbestandes zumindest teilweise richtig. In 1.Mose 19 findet sich keine Aussage zur Homosexualität allgemein, sondern es wird eher ein negativ bewertetes Beispiel homosexueller Vergewaltigung erzählt.9 Im Kontext anderer biblischer Aussagen zu diesem Vorfall liegt die Motivation aber nicht primär in Fremdenfeindlichkeit, sondern in sexueller Perversion.10 Die Einwohner Sodoms planten eine Massenvergewaltigung, wie sie in jüngster Vergangenheit insbesondere aus Indien und dem Sudan berichtet wurde, nur hier eben an Männern und nicht an Frauen.11 Natürlich beinhaltete die beabsichtigte Vergewaltigung auch den Bruch der damals äußerst hoch angesehenen Gastfreundschaft. Ginge es aber primär um Ausländerfeindschaft oder Erniedrigung der Gäste Lots, würde die angebotene Auslieferung seiner beiden Töchter keinen Sinn ergeben.

Mosaische Gesetze verurteilen Homosexualität

Siegfried Zimmer lässt den zweiten Bericht von einer versuchten homosexuellen Vergewaltigung (Ri 19, 14ff.) aus und geht direkt zu den beiden sehr deutlichen Verurteilungen aktiv praktizierter Homosexualität in den mosaischen Gesetzen über:12

„Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.“ (3Mo 18, 22)

„Wenn jemand bei einem Mann liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen.“ (3Mo 20, 13)

Wie in seinem ganzen Vortrag nennt Zimmer auch hier keine unterschiedlichen, historisch möglichen Interpretationen, sondern präsentiert lediglich die, die seine Argumentationslinie unterstützt. Nur diese wird als „wissenschaftlich“ und „historisch zutreffend“ bezeichnet. Andere, durchaus plausible Erklärungen, werden verschwiegen oder diskreditiert. So eine Vorgehensweise wirkt zwar auf den ersten Blick überzeugend, besonders wenn sie wie hier mit Pathos vorgetragen wird, ist sachlich aber sehr problematisch.13

Stammen die Gebote gegen homosexuelle Handlungen aus der Feder eines „Machos“, der einen „Verrat am Patriarchat“ fürchtete?

Die Motivation des Verbotes jeder homosexuellen Aktivität im Leviticus (3.Mose) interpretiert Zimmer als Versuch, eine vorgeblich patriarchale Gesellschaftsordnung zu zementieren14, in der es primär um die Zeugung möglichst zahlreicher Nachkommen gegangen sei. In dieser Karikierung altorientalischer Lebensformen verliert Zimmer den eigentlichen Bibeltext allerdings weitgehend aus den Augen.

Homosexualität, um Samen zu sparen!?

Natürlich spielten auch zu alttestamentlichen Zeiten Partnerschaft, Sexualität und Kinder eine wichtige Rolle. Nichts deutet, wie von Zimmer behauptet, aber darauf hin, dass die jungen israelischen Männer an nichts anderes dachten, als möglichst bald, möglichst viele Kinder zu zeugen. Im Durchschnitt hätten sie 12-20 Kinder, sagt Zimmer. Außerhalb der alttestamentlichen Angaben gibt es aber keine belastbaren Bevölkerungsstatistiken zur Kinderzahl im Alten Israel. Nach diesen Angaben aber lag die durchschnittliche Kinderzahl deutlich niedriger. Noah hatte beispielsweise lediglich drei Kinder, Abraham hatte acht; Lot hatte vier Kinder, Isaak zwei und der Priester Eli hatte ebenfalls nur zwei Kinder. Jakob und Ismael hatten jeweils 12 Söhne und auch noch Töchter. Aber Mose hatte nur zwei Geschwister und Simson war Einzelkind.15

Zimmer behauptet: Da sie auftragsgemäß noch viele Kinder zeugen wollten, hätten Männer im Alten Israel große Angst davor gehabt, ihr Same könne ausgehen. Homosexualität sei möglicherweise deshalb verboten worden, weil auf diese Weise keine Nachkommen entstehen konnten. Fälschlich verweist Zimmer in diesem Zusammenhang auch auf Onan, der aber nicht kritisiert wird, weil er seinen Samen verschwendete, sondern weil er sich weigerte, seiner Schwägerin einen Erben zu zeugen.16 Wieder einmal versucht Zimmer die Männer des Alten Testaments als intellektuell minderbemittelte Personen dazustellen. Dabei wussten die Menschen der Antike bereits von den fruchtbaren Tagen einer Frau und machten sich über Familienplanung Gedanken.17 Nirgends in der Bibel wird aber gefordert, nur an den fruchtbaren Tagen Geschlechtsverkehr zu haben, um Samen zu sparen. Das Verbot des Verkehrs während der Menstruation kann sicher nicht so gedeutet werden. Außerdem nennt die Bibel zahlreiche Personen, die auch im hohen Altern noch Kinder zeugen konnten, denen also trotz eines häufigen Gebrauchs ihrer Geschlechtlichkeit der Same nicht ausgegangen war.18

