Wie kann man sich den Transport der Gesetzestafeln mit den 10 Geboten vorstellen? Stand darauf der lange Text der Bibelabschnitte (2Mo 20 und 5Mo 5) oder eher nur ein kürzerer, wie wir die Gebote auswendig lernen? Passt ein solcher Text dann noch auf transportable Steintafeln?
Schaut man sich die Bibeltexte genau an, so lassen sich einige Grunddaten festhalten. Offenbar gehen alle Abschnitte davon aus, dass die 10 Gebote nicht die Kