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Buch: Schadet die Bibelwissenschaft?

Zimmer, Siegfried. Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? Klärung eines Konflikts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007 2. Auf. 203 S. Paperback: 19,90 €. ISBN 3-525-57306-8

zimmer-schadet bibelwissenschaftDr. Siegfried Zimmer, Professor für Ev. Theologie und Religionspädagogik in Ludwigsburg, möchte mit dem vorliegenden Buch einen Beitrag leis­ten, um den „Riss der Christenheit“ hinsichtlich der Stellung zum wissenschaftlichen Umgang mit der Bibel zu überwinden. Dabei bezieht er bereits im Vorwort ganz klar Stellung: „Mir geht es um etwas Wichtigeres: um das grundsätzliche Existenzrecht der modernen Bibelwissenschaft“ (S. 9).

Der Autor beginnt damit, zunächst die Dinge zu erwähnen, die uns Christen hinsichtlich der Bibel einen. Hier nennt er den Glauben daran, dass Gott durch die Bibel zu uns Menschen spricht und dass sie in allen heilsentscheidenden Fragen zuverlässig ist. Bereits hier betont er, dass es notwendig ist, zwischen Wichtigem und weniger Wichtigem, zwischen Heilsentscheidendem und nicht Heilsentscheidendem innerhalb der Bibel zu unterscheiden.

Nachdem Zimmer die Gemeinsamkeiten geklärt hat, wirft er die aus seiner Sicht wichtigste Frage auf: „In welchem Verhältnis steht Gott zur Bibel?“ (S. 20). Der Autor verwendet nun die nächsten 86 Seiten seines Buches, um zu zeigen, dass es einen kategorialen Unterschied zwischen Gott bzw. zwischen Jesus und der Bibel gebe. Man dürfe die Bibel und Gott nicht gleichsetzen. Demzufolge dürfe man auch nicht der Bibel göttliche Autorität zusprechen und an ihrer Irrtumslosigkeit festhalten, wie es die fundamentalistische (bibeltreue) Theologie tut. Im Gegenteil: um Gott die ihm zustehende Ehre zu erweisen, sei die differenzierende Unterscheidung zwischen Gott und der Bibel, wie sie bibelwissenschaftliche Theologie vertritt, notwendig (S. 35ff). Man dürfe nicht der Bibel die Ehre geben, die nur Gott gebührt.

Der Autor führt nun eine ganze Reihe von Argumenten ins Feld, die dies belegen sollen. So weist er z. B. darauf hin, dass die Bibel im Gegensatz zu Gott sichtbar sei und eine Entstehungsgeschichte habe. Auch könne nicht die Bibel einen Menschen erlösen, sondern nur Jesus Christus. Aber auch mehr als fragwürdige Gedankengänge finden sich hier. So vertritt Zimmer die Ansicht (S. 53), dass aufgrund von 1Kor 1,18.27f und 2Kor 12,9 auch die Bibel Fehler enthalten müsse. Weil Gott das Schwache erwählt hat, weil er in den Schwachen mächtig ist und weil die biblische Botschaft ein „Wort vom Kreuz“ ist, müsse diese Schwäche auch für die Bibel selbst gelten. Allerdings meint das „Wort vom Kreuz“ doch ganz offensichtlich den Inhalt der Botschaft und nicht die fehlerhafte, äußere Form. Auf S. 56 behauptet der Autor, dass die Bibel schon deswegen nicht vollkommen sein könne, weil sie sichtbar sei und Gott unsichtbar. Aber ist diese Argumentation schlüssig? War z. B. deswegen der sichtbare Jesus Christus hier auf dieser Erde nicht vollkommen, nur weil er sichtbar war? Zielpunkt seiner ganzen Argumentation ist folgender: „Im Konfliktfall argumentieren wir ohne jedes Zögern mit Jesus Christus gegen die Bibel!“ (S. 96)