Die Spekulation über eine Angst vor knappwerdendem Sperma als Grund für das biblische Homosexualitätsverbot wirkt sehr seltsam und hat keine Grundlage.

Vor allem aber vertrauten die Menschen des Alten Testaments darauf, dass Gott Kinder schenkt, ganz unabhängig von der möglichen Menge des noch zur Verfügung stehenden Spermas.19 Als möglicher Grund für die biblische Ablehnung ausgeübter Homosexualität wirkt diese Spekulation sehr seltsam.

Um seine Interpretation eines frauenfeindlichen Alten Israel zu verstärken, stellt Zimmer sodann die Frauen dieser Zeit als beinahe in Sklaverei lebend dar. Sie hätten beispielsweise weder eigenständig Rechts- noch Wirtschaftsgeschäfte durchführen dürfen. Genau diese weibliche Eigenständigkeit wird aber beispielsweise im „Lob der tüchtigen Hausfrau“ (Spr 31, 14-18) beschrieben. Außerdem liegt der Grund für eingeschränkte Geschäftsfähigkeit im AT offenbar nicht in Frauenfeindlichkeit, sondern in einer Gesellschaftsordnung, in der das Haus oder die Familie und nicht der Einzelne rechtsentscheidend war. Dem Haus stand in der Regel ein Mann vor. War es im Einzelfall anders, hatten diese Frauen sehr wohl Geschäftsfähigkeit.

Homosexualität als Gräuel

Zimmers Hinweis auf den überwiegend geistlich-kultischen Gebrauch des Begriffes Gräuel (תועבה / tōʻēḇā / to’ba) ist zutreffend, sagt aber nichts über die Ablehnung ausgeübter Homosexualität im Alten Testament an sich aus. Es wird lediglich deutlich, dass Sexualität zu dieser Zeit nicht nur als private Angelegenheit betrachtet wurde. Offensichtlich betrafen sexuelle Aktivitäten im Alten Testament immer auch die Gemeinschaft und die Beziehung des Menschen zu Gott. So beschreibt der Begriff Gräuel im Alten Testament auch vor allem eine Handlung, mit der sich der Betreffende von der Gemeinschaft mit anderen Menschen oder mit Gott ausschloss.20

Bei einem Mann liegen wie bei einer Frau

Die Formulierung „bei einem Mann liegen, wie man bei einer Frau liegt“ wird von Zimmer ohne nähere exegetische oder historische Begründung als homosexueller Analakt interpretiert. Das ist zwar prinzipiell möglich, aber keineswegs zwingend. Absurd wird seine begriffliche Engführung, wenn Zimmer dann diese Interpretation selber kritisiert, indem er darauf hinweist, dass homosexuelle Beziehungen sich nicht nur auf den Analverkehr reduzieren lassen. Damit hat er natürlich recht. Diese Feststellung spricht dann aber relativ klar dafür, dass die weitere biblische Formulierung das ganze Spektrum sexueller Beziehungen meint, wenn sie „bei einer Frau liegen“ direkt mit „bei einem Mann liegen“ vergleicht. Da auch die heterosexuelle Beziehung sich in der Bibel nicht nur auf vaginalen Geschlechtsverkehr reduzieren lässt, umfasst die in der Bibel gewählte Formulierung für Homosexualität – „wie bei einer Frau liegen“ – ebenfalls mehr als den Analakt. Alle anatomisch und emotional möglichen Komponenten, die eine sexuelle Beziehung zwischen Mann und Frau betreffen, werden hier parallel auf die sexuelle Beziehung zwischen Mann und Mann angewandt. Fast klingt es danach, als ob Zimmer die biblische Formulierung „bei einem Mann liegen“ nur deshalb als Analverkehr interpretiert, um sie danach bequemer kritisieren zu können.

