Einleitung:
Der Mangel an Klarheit liegt nicht in der Bibel
Es ist nicht allzu schwierig, Einigkeit darüber zu erzielen, dass die Bibel inspiriert ist. Wenn es aber um die Frage geht, was Inspiration der Heiligen Schrift positiv bedeuten soll, dann ist es mit der Einigkeit vorbei. Die „Glaubensbasis der Evangelischen Allianz“ (1972) bekennt sich „zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung“. Aber wenn wir Übereinstimmung erzielen wollten, was damit gemeint sein soll, dann breitet sich in Regel Schweigen aus, vielleicht noch von dem Satz begleitet, dass man über den Vorgang der Inspiration nichts sagen könne, das sei ein Geheimnis Gottes. Die Überzeugung von der Inspiration der Heiligen Schrift muss aber präzisiert werden, wenn man überhaupt etwas damit aussagen will. Wenn sie Teil eines Bekenntnisses ist, darf sie nicht zur Worthülse verkommen.
Ernst Lerle beschrieb diesen Zustand der Inhaltslosigkeit, wenn über Inspiration gesprochen wird in seinem Buch Moderne Theologie unter der Lupe so: „Man kann sogar der wörtlichen Eingebung der Bibel durch den Heiligen Geist (Verbalinspiration) zustimmen und dabei behaupten, hinter den geistgewirkten biblischen Berichten stehe keine andere Wirklichkeit historischer Abläufe als hinter erbaulichen Legenden“.1 Diese Feststellung galt schon vor 35 Jahren fast nur noch auf Seiten der römisch-katholischen Theologie, die das Konzept der „Verbalinspiration“ in ihrer Dogmatik hat. Das besondere der Inspiration der Bibel erscheint heute im Allgemeinen eher als Problem der Abgrenzung. Einerseits kommt der Bibel ein kaum erklärbarer Vorrang zu, beim Menschen Glauben an Gott zu schaffen. Andererseits soll ihr keine Inspirationsvorstellung eine solche Autorität zumessen, dass dadurch die Freiheit des Menschen beschränkt und sein theologisches Denken unter eine kritische Norm gestellt wird .2
Dabei sind die Aussagen der Bibel über sich selbst im Vergleich zum Nebel heutiger Inspirationsaussagen überraschend klar. Das macht schon ein Blick auf die klassischen Bibelstellen zur Inspiration deutlich. Und darum sollten wir sie uns auch von Anfang bis Ende vor Augen halten. Es ist uns aber damit allein nichtgeholfen.
2.Tim 3,16-17: Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.
2.Petr 1,21: Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.
Mt 5,18: Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.
Obwohl sogar in der kritischen Theologie die Rede von der Inspiration der Bibel keineswegs völlig überholt ist und unter den Evangelikalen zur Standardaussage über die Bibel gehört, kann man regelmäßig folgende Erfahrung machen, wenn man sagt, dass man glaubt, dass jedes Wort der Bibel von Gott gewollt ist und eingegeben ist. Wer dabei noch wagt das Wort „Verbalinspiration“ zu benutzen oder den Anschein macht, dass er so etwas glaube, der wird meist selbst bei wohlmeinenden Mitchristen Entsetzen auslösen. „Ja, glaubst Du denn wirklich, dass die Autoren der Bibel willenlose Schreibgriffel Gottes waren?“ „Die Bibel ist doch nicht vom Himmel gefallen!“ „Ja, hast du damit nicht eine Haltung zur Bibel wie Muslime zum Koran?“ Die konsequente Diffamierung der Verbalinspirationslehre hat dazu geführt, dass man im allgemeinen mit dem Wort „Verbalinspiration“ eine mechanistische Diktattheorie von der Entstehung der Heiligen Schrift verbindet, die so in der Christenheit höchstens vereinzelt vertreten wurde. Und die vielgescholtene „Orthodoxie“ gehörte gerade nicht dazu, auch wenn das immer wieder mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten gebetsmühlenartig behauptet wird.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch in dieser Situation nicht den Kopf in den Sand stecken sollten, sondern uns im Gegenteil darum mühen, das Verständnis der Inspiration für uns heute neu auszusagen. Wir brauchen den Mut, auch im modernen Denkhorizont eine schriftgemäße Inspirationslehre zu formulieren. Dabei können wir uns auf frühere Generationen von Christen stützen. Allerdings ist es nicht damit getan, einfach zu wiederholen, was sie sagten, denn sie sprachen in einen anderen Denkhorizont hinein. Wir leben heute nach der der Kantischen Wende im Denken3 und müssen darauf Rücksicht nehmen, ohne dass wir dieser Philosophie verpflichtet sind.4 Wir haben immer „die Aufgabe, die in der Kirche Jesu Christi geglaubte und verkündigte Wahrheit zu überdenken, mit dem vorfindlichen Denken des Menschen und seiner Zeit zu konfrontieren und im aktuellen Kontext neu zu formulieren“ .5
Das alles kann nicht in diesem Beitrag geleistet werden. Darum werde ich mich auf die Darstellung der Säulen der Inspirationslehre beschränken, um wenigstens einen Anfang zu machen. Diese Säulen beschäftigen sich – anders als manche annehmen – nicht mit der Entstehung der Heiligen Schrift und dem genauen Vorgang, wie dabei der Heilige Geist wirkte. Das ist nur am Rande Thema, aber nicht zentral. Zentral ging und geht es bei der Inspirationslehre immer um die Frage, wie es möglich sein kann, dass ein Buch ein Mittel wird, uns so mit Gott zu verbinden, dass wir für Zeit und Ewigkeit gerettet sind. Zudem ist die Bibel auch noch ein seltsames und in seiner Art einzigartiges Buch, das eine Einheit darstellt, die über 1500 Jahre gewachsen ist und dabei literarisch die unterschiedlichsten Gattungen miteinander verbindet, Gesetzestexte und Liebeslieder, biographische Erzählungen und theologische Abhandlungen, nüchterne Aufzählungen und bildreiche Visionen.
Dieses Buch bringt uns die Rettung! muss man nicht besser sagen „Jesus bringt uns die Rettung“? Ja, durch das Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus allein werden wir gerettet, aber nur aus der Bibel kennen wir diesen Jesus und das Handeln Gottes an ihm und in ihm zuverlässig. Wir machen heute unsere Erfahrungen mit ihm, aber auch die müssen sich an dem Buch messen lassen. Wir verlassen uns ganz darauf, was dort geschrieben steht und lieben einen, den wir nie gesehen haben, allein aufgrund dessen, was wir aus dem Buch wissen. Die Inspirationslehre beschäftigt sich in ihrer Mitte mit der Frage, wie das möglich sein kann.
Vier Säulen der Inspirationslehre
1. Säule: Gott ist durch das Wirken seines Geistes der eigentliche Autor der Heiligen Schrift
Baustein 1: Gott wollte wörtliche und schriftliche Mitteilung
Diese erste Säule der Inspirationslehre bedeutet zuerst einmal, dass Gott sich dem Menschen mit einer schriftlichen Mitteilung bekannt machen wollte. Zuerst machen wir uns klar, dass Gott andere Möglichkeiten gehabt hätte und er diese Wege auch vereinzelt beschritten hat. Allen diesen Wegen ist aber gemein, dass nicht der Mensch zu Gott vorstößt und sich Erkenntnis über Gott verschafft, indem er in den Himmel einbricht, sich einschleicht oder Zugang erhält. Es ist vielmehr so, dass Gott selbst sich auf die Ebene der Menschen begibt, die er geschaffen hat und sich ihnen auf eine dem menschlichen Aufnahmevermögen angepasst Weise bemerkbar macht. Das gilt genauso, wenn eine Stimme vom Himmel hören ließ oder zu Menschen in Träumen redete. Gott hätte das zum Normalfall seiner Kommunikation machen können, so dass jeder einzelne auch heute mit hörbarer Stimme oder in Visionen angesprochen würde. Gott könnte ganz auf wörtliche Mitteilungen verzichten und uns nur Bilder sehen lassen. Oder sogar darauf verzichten und uns per inneren Impulsen steuern oder sich einfach gar nicht bemerkbar machen und unsichtbar bleiben, in dem Licht, da niemand zukommen kann. Der Mensch könnte ahnungslos sein Leben leben und erst hinterher, im Himmel würde Gott ihm alles erklären und ihm zeigen, dass er schon immer der Herrwar.
Und es gibt ja auch Religionen ohne ein der Bibel vergleichbares heiliges Buch. Ein Zweig des Islam, das Alevitentum, hat keine heilige Schrift und erkennt den Koran nicht an. Ihr Glaube wird durch mündliche Weitergabe innerhalb der Familien tradiert. Dazu verehren sie Mystiker und Volksheilige, von denen sie glauben, dass der göttliche Geist durch Wunder und Weisung besonders in ihnen wirkt. Der wahre Gott könnte uns auch so retten.