In Kapitel 5 betont der Autor, dass die Aussage „Die Bibel ist Gottes Wort“ nur dann richtig verstanden sei, „wenn man damit meint: Die Bibel ist eine von mehreren Gestalten des Wortes Gottes“ (S. 116; Hervorhebung vom Autor). Auf diese Überzeugung kommt er deshalb, weil er viele verschiedene Aussagen in der Bibel findet, die vom „Wort Gottes“ sprechen, die sich aber nicht mit dem Begriff „Bibel“ austauschen lassen. Mit keinem Wort erwähnt er aber in diesem Zusammenhang, dass die Bibel selbst (2Tim 3,16) die ganze Schrift als „gottgehaucht“ bezeichnet. Und nimmt man im Glauben die Aussage aus Hebr 4,12 an („Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert.“), die sich auf das schriftliche Wort Gottes bezieht, dann wird sehr schnell deutlich: Der Gedanke einer Trennung zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Wort Gottes ist der Bibel völlig fremd und passt nicht zu ihrem Selbstverständnis. Als Beispiel sei auch Psalm 119 angeführt, der diesen Gedanken ja recht deutlich ad absurdum führt. Und wer zwischen dem mündlichen/schriftlichen Wort Gottes und dem fleischgewordenen Wort Gottes trennen möchte, „der nimmt auch die Bibel nicht ernst“ (S. 114), um einmal eine Formulierung des Autors aus dem Zusammenhang zu reißen und gegen ihn zu verwenden.

Der Autor geht aber noch weiter: Um „Jesus Christus treu bleiben“ zu können, könne man nicht an der „traditionellen Inspirationslehre“ festhalten. Deswegen argumentiert er im 6. Kapitel gegen die Verbalinspiration der Bibel. Er tut dies allerdings sehr unbefriedigend. Erstaunlicherweise geht er auf „klassische“ Belege der Schrift (2Tim 3,16; 2Petr 1,21 usw.) exegetisch nur sehr schwach, sehr oberflächlich und ausweichend ein. Den Umgang von Jesus und den Aposteln mit dem AT erwähnt er gar nicht, und er hat, wie er selbst sagt, keine wirkliche Alternative anzubieten, hält sie allerdings auch für sachlich nicht notwendig (S. 118). Des Weiteren sieht der Autor keinerlei ethische Probleme oder Konsequenzen, wenn das Selbstzeugnis der Bibel (z.B. über die Autorenschaft eines Buches) nicht der Wahrheit entspricht.

Abschließend gibt der Autor noch einen kurzen Überblick über die Entwick­lung der modernen Bibelwissenschaft und verdeutlicht seinen Umgang mit der Bibel am Buch Hiob.

Im ganzen Buch fällt der freundliche, gewinnende und überzeugende Schreibstil des Autors auf. Er vermeidet Diffamierungen der Bibeltreuen und ist sehr um einen Konsens bemüht. Dennoch kann dies nicht über die deutlichen Schwächen des Buches hinwegtäuschen. Im ganzen Buch bleibt der Autor den Beweis schuldig, warum denn nun ein kategorialer Unterschied zwischen Gott und der Bibel (den kein bibeltreuer/„fundamentalistischer“ Exeget leugnen wird) belegen soll, dass die Bibel Fehler enthält. Zimmer kann auch keinen Beleg dafür erbringen, dass diese differenzierende Unterscheidung zwischen Gott und der Bibel uns dazu anhält, die Bibel historisch-kritisch zu betrachten. Er kann nicht erklären, warum wir als Menschen das Recht haben, über die Bibel zu richten, wo doch nach seinen eigenen Aussagen die Autorität der Bibel über der Autorität der Kirche steht (S. 51). Letztlich geht seine Argumentation am Eigentlichen vorbei!

So bleibt das Buch eine interessante Lektüre, die einerseits zum Nachdenken anregt, andererseits allerdings auch unberechtigte Zweifel in die Vertrauenswürdigkeit der Bibel sät. Mit Sicherheit wird sie aber den Riss in der Christenheit hinsichtlich der Stellung zur Bibel nicht überwinden – vielleicht deshalb, weil er nicht in diese Richtung überwunden werden darf.

Stephanus Schäl und Joachim Klotz 32643 Lemgo/Brake


Weitere Besprechungen zum rezensierten Buch:

Die Zeitschrift ichthys, die vom „Arbeitskreis geistliche Orientierungshilfe im Theologiestudium (AgO)“ herausgebracht wird, druckte schon in Heft Nr. 45 vom Oktober 2007 eine Rezension zu dem Zimmer-Buch ab. Die Rezensentin, Corinna Schubert, empfiehlt Zimmers Buch ausdrücklich als Einführung zum Verstehen der Problematik. Zimmers Plädoyer sei aber auch „eine Mahnung an alle Kritiker der Bibelkritik, den jungen Christen nicht Angst zu machen“ (S. 170). Sie mahnt, theologische Entwürfe nicht „hochmütig zu verwerfen“ und meint, dass man an den Argumenten Zimmers zur (Un-)Geschichtlichkeit des Buches Hiob „nicht einfach vorbei kann“ (S. 170).

