ThemenGlaube und Wissen(schaft), Orientierung

Das Wunder der menschlichen Sprache

Allein wir Menschen können sprechen und singen. Das ist einfach genial. Ich staune immer wieder darüber. Es ist gut, einmal über etwas so Alltägliches wie die menschliche Sprache nachzudenken. Von Kindheit an haben wir uns daran gewöhnt, sprechen zu können. Haben wir unserem Schöpfer jemals dafür gedankt? Der Liederdichter Paul Gerhardt erinnert uns daran, das zu tun. In seinem schönen Morgenlied „Lobet den Herren…“ (Glaubenslieder 268; vollständig im Evangelischen Gesangbuch 447) heißt es:

„Dass unsre Sinnen wir noch brauchen können
und Händ und Füße, Zung und Lippen regen,
das haben wir zu danken seinem Segen.
Lobet den Herren!“

Im Sprechen öffnen wir uns. Wir teilen dem anderen etwas ganz Persönliches von uns mit, unsere Gedanken und Gefühle, Gutes oder Schlechtes, Wahres und Falsches, Sinnvolles oder Sinnloses, Wichtiges oder Unwichtiges. Die Sprache setzt unsere geistigen Fähigkeiten voraus. Sprechen und Denken gehören zusammen. Unbewusst lösen wir uns von den konkreten Dingen oder Geschehnissen und formen dafür hörbare Lautgebilde, Wörter und Sätze. Das ist eine geistig-schöpferische Tätigkeit. Gott verleiht sie Adam, dem Menschen, um den Lebewesen „Namen“ zu geben.

(1Mose 2,19). Kein Tier ist zu einer solchen Leistung befähigt, auch nicht der am höchsten „entwickelte“ Menschenaffe, obgleich er rein körperlich den Menschen so verwandt erscheint. Wir haben unsere Sprache, normalerweise die Muttersprache, als Kind über eine längere Zeit gelernt. Lediglich die körperbaulichen (anatomischen) Voraus­setzungen zur Sprachfähigkeit sind uns angeboren.

Unser Sprachapparat ist ein höchst kompliziertes Gebilde. Verge­genwärtigen wir uns einmal, welche phantastischen Leistungen wir beim Sprechen vollbringen, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Während wir Sätze bilden, wird der gesamte Wortschatz unseres Gedächtnisses siebenmal in der Sekunde auf passende Wörter hin abgetastet. Unser Gedächtnis hat bis zu 80.000 Wörter gespeichert, aus denen das jeweils geeignete herausgesucht werden muss. Der Zuhörer muss andererseits mit der gleichen atemberaubenden Geschwindigkeit die gehörten Laute analysieren, vergleichen und einordnen. Der sogenannte aktive Wortschatz eines Erwachsenen umfasst etwa 15.000 Wörter, die er regelmäßig verwendet. Alle vier Zehntelsekunden wählt er beim normalen Sprechen ein Wort aus diesem Vorrat aus und aktiviert gleichzeitig die Bildung entsprechender Laute. Dabei spielen sich in jeder Sekunde mehrere hundert (!) Muskelereignisse ab. Das heißt im Einzelnen: die Muskeln der Lippen, der Zunge, des Kehlkopfs, des Zwerchfells, der Wangen und andere Muskeln müssen exakt aufeinander abgestimmt gespannt oder entspannt werden. Da beim Übergang von einem Sprachlaut zum anderen ganz verschiedene Muskelstellungen nötig sind, muss 15-mal je Sekunde an jeden beteiligten Muskel ein Befehl gegeben werden, ob er seine Spannung entweder beizubehalten, sich zusammenzuziehen oder zu entspannen hat. Das alles und noch vieles mehr geschieht ganz von allein, ohne unser bewusstes Zutun. Der genaue Mechanismus, der in unserem Gehirn Wörter nach den Regeln der Satzlehre zu einem sinnvollen, verstehbaren Satz zusammenbaut, ist trotz intensiver Bemühungen der Sprachforscher bis heute noch nicht hinreichend geklärt.

Die Abb. 1 (links) zeigt anhand einer speziellen Computer-Tomographie (Positronen-Emissions-Tomographie PET; Tomographie = Aufzeichnung eines Querschnitts), welche Bereiche im Gehirn beim Hören, Sehen, Sprechen und Bilden von Worten besonders stark aktiviert sind. Je heller der Bereich ist, desto größer ist dort die Aktivität der Nerven.