Aber Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, hat dies nicht getan, sondern er wollte wörtliche und insbesondere auch schriftliche Mitteilung, damit sein Wille und Werk den Menschen bekannt wird. Spätestens mit seiner Offenbarung im Bund am Sinai ist Gott diesen Weg gegangen. Er hat das eingeleitet, indem er die 10 Gebote als Bundesurkunde mit seinem eigenen Finger schrieb. Darüber hinaus hat er angewiesen, dass an der heiligsten Stelle des Bundeszeltes und später des Tempels ein Kasten stehen sollte, in dem die beiden Original-Tafeln mit seiner schriftlichen Mitteilung aufbewahrt werden sollten. Jeder sollte begreifen, wie Gott seinen Willen lebendig halten wollte: indem sein Wort schriftlich fixiert und dann über Generationen weitergegeben wird. Der Bundesschluss Gottes mit den Menschen beruht ab Mose auf der schriftlichen Fixierung der Worte Gottes:
2.Mo 34,27 „Und der HERR sprach zu Mose: Schreib dir diese Worte auf; denn auf Grund dieser Worte habe ich mit dir und mit Israel einen Bundgeschlossen.“
Und diese Entscheidung hat Gott nicht zurückgenommen, sondern sie bei den Propheten bestätigt (Jer 30,2), so dass als Heilige Schrift das Alte Testament entstehen konnte. Die frühen Christen hatten vorerst auch nur das Alte Testament als Bibel. Schrittweise wurde die Bibel, bestehend aus dem Alten Testa- ment, dann durch die Schriften des Neuen Testaments ergänzt. Die Wörter, die von Menschen nach Gottes Willen aufgeschrieben wurden und die wiedergeben, wie Gott in der Geschichte gehandelt hat, wie er die Ereignisse gedeutet hat und was er aufgrund dieser Ereignisse zusagt, das alles bildet die Grundlage für Gottes Kommunikation mit den Menschen, durch die er einen Bund mit ihnen schließt. Schriftliche Dokumente erhalten nach Gottes Willen die zentrale Stelle bei der Übermittlung der für unsere Rettung wesentlichen Informationen. Dies ist eine erste wichtige Erkenntnis, die zu einer Trennung von einer Spielart der sogenannten Realinspirationslehre führt. Einige ihrer Vertreter bestreiten, dass die Bibel selbst inspiriert ist. Sie gehen davon aus, dass nur das eigentliche Offenbarungsgeschehen von Gott gewirkt wurde und deswegen von ihm inspiriert ist. Die Bibel ist nur das Dokument, in dem Berichte von Menschen gesammelt sind, die ein Erlebnis mit dem transzendenten Gott hatten. Das Erlebnis ist Offenbarung Gottes, das aufgeschriebene Erlebnis aber nur menschliche Verarbeitung des Erlebten.
Mit den Worten des Marburger Systematikers Jörg Lauster klingt das dann so: „Die Bibel ist ein religiöses Ausdrucksuniversum, das Ereignisse, Begebenheiten und im Neuen Testament dann schließlich die Person Jesus Christus in literarischer Überlieferung und als Einbruch und Wirksamkeit göttlicher Transzendenz interpretiert.“.6 Lauster hält darum den„Überlieferungsprozess“ im Christentum von Anfang an für „multimedial“. Also religiöse Erfahrungen, Gottesdienstfeiern mit bestimmten Riten, spezielle Lehren und Traditionen machen das Christentum aus und sind mittelbar von Gott bewirkt. Die Bibel hat dadurch keinen Vorrang, sondern ist nachgeordnet. Wenn man die Bibel liest, dann kann und muss man erst durch sie hindurch dringen zu dem eigentlichen Erlebnis oder Ritus oder der Lehre, die frühere Glaubende hatten. Das eigentlich Erlebte zählt, die Wörter aber, die man heute in der Bibel liest, kön- nen nach dieser Auffassung sogar etwas ganz anderes meinen, als es auf den ersten Blick scheint. Wenn es etwa um die Auferstehungserzählungen geht, dann soll man erkennen, dass hier eigentlich gläubige Menschen mitteilen wollten, dass ihnen Jesus Christus über sein irdisches Leben hinaus von großer Bedeutung war, wenn sie mit dem Transzendenten in Kontakt treten. Aus diesem Grund seien die Auferstehungserzählungen konstruiert worden. Sie gäben aber keine realen Ereignisse wieder oder seien auch nicht Gottes Mitteilung über ein rettendes Ereignis, sondern eher verschlüsselte Mitteilungen von Menschen über ihre innerseelischen Eindrücke.
Damit wird etwas für den christlichen Glauben Grundlegendes in Zweifel gezogen. Wenn christlicher Glaube in seinem Wesen sowohl Vertrauen auf die besondere Bedeutung vergangener geschichtlicher Ereignisse als auch das Vertrauen auf damit zusammenhängende wörtliche Versprechen ist, die die Zukunft betreffen, dann müssen wir irgendwie sowohl mit den Ereignissen als auch mit den Versprechen in Verbindung kommen. Um das Vertrauen aufzu- bauen, ist Gott gewissermaßen unter die Schriftsteller gegangen. Für sein Ziel durch solches Vertrauen zu retten, konnte er sich nicht auf religiöse Gefühle und Meinungen stützen, die durch schöne Legenden hervorgerufen werden. Er brauchte eine zuverlässige Überlieferung der geschichtlichen Tatsachen und der Erklärung ihrer Bedeutung, damit der Glaube zuversichtlich darauf beruhen kann.
Darum reicht auch das Vertrauen auf die menschlichen Schriftsteller der Bibel nicht aus. Wir können unseren Glauben nicht auf ihre menschliche Interpretation von Erlebnissen und Gefühlen bauen. Wir brauchen Gottes Auswahl der entscheidenden Details der Ereignisse, wir müssen seine Interpretation der Ereignisse kennen lernen. Wir wollen uns nicht auf Versprechen verlassen, die der Phantasie von religiösen Menschen entsprungen ist, sondern auf Worte aus dem Mund Gottes. Genau darum wird uns in der Bibel auch die Gewissheit gegeben, dass wir Heilige Schrift und Gottes Wort vor uns haben, weil die menschlichen Autoren mit ihrer sündigen Natur so von Gott in Dienst genommen waren und unter der Führung seines Geistes standen, dass sie zuverlässig aufschreiben konnte.
Baustein 2: Für die schriftliche Mitteilung hat Gott menschliche Autoren in Dienst genommen
Gott wollte schriftliche Mitteilung. Er hat deshalb Menschen schreiben lassen. Er ließ trotz der ersten Steintafeln mit den 10 Geboten, die er selber beschrieb, nicht ein vollständiges heiliges Buch aus dem Himmel herabkommen. Gott nahm über einen Zeitraum von wahrscheinlich mehr als 1500 Jahren Menschen in den Dienst, seine Mitteilungen aufzuschreiben, bis schließlich ein ganzes Buch daraus geworden ist. Der Grund für dieses Handeln ist tatsächlich, dass Gott mit diesem Buch um unser Vertrauen wirbt und zwar so, indem er das Wunder möglich macht, dass ein Buch, das von zahlreichen Autoren verfasst wurde, doch die Einheit der Gedanken und Mitteilungen Gottes als Heilige Schrift bilden kann. Jeder Leser bemerkt bei aller Unterschiedlichkeit der Verfasser und der Einzelschriften diese Einheit, die nur auf den einen Autor Gott zurückgehen kann und unmöglich durch Menschen hergestellt werden konnte. Man stelle sich einmal vor, man wolle ein Buch aus unterschiedlichen Schriften der Zeit vor Karl dem Großen bis heute zusammensetzen. Zugegebenermaßen ist die Einheit auch ein Geheimnis, das bestritten werden kann und gelegentlich auch wird. Gerade weil man die Einheit irgendwie wahrnimmt, gibt es zahlreiche Mutmaßungen, dass irgendeine kirchliche Kommission, Synode, ein Papst oder ein sonstiger Redaktorenkreis die Einheit der Bibel aus den 66 Büchern zurechtgeschnitten hat. Allerdings deutet alles, was wir von der Kanongeschichte des Alten und Neuen Testament wissen, daraufhin, dass sie falsch sind.7 Wenn wir nun sagen, dass das Buch Gott selbst zum Autor hat, dann erhebt sich die Frage, was der Beitrag der menschlichen Autoren zur Bibel gewesen ist. Waren sie „nur“ Schreibmaschi- nen, auf denen Gott die Tasten drückte oder willenlose Schreibgriffel Gottes? Oder waren sie eher Sekretäre, denen Wort für Wort diktiert wurde?
Bevor wir uns der Antwort zuwenden, die die Bibel selber gibt, lohnt es sich ruhig einmal die eigenartige Angst zu hinterfragen, die so viele auch bibeltreue Theologen befällt, die Schreiber der biblischen Bücher hätten nicht genügend eigenen Stil oder eigene Gedanken einbringen können und sie seien nur Sekretäre Gottes gewesen. Wenn es denn so gewesen wäre, wäre das für den Inhalt irgendwie bedenklich? Wäre es irgendwie fragwürdig, wenn Gott einen Brief diktierte? Paulus hat doch seine Briefe auch diktiert. Und auch Johann Wolfgang von Goethe hatte regelmäßig Schreiber, denen er seine Ver- se diktierte und die sie sorgfältig aufschrieben. Es wirkt sehr eigenartig, wenn man mit einem Unterton der Missbilligung sagt, der Schreiber Goethes habe „sich sklavisch an die Worte des großen Meisters gehalten“ oder er sei ein „willenloses Schreibmedium gewesen“ und „seine Persönlichkeit habe darin nicht ihre ausreichende Berücksichtigung gefunden“. Goethe hätte einen solchen Schreiber, der seinen eigenen Stil, eine ihm besser erscheinende Formulierung oder einen erklärenden Gedanken in das diktierte hätte einfließen lassen, sicher sofort entlassen. Und für uns heutige Leser kommt gar nicht der Gedanke auf, zu fragen, welcher der Schreiber denn dieses Gedicht aufgezeichnet hat, denn natürlich sind alle Verse von Goethe. Und was bei Goethe eine Auszeichnung für den Schreiber gewesen wäre, dass er nämlich genau schrieb, was ihm diktiert wurde, soll bei Gott ein Makel sein? Man kann sich vorstellen, dass es die meisten Schreiber mit Stolz erfüllt hat, wenn sie sagen konnten: „Ich bin bei Herrn Goethe angestellt und darf seine Briefe und Dichtungen niederschreiben.“
Warum also sollte Gott kein Schriftsteller sein? Weder wird ein weltlicher Autor dadurch fragwürdig, dass er seinen Text einem Schreiber diktiert noch ist ein Schreiber suspekt, weil er den Text eines anderen niederschreibt. Der Beruf der Sekretärin ist auch heute nicht ehrenrührig. Ehrenrührig wäre es, den Text eines anderen für seinen eigenen auszugeben. Das wäre ein Plagiat. Nicht ganz so verpönt ist es, einen Ghostwriter zu bitten, seine Gedanken aufzuschreiben und in eigene Worte zu verpacken, weil man selber keine schriftstellerische Fähigkeit hat. Aber ich vermute, dass niemand annimmt, dass der, der uns alle unsere Fähigkeiten verliehen hat (= der Schöpfer), nicht selber in der Lage wäre, ein gutes Buch zu verfassen.
