Buchholz, Armin. Schrift Gottes im Lehrstreit. Luthers Schriftverständnis und Schriftauslegung in seinen drei großen Lehrstreitigkeiten der Jahre 1521-28. Gießen: Brunnen 2007. 2. Aufl. 340 S. Paperback: 29,95 €. ISBN 978-3-7655-9549-3
Auch wenn es nicht ein Buch neueren Datums ist, es ist ein ausgesprochen lesenswertes Buch, das erfrischend zu aktuellen Themen in der Schriftfrage hilfreiche Orientierung zu geben vermag. Daher sollte es jeder an der Schriftauslegung interessierte Christ lesen! Denn Armin Buchholz betont zu Recht: „Martin Luthers Schriftverständnis und Schriftauslegung ist für protestantische Theologie und Kirche, ja auch für alle theologisch interessierten Christen ein allzeit wichtiges Thema“ (S. 1). Und da Luther von Experten „immer wieder als Vorreiter und Kronzeuge heutiger historisch-kritischer Theologie vorgestellt wurde“ und wird, ist es wirklich wichtig, sich „ein eigenes Bild und Urteil davon zu machen, was Luther tatsächlich zur Sache gelehrt hat“ (S. 1). Buchholz zeigt daher auch an drei großen Lehrstreitigkeiten auf, wie Luthers Schriftverständnis und Schriftauslegung zu verstehen sein muss, eben ganz und gar nicht im Sinne eines Vorreiters heutiger historisch-kritischer Theologie, sondern indem er plausibel und begründet herausarbeitet, dass und wie die Bibel in der Klarheit des äußerlichen Wortlautes autoritative, kognitive, normative „Schrift Gottes“ (und damit Richter im Lehrstreit) ist und bleibt (und bleiben muss), einer Bezeichnung, die Luther selbst wiederholt aufgreift, wenn er die Bibel beispielsweise als „gottis schrifft“ bzw. als des Hl. Geistes „eygen schrifft“ bezeichnet oder Gott bzw. der Heilige Geist als „der aller eynfeltigst schreyber“, also als Autor der Heiligen Schrift anzusehen ist (S. 8).
Diese Untersuchung, die 1993 als Dissertation der theologischen Fakultät der Universität Hamburg angenommen wurde, ist übersichtlich gegliedert: Kapitel 1 beschreibt einige wichtige „Vorbemerkungen“ (S. 1-5 – die nach meinem Geschmack ein wenig zu kurz ausfallen und im Grunde nicht genug Substanz haben, eine eigene Kapitelziffer zu erhalten), die dem Leser erlauben, die Absichten, die Vorgehensweise und die Eingrenzungen der Untersuchung zu verstehen. Die Kapitel 2-4 analysieren minutiös und mit Quellen belegt (über 1000 oft weiterführende und qualitativ bereichernde Fußnoten) das von Luther angewendete Schriftverständnis in den erwähnten Lehrstreitigkeiten (1) mit Emser und Latomus, (2) mit Erasmus von Rotterdam und (3) mit Karlstadt, Zwingli, Ökolampad und Schwenckfeld (S. 6-264). Kapitel 5 bietet schließlich auf ca. 45 Seiten eine „Zusammenfassung und Auswertung der Arbeitsergebnisse“ (S. 265-309). Das für die zweite Auflage erweiterte Literaturverzeichnis (S. 310-340) ist bereichernd und für das Weiterstudium zur Klärung von Fragen rund um ein angemessenes Schriftverständnis förderlich und nützlich.
Die Ergebnisse der Auswertung bei Luther stellen ans Licht, dass die Heilige Schrift allein, ohne jede andere Instanz oder Erkenntnisquelle, auf die man sich auch noch berufen könnte, als „formula exclusiva (…) [eine ausschließende] Entscheidungsbefugnis und Entscheidungsfähigkeit (…) im Lehrstreit“ besitzt (S. 58). Weiterhin wird betont, dass die prinzipiell vorhandene „Klarheit der Schrift“ ein äußeres Urteil und die Beweisführung im Lehrstreit sowie ein inneres Urteil und das Bekenntnis ermöglicht (S. 144ff.; 153ff.), Gesichtspunkte, die sowohl für das Lehramt wie auch für dessen apologetische Funktion von zentraler Bedeutung sind (S. 160), wie auch so die Abwehr von „Schwarmgeistern“ (S. 165f.) erst ermöglicht wird.
So sehr auch die gelungene Auswertung von Luthers Schriften überzeugt, so muss dann doch im Schlussteil als defizitär angemerkt werden, dass die Auseinandersetzung mit anderen sogenannten „Luther-Experten“, eben solchen, die bis in die Gegenwart hinein Luther als „Vorreiter der historisch-kritischen Theologie“ behaupten, gar nicht oder zu kurz vorkommt. Das ist bedauerlich. Dennoch bestätigen die „Arbeitsergebnisse“ sehr deutlich, dass bei diesen Luther-Auslegern ein ausgeprägter, eklatanter Astigmatismus (= Fehlsichtigkeit) vorliegen muss, der Luthers Schriftverständnis völlig verzeichnet. Buchholz fasst es folgendermaßen zusammen: „Die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sind in einem einzigen Begriff kürzestmöglich und präzise wie in keinem anderen zusammengefasst: ‚Schrift Gottes’“ (S. 265-266), der alles über Luthers Schriftverständnis und Schriftauslegung aussagt, was beachtenswert ist. Daher resümiert Buchholz zu Recht, wenn er schreibt: „Wir müssen erkennen und bekennen, dass im Laufe der letzten paar hundert Jahre einiges falsch gelaufen ist in der Geschichte unserer abendländischen Kirchen und wir das „erste Prinzip“ der Christen, die einzige göttliche Norm und höchste Autorität auf Erden, die Schrift Gottes, verdreht, verleugnet und verloren haben. Unsere einzige Chance auf Erneuerung der Theologie und Kirche ist eine wahre, gründliche Umkehr zu dieser Schrift (…) Lassen wir sie reden, und hören wir, was sie sagt!“ (S. 309). Dem ist nichts hinzuzufügen.
Wer zu Luthers Schriftverständnis außerdem noch weiterstudieren möchte, dem sind die Arbeiten von Johannes Wirsching, beispielsweise der Titel „Was ist schriftgemäß? Studien zur Theologie des äußeren Wortes, Gütersloh 1971“, oder von Armin Wenz „Das Wort Gottes – Gericht und Rettung: Untersuchungen zur Autorität der Heiligen Schrift in Bekenntnis und Lehre der Kirche, FSÖT 75, Göttingen 1996“ zu empfehlen.