Die einzigartige Tatsache, dass nur wir Menschen sprechen können, ist natürlich auch den Verfechtern der Evolutionslehre aufgefallen. Nach CHARLES DARWIN macht die Evolution, also die langsam fortschreitende Höherentwicklung der Lebewesen, im Verlauf der Erdgeschichte keine Sprünge. Nach dieser Auffassung müsste sich auch die Sprache in allmählicher Aufeinanderfolge kleiner Veränderungen entwickelt haben. Es müsste also sogenannte Übergangsformen gegeben haben oder geben. Das ist aber nicht der Fall. Gewiss gibt es auch bei den Affen, wie bei anderen Tieren, unterschiedliche Lautäußerungen, mit denen sie sich gegenseitig verständigen, etwa bei drohenden Gefahren. Es zeigen sich aber nirgends auch nur Ansätze zu einer Wortbildung, geschweige denn zu einer Satzbildung. Biologen und Verhaltensforscher haben deshalb mit viel Mühe und Geduld versucht, Affen durch Dressur zum Sprechen zu erziehen. Damit könnte man, so meinten sie, eine eventuell vorhandene Sprachbegabung oder Anfänge geistiger Fähigkeiten feststellen. Gar nichts dergleichen konnte gefunden werden. Die erzielten Ergebnisse sind mehr als enttäuschend. Das ist eine durchaus peinliche Situation für die Vertreter des Evolutionsdogmas.

Wie genaueste Forschungen im Einzelnen gezeigt haben, wäre ein Schimpanse, selbst wenn er denken könnte, nicht in der Lage, seine Gedanken sprachlich zu formulieren, weil ihm die körperbaulichen Voraussetzungen des benötigten Stimmapparates fehlen. Aber selbst wenn die Menschenaffen diese Voraussetzungen zur Vokal- und Konsonantenbildung erfüllten, könnten sie dennoch nicht sprechen, weil ihnen die dafür erforderliche Größe und Struktur des Gehirns fehlt. Das Volumen des Gehirns von Affen beträgt im Durchschnitt weniger als einen halben Liter. Zur Ausbildung der Sprachfähigkeit wird jedoch mindestens das doppelte Gehirnvolumen gebraucht. Den Menschenaffen fehlt das nach seinem Entdecker PIERRE PAUL BROCA benannte Sprachzentrum im linken Großhirn-Schläfenlappen (siehe Abb. 2 oben).

Dieser spezielle Bereich im menschlichen Gehirn ist aber zur Steuerung der Sprechmotorik unbedingt nötig.

Es bleibt also eine unüberbrückte Kluft zwischen den Menschen und den Menschenaffen. Das Evolutionsmodell fordert Lebewesen, die als Übergangsformen für eine Schritt-für-Schritt-Entwicklung der Sprache angesehen werden könnten. Diese gibt es aber, wie wir wissen, nicht.

Das Entscheidende ist und bleibt der Geist des Menschen. Er koordiniert das Gehirn und den gesamten Sprachapparat und bedient sich beider, wie ein Pianist des Klaviers, auf dem er spielt.

Die Sprache ist eine Brücke von Mensch zu Mensch

Die Sprache ist ein Privileg menschlicher Kommuni­kation. Ja, sie ist ohne Zweifel unser herausragendes Vorrecht. Das persönliche Gespräch mit einem geliebten Menschen ist uns die vertrauteste und wertvollste Form der Kommunikation überhaupt.

Wir hören und erlernen die Muttersprache. Das beginnt ja bereits vor der Geburt. Die Kommunikation der Schwan­geren mit dem Ungeborenen, sowohl in liebevoller Zuwen­dung als auch in Gespräch und Lied, ist von nachhaltigem Einfluss auf die Persönlichkeitsbildung. Das gilt natürlich erst recht für die Zeit nach der Geburt.

Es ist immer wieder faszinierend zu beobachten, mit welcher Begeisterung das kleine Kind von sich aus bemüht ist, alle Worte und Laute seiner Umgebung nachzuplappern, um so das Sprechen zu erlernen.

Das Spektrum menschlichen Sprechens und Singens ist gewaltig. Von den ersten formulierten Lauten „Ma-ma“ oder „Pa-pa“ eines Kindes bis hin etwa zu einer Rede wie der Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 anlässlich des 40. Jahrestages der Kapitulation. Da ist das vertrauliche „Ich hab dich lieb!“ zweier sich Liebender und andererseits die politische Agitation eines nationalsozialistischen Führers für den „totalen Krieg“ nicht lange vor dem Kriegsende. Da ist das fröhliche Singen eines Kindes – wo ist das noch zu hören? – und da ist der ausdrucksstarke Gesang eines Chores. Dabei erfolgt die zwischenmenschliche Kommuni­kation nie nur in Worten. Auch die Körperhaltung, die Mimik, die Gesten, ja der ganze Mensch tragen zum Gelingen der Kommunikation bei.

Nach dem Zeugnis der Bibel begann das Elend des Menschen mit einem zweifachen Missbrauch der Spra­che. Die Schlange zieht zuerst das Wort Gottes in Zweifel: „Hat Gott wirklich gesagt…?“ (1Mose 3,1) Und bald darauf folgt die erste Lüge: „… und ihr werdet sein wie Gott.“ (1Mose 3,5) Auch für uns besteht immer die Gefahr, die Sprache zu missbrauchen. Der Apostel Jakobus warnt uns im 3. Kapitel seines Briefes davor: „Mit ihr loben wir den Herrn und Vater, und mit ihr fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes geschaffen worden sind (Vers 9).“ Und er ruft uns zur Wahrhaftigkeit auf mit den Worten: „Es sei euer Ja ein Ja und euer Nein ein Nein, damit ihr nicht unter ein Gericht fallt.“ (Jakobus 5,12; vgl. Matthäus 5,37.) Mit jedem Wort, mit jedem Satz können wir Wahres oder Falsches, Wichtiges oder Bedeutungsloses sagen.