In der Bibel selbst sehen wir die Schreiber durchaus bescheiden und zurückhaltend auftreten. Mose oder die Propheten stellen sich als Person nicht heraus. Sie wollen aufschreiben, was Gott will. Auch der große Paulus schreibt den Korinthern, dass ihm daran gelegen ist, nur Gottes Wort zu offenbaren und nichts zu fälschen oder zu verschlimmbessern, also auch nicht in bester Absicht Gottes Wahrheit zu verdrehen. Er will nur Gottes Wort und seine Wahrheit offenbaren. Er sieht darin Gottes Barmherzigkeit, dass er das Amt des Apostels hat, also des Gesandten und nicht des genialen Erfinders einer Botschaft. „Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, dass er der Herr ist, wir aber eure Knechte um Jesu willen“ (2.Kor 4,5). Dabei wird aber auch deutlich, dass er bei der Verkündigung des Evangeliums nicht nur Diener Gottes, sondern auch ein Diener der Menschen sein will. Das aber mit Gottes Wort, das im Mittelpunkt steht. Es lohnt sich, sich diesen Zusammen- hang vor Augen zu halten:
2.Kor 4,1-7 1 Darum, weil wir dieses Amt haben nach der Barmherzigkeit, die uns widerfahren ist, werden wir nicht müde, 2 sondern wir meiden schändliche Heimlichkeit und gehen nicht mit List um, fälschen auch nicht Gottes Wort, sondern durch Offenbarung der Wahrheit empfehlen wir uns dem Gewissen aller Menschen vor Gott. 3 Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist’s denen verdeckt, die verloren werden, 4 den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, dass sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes. 5 Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, dass er der Herr ist, wir aber eure Knecht um Jesu willen. 6 Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. 7 Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
Dabei ist am Beispiel des Paulus ja ganz klar, dass er nicht zum willen- und bewusstlosen Werkzeug in der Hand Gottes wird, sondern zum willigen und berufenen Werkzeug. Auch wenn er von „meinem Evangelium“ spricht, dann meint er ja immer Gottes Evangelium (vgl. Gal 1,6-11).
Es hat im Laufe der Kirchengeschichte unterschiedliche Vorstellungen darüber gegeben, wie Gott beim Schreiben der biblischen Texte mit den menschlichen Autoren umgegangen ist.
In der Alten Kirche stellten sich manche das eher ekstatisch vor: Der Autor geriet durch die Macht des Heiligen Geistes in eine Ekstase, die ihn auf besondere Weise mit dem Göttlichen verband und brachte dann die heiligen Wörter hervor. Das stellt man sich teilweise wie ein automatisches Schrei- benmüssen vor, wie man es aus dem Spiritismus kennt. Durch die innige mystische Verbindung mit Gott, der sie zu willenlosen Werkzeugen machte, hielt man sie meist für irgendwie geistlichere Menschen als die normalen Christen.
Neben diese ekstatische Vorstellung trat auch eine eher mechanische: Man stellte sich vor, dass die biblischen Autoren einfach gehorsam und in vollem Bewusstsein aufschrieben, was ihnen Gott diktierte. Über unterschiedliche Arten des Diktats spricht die Bibel durchaus auch, etwa bei Mose, Jeremia und in gewisser Weise in der Offenbarung des Johannes (2.Mo 17,14; 34,27; Jer 30,2; 36,2; Offb 1,11). Aber offensichtlich geht die Bibel nicht davon aus, dass es in allen Fällen der Verschriftlichung der Mitteilungen Gottes so gegangen ist, dass Gott die biblischen Texte diktiert hat. Man muss allerdings vorsichtig sein, denjenigen, die im Lauf der Kirchengeschichte die Schreiber der Bibel ‚Sekretäre’, ‚Schreibgriffel Gottes’ oder ähnlich nannten, eine Vorstellung nachzusagen im Sinne eines mechanischen Diktatvorgangs. Die Verwendung solcher Attribute für die Schreiber der Bibel war ja keineswegs erst in der so genannten Orthodoxie gebräuchlich, sondern auch Augustin, Luther oder Calvin konnten so reden. Meist wählten sie aber solche Begriffe, weil sie keine besseren hatten, um das zu beschreiben, was sie in der Bibel beobachteten.
Dann kann man – beispielsweise bei Gelehrten im 18. Jahrhundert – noch eine andere Idee von der Rolle der menschlichen Autoren erkennen. Man könnte das eine genialische Vorstellung nennen: danach waren die Autoren der Bibel besonders begabte Menschen, die Gott mit so hohen Fähigkeiten ausgestattet hatte, dass sie in der Lage waren, außergewöhnlich kluge und gute Gedanken über Gott zu haben und diese aufzuschreiben. Ihr Genie, das gepaart war mit einer außergewöhnlichen Religiosität befähigte sie, die göttlichen Gedanken aus sich selber hervorzubringen. Dahinter steht eine Vorstellung von einem heiligen Geist, der die Menschen in ihrem Denken lenkt und sie zu außerge- wöhnlichen Leistungen bringt.
Keine dieser Vorstellungen trifft wirklich das, was wir in der Bibel selbst wahrnehmen. Einfache Bauern und Fischer und gebildete Gelehrte mit höchster Weisheit, ein Theologe und ein Arzt, ganz verschiedene Menschen aus verschiedenen Jahrhunderten hat Gott erwählt, seine menschlichen Autoren zu sein. Er hat ihr Wesen und Verstand nicht uniformiert oder ausgeschaltet. Er hat wenigen Personen etwas diktiert, andere wiederum hat er Texte und Überlieferungen aus ihrer Umwelt verarbeiten lassen. Er hat sie eigene und fremde Erlebnisse aufschreiben lassen. Einmal hat Gott sie ihre eigenen Überlegungen in Texte verfassen lassen, dann ein anderes Mal ihre Gebete und Lieder oder auswendig Gelerntes aus der Erinnerung oder eine frische Ansprache Gottes in Texte verfassen lassen. Oft war diesen menschlichen Schreibern bewusst, dass sie hier Gottes Wort aufschrieben, aber vielleicht auch nicht immer. Die Chicago Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift beschäftigt sich mit diesen Zusammenhängen besonders in zwei Artikeln und ich meine, die Formulierungen sind sehr hilfreich, weil sie uns auf die richtige Spur bringen.
Artikel VII
Wir bekennen, dass die Inspiration jenes Werk war, in dem Gott uns durch seinen Geist durch menschliche Schreiber sein Wort gab.
Der Ursprung der Schrift ist Gott selbst. Die Art und Weise der göttlichen Inspiration bleibt für uns zu einem großen Teil ein Geheimnis.
Wir verwerfen die Auffassung, dass Inspiration auf menschliche Ein- sicht oder einen höheren Bewusstseinszustand irgendeiner Art reduziert werden könne.
Artikel VIII
Wir bekennen, dass Gott in seinem Werk der Inspiration die charakteri- stische Persönlichkeit und den literarischen Stil des jeweiligen Schreibers, den er ausgewählt und zugerüstet hatte, benutzte.
Wir verwerfen die Auffassung, dass Gott die Persönlichkeit dieser Schreiber ausgeschaltet habe, als er sie dazu veranlasste, genau die Worte zu gebrauchen, die er ausgewählt hatte.8
Mir scheint es am naheliegendesten zu sein, wenn wir den Umgang des eigentlichen Autors Gott mit seinen menschlichen Autoren historisch auffassen und ihre Leitung durch denHeiligen Geist lebensgeschichtlich nennen. Gott hat ja jedem einzelnen Menschen sein Leben, seine Bildung und seine Geschichte durch sein Wirken geschenkt. Er war immer der Herr der Geschichte und so hat er bestimmte Menschen dazu geführt, seine menschlichen Autoren zu werden, die aufschreiben, was er will. Dafür war keine ekstatische Ausschaltung notwendig, aber Gott musste auch nicht immer mechanisch diktieren. Ebenso war es nicht einfach eine geniale Begabung, die der eigentliche Antrieb werden konnte, denn nicht alles, was durch eine solche hervorgebracht wurde, war würdig GottesWort zu sein. David hatte von Gott eine dichterische Ader geschenkt bekommen, die ihn so viele wunderbare Lieder verfassen ließ, von denen einige als Wort Gottes auserwählt in den Psalmen zu finden sind. Aber er hatte auch anderes im Sinn, das ihn zu Ehebruch und Mord brachte. Salomo hat 3000 Sprüche und 1005 Lieder verfasst, aber nurrelativ wenige sind Gottes Wort geworden (1.Chr 5,12) und sein Genius hat ihn auch zu Überheblichkeit und zeitweise zur Abgötterei verführt. Auch sind offenbar nicht alle Briefe von Paulus würdig gewesen, der Bibel als Wort Gottes zugeschrieben werden zu können. Gott hat gelenkt, gebraucht, geführt, Menschen und Umstände in seinen Dienst genommen. James Packer hat vorgeschlagen das Ganze konkursives Wirken des Heiligen Geistes zu nennen. Er denkt daran, dass menschlich betrachtet alles Ursache und Wirkung hat und man vieles ganz „menschlich“ erklären könnte. Jedoch glauben wir, dass Gottes Wirken und Handeln in der Geschichte immer am Werk ist. Er kommt nicht nur zum Ziel, indem er irdische Abläufe wunderbar verändert, sondern auch indem er sie einfach lenkt und gebraucht. Beides ist in der Bibel bei der Offenbarung seines Wortes zu sehen.