Dann müsste man aber auch …

Zimmers polemisch geäußerte Kritik, man müsse auch alle Speise- und Reinheitsgebote des Leviticus einhalten, wenn man sich auf Gottes Ablehnung praktizierter Homosexualität berufe, sind logisch gesehen nicht stichhaltig. Zum einen ist es nur wenig überzeugend, wenn man ein Gesetz mit der Begründung übertritt, dass man ja auch schon andere ignoriert habe. Weil jemand also Schweinfleisch isst, kann er auch vergewaltigen, morden, stehlen und muss auch das Verbot ausgeübter Homosexualität nicht ernst nehmen? Zum anderen besteht ein wesentlicher Unterschied darin, dass die Speise- und Reinheitsgebote im Neuen Testament ausdrücklich für den Christen aufgehoben werden21, wohingegen die Ablehnung praktizierter Homosexualität aufgegriffen und bestätigt wird.22

Keine Strafe auf homosexueller Orientierung

Es ist zutreffend, wenn Zimmer darauf hinweist, dass im Leviticus die praktizierte Homosexualität, also die konkrete Handlung, unter Strafe gestellt wird, nicht eine homosexuelle Orientierung als solche. Empfindungen und Motive werden im Alten Testament gewöhnlich nicht beurteilt, sondern lediglich die daraus entspringenden Handlungen. So wird im AT auch nicht verurteilt, dass der verheiratete Mann sich zu einer fremden Frau hingezogen fühlen kann, sondern nur die eindeutig praktizierte Untreue. Es wird nicht diskutiert, dass ein Mensch sich sexuell zu Tieren hingezogen fühlen kann. Die praktizierte Zoosexualität aber wird unter Strafe gestellt.23 Analog gilt das für die Homosexualität.

Die Gesetzestexte des AT stellen konkrete Handlungen unter Strafe und nicht Neigungen oder Gefühle. Das ist aber auch selbstverständlich.

In einem Gesetzestext ist aber auch kaum etwas anderes zu erwarten als das Verbot einer konkreten Handlung. Das liegt vor allem daran, dass nur eine solche Handlung zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, nicht aber innere Gefühle und Gedanken. Für eine legitime Verurteilung brauchte es im Alten Testament zwei bis drei Augenzeugen.24 Dadurch wollte man Verdächtige vor leeren Vorwürfen oder bloßen Denunziationen schützen. Deswegen irrt Zimmer, wenn er fälschlich behauptet, die mosaischen Gesetze hätten zu solchen Denunziationen animiert. Das Gegenteil ist der Fall.

Es ist offensichtlich, dass im Alten Testament keine lang andauernden homosexuellen Beziehungen beschrieben und bewertet werden. Das muss aber nicht daran liegen, dass diese vollkommen unbekannt oder legitim waren, wie Zimmer nahelegt. Es kann auch einfach daran liegen, dass jede Art homosexueller Aktivität unerwünscht war; das beinhaltete natürlich auch längerfristige Beziehungen. Genau das Gleiche gilt im Alten Testament für Inzest oder Ehebruch.25 Obwohl auch hier längerfristige Beziehungen denkbar sind, wird in der Bibel, wie es übrigens auch in der deutschen Gesetzgebung bis 1969 der Fall war, nur die konkrete sexuelle Handlung verboten. Zum einen beinhaltet das selbstverständlich weitergehende Beziehungen, zum anderen können bloße Gefühle natürlich weder festgestellt noch geahndet werden.

Bei all diesen Versuchen das Verbot von homosexuellen Praktiken zu entkräften, könnte man beinahe übersehen, dass Zimmer die eigentliche Aussage des Textes einfach übergangen hat.

 

Homosexualität im Neuen Testament

Bei seiner Darstellung der Homosexualität im Neuen Testament konzentriert sich Siegfried Zimmer auf die Aussagen im ersten Kapitel des Römerbriefs:

„Darum hat Gott sie entehrenden Leidenschaften ausgeliefert. Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Geschlechtsverkehr mit dem widernatürlichen, und ihre Männer machten es genauso. Sie gaben den natürlichen Verkehr mit den Frauen auf und wurden von Verlangen zueinander gepackt. Männer trieben es schändlich mit Männern. So empfingen sie den gebührenden Lohn für ihre Verirrung an sich selbst.“ (Röm 1, 26f.)

Nur Kritik an ausschweifenden Orgien der Reichen?