Dass die Zeitschrift in ihrer nächsten Nummer noch einmal eine Rezension zum gleichen Buch abdruckt, lässt auf Diskussionen schließen. Jedenfalls entschloss sich die Redaktion von ichtys, in Nr. 46 (2008/1) eine im freundlichen Ton gehaltene Rezension „Eine Rück­meldung an Siegfried Zimmer“ von Prof. Dr. Armin D. Baum, FTA Gießen, aufzunehmen. Dr. Baum kam freilich zu einem anderen Ergebnis. Er kritisiert die von Zimmer angewandten Kategorien als zu undifferenziert, weil sie Mitchristen, die „an der Zuverlässigkeit bzw. Fehlerlosigkeit der Schrift festhalten“ nicht erfasst (S. 82). Auch den von Zimmer befürworteten Ansatz, „dass auch kanonische Schriften theologische Fehler aufweisen und fehlerhafte Aussagen sogar als ,Gottes Wort‘ zu gelten haben“, hält Baum für „nicht reformatorisch“ (S. 83f.). Vor allem kritisiert er, dass Zimmer „eine evangelikale Theologie, die auf der Basis eines traditionellen Schriftverständnisses bibelwissenschaftlich arbeitet“, konsequent ausblendet und die Arbeiten ihrer Vertreter nicht berücksichtigt. Auch „die Tatsache, dass mit bibelwissenschaftlichen Argumenten nahezu jede Aussage des Apostolischen Glaubensbekenntnisses bestritten worden ist und bestritten wird, kommt bei Zimmer praktisch nicht in den Blick“ (S. 87).

Die Redaktion von ichtys gab Prof. Zimmer die Möglichkeit, im selben Heft ausführlich darauf zu antworten (Rezension S. 79-87, neun Seiten, Erwiderung S. 88-97, zehn Seiten). Hier bleibt von dem freundlichen Ton Zimmers allerdings nicht mehr viel übrig. Scharf, ja geradezu oberlehrerhaft, kritisiert er den Rezensenten und wirft ihm „zahlreiche Missverständnisse“ (S. 88) vor. Konkret behauptet er, zwölf Stück gefunden zu haben und geht auf jedes einzelne ein. Er hätte gerade das Gegenteil von dem betont, was Baum ihm unterstelle und wirft diesem „unfaire Stimmungsmache“ (S. 89) vor. Dann beschwert er sich, dass Baum nicht wenigstens einen knappen Überblick über sein Buch gegeben habe und belehrt ihn darüber, wie eine ordentliche Rezension aussehen müsste (S. 95 Anm. 8). Er unterstellt ihm, „einen Großteil der besprochenen Fragen des Buches“ (S. 97) übergangen zu haben und fragt: „Warum hüllt Baum sich in so vieler Hinsicht in Schweigen, wo Offenheit und Transparenz gefragt waren? Warum teilt er seinen Lesern so viele Bausteine jener Brücke, die ich bauen will, nicht mit?“

Als Leser hat man den Eindruck: Hier spricht einer, der sich beleidigt fühlt, kein Brückenbauer.


Das Jahrbuch für evangelikale Theologie, 22. Jahrgang 2008 hat ebenfalls eine Rezension des Zimmerbuchs aufgenommen. Beat Weber, der Rezensent, der selbst in beiden „Lagern“ studiert und theologisch gearbeitet hat (FETA/STH und theologische Fakultät der Universität Basel) kennt die Arbeitsweisen mit der Bibel „hüben“ wie „drüben“ recht gut (S. 262). Er schreibt, dass sich bei ihm die „Klärung eines Konflikts“ nicht eingestellt habe, sondern eine gewisse Enttäuschung, teilweise sogar Verärgerung (S. 260). Sein Ärger rührt von daher, dass Zimmer selbst nicht vor Vereinfachungen und Pauschalisierungen frei ist. Befremdet ist er von einer gewissen „Blauäugigkeit, mit welcher der universitären Bibelwissenschaft weithin theologische Un­be­denk­lichkeit attes­tiert“ wird. Er hält „das einfache Modell der Abstufung von Gott zur Bibel – so schlüssig und verfänglich es klingt – für einen simplifizierenden Trugschluss“. Es „sprengt die enge Zuordnung in unguter Weise auf und die dadurch gewährte ,Erlaubnis‘ zur (gemäßigten) Bibel- und Sachkritik … und führt nicht wirklich zu neuen Freiheiten … Die Frage ist nicht, ob die Bibelwissenschaft dem Glauben schadet, sondern welche.“ (S. 262)