Vor vielen Jahren fand ich in dem Buch „Von der Meisterung des Lebens“ von Ernst Lange folgende Gedanken, die ich für nachdenkenswert erachte und deshalb hier zitieren möchte. Sie stehen unter der Überschrift:

Sprechen ist Dienst am Leben

  1. Sprich nur, wenn es unerlässlich ist. Die Wahrheit ist eine Tochter des Schweigens.
  2. Mache keine großen Worte, wo kleine genügen. Wer die großen Worte verschwendet, ist schamlos. Und wenn er sie wirklich braucht, stehen sie ihm nicht mehr zu Gebote.
  3. Benutze keine Wörter, deren Bedeutung du nicht kennst, und rede nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst, denn damit lügst du und stiehlst anderen die Wörter, die sie nötig brauchen.
  4. Schone die „kranken“ Wörter. „Krank“ sind alle Wörter, deren Sinn nicht mehr eindeutig ist. Du kannst nicht immer ohne sie auskommen. Aber wenn du sie benutzt, dann gib klar zu erkennen, in welchem Sinn du sie verstehst. Dringe darauf, dass andere ebenso handeln.
  5. Rede erst, wenn du genau weißt, was du sagen und – vor allem – was du nicht sagen willst. Nicht ein einziges Wort kannst du wirklich zurücknehmen. Nicht ein einziges, unnötiges Missverständnis kannst du wirklich ausräumen.
  6. Rede erst, wenn du dem anderen bis zu Ende zugehört hast und genau weisst, was er meint. Sonst geht der Pfeil deiner Antwort ins Leere, und du hast sowohl deine eigene als auch des anderen Sprache verschwendet und missbraucht.
  7. Traue es dir selbst zu, die Wahrheit zu sagen. Es ist nicht wahr, dass Lügen das Leben bequemer macht. Lügen ist lebensgefährlich, weil es die Beziehungen zerstört, die mich und den anderen verbinden, und weil es die Worte zerstört, mit denen diese Beziehungen angeknüpft und aufrecht erhalten werden.
  8. Lass dir die Wahrheit gefallen, die der andere dir sagt, auch wenn sie schmerzt. Empfangene Wahrheit ist der Anfang neuen Lebens, neuer Liebe und neuen Vertrauens. Abgewiesene Wahrheit bringt den Tod.
  9. Traue dem anderen zu, dass er die Wahrheit sagt, selbst wenn du weißt, dass er schon gelogen hat. Dein Misstrauen zwingt sowohl den anderen als auch dich selbst zur Lüge oder zur halben Wahrheit; die Wahr­haftigkeit blüht nur im Klima des Vertrauens. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig vertrauen.
  10. Traue dem anderen zu, dass er die Wahrheit verträgt. Ihm aus Liebe die Wahrheit zu ersparen, heißt, ihn missachten.
  11. Jede Lüge ist ein Krebsgeschwür und muss sofort operiert werden, sonst frisst sie sich weiter. Sei unnachsichtig, wenn du dich selbst, aber nachsichtig und liebevoll, wenn du den anderen auf Lügen ertappst. Nur das Bekenntnis der Lüge macht die Sprache und das Vertrauen wieder gesund.
  12. Nimm dich selbst beim Wort. Betrachte jedes Wort, das du dem anderen zusagst, als ein Gelöbnis zur Tat. Das gebrochene Wort zerstört die Sprache und das Leben. Durch das gehaltene Wort werden die Sprache und das menschliche Zusammenleben gesund.
  13. Nimm den anderen beim Wort. Ihm aus Liebe oder aus Trägheit oder aus Misstrauen die Tat zu ersparen, heißt ihn verachten und zur Lüge verführen.

So sind wir, das heißt jeder von uns höchstpersönlich, verantwortlich dafür, dass die Brücke der Sprache von Mensch zu Mensch begehbar bleibt. Das ist ganz allgemein in unserem Umgang mit anderen Menschen wichtig, aber auch in unseren Familien und im geschwisterlichen Miteinander der Gemeinde.1


  1. Abb. 1 aus: N. A. Campbell, Biologie, Heidelberg u.a., 1997. Die zahlenmäßigen Angaben zu Wortschatz, Gedächtnisleistungen, Muskel­bewegungen und die Abb. 2 sind dem Artikel von Prof. Dr. W. Kuhn in der Zeitschrift „Wege mit den Menschen 2005“ entnommen, das Zitat „Sprechen ist Dienst am Leben“ aus E. Lange, Von der Meisterung des Lebens, Berlin 1957