Paulus benennt an dieser Stelle Homosexualität offenbar als typisches Beispiel einer von Gott und seinen Geboten abgekehrten Gesellschaft. Nach Zimmer mache diese Argumentation aber keinen Sinn, wenn damit nur die rund 5% der Bevölkerung mit einer homosexuellen Orientierung angesprochen wären. Das Verhalten einer solch kleinen Minderheit könne Paulus wohl kaum als typisches Kennzeichen der gegen Gott opponierenden Menschheit anführen. Zimmer zufolge bezieht sich Paulus hier deshalb gar nicht auf Homosexuelle, sondern ziele auf die zügellos ausgelebte Sexualität reicher Römer, die zum bloßen Genuss jede sexuelle Variante probierten.

Zimmers Deutung, bei der Ablehnung gelebter Homosexualität im NT handele es sich eigentlich um Kritik an einer reichen römischen Oberschicht, scheitert an den Tatsachen.

Zwei grundlegende Probleme seiner Interpretation nennt Zimmer nicht: 1. Nichts im Text von Römer 1 deutet darauf hin, dass hier lediglich reiche Lebemänner angesprochen sind. Sowohl Homosexualität als auch die anderen im direkten Zusammenhang genannten Verhaltensweisen sind gleichermaßen in jeder gesellschaftlichen Schicht anzutreffen. Würde Paulus sich vor allem an die römische Oberschicht wenden, wäre zu erwarten, dass er auch die Unterdrückung der Armen, übertriebenen Luxus oder opulente Mahlzeiten kritisierte. Das aber macht er nicht. 2. Zur ausschweifenden Oberschicht des Römischen Reiches gehörten weniger als 1% der Bevölkerung.26 Wenn angeblich nicht die kleine Gruppe Homosexueller (5%) als repräsentatives Beispiel für den moralischen Abfall aller Menschen von Gottes Offenbarung anführt werden kann, wie Zimmer behauptet hatte, warum sollte dann die zahlenmäßig noch kleinere römische Oberschicht (1%) als repräsentativ gelten?

Darauf, dass Paulus Homosexualität als Kennzeichen des schlechten moralischen Zustands der gesamten Gesellschaft ansehen konnte, deutet die Erwähnung von „Mord“ wenig später (Röm 1, 29). Auch dieses Verhalten traf effektiv nur auf wenige Menschen zu, die aber in jeder Bevölkerungsschicht anzutreffen waren.

Die Auffassung, dass Paulus hier nicht nur den lockeren Lebenswandel reicher Römer aufs Korn nimmt, sondern jede Form von Homosexualität anspricht, und als Anzeichen einer von Gott abgewandten Lebensweise behandelt, wird von vielen Exegeten geteilt.27

Keine homosexuelle Prostitution

In der weiteren von Zimmer genannten Kritik des Paulus an homosexuellem Verhalten wird beispielhaft die damals weit verbreitete Beziehung zwischen älteren und jüngeren Männern angesprochen, die gelegentlich mit Bezahlung einhergehen konnte:

„Wisst ihr denn nicht, dass ungerechte Menschen keinen Platz im Reich Gottes haben werden? Täuscht euch nicht: Menschen, die in sexueller Unmoral leben, Götzen anbeten oder die Ehe brechen, Lustknaben und Knabenschänder […]“ (1Kor 6,9)

„[…] dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben, sondern […] den Totschlägern, den Unzüchtigen, den Knabenschändern […]“ (1Tim 1, 9f.)

Auch hier deutet nichts auf ein exklusives Vergehen der reichen römischen Oberschicht. Es geht offenbar um eine damals verbreitete homosexuelle Praxis. Im gleichen Atemzug werden auch Ehebruch und andere von Gott abgelehnte sexuelle Verhaltensweisen genannt, die zu dieser Zeit weit verbreitet waren. Paulus fasst dann zusammen: „Flieht vor den sexuellen Sünden!“ (1Kor 6, 18). Außer im Hinblick auf die gesellschaftliche Toleranz scheinen sich die Variationen sexuellen Verhaltens zwischenzeitlich nur wenig verändert zu haben.28

Wenn im vorliegenden Text nur der sexuelle Verkehr mit minderjährigen Jungen gemeint sein sollte, wie Zimmer nahelegt, stellt sich natürlich die Frage, warum das dann nicht deutlich gesagt wird. Außerdem sollte im gleichen Atemzug der Sexualverkehr mit minderjährigen Frauen verurteilt werden. Prostitution, also käuflicher Geschlechtsverkehr, wird in den Lasterlisten gesondert erwähnt, weshalb das mit den „Knabenschändern“ und „Lustknaben“ wohl nicht allein gemeint war.