Damit grenzen wir uns auch gegen eine Spielart der so genannten Personalinspirationslehre ab. Hier wird behauptet, dass nicht die Bibel inspiriert sei, sondern es nur ihre Autoren waren. Sie hatten eine besondere religiöse Ader, sie waren sozusagen vom Göttlichen besonders ergriffen und das brachte sie dazu, so ergreifend über Religion zu schreiben, dass ihre Schriften in der Bibel gesammelt wurden. Am eindrücklichsten hat das Friedrich Daniel Schleiermacher 1799 so ausgedrückt: „Nicht der hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern der, welcher keiner bedarf und wohl selbst eine machen könnte“.9 Das hat übrigens auch zur Folge, dass man meint, die Bibel gebe uns nicht vor, was wir glauben sollen, sondern spiegele nur wider, was geglaubt wurde. Indem uns dieser Glaube vor Augen gestellt würde, wirke er selber so inspirierend, dass auch wir glauben könnten. Mit solchen Vorstellungen ist aber die Autorität der Heiligen Schrift aufgegeben. Die Religiosität kann sich frei schwebend entwickeln oder sich von der Bibel mehr oder weniger beeinflussen lassen. Wir merken an dieser Spielart, wie sehr die Inspirationsvorstellung letztlich den ganzen Glauben prägen kann Man könnte den Zusammenhang so beschreiben: aus der eigenen Inspirationsvorstellung geht die eigene Hermeneutik hervor, also die Art, wie man einen Bibeltext liest und seine Aussagen auffasst und dies wieder umbestimmt in welcher Weise die Bibel den eigenen Glauben prägt.10
Baustein 3: Gott bewirkt seine Autorenschaft durch seinen Heiligen Geist
Ein dritter Baustein der ersten Säule, an der wir uns vor Augen führen, dass Gott selber der Autor der Bibel ist, muss noch betrachtet werden. Zentrale biblische Aussagen zur Inspiration legen Wert darauf, dass Gott seine eigentli- che Autorenschaft durch das Wirken seines Heiligen Geistes sichergestellt hat. Der Heilige Geist erinnert die Jünger an alles, was Jesus gesagt hat (Joh 14,26). Er bewegt die Propheten (2.Petr 1,21) und redet selbst (Hebr 3,7,10,15) oder etwa David redet durch den Geist (Apg4,25).
Darum spricht 2.Tim 3,16 davon, dass die Heiligen Schriften, also die Bücher des Alten Testaments, theopneustos sind. Das meint zuerst, dass sie Gottes Sprechen sind und darum Gott-gehaucht. Eigentlich geht es aber Paulus an dieser Stelle mehr um das Ergebnis des Wirkens Gottes, weniger um den Vorgang der Inspiration. Im Ergebnis ist die Heilige Schrift so Trägerin des weiteren Wirkens des Heiligen Geistes, da sie die Veränderung bewirkt, die Gott will. Während also 2.Petr 1,21 eher das Wirken des Geistes bei der Entstehung beschreibt, redet 2.Tim mehr von dem Wirken der Schrift aufgrund der Theopneustie. Das führt uns zur zweiten Säule.
2. Säule: Gottes Geist drückt sich in der Heiligen Schrift in verständlicher menschlicher Sprache mit Wörtern und Sätzen aus, um Menschen das Evangelium zu sagen, das sie rettet.
Auch wenn wir uns mit der ersten Säule der Inspirationslehre ausführlicher beschäftigt haben als wir es jetzt mit den anderen tun können, sind diese nicht weniger wichtig. Es ist nur leider so, dass sich um die Autorenschaft Gottes so viele Diskussionen ranken, dass oft die anderen wichtigen Teile in den Hintergrund gedrängt werden. Wenn es aber in der Inspirationslehre wesentlich darum geht, aufzuzeigen, wie Gott die Bibel gebraucht, um Menschen Zeugnis von seiner eigenen Person, seines Heilsplans, seiner Gedanken und Absichten zu geben, dann ist die zweite Säule, die deutlich macht, dass er dazu mit menschlicher Sprache auf menschliche Weise Information weitergibt, eine Tatsache, die nicht außer Acht bleiben darf.
Schon in der zusammenfassenden Erklärung macht die CE das ganz am Anfang deutlich und weist in Artikel IV noch einmal ausdrücklich aus, was man sonst auch überlesen könnte:
- Gott, der selbst die Wahrheit ist und nur die Wahrheit spricht, hat die Heilige Schrift inspiriert, um sich damit selbst der verlorenen Menschheit durch Jesus Christus als Schöpfer und Herr, Erlöser und Richter zu offenbaren. Die Heilige Schrift ist Gottes Zeugnis von seiner eigenen
Artikel IV
Wir bekennen, dass Gott, der den Menschen in seinem Bild geschaffen hat, die Sprache als Mittel seiner Offenbarung benutzt hat.
Wir verwerfen die Auffassung, dass die menschliche Sprache durch unsere Kreatürlichkeit so begrenzt wäre, dass sie als Träger göttlicher Offenbarung ungenügend sei. Wir verwerfen ferner die Auffassung, dass die Verdorbenheit der menschlichen Kultur und Sprache durch Sünde Gottes Werk der Inspiration vereitelt habe.
Inspiration der Heiligen Schrift heißt, dass Gott uns seine Offenbarung als Wörter durch seinen Geist gegeben hat. Es geht bei der Sprache der Bibel nicht um ein schön zu lesendes Wortgeklingel, um eine berührende Poesie etwa. Die Bibel stellt vielmehr mit bestimmten Wörtern menschlicher Sprache, die in Satzzusammenhängen stehen und im Ganzen der Bibel eingebettet sind, eine Verbindung zur geistlichen Wirklichkeit Gottes her. Die Wörter verweisen also auf die geistliche Wirklichkeit und wollen in uns Glauben schaffen, der uns mit der Wirklichkeit dessen, wovon da die Rede ist, verbindet. Die Lehre von der Inspiration der Heiligen Schrift zielt ganz wesentlich darauf ab: es geht ihr darum, dass die Heilige Schrift Gottes Mittel ist, uns Gott vorzustellen und uns zu retten und das auf dem Weg der Mitteilung in menschlicherSprache.
Betrachten wir die Sache an ihrer zentralen Stelle: Jesus Christus starb an einem bestimmten Tag um das Jahr 30 n.Chr. und an einem Ort am Rande Jerusalems an einem Kreuz, nachdem ihn der römische Statthalter Pontius Pilatus zum Tod verurteilt hatte. Wir haben erst einmal keine Verbindung zu diesem Ereignis, weil wir nicht dort waren und auch sonst am Geschehen nicht beteiligt waren. Das Ereignis ist für uns erst einmal nicht anders als beispielsweise die Nachricht von der Varusschlacht, in der 9 n.Chr. der Cherusker Arminius drei römische Legionen besiegte.
Gott will uns aber in eine bestimmte Verbindung mit dem gekreuzigten Jesus bringen und er hat dafür auch einen Weg erdacht: der Weg geht über die Sprache und konkret über Gottes Wort in der Bibel.
Könnte Gott auch andere Wege gehen? Er hätte uns auch einen Film, wie etwa den von Mel Gibson Die Passion Christi, in dem Aramäisch gesprochen wird, hinterlassen können. Wir betrachteten dann das Geschehen, ohne ein Wort des Gesprochenen zu verstehen, und der Film erzeugte in uns irgendwelche Empfindungen, vielleicht Mitleid mit dem Gequälten, vielleicht Abscheu vor der Grausamkeit, vielleicht das Gefühl, selbst ein Gequälter zu sein, vielleicht ein Impuls, uns für Gequälte einzusetzen und Unrecht zu verhindern. So wäre eine Verbindung zum Geschehen hergestellt. Gott könnte uns aber auch, wenn wir an den Ort Golgatha reisen, in einen Trance-Zustand versetzen und uns danach als irgendwie veränderte Menschen durch die Welt laufen lassen. Oder wie wäre es, wenn wir durch eine bestimmte Droge in Ekstase geraten, Gott uns dadurch ein Bild von einem Kreuz vorführte und wir dadurch gerettet würden.
