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Bluttransfusion – von Gott verboten?

Vielleicht eines der Dinge, die Jehovas Zeugen am bekanntesten gemacht haben, ist ihre Ablehnung von Bluttransfusionen. Dies ist nach Ansicht der Wachtturmgesellschaft eines der Kennzeichen eines wahren Christen.

In ihren Zeitschriften wird in den letzten Jahren verstärkt auf gesundheitliche Gefahren, die es bei Bluttransfusionen geben kann, z. B. Aids und Hepatitis B hingewiesen und jeder Blutskandal aufgegriffen. Zweifellos gibt es heute viele Menschen, die sich unter diesen Aspekten fragen, ob für sie eine Bluttransfusion in Frage kommen könne. Doch tritt dabei in den Hintergrund, dass dies nicht der Grund ist, warum die Wachtturmgesellschaft sie ablehnt. Auch wenn in Broschüren und Zeitschriften hiervon berichtet wird, so beruht die Ablehnung in keinster Weise auf medizinischen Gründen.

Selbst wenn es diese Risiken nicht gäbe, bliebe die Transfusion für Jehovas Zeugen verboten.

Die Wachtturmgesellschaft lehnt eine Bluttransfusion vielmehr als angeblich von Gott verboten ab: Im Erwachet vom 22.03.95 heißt es:

„GOTTES Gesetz verbietet Christen, Blut in irgendeiner Form zu sich zu nehmen (Apostelgeschichte 15,28.29). Durch den Gehorsam gegenüber diesem Gesetz ist es mitunter zu Missverständnissen gekommen; als Folge davon hat man Christen eine verfügbare und wirkungsvolle medizinische Behandlung ohne Blut verwehrt … Die Zeugen machen nicht von einem ‚Recht auf den Tod‘ Gebrauch, und sie wollen auch keine Märtyrer sein. Die Entscheidung bezüglich der Blutfrage wird nicht von einer Organisation diktiert, sondern ist vielmehr eine aufrichtige, persönliche Glaubenssache … Die vielleicht herausragendste Botschaft, die vermittelt werden soll, lautet: Jehovas Zeugen sind vernünftige Leute und keine Fanatiker; sie bitten lediglich um annehmbare Alternativen zur Bluttransfusion.“

Von einer Entscheidung als ganz persönliche Glaubenssache kann jedoch keine Rede sein.

Ein Verstoß gegen das Verbot der Bluttransfusion hat nämlich den Ausschluss des betreffenden Zeugen zur Folge. Er wird, so die Wachtturmlehre, in Harmagedon vernichtet werden und hat keinerlei Aussicht auf eine Auferstehung. Man sagt den Menschen, sie verlören ihr ewiges Leben, wenn sie einer Transfusion zustimmten. Der Ausschluss bedeutet für einen Zeugen auch im alltäglichen Leben mehr, als sich die meisten Menschen vorstellen können. Niemand darf mehr mit ihm sprechen, ihn nicht einmal mehr grüßen; selbst Ehegatten sollen die sogenannte „geistige Gemeinschaft“ abbrechen. Manche Menschen, vor allen Dingen diejenigen, die als Zeugen aufgewachsen sind, verlieren so mit einem Schlag alle Freunde und ihr gesamtes soziales Umfeld.

Vor diesem Hintergrund ist die vehemente Weigerung der Zeugen verständlich, sich Blut transfundieren zu lassen. Jeder Zeuge muss ständig einen Ausweis für den Notfall bei sich tragen, aus dem ersichtlich ist, dass er keine Bluttransfusion wünscht. Auch die sogenannten Krankenhausverbindungskommitees sind nicht etwa dafür zuständig, kranke Zeugen zu betreuen, sondern ausschließlich dafür Sorge zu tragen, dass es zu keiner Transfusion kommt. Es gibt fast keine Ausgabe der Zeitschriften, wo nicht wenigstens kurz über einen Aspekt der sogenannten „Blutfrage“ berichtet wird.

Eine ganze Ausgabe wurde diesem Thema auch im Erwachet vom 22.05.94 gewidmet: „Jugendliche, die Gott den Vorrang geben“. Im Hauptartikel wurden die Geschichten mehrere Kinder und Jugendlicher erzählt, die meist an Krebs litten und sich weigerten, einer Bluttransfusion zuzustimmen; einige dieser Kinder starben. Es sollen hier auch keine medizinischen Aspekte behandelt werden; denn dazu wird die Frage eines Nutzens auch unter Ärzten zu kontrovers diskutiert. Anzumerken sei lediglich, dass allgemeine Übereinstimmung unter Ärzten herrscht, dass es bei Verkehrsunfällen oft keine Alternative zur Transfusion gibt, will man das Leben retten. In ihren Zeitschriften argumentiert die Gesellschaft oft mit den medizinischen Aspekten oder dem fragwürdigen Nutzen der Transfusion, aber darauf kommt es eigentlich nicht an.

Selbst wenn man das Leben eines Menschen nur mit einer Bluttransfusion retten könnte, hätte dies keine andere Entscheidung bei der Wachtturmgesellschaft hervorgerufen. Der Gehorsam gegen Gott verlange es, so erklärt man, lieber ein Menschenleben zu opfern als einer Transfusion zuzustimmen.