Ganz so unterschiedlich war Homosexualität auch damals nicht

Sind lebenslange und treue homosexuelle Partnerschaften ein christliches Ideal?

Bewusst konzentriert Zimmer sich darauf, die auch heute verhältnismäßig selten vorkommende, lebenslange, treue homosexuelle Partnerschaft gegen die vorgeblich kurzen oder erzwungenen homosexuellen Akte der antiken Welt zu stellen. Auch wenn damals viele homosexuelle Beziehungen zwischen älteren und jüngeren Männern bestanden, beruhten diese nicht immer auf Zwang oder Bezahlung. Auch waren solche Beziehungen nicht immer nur kurzzeitig oder ohne Emotionen. Um die biblischen Texte nicht auf die gegenwärtige Situation beziehen zu müssen, verkürzt Zimmer die gesellschaftliche Realität der Antike. Selbstverständlich gab es auch damals gleichberechtigte und langjährige homosexuelle Beziehungen.

„Die Liebe zwischen Männern war für die Griechen etwas, das Krieger verband und auszeichnete, wie die mythische Beziehung zwischen Achilles und Patroklus oder die 150 Liebespaare der thebanischen Stadtgarde, die 338 v.Chr. bei Charoneia gemeinsam fielen […] In Rom waren homosexuelle Beziehungen weit verbreitet, es gab Massen an männlichen Prostituierten, die ganz legal besteuert wurden, und viele reiche Bürger gaben Vermögen für den Unterhalt ihrer Liebhaber aus.“29

 

Die Bibel: kulturabhängige Meinungsäußerung oder Offenbarung Gottes?

Im Hintergrund seiner Argumentation steht Zimmers Auffassung, die Bibel sei zwar in gewisser Hinsicht Wort Gottes, zuerst aber eine menschlich zeitbedingte Meinungsäußerung der früheren Autoren. Keinesfalls sei es möglich, deren Aussagen direkt in unsere, ganz andersartige Lebenswelt zu übertragen.

Offensichtlich kann kein historischer Text detailliert die gesellschaftliche Situation einer viel späteren Epoche beschreiben. Insofern ist Zimmers Feststellung, dass die Bibel keine Besprechung der im Raum der Kirche häufig idealisierten, langjährigen homosexuellen Partnerschaft enthält, eine Selbstverständlichkeit. In der Zeit des Neuen Testaments gab es natürlich eine sich von heute unterscheidende Praxis in Lebensbereichen wie Ehe, Beruf, Gemeinde, Schule, Erziehung, Wirtschaft u.a. Die wichtige, theologisch zu beantwortende Frage lautet dann aber: Inwiefern haben die konkreten gesellschaftlichen Bedingungen Einfluss auf die Gültigkeit einer grundsätzlichen ethischen Normen Gottes? An dieser Stelle liefert Zimmer keine überzeugende Begründung für seine Sicht, dass eine interkulturelle Gültigkeit biblischer Normen nicht vorstellbar ist und er deswegen die Ablehnung homosexueller Partnerschaften als ungerecht empfindet.

Es ist immer sehr fragwürdig, die Bibel um jeden Preis an momentan vorherrschende ideologische Sichtweisen anzupassen.

Es ist immer sehr fragwürdig, die Bibel um jeden Preis an momentan vorherrschende ideologische Sichtweisen anzupassen. Dabei geht gerade eine der wichtigsten Funktionen der Bibel verloren, ihre Fähigkeit, Menschen mit ihren Meinungen und Weltanschauungen in Frage zu stellen und zu korrigieren.

Das Leiden der Schwulen

Zimmers vehement vorgetragene Anschuldigungen gegen konservative Christen und seine Forderung, sie sollten „sich schämen“ und für die Unterdrückung Homosexueller entschuldigen, spricht von einer historischen Blauäugigkeit oder gar Böswilligkeit. Denn zu den Zeiten staatlicher Restriktionen gegen Homosexuelle hatten etwa die in Freikirchen beheimateten konservativen Christen selber gegen starke Diskriminierung zu kämpfen. Noch im 19. Jahrhundert saßen Christen aus Freikirchen aufgrund ihres Glaubens in deutschen Gefängnissen, angeklagt und verfolgt unter anderem von aufklärerischen Theologen und etablierten Kirchenleitungen. Diese konservativen Christen jedenfalls hatten weder ein besonderes Interesse an der Unterdrückung von Homosexuellen, noch verfügten sie über die nötigen Möglichkeiten eine solche durchzusetzen. Wenn Zimmer also einen Bussruf anbringen will, müsste er schon konkreter werden und sich damit vor allem an die Leitungsgremien der großen deutschen Kirchen richten. Allerdings haben auch nicht diese, sondern entsprechende staatliche Stellen, die Gesetze erlassen und umgesetzt.