Vieles andere wäre noch denkbar, doch Gott hat sich eben für einen anderen Weg entschieden. Er teilt uns in der Bibel durch von seinem Heiligen Geist autorisierte Wörter das Ereignis und seine Bedeutung mit. Er beschreibt so viel, wie wir über das eigentliche Geschehen wissen müssen. Im Vergleich zu Gibsons Film ist das erstaunlich wenig im Blick auf die Details der Folter und der Kreuzigung. Er gibt uns zugleich eine Deutung des Ereignisses. Jesus, der Sohn Gottes, muss das nach Gottes Willen als Sühne für die Schuld der Menschen erleiden. Uns wird mitgeteilt, dass Gott das Opfer angenommen hat, nicht nur einfach so, sondern in dem er es durch das geschichtliche Ereignis der Auferstehung bestätigt hat. Und schließlich werden wir aufgefordert, zu glauben, dass dieser Tod des Herrn Jesus und seine Auferstehung uns mit Gott versöhnt haben. Wenn wir den Wörtern vertrauen, die uns das alles mitteilen, sind wir mit Christus gekreuzigt, das heißt sein Sterben ist die Sühne für unsere Schuld. Dass dies nicht einfach ein intellektueller Akt ist und mit einem äußeren Bekenntnis besiegelt werden kann, macht die Heilige Schrift immer wieder deutlich. Glaube, der rettet, verlässt sich von ganzem Herzen, mit der ganzen Person, in einer liebenden Beziehung auf die rettende Tat von Jesus. Dann aber gilt: Wir sind gerettet und für Zeit und Ewigkeit Kinder Gottes. Paulus spricht davon in Röm 10,6-17.
Röm 10,6-17 6 Aber die Gerechtigkeit aus dem Glauben spricht so:„Sprich nicht in deinem Herzen: Wer will hinauf gen Himmel fahren?“–nämlich um Christus herabzuholen – 7 oder: „Wer will hinab in die Tiefe fahren?“ – nämlich um Christus von den Toten heraufzuholen –, 8 sondern was sagt sie? „Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen.“Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen. 9 Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. 10 Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. 11 Denn die Schrift spricht: „Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.“ 12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. 13 Denn „wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden“. 14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? 15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht: „Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!“ 16 Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht: „Herr, wer glaubt unserm Predigen?“ 17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.
Gott gebraucht also durch die Autoren der biblischen Schriften bestimmte Wörter und Sätze, deren Bedeutung durch den Gesamtzusammenhang der Bibel bestimmt wird, um uns mit der Erlösung durch Jesus zu verbinden. Um diese Verbindung zu schaffen, reicht es nicht aus, dass etwa ein bestimmter Bibelvers exakt daher gesagt wird, sondern es kommt auf den wörtlichen Inhalt an und dass dieser geglaubt wird, in einer Bedeutung, die dem Ganzen des in der Bibel verkündeten Evangeliums entspricht. Es ist also nicht der gerettet, der den Satz richtig zitiert: „Jesus ist der Herr“, sondern nur der, der ihn in der Bedeutung glaubt, die die biblischen Wörter und Sätze bestimmen.
Die Wörter, mit denen das Evangelium gesagt wird, können offenbar sehr unterschiedlich sein, aber sie sind nicht einfach gleichgültig. Es sind keine Formeln notwendig, aber die gemeinte rettende Wirklichkeit lässt sich auch nicht mit beliebigen Wörtern ausdrücken, sondern alle gebrauchten Wörter müssen eindeutig meinen, was Gott meint und ihre innere Definition durch die Bibel selbst haben. Selbst ihren Klang oder ihre Farbe erhalten sie aus der Bibel und nicht aus einem anderen Umfeld.
Darum ist es so wichtig, dass wir an der Bibel selbst dran bleiben. Die Inspiration führt nicht dazu, dass wir die Bibel als heiliges Buch mit uns tragen und sie dann schon ihre Wirkung entfaltet. Es kommt auf ihren Inhalt an und darum ist auch Bibel-Kenntnis entscheidend. Aber diese Bibelkenntnis steht nicht für sich oder nur dazu, um in einem Bibelquiz Fragen beantworten zu können, sondern das Ziel ist der Glaube an Jesus Christus. Am Ende des Johannesevangeliums lesen wir entsprechendes:
Joh 20,30-31 Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.
Mit Glauben ist aber in der Bibel nicht nur der das Vertrauen auf die Richtigkeit der Aussagen gemeint, sondern das Vertrauen zur Person Jesus Christus. Ja, noch viel mehr die Liebe zur Person Jesus Christus, „den ihr liebt, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt; an den ihr glaubt, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht, über den ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude jubelt“, wie es Petrus ausdrückt (1.Petr 1,8).
Wie ist das durch sprachliche Mitteilung möglich, mag der moderne Mensch fragen, der sich Liebe und unaussprechliche Freude über eine Person, von der man „nur“ aus sprachlichen Mitteilungen weiß, nicht vorstellen kann. Dass wir aber auch keinen Menschen lieben können, ohne dass er uns aus seinem Inneren mit Wörtern sein Wesen mitteilt, das vergessen wir oft. Man kann sich in ein Foto verlieben, aber das Foto sagt so wenig über die tatsächliche Person aus, dass diese Liebe eine Illusion ist. Wie wichtig wörtliche Mitteilung ist, wurde mir wieder bewusst als ein Freund nach langer und schmerzhafter Suche seine Frau gefunden hat. Er wollte gern als Verheirateter nach Afrika in einen Missionsdienst ausreisen, aber er fand keine Frau, die mit ihm in den entbehrungsreichen Dienst gehen wollte. So reiste er alleine und schrieb immer wieder Rundbriefe an Freunde und befreundete Gemeinden. Einen solchen Rundbrief, der in einer christlichen Gemeinde auslag, las auch eine Frau, die nie vorher von ihm gehört oder ihn gesehen hatte. Sie schrieb einfach an den Unbekannten und aus diesem Anfang entwickelte sich eine Brieffreundschaft, die soweit führte, dass die beiden den Eindruck gewannen, der andere könnte der richtige Ehepartner sein. Sie hatten sich bis dahin nie gesehen. Dann kam der Tag des Heimaturlaubs und es stellte sich die Frage, ob denn nun der Mensch, den man durch die Briefe kennengelernt hatte, auch der Mensch ist, der einem tatsächlich begegnen wird. Jeder hätte dem anderen, wie es bei Internetbekanntschaften an der Tagesordnung ist, eine Person vorspielen können, die man gern sein möchte oder die einfach nur der Phantasie entsprungen ist. Die Begegnung hätte es dann ans Licht gebracht. Aber beide fanden den Menschen, den sie durch die wörtliche Mitteilung, den sprachlichen Informationsaustausch kennen gelernt hatten. Sie heirateten und reisten dann gemeinsam wieder nach Afrika.
Die Situation des Glaubenden mit Jesus Christus als seinem Bräutigam ist durchaus vergleichbar. Zwar kennen wir Jesus Christus bisher nur durch die sprachliche Mitteilung, aber wir können ihn aufgrund dessen kennenlernen und ihn auch lieben. Wir sind allerdings in der Spannung, ob der Jesus, den wir jetzt lieben, auch der ist, dem wir in Ewigkeit begegnen. Der einzige Garant dafür, dass das in Erfüllung geht, ist die Qualität der sprachlichen Mitteilung in der Bibel. Und zu dieser Qualität zählt die Autorenschaft Gottes ebenso wie die sprachliche Beschaffenheit und die Auswahl der geeigneten Inhalte, die uns den Bräutigam Jesus in der richtigen Weise bekannt machen.
Das moderne Denken seit Immanuel Kant hält das für unmöglich. Der Mensch kann angeblich nicht mehr zum wahren Sein vordringen, sondern muss sich immer damit begnügen, die Dinge nur durch seine eigene Brille wahrzunehmen. Er hätte dann Jesus nur durch die Brille der menschlichen Autoren, diese aber läse er auch wieder durch seine eigene gefärbte Brille und der wahre Jesus wäre nach der zweiten, dritten oder vierten Brechung und Färbung nicht mehr erkennbar. Schon das, was die Schreiber der Bibel eigentlich sagen wollten, erscheint damit völlig unzugänglich, geschweige denn die Ereignisse oder die Personen, von denen sie reden. Wir haben nach dieser Sicht nur Wörter, die bestimmte Eindrücke bei uns erwecken. Irgend etwas in uns auslösen. Wir könnten dann ihre Texte nehmen, um daraus für uns eine neue religiöse Erfahrung herstellen, die unserem Glauben irgendwie nützt, der aber etwas ganz Eigenes ist und bleibt. Die Verzweiflung, in die dieses Denken führt, wäre eine ganz eigene Betrachtung wert. Aber wenn wir trotzig behaupten, dass wir doch den wahren Jesus kennengelernt haben und er selbst dafür sorgt, dass wir unseren eigenen Täuschungen, die es zweifellos gibt, nicht erliegen, dann haben wir die Bibel auf unserer Seite. Wie gut!
3. Säule: Die Inspiration der Heiligen Schrift ist immer auf die Schrift als Ganzes in allen ihren Teilen bezogen.
Auch diese Säule einer gesunden Inspirationslehre macht deutlich, dass es bei ihr nicht um einen neugierigen Einblick in den genauen Vorgang der Inspiration bei den menschlichen Schreibern geht. Es geht vielmehr darum, dass uns Gott den Schatz einer gesunden, rettenden Lehre erhalten will, und das geht nur mit einer Bibel, die von ihm stammt. Darum ist es wichtig, dass wir begreifen, dass sich die Inspiration der Heiligen Schrift einerseits auf jedes Wort und jeden Satz der Schrift bezieht, aber eben auf jedes Wort im Ganzen, in der Einheit der Heiligen Schrift. Andererseits ist die Schrift als Ganze inspiriert, weil sie es in allen ihren Teilen ist.