Die Zeugin, die mir die Zeitschrift überreichte, sagte mir, ihr seien die Tränen gekommen, als sie diese Ausgabe gelesen habe. Mir kamen auch die Tränen, doch aus einem anderen Grund, denn ich war erschüttert über das Gottesbild, das die Wachtturmgesellschaft verbreitet, das Bild eines Gottes, der Menschen lieber sterben lässt als eine Bluttransfusion zuzulassen. In einem Leserbrief hierzu im Erwachet hieß es:

„Ich bin 17 Jahre alt und habe Angst, in eine ähnliche Situation zu gelangen. Ich fürchte nicht den Tod, sondern vielmehr, dass ich die Gebote Jehovas missachten könnte. Es wäre furchtbar, wenn ich unter Druck nicht standhielte. Diese Berichte geben mir ungeheure Kraft.“ (Erwachet vom 08.12.94)

Im Wachtturm vom 15.06.91 wird ausführlich auf die biblische Begründung dieser Lehre eingegangen, darin wird noch einmal betont, daß Bluttransfusionen nicht deshalb abgelehnt werden, weil es verunreinigt sein könnte, sondern weil es für unseren Gott und Lebengeber kostbar ist.

Gott habe schon in 3Mose 17,10 das Essen von Blut mit dem Tode bestraft. Zwar stünden Christen nicht mehr unter dem Gesetz, aber zum einen sei das Essen von Blut bereits Noah und seinen Söhnen verboten worden, also noch in der Zeit vor dem mosaischen Gesetz für alle Menschen festgelegt worden, und zum anderen hätten die Apostel dieses Gebot Gottes ebenfalls bestätigt. Man beruft sich hierbei auf Apg 15,28+29:

„Denn es hat dem Heiligen Geist und uns gut geschienen, keine größere Last auf euch zu legen als diese notwendigen Stücke: euch zu enthalten von Götzenopfern und von Blut und von Ersticktem und von Unzucht.“

Damit sei bewiesen, dass der „Blutgenuß“ – und nichts anderes sei eigentlich auch die Transfusion – nicht erlaubt sei.

Man argumentiert, wenn der Arzt einem Menschen Alkohol verboten habe, so sei damit schließlich nicht nur das Trinken gemeint, sondern ein solches Verbot bezöge sich dann auch auf die Aufnahme durch eine Vene. Außerdem habe man auch in vorchristlicher Zeit medizinische Experimente mit Blut vorgenommen.

Hat Gott tatsächlich die Bluttransfusion verboten? Betrachten wir einmal, was Lukas in Apostelgeschichte 15 weiter schreibt. Dort begründet Jakobus nämlich, warum man sich „vom Blut enthalten sollte“:

„… Deshalb urteile ich, man solle die, welche sich von den Nationen zu Gott nicht beunruhigen, sondern ihnen schrieben, dass sie sich enthalten vom Erstickten und vom Blut. Denn Mose hat von alten Zeiten her in jeder Stadt solche, die ihn predigen, da er an jedem Sabbat in den Synagogen gelesen wird.“ (Apg 15,19–21)

Für die Juden war das Essen von Fleisch, in dem noch Blut enthalten war, von Gott im alten Bund verboten worden. Sie hatten eine innerliche Abscheu vor diesen Dingen. Deshalb war es eine Frage der Rücksichtnahme für die Heidenchristen, darauf zu verzichten, um die Judenchristen nicht zu provozieren. Dieser Grundsatz der Rücksichtnahme durchzieht die Briefe des Paulus wie ein roter Faden (z. B. Röm 14). Interessanterweise kamen orthodoxe Juden nie auf die Idee, Bluttransfusionen abzulehnen. Für uns heute kann diese Anweisung keine Bedeutung mehr haben, es sei denn, wir würden mit einem Juden zusammen essen. Aus diesem Grund ist es auch leicht zu erklären, dass in den späteren Briefen nichts mehr von einem Verbot, Blut enthaltendes Fleisch zu essen, erwähnt wird. Dort, wo es fast ausschließlich Heidenchristen gab, trat dieses Problem nicht auf. Eigentlich wird dies auch im Korintherbrief bestätigt, wo Paulus schreibt:

„Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, esst, ohne es um des Gewissens willen zu untersuchen.“ (1Kor 10,25)

Wenn Fleisch nicht untersucht werden musste, so konnte es durchaus sein, dass es nicht nach der jüdischen Vorschrift geschlachtet und ausgeblutet worden war. Doch dies wird von der Wachtturmgesellschaft geleugnet:

„Offenbar war es Brauch, die im Tempel geopferten Tiere ausbluten zu lassen und das Blut auf den heidnischen Altären zu verwenden. Wenn somit etwas von dem überschüssigen Fleisch auf dem Markt verkauft wurde und keine offensichtliche Verbindung zu einem Tempel oder zu den falschen Vorstellungen der Heiden bestand, konnten Christen es einfach als handelsübliches Fleisch kaufen, das rein und in angemessener Weise ausgeblutet war.“ (Wachtturm vom 15.10.92, S. 30).