Auch inwiefern konservative Christen Probleme damit haben, sich angemessen homosexuell orientierten Menschen gegenüber zu verhalten, muss differenzierter betrachtet werden. Manche sind verunsichert und stellen vor allem die Abgrenzung gegenüber Schwulen heraus. Verschärft wurde diese Situation aber auch durch aggressive Propaganda schwuler Organisationen, die mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die freie Meinungsäußerung konservativer Christen zu unterdrücken versuchen.30 Zahlreiche Schwulenaktivisten erklären Andersdenkende für psychisch krank und polemisieren immer wieder in breiter Öffentlichkeit gegen jede Parteinahme für christliche Ehe und Treue.31 Konservative Gemeinden tendieren auch dazu, sexuelles Verhalten strenger zu bewerten als anderes. Es kommt vor, dass die homosexuelle Neigung eines Menschen mit seiner ganzen Person gleichgesetzt wird. Dann wird gelegentlich mit der Kritik an ausgeübter Homosexualität auch der ganze Mensch abgelehnt. Konservative Gemeinden müssen einem Menschen mit homosexueller Neigung ebenso zuvorkommend und verständnisvoll begegnen wie jedem anderen auch – ohne dabei Gottes ethische Maßstäbe aus den Augen zu verlieren oder anzupassen. Gottes Wort befürwortet treue und liebevolle heterosexuelle Ehen und kritisiert ausgelebte Homosexualität.

Allerdings sollte auch hier nicht übersehen werden, dass nicht wenige homosexuell empfindende Menschen in konservativen Gemeinden liebevolle, verständnisvolle und geduldige Seelsorger gefunden haben. Das allerdings kann nicht an die große Glocke gehängt werden.32 Tatsächlich leiden viele Schwule an den Reaktionen ihrer Umwelt und an den eigenen Gefühlen. Inneren Kämpfen homosexuell empfindender Menschen sollten Christen mit Anteilnahme begegnen. Viele Homosexuelle haben sich ohne aktives Zutun in ihren Gefühlen wiedergefunden. Das gleiche gilt für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen oder andere Nöte mit ihrer Sexualität erleben. Niemandem ist aber damit geholfen, wenn Christen aufgrund ihres Mitgefühls ihre ethische Orientierung über Bord werfen. Die Leitlinien der Bibel sind eben nicht nur, wie Zimmer vermitteln will, das Ergebnis menschlich zeitbedingter Kultur. Die entsprechenden Aussagen wurden nicht nur von etwas beschränkten „Machos“ verfasst, wie Zimmer behauptet. Die biblischen Autoren waren zurecht davon überzeugt, Gottes Maßstäbe zu vermitteln, die über die jeweilige historische Entstehungssituation hinaus Gültigkeit für sich beanspruchen.

Anpassung an die Mehrheit

Schlussendlich zeigt Zimmers Stellungnahme, wie massiv zwischenzeitlich selbst in christlichen Kreisen jede von der Mehrheitsmeinung abweichende Einordnung der Homosexualität bekämpft wird. In seiner Argumentation wird auch deutlich, wie in einer Art frommer Bibelkritik klare ethische Aussagen für nicht mehr relevant erklärt werden, weil sie dem vorherrschenden Zeitgeist widersprechen.

Manche fromme Bibelkritik bezeichnet biblische Aussagen zwar nicht als falsch, aber passt sie nach Belieben aus kulturell-historischen Gründen dem jeweiligen Zeitgeist an.

Dabei wird fast standardmäßig auf ähnliche Argumentationsstrukturen zurückgegriffen: 1. Die entsprechende Aussage sei nur in verhältnismäßig wenigen Bibelstellen zu finden. 2. Die Aussage richte sich nur an ein fest umrissenes historisches Publikum. 3. Die entsprechende Aussage gelte lediglich einem längst vergangenen historischen Kontext.