Das Problem wird schnell deutlich, wenn man sich fragt, ob denn auch der Satz: „Es gibt keinen Gott!“ aus Ps 14,1 (gleichlautend in Ps 53,2) von Gott geistgewirkt inspiriert ist. Er ist es, aber nur im Zusammenhang des Ganzen. Aus dem Zusammenhang gerissen lassen sich mit den inspirierten Sätzen der Bibel die tollsten Verdrehungen gegen den Willen Gottes herstellen. Wer das Gebot zur Beschneidung nicht im Zusammenhang der ganzen Schrift liest und deswegen die Beschneidung einführen will, der baut eine Irrlehre auf. Das Gebot zur Beschneidung war von Anfang an Gebot Gottes und von ihm inspiriert. Als solches ist es auch Teil der inspirierten Heiligen Schrift. Aber in dieser Schrift wird auch deutlich, dass es im Laufe der Heilsgeschichte seine Bedeutung durch das Wirken des Heiligen Geistes verändert hat (z.B. durch fortschreitende Offenbarung Gottes in der Bibel). Nicht die Menschen haben die Beschneidung als Bundeszeichen und Voraussetzung zur Teilhabe an der Rettung abgeschafft, sondern Gott hat das getan, weil er das Gebot zur Beschneidung im Laufe der Offenbarung seines ganzen Heilswillen in einen neuen Zusammenhang gestellt hat.
Sind nun die teilweise sehr persönlichen Klagen der Psalmisten oder des Propheten Jeremias von Gottes Geist inspiriert? Würden wir sie aus dem Zusammenhang des Ganzen der Heiligen Schrift nehmen, dann wäre das vielleicht fraglich. Wir schauten nur in die ganz menschlichen Seelenzustände des Zweifels, der Angst oder auch der Freude und Zuversicht. Sie sind aber Gottes Wort, weil sie im Ganzen der Schrift genau den Platz haben, den Gott wollte. So ist dann auch die ganze von Gott gehauchte, von Gottes Geist durchtränkte Schrift, brauchbar „zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit“ (2.Tim 3,16). Der Zweifel des Jeremia und Gottes Antwort in der Heiligen Schrift auf solche Zweifel überführen uns und geben uns die Weisung, wie wir mit diesen Zweifeln umgehen sollen, wenn sie uns treffen. Sie machen aber auch deutlich in welche Arten von Anfechtungen ein Diener Gottes geführt werden kann. Auch zeigen sie uns unter welchen Umständen dann dieser Teil der Heiligen Schrift aufgezeichnet wurde und auch daraus können wir lernen. Im Ganzen der Schrift kann Paulus auch sehen, dass der Vers über den Ochsen, dem man das Maul nicht verbinden soll (5.Mo 25,4) nicht allein um der Ochsen willen geschrieben ist, sondern auch um der ganz besonderen „Ochsen“, die ihren Dienst in einer christlichen Gemeinde tun (1.Kor 9,9f.).
Artikel VI
Wir bekennen, dass die Schrift als Ganzes und alle ihre Teile bis zu den einzelnen Wörtern des Urtextes von Gott durch göttliche Inspiration ge- geben wurden.
Wir verwerfen die Auffassung, dass man die Inspiration der Schrift in ihrer Ganzheit ohne ihre Teile oder in einigen Teilen ohne ihre Ganzheit recht bekennen könne.
Diese Sicht wendet sich gegen eine weitere Spielart der Realinspirationslehre, die behauptet, dass nur Teile der Bibel inspiriert seien. Man stößt sich dabei an bestimmten, menschlichen, angeblich irrtümlichen oder überholten Ansichten in der Bibel. Dann sagt man vielleicht, dass sie nicht Teil des rettenden Evangeliums seien und dann könne man sie ausscheiden oder doch zumindest beiseite lassen. Auf diese Art schafft man sich eine Heilige Schrift in der Bibel, die man für wirklich inspiriert hält. Man hat das auch einen Kanon im Kanon genannt, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass in dem historisch entstandenen Kanon der 66 Bücher der Bibel, ein wirklich verbindlicher und für die Rettung entscheidender Kern vorhanden ist. Diese Grundidee hat sich weit verbreitet, wobei die Grenzen dieses Kanon im Kanon – je nach dem – weiter oder enger gesteckt sind. Unter Konservativen ist am weitesten die Variante verbreitet, in der die Heilsaussagen, die zum Beispiel die Rechtfertigungslehre bilden, als verbindliches Glaubensgut gelten, während alle anderen Aussagen zeitbedingten Ansichten oder Irrtümern der menschlichen Autoren unterliegen können. Ein eher weiter gestecktes Kriterium ist das der Glaubenserweckung. Weil die eigentliche Absicht der Bibel die Weckung von Glauben sei, zählten Aussagen, die das bewirkten, zum gottgewollten Bestand.
Was kann man dazu sagen? Zuerst ist einmal zu beobachten, dass bisher niemand, der solche Ideen vertritt, den Mut besessen hat, uns eine solche Bibel herzustellen, die nur noch Heilige Schrift enthält. Er müsste dann alles heraus- lassen, was angeblich nicht inspiriert ist. Es wird ihm auch schwer fallen, weil er nur bestimmte Aspekte weglassen möchte. Etwa gefällt ihm nicht, dass die Schöpfung ein historisches Datum mit historischen Personen Adam und Eva hat, aber er kann doch nicht den Schöpfungsbericht aus der Bibel herausnehmen, weil er im Ganzen eine solche Rolle einnimmt und sich in der ganzen Bibel wiederfindet. Oder er empfindet Probleme bei dem „legendenhaftem“ Stoff von Jona im Bauch des Fisches. Aber er kann das Buch Jona doch nicht so reinigen, dass nur noch das inspirierte übrig bliebe und ganz weglassen geht auch nicht, weil Jesus sich zentral auf Jona bezieht. Aber selbst wenn man nicht gleich mit der Schere zu Werk gehen wollte, erweisen sich doch alle hermeneutischen Schlüssel als Tor zu einer willkürlichen Gewichtung von Texten teilweise entgegen ihrer Aussageabsicht. Wenn etwa die „Liebe Gottes“ oder das „Evangelium“ die oberste Qualität als Maßstab erhalten, dann wird dieser Maßstab nicht nur schnell willkürliche Grenzen bekommen, sondern auch „wertend“ (meistens „abwertend“) steuern, was noch wie für die Kirche angesichts dieses Maßstabes (Liebe, Erbarmen, Evangelium usw.) verbindlich oder gültig sein kann und was nicht. Deshalb kann auch die Homosexualität als Gott gemäßer Lebensstil verstanden werden, nicht weil man die anderslautenden Texte aus der Bibel ausschließt, sondern weil die Liebe Gottes und das Evangelium höher stehen als Aussagen in Röm 1 und anderswo, die nur Reflex einer zeitbedingten Ansicht des Apostels gewesen seien. Der „am Evangelium“ gemessene höher-wertige Sinn schließt einen niederwertigeren Text oder Inhalt aus.
Und diese Beobachtung machen wir überall: wer Teile ausscheiden will oder aber ihre Aussagekraft willkürlich einschränkt, der zerstört die Ganzheit so, dass er nicht mehr in der Lage ist, ein neues Ganzes herzustellen. Darum ist es wohl auch in der ganzen Kirchengeschichte bisher nicht gelungen, eine Kirche mit einer anderen Bibel zu gründen und zu erhalten. Obwohl wir zahlreiche Bekenntnisse und Kirchen in aller Welt haben, berufen sich alle auf dieselbe Bibel, auch wenn der einen oder anderen Kirche oder Sekte Teile der Bibel nicht passen oder einzelne Verse überdeutlich gegen ihre Praxis sprechen. Niemand scheint bisher in der Lage zu sein, eine neue Ganzheit zu schaffen, indem er bestimmte Teile weglässt. Eine gewisse Ausnahme scheinen die so genannten Apokryphen zu sein, die die römisch-katholische Kirche zu ihrer Bibel zählt. Wer aber genau hinschaut, der sieht, dass man nur einzelne Verse haben möchte, um die Berechtigung für bestimmte Sonderlehren daraus abzuleiten. Gott erhält uns also die Ganzheit und hat seiner Kirche eine Bibel geschenkt, der es über die Jahrhunderte gelungen ist, trotz haarsträubender menschlicher Irrungen und Wirrungen, das Evangelium zu erhalten und immer wieder zum rettenden Glauben zu rufen.
In diesem Zusammenhang gibt es noch eine Beobachtung, die Paulus die Of- fenbarung des Geheimnisses Gottes nennt. Daran wird noch einmal deutlich, wie wichtig diese Säule der Inspirationslehre ist, bei der es um die Ganzheit der Inspiration geht. Paulus schreibt
Röm 16,25-27 25 Dem aber, der euch stärken kann gemäß meinem Evangelium und der Predigt von Jesus Christus, durch die das Geheimnis offenbart ist, das seit ewigen Zeiten verschwiegen war, 26 nun aber offenbart und kundgemacht ist durch die Schriften der Propheten nach dem Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden: 27 dem Gott, der allein weise ist, sei Ehre durch Jesus Christus in Ewigkeit! Amen.
Unter diesem Geheimnis versteht die Bibel nicht ein Rätsel, was irgendwann gelöst wurde, sondern Gottes ewigen Plan durch seinen Sohn Jesus Christus zu retten. Er hatte diesen Plan schon vor der Schöpfung der Welt und hat die Welt so gemacht, dass er Mensch werden konnte. Dann hat er immer wieder darauf hingewiesen, dass er retten wird und sogar wie er retten wird. Aber trotzdem es so deutliche Weissagungen wie Jes 53 gab und andere in den Psalmen und schon bei Mose und wieder bei Daniel, war es keinem Menschen möglich, zu erkennen, was Gott genau vorhatte. Niemand ist das rettende Evangelium selbst in den Sinngekommen.
1. Kor2,7-10 7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9 Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht: „Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“ 10 Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.