Man behauptet einfach, es sei offenbar Brauch gewesen, das Fleisch ausbluten zu lassen. Doch entbehrt diese Behauptung jeglicher Logik. Die Heiden hatten keinerlei Grund, Fleisch ausbluten zu lassen, denn nur den Juden war dieses Gebot von Gott gegeben worden. Doch würde man dies zugeben, müsste man die ganze Lehre über das Blut fallen lassen!

Weiteren Aufschluss erhalten wir, wenn wir untersuchen, warum Gott das Trinken von Blut verboten hatte. Bei einigen antiken Völkern war es üblich, das Blut seiner Feinde zu trinken; es waren zahlreiche abergläubische Ansichten damit verbunden, z. B. glaubte man, dadurch Macht über deren Seele oder Unsterblichkeit zu erlangen. Mit solchen Bräuchen sollte Gottes Volk nichts zu tun haben.

Eine Transfusion dagegen hat nichts mit abergläubischen Bräuchen zu tun. Gerade wenn das Blut Leben symbolisiert und in Gottes Augen kostbar ist, sollten Christen alles tun, um ein Menschenleben zu retten.

„In Gottes Wort wird sowohl das Leben als auch das Blut als heilig betrachtet … Bei Jehova ist der Quell des Lebens (Ps 36,9). Der Mensch kann ein Leben, das er genommen hat, nicht mehr zurückgeben. ‚Alle Seelen – mir gehören sie‘, sagt Jehova (Hes 18,4). Jemandem das Leben zu nehmen bedeutet also, sich an Jehovas Eigentum zu vergreifen. Alles Lebendige dient einem bestimmten Zweck und hat einen bestimmten Platz in Gottes Schöpfung. Kein Mensch hat das Recht, Leben auszulöschen, es sei denn, Gott habe es erlaubt und es geschehe nach seinen Anweisungen.“ (Einsichten über die Heilige Schrift, S. 421)

Jehovas Zeugen würden mit der Zurückweisung der Transfusion auch zeigen, dass ihr Leben von Gott allein abhinge. Müssten sie nach dieser Argumentation nicht auch Medikamente ablehnen?

„Wahre Christen schätzen zwar das Leben hoch ein und sind für ärztliche Hilfe dankbar, doch respektieren sie das Leben als eine Gabe des Schöpfers und versuchen daher nicht, es durch die Aufnahme von Blut zu erhalten (1.Samuel 25,29) … Gott wies die gesamte Menschheit an, kein Blut zu essen. Warum? Weil es das Leben darstellt (1.Mose 9,3–6). Das mosaische Gesetz enthielt Gesetze, die darauf hindeuteten, dass alle Menschen Sünder sind. Wie Gott den Israeliten sagte, konnten sie durch die Darbringung von Tieropfern zeigen, dass ihre Sünden zugedeckt werden mussten (3.Mose 4,4–7, 13–18, 22–30). Von uns heute verlangt er das zwar nicht, doch hat es immer noch Bedeutung. Gott hatte vor, ein Opfer zu beschaffen, das die Sünden aller Gläubigen völlig sühnen konnte: das Lösegeld (Matthäus 20,28). Deshalb müssen wir Gottes Ansicht über das Blut teilen.“ (Wachtturm vom 15.06.91, S. 10+12)

Blut stellt also Leben dar – und deshalb soll es verboten sein, durch eine Transfusion ein Leben zu retten?

Wie eingangs erwähnt, gibt die Wachtturmgesellschaft 3Mose 17,12–14 als Belegstelle für Gottes Verbot. Sie zitiert nicht umsonst nur bis dorthin, denn der nachfolgende Vers würde die Wachtturmlehre vom Verlust des ewigen Lebens in sich zusammenfallen lassen:

„Jeder, der ein Aas oder Zerrissenes isst, er sei Einheimischer oder Fremder, der soll seine Kleider waschen und sich im Wasser baden, und er wird bis zum Abend unrein sein, dann wird er rein sein. Und wenn er sie nicht wäscht und sein Fleisch nicht badet, so wird er seine Schuld tragen.“ (Vers 15–16).

Wer also doch nicht ausgeblutetes Fleisch aß, der musste sich einer rituellen Waschung unterziehen, das war Gottes Forderung!

Die Wachtturmgesellschaft flößt ihren Mitgliedern jedoch Todesangst ein. Sie weiß ganz genau, daß sie diese Lehre nicht fallen lassen kann, denn sie hat Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen. Wider besseres Wissen behält sie sie bei, um das Gesicht zu wahren und weil sie weiß, dass sonst eine Unzahl von Menschen ihre Organisation verlassen würden. Eltern haben ihre Kinder und Ehegatten den Partner sterben lassen, in dem Glauben, Gottes Gebot zu gehorchen. Das ist eine Blutschuld, die die Gesellschaft vor Gott verantworten muss.

Es ist nicht Gott, der das Verbot einer Transfusion ausspricht, sondern die Wachtturmgesellschaft fordert ihre Opfer!

„Geht aber hin und lernt, was das ist: Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer“ (Mt 9,13)