Es besteht die Gefahr, dass diese Art frommer Bibelkritik, auch immer stärker in evangelikalen Kreisen Fuß fasst. Hier werden biblische Aussagen zwar nicht offen als falsch bezeichnet, mit dem Mittel kulturell-historischer Relativierung wird deren Relevanz für den heute lebenden Christen aber regelmäßig neutralisiert. Mit diesem Argumentationsmuster könnte man sämtliche ethischen und geistlichen Aussagen uminterpretieren. Auch wenn das zunehmend geschieht, dürfen wir die biblischen Aussagen und Ansprüche nicht weglassen oder uminterpretieren, nur weil sie vorgeblich nicht mehr verständlich sind oder den heutigen Menschen ärgern.


 

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  1. Siegfried Zimmer: Die schwule Frage – Die Bibel, die Christen und das Homosexuelle, http://worthaus.org/mediathek/die-schwule-frage-die-bibel-die-christen-und-das-homosexuelle-5-1-1/, 11.4.2015. 

  2. Mit Bezug auf 2Sam 1, 26: „Mein Bruder Jonatan, / es tut mir leid um dich! / Deine Freundschaft war mir viel mehr, / als Frauenliebe je bedeuten kann.“ 

  3. Vgl. 1Sam 25, 36-43; 2Sam 11, 1-13. 

  4. Vgl. zu dieser Diskussion: Michael Seemann: Homosexualität und Bibel – Teil 3. Homosexualität – Veranlagung, Schuld oder legitime Selbstverwirklichung?, in: FUNDAMENTUM 3/1991, S. 68-74. 

  5. Dass sich diese Begrifflichkeit nicht auf die Bibel berufen kann, kritisiert Zimmer zu Recht. 

  6. Vgl. W.Schottrof: Art.: ידע / jd‛, in: E.Jenni / C.Westermann: Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament (THAT), Bd. I, Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1971, Sp. 691. Interessanterweise lehnt auch Zimmer den Begriff „Homosexualität“ als kalt und distanziert ab. 

  7. Vgl. Manfred Schäller: Sodom und Gomorrha im Licht der biblischen Archäologie, in: Biblisch Glauben, Denken, Leben 2-3 (1987/88). 

  8. Vgl. 1Mo 10 ,19; 13 ,10; 14, 2ff / Othmar Keel / Max Küchler: Orte und Landschaften der Bibel. Band 2, Benziger Verlag, Zürich 1982, S. 247-257. 

  9. Vgl. Walter Zimmerli: Zürcher Bibelkommentare 1.2. 1.Mose 12-25: Abraham, Theologischer Verlag Zürich, Zürich 1976, S. 87f. / Claus Westermann: Biblischer Kommentar Altes Testament, Bd. I/2 Genesis, Neukirchener Verlag, Neukirchen Vluyn 1981, S. 367f. 

  10. Vgl. Jer 23, 14; 2Petr 2, 6f; Jud 7. 

  11. Vgl. Sudan: Massenvergewaltigung durch Armee in Darfur, Human Rights Watch, Berlin 15.2.2015, http://www.hrw.org/de/news/2015/02/11/sudan-massenvergewaltigung-durch-armee-darfur 

  12. Vgl. zu den besprochen biblischen Texten z.B. Michael Kotsch: Moderne Medizin & Ethik, Bd. 2, Lage 2009, S. 238-248. 

  13. Vgl. Eine andere Sicht vertritt beispielsweise: John E. Hartley: Leviticus, World Biblical Commentary, Bd. 4, Thomas Nelson, Nashville / Dallas 1992, S. 297, 339f. Hier finden sich auch Angaben zu anderer relevanter Fachliteratur. Auch der historisch-kritisch argumentierende Theologieprofessor Klaus Gründwaldt fragt in seiner Habilitationsschrift: „Warum unterscheidet sich das Alte Testament in seiner Bewertung der Homosexualität so grundlegend vom übrigen Alten Orient?“ Für die klare Ablehnung sieht er drei Gründe: zuerst die klare heterosexuelle Ausrichtung des Menschen von der Schöpfung her, die Ablehnung jeder Art von Kultprostitution, die im Orient auch homosexuell vollzogen werden konnte und die durch den sexuellen Akt entstehende Rechtsgemeinschaft, die nur in Ehe und Familie lebbar war. Das Heiligkeitsgesetz Leviticus 17-26: ursprüngliche Gestalt, Tradition und Theologie. Berlin: deGruyter, 1999. S.193-194. 

  14. Zimmer bezeichnet den Verfasser des betreffenden Bibeltextes deshalb auch abfällig als „Macho“, der einen „Verrat am Patriarchat“ fürchtete. 

  15. Vgl. 1Mo 5, 32; 19 15; 21, 1-21; 25, 19-27; 1Sam 1, 3. 

  16. Vgl. 1Mo 38, 8ff. Eine Erklärung des Hintergrunds der so genannten Schwagerehe und der Schuld von Onan und Juda findet sich hier

  17. Vgl. Peter Mauritsch u.a. Hrsg.: Antike Lebenswelten. Konstanz — Wandel — Wirkungsmacht. Festschrift für lngomar Weiler, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008, S. 295f. / Rainer Uebe: Natürliche Familienplanung. Verhütung und Kinderwunsch, Wertheim 2003, S. 35f. 

  18. Vgl. 1Mo 5, 6; 1Mo 5, 9; 1Mo 5, 18; 1Mo 17, 17ff; 1Chr 14,3. 

  19. Vgl. 1Mo 17, 16ff; 1Sam 1, 9ff; Ps 127, 3; Ps 139, 13. 

  20. Vgl. E.Gerstenberg: Art.: תעב / t’b, in: E.Jenni / C.Westermann: Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament (THAT), Bd. II, Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1975, Sp. 1051-1055. 

  21. Vgl. Mt 15, 20; Mk 7, 1-23; Röm 14,1 – 15,6; 1Kor 10,25-28. 

  22. Vgl. Röm 1 26f; 1Kor 6, 9f; 1Tim 1, 8-10. 

  23. Vgl. 3Mo 20, 15; 5Mo 27, 21. 

  24. Vgl. 5Mo 17, 6; 5Mo 19, 15; 1Tim 5, 19; Hbr 10, 28. 

  25. Vgl. 3Mo 18, 6-20; 5Mo 22, 22-24. 

  26. Vgl. Johannes Keller: Römische Interessengeschichte. Eine Studie zu Interessenvertretung, Interessenkonflikten und Konfliktlösung in der römischen Republik des 2. Jahrhunderts v. Chr., München 2004, S. 63-67. 

  27. Vgl. Ulrich Wilkens: Der Brief an die Römer, Evangelisch- Katholischer Kommentar (EKK) Bd. VI/1, Benziger Verlag / Neukirchener Verlag, Zürich / Neukirchen 1978, S. 109f. / Otto Michel: Der Brief an die Römer, Kritisch- exegetischer Kommentar über das Neue Testament (KEK), Bd. 4, 5.bearb. Aufl., Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1978, S. 105f. Weitere Literaturhinweise finden sich ebenfalls an dieser Stelle. 

  28. Vgl. V.van Vilsteren / Rainer-Maria Weiss Hrsg.: 100.000 Jahre Sex – Über Liebe, Fruchtbarkeit und Wollust, Zwolle 2007, S. 28-34 / K.-W. Weeber: Luxus im alten Rom, Darmstadt 2007, S. 74-83. 

  29. Frank Westenfelder: Homosexualität, http://www.kriegsreisende.de/krieger/homosexualitaet.htm, 20.4.2015, in dem betreffenden Artikel finden sich einige Hinweise auf die entsprechenden historischen Belege. 

  30. Vgl. z.B. Homosexuelle Studenten stören Uni-Vorlesung in Köln, http://www.kath.net/news/24841, 8.12.2009 / Dieter Ziegeler: Eskalation um die Wahrheit – Primitiv-skandalöse Demonstration gegen das Christival, http://www.christ-online.de/content/view/333/65/, Juni 2008. 

  31. Vgl. z.B. Giuseppe Nardi: Alarm Homophobie? Doch keine Studie belegt ihre Existenz, http://www.katholisches.info/2013/12/16/alarm-homophobie-doch-keine-studie-belegt-ihre-existenz/, 16.12.2013. 

  32. Erhellend ist in dieser Hinsicht der Bericht des schwulen Journalisten Christian Deker, der sich unter dem Vorwand, er suche Heilung, und mit der Hilfe der Evangelikalenkritikerin Oda Lamprecht in evangelikale Gemeinden begeben hatte. Er bekam zwar Therapieangebote, die er aus Recherchegründen annahm, obwohl er sie innerlich ablehnte. Aber er wurde offenbar nirgendwo diskriminierend behandelt. Sein Bericht: http://www.zeit.de/2014/20/homosexualitaet-heilung-evangelikale-christen (9. Mai 2014)