Keiner konnte es erfinden: ein Prophet, der ein Mensch im Volk Israel, also ein Jude war und der Sohn Gottes genannt wurde, und doch elendig leidet und verlassen wird, aber der Herr ist und bleibt, den Weg zurück zu Gott öffnet, dass er das durch sein Sterben am Kreuz tut und damit für die Schuld aller Menschen Sühne leistet, die Gott anerkennt. Es war ein Geheimnis und trotz aller Prophetien konnten es nicht einmal die Propheten selbstbegreifen.
1.Petr1,10-12: 10 Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, die für euch bestimmt ist, 11 und haben geforscht, auf welche und was für eine Zeit der Geist Christi deutete, der in ihnen war und zuvor bezeugt hat die Leiden, die über Christus kommen sollten, und die Herrlichkeit danach. 12 Ihnen ist offenbart worden, dass sie nicht sich selbst, sondern euch dienen sollten mit dem, was euch nun verkündigt ist durch die, die euch das Evangelium verkündigt haben durch den heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist, – was auch die Engel begehren zu schauen.
Erst die Offenbarung durch das Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus und dann das Aufschließen des Heiligen Geistes all dieser Zusammenhänge führte zur Offenbarung des Geheimnisses. Nur ist dieser ganze Zusammenhang nicht ohne das Ganze der Schrift und der wunderbaren Zuordnung aller ihrer Teile erkennbar. Was da vor uns liegt, das kann nur das Werk Gottes selbst sein, selbst wenn einzelne Teile noch so menschlich aussehen.
Dieser Gedanke führt uns direkt zur 4. Säule der Inspirationslehre, die für uns wichtig ist.
4. Säule: Der Heilige Geist, der durch das Wort im Glaubenden wohnt, öffnet ihm das Verständnis für die Heilige Schrift
Es geht bei der Inspirationslehre nicht nur darum zu zeigen, dass die Bibel irgendwie ein Heiliges Buch ist. Das wäre deutlich zu wenig. Sie könnte ja ein heiliges Buch sein, dass wir alle nicht verstehen, geschrieben in der Sprache des Himmels, die niemand aussprechen kann, das über Dinge redet, die doch keiner verstehen kann.
In gewisser Weise sind Muslime in dieser Lage, weil die meisten kein Arabisch können und es ihnen gesagt wird, dass es keine richtige Übersetzung des Korans geben kann. Als ich einmal mit einem Muslim im Koran lesen wollte, um ihm bestimmte Probleme zu zeigen, da schlug ich vor, dass wir eine deutsche Übersetzung lesen, weil wir beide kein Arabisch können. Er fürchtete, dass wir den Koran dann nur falsch verstehen werden. Weil ich aber deutlich machte, dass man nicht sagen kann, man wolle sich nach dem Koran richten, wenn man letztlich nur auf Deutungen von Gelehrten angewiesen ist und selber gar nicht weiß, was drin steht, schlug er vor, dass wir dann eine Ausgabe nehmen, die zweisprachig gedruckt ist und auf einer Seite, das wahre himmlische Arabisch stehen hat. Auch wenn wir es nicht lesen können.
Die inspirierte Bibel ist da anders. Sie ist Wort von Gott durch seinen Heiligen Geist, aber sie will nicht verehrt werden, ohne verstanden zu werden. Und sie kann verstanden werden. Sie allerdings in ihrem eigentlichen Anliegen zu verstehen, ist ohne den Heiligen Geist auch auf der Seite des Lesers oder Hö- rers nicht möglich. Paulus nimmt darauf Bezug:
1. Kor2,11-16 11 Denn welcher Mensch weiß, was imMenschen ist, als allein der Geist des Menschen, der in ihm ist? So weiß auch niemand, was in Gott ist, als allein der Geist Gottes. 12 Wir aber haben nichtempfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. 13 Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. 14 Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. 15 Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. 16 Denn„wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen“? Wir aber haben Christi Sinn.
Was der Mensch ohne den Heiligen Geist von Gottes Reden versteht, ist zu wenig. Denn wenn er die Wörter, Sätze und Geschichten versteht, ist Gott nicht am Ziel. Jesus hat den Schriftgelehrten seiner Zeit nicht unterstellt, dass sie den äußeren Sinn der Heiligen Schrift nicht verstünden. Er hat ihnen aber vorgehalten, dass sie den inneren Sinn nicht erfasst hätten. Hätten sie das, dann müssten sie an ihn den Sohn Gottes glauben. Den wirklichen und damit rettenden Sinn kann er nur erfassen, wenn Gottes Geist ihm zeigt, wozu das alles geschrieben steht. Er wird vielleicht in den Evangelien schöne Jesusgeschichten lesen, die seiner Seele besser tun als mancher Roman oder Horrorfilm. Aber das sie zum rettenden Glauben führen, indem er liest, dass das so zu ihm selbst gesprochen ist, dass er heute Jesus als seinen persönlichen Retter erkennen und annehmen soll, dass geschieht unter Gottes Zutun. Wir müssen aber festhalten, dass nur der Geistbegabte die Heilige Schrift richtig auslegen und verstehen kann, so wie Gott es will. Daraus entsteht die Frage, wie der Heilige Geist denn nun den Menschen erreicht. Es hat in der Kirchengeschichte im Wesentlichen zwei Lager gegeben. Die einen erwarteten das Wirken des Heiligen Geistes zusätzlich zum Reden Gottes mit der Heiligen Schrift. Die anderen sahen es als eine Eigenschaft der Heiligen Schrift durch ihre Inspiration an, dass der Heilige Geist mit dem Wort Gottes, der Bibel, zum Menschen kommt. Die Bibel, die ohne den Heiligen Geist nur äußerlich, aber nicht glaubend verstanden werden kann, ist auch das Buch, das den Geist zum Verstehen mit sich bringt. Weil die Bibel selbst zu dieser letzten Ansicht zwingt, haben das auch die Reformatoren immer wiederbetont.
Übrigens haben sich die Theologen der den Reformatoren folgenden Orthodoxie mit diesem Zusammenhang sehr schwer getan und ihn als das eigentliche Problem ihrer Inspirationslehre gesehen. Dass Gott der eigentliche Autor der Heiligen Schrift ist, schien ihnen viel leichter zu fassen zu sein, als dass die Schrift ohne den Heiligen Geist nicht richtig verstanden werden kann, aber der Heilige Geist auch durch die Schrift selbst zum Menschen kommt und mit dem Wort der Heiligen Schrift im Menschen wohnt. Sie sahen sich nämlich durch das sola sciptura, das „allein die Schrift“, daran gebunden, dass nicht auf einem anderen Weg die Erkenntnis Gottes zum Menschen kommen kann als eben durch das Wort der Bibel. Der Heilige Geist kommt nicht von irgendwoher irgendwie angeflogen, sondern durch die Predigt des Wortes Gottes, das ohne ihn nicht verstanden werden kann.
Gal 3,1-5 1 O unverständige Galater! Wer hat euch bezaubert, denen Jesus Christus als gekreuzigt vor Augen gemalt wurde? 2 Nur dies will ich von euch wissen: Habt ihr den Geist aus Gesetzeswerken empfangen oder aus der Kunde des Glaubens? 3 Seid ihr so unverständig? Nachdem ihr im Geist angefangen habt, wollt ihr jetzt im Fleisch vollenden? 4 So Großes habt ihr vergeblich erfahren? Wenn es wirklich vergeblich ist! 5 Der euch nun den Geist darreicht und Wunderwerke unter euch wirkt, tut er es aus Gesetzeswerken oder aus der Kunde des Glaubens?
Dieser Zusammenhang wird ganz deutlich, wenn Paulus hier auf seinen Dienst in den galatischen Gemeinden Bezug nimmt. Durch das gepredigte Wort wurde ihnen Jesus Christus vor die Augen gemalt. Als die Galater aufgrund dieser Predigt an Christus glaubten, hatten sie damit auch den Heiligen Geist erhalten. Sie bekamen den Heiligen Geist dadurch, dass sie hörten und glaubten und eben nicht dadurch, dass sie irgendein Werk von sich aus getan hätten, sei es Beschneidung oder etwas anderes. Mit dem Hören und Glauben kommt der Geist. Das Gleiche hat Paulus auch der Gemeinde in Ephesus geschrieben (Eph 1,13): „In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Seligkeit – in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem heiligen Geist, der verheißenist“.
Wenn die Bibel ohne den Heiligen Geist nicht in ihrer rettenden, zum Glauben an Christus führenden Dimension verstanden werden kann, dann heißt das aber nicht, dass die Bibel so dunkel und unverständlich ist, dass nicht jeder verstehen könnte, was in ihr ausgesagt ist. Martin Luther hat das die äußere Klarheit der Schrift genannt. D.h. mit seinen Worten: „Ein Kind von 7 Jahren kann alles verstehen, wenn es nur die Sprache beherrscht“. Die Bibel redet also nicht so unverständlich wie viele andere so genannte Heilige Bücher. Viele Aussagen des Koran oder der Bhagavad Gita bleiben völlig unverständlich. In der Bibel gibt es nur wenige schwer verständliche Stellen, die aber alle vom Licht der anderen Stellen her beleuchtet werden. Trotzdem wird die Bibel erst dann ihrem Ziel gemäß verstanden, wenn der Mensch auch glaubt. Es ist etwas ganz anderes die Rechtfertigungslehre, wie sie Paulus im Römerbrief entfaltet, als theologisches System zu verstehen oder zu glauben, dass ich durch den Tod Jesu Christi geretteten und darum mit Christus gestorben und durch ihn leben werde (Röm 6,8). Es ist auch etwas ganz anderes, wenn ein Arzt meinen Körper von außen untersucht und eine Krankheit feststellt, die mir Beschwerden bereitet oder wenn ich selber in diesem Körper mit seinen Beschwerden lebe. Luther nannte es die innere Klarheit der Schrift, wenn der Mensch sie durch den Heiligen Geist so lesen kann, dass er rettenden Glauben hat.
„Es gibt eine doppelte Klarheit der Schrift, so wie es auch eine doppelte Dunkelheit, eine äußerliche im Dienst des Wortes gesetzte und eine andere, in der Erkenntnis des Herzens gelegene. Wenn Du von der inneren Klarheit sprichst, nimmt kein Mensch auch nur ein Jota in der Schrift wahr, wenn er nicht den Geist Gottes hat.… Wenn Du aber von der äußeren Klarheit sprichst, so bleibt ganz und gar nichts dunkles und zweideutiges übrig, sondern alles, was auch immer in der Schrift steht, ist durch das Wort in das gewisses Licht gestellt und aller Welt öffentlich verkündigt.“ (WA 18, 609, 4-14.)
Zur inneren Klarheit der Schrift kommt es beim Menschen durch das Wirken des Heiligen Geistes. Allerdings ist dieses Wirken des Geistes nicht als ein Akt zu verstehen, der unabhängig von der Heiligen Schrift sich vollziehen würde. Der Heilige Geist kommt vielmehr mit Luther gesprochen reitend auf dem Wort der Schrift zum Menschen. Und durch den Glauben an das Wort wohnt er auch im Herzen des Menschen. Der Geist der Schrift und der Heilige Geist im Herzen des Menschen sind also völlig derselbe. Die CE redet in Artikel 17 auch über einen Teil dieses Zusammenhangs.
Artikel XVII
Wir bekennen, dass der Heilige Geist Zeugnis für die Heilige Schrift ab- legt und den Gläubigen Gewissheit über die Zuverlässigkeit des geschrie- benen Wortes Gottes gibt.
Wir verwerfen die Auffassung, dass dieses Zeugnis des Heiligen Geistes losgelöst von der Schrift oder gegen die Schrift wirke.
Der Zusammenhang, dass der Heilige Geist der Bibel und der Heilige Geist im Glaubenden derselbe sind, hat dann auch zur Folge, dass der geistliche Mensch in seiner Auslegung der Heiligen Schrift nicht über ihr steht und die Schrift „meistert“, sondern auch in der menschlichen Auslegung, wenn sie durch den Heiligen Geist geschieht, letztlich die Schrift sich selber auslegt. Wir dürfen und sollen die Heilige Schrift auslegen und können dabei auch zu Ergebnissen kommen, die mit dem Geist der Heiligen Schrift übereinstimmen. Wäre das nicht möglich, dann könnte es keine Predigt des Wortes Gottes geben. Wir dürften dann die Bibel nur vorlesen. Aber wir können sie auf unsere Zeit, unser Leben und unsere Situation hin auslegen und Weisung erfahren. Wollen wir die Heilige Schrift jedoch ohne den Heiligen Geist auslegen, der doch ihr Herr ist, dann kann dabei vieles herauskommen, was doch nur Irrlehre genannt werden kann. Durch den Heiligen Geist aber können wir gewiss sein, dass wir auch tatsächlich den wahren Gott erkannt haben und Christus als seinen gesandten Retter. Wir müssen nicht unseren eigenen Ideen anhängen und in ihnen gefangen bleiben, sondern können den rettenden Glauben ergreifen.
Fazit
Es ist ein Schaden, dass die Inspirationslehre unter den Glaubenden so sehr vernachlässigt wurde. Es geht in ihr eben nicht darum, im Einzelnen in den Vorgang einzudringen, wie Gott sein Wort in die menschlichen Autoren eingab. Es geht vielmehr darum, dass wir in aller Deutlichkeit bezeugen, dass wir die Stimme Gottes hören, wenn wir die Bibel aufschlagen und dort lesen. Er redet in jedem Fall mit diesen Wörtern, deren eigentlicher Autor er ist. Dabei benutzt er menschliche Sprache und will verstanden werden. Es sind klare und nachvollziehbare Sätze, die uns Gottes Willen und vor allem seine Rettung durch Jesus nahebringen, so dass wir glauben und lieben können. Wir müssen uns wieder mutiger mit ihr beschäftigen und dürfen sie auch klar und mutig bezeugen.
Neuhausen: Hänssler, 1987, S. 22. ↩
Exemplarisch können dafür die Ausführungen von Werner Brändle in einem Lexikonartikel von 2001 stehen: „Daß gleichwohl die Schriften der Bibel, weil im Geiste des Glaubens an den dreieinigen Gott geschrieben, in bevorzugter Weise in ihrer Rezeption Glauben erwecken können, diese Aussage ist als Glaubensaussage und damit die I[nspirations]-Lehre in ihrer zirkulären Begründungsstruktur anzuerkennen. […] Statt von I[nspiration] spricht man deshalb von einem Erschließungsgeschehen göttlichen Offenbarungshandelns, um die Interdependenz von göttlichem und menschlichem Handeln nicht aus dem Auge zu verlieren. […] Eine I[nspirations]-Lehre muss in dialektisch kunstvoller Weise die Autorität der bibl. Schriften wahren und ebenso die Kontinuität der jeweils gesch[ichtlich] bedingten Geistesgegenwart Gottes […]. Es kommt vielmehr darauf an, die stetige Geistesgegenwart Gottes nicht nur im Hören auf die bibl. Schriften, sondern auch in allen Geschehnissen und Überlieferungen anzunehmen, zu glauben und gemeinsam zu prüfen, ob sie dem Kriterium ‘Jesus Christus’ gerecht werden“. „Inspiration/Theopneustie“, 4.Aufl. RGG, Sp.173-174. ↩
Seit Immanuel Kant hat die Philosophie keine Hoffnung mehr, einen Zugang zur Wirklichkeit zu finden. Das eigene Vorverständnis, die eigene „Brille“ beeinflusse die Erkenntnis so, dass das „Ding an sich“ oder die wahre Wahrheit dem Erkennen verschlossen bleibe. Manfred Oeming bringt die Konsequenz so auf den Punkt: „War es in der Frühzeit der Hermeneutik das Ziel, wahre Aussagen über eine Sache zu formulieren (Aristoteles), so wird im Zuge der neuzeitlichen Reflexion gerade dieser Sachbezug problematisiert; die Objektivität der Auslegung und die Eindeutigkeit der Aussagen werden immer fraglicher. Der Subjektivität des Auslegers wird immer mehr zugetraut, die eine ‚Wahrheit‘ wird auch als regulative Idee der Geisteswissenschaft problematisch“. „Biblische Hermeneutik: e. Einführung“, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998, S. 30. ↩
Eine Hilfe und Einführung in die Problematik ist der Artikel von Norman L. Geisler, „Die philosophischen Voraussetzungen der Behauptung einer fehlerhaften Bibel“, in: Die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel, Nürnberg: VTR, 2001, S. 171-213. Allgemeiner aber immer noch hilfreich ist Adolf Schlatter: „Die philosophische Arbeit seit Descartes: ihr ethischer und religiöser Ertrag“, Stuttgart: Calwer-Verlag, 4. Aufl. 1959. Siehe auch die Arbeit von Karl-Heinz Michel: „Immanuel Kant und die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes“, Wuppertal: R.Brockhaus, 1987. ↩
Eckhard Schnabel: „Inspiration und Offenbarung: die Lehre vom Ursprung und Wesen der Bibel“, Wuppertal: R.Brockhaus, 2. Aufl. 1997, S. 8. Schnabel vermutet zwei Gründe, „weshalb man sich hierzulande an dieses Thema anscheinend nicht herantraut“. Die kritische Universitätstheologie habe das Thema für „antiquiert, überholt und überflüssig“ erklärt und die Konservativen seien „verunsichert“ und „verlegen“, weil sie „Martin Luthers sola scriptura nicht mehr fundiert und mit Überzeugung verteidigen und darstellen […] können“. Ich würde noch hinzufügen, dass die allgemeine Lehrverdrossenheit und der Wunsch nach handhabbaren Konzepten für das christliche Leben und die Gemeinde die gründliche Arbeit an den Grundlagen unseres Glaubens in den Hintergrund gerückt haben. ↩
Jörg Lauster: „Zwischen Entzauberung und Remythisierung: zum Verhältnis von Bibel und Dogma“, Leipzig: EVA, 2008, S. 58. ↩
„Jedenfalls läßt sich in der Großkirche gegen Ende des 2. Jahrhunderts ein weitgehender Konsens über die anzuerkennenden Schriften feststellen. Da ihn die Quellen nicht etwa auf eine Entscheidung einer Synode oder eine gemeinsame Erklärung angesehener Bischöfe zurückführen, erweist er sich als Anerkennung eines formlos eingetretenen Sachverhalts“. So beschreibt Heinrich Karpp die Kanonbildung für das NT in Schrift, Geist und Wort Gottes: Geltung und Wirkung der Bibel in der Geschichte der Kirche, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998, S. 16. Für das AT siehe z.B. K.A. Kitchen, Das Alte Testament und der vordere Orient, Gießen: Brunnen, 2008. ↩
Thomas Schirrmacher: „Bibeltreue in der Offensive?! Die drei Chicagoerklärungen zur biblischen Irrtumslosigkeit, Hermeneutik und Anwendung“, Bonn: VKW, 3. überarbeitete Auflage mit neuer Einleitung 2009. ↩
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: „Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“, S. 122. ↩
Diesen Zusammenhang findet man sehr anschaulich bei Manfred Oeming: „Biblische Hermeneutik“, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 3.Aufl. 2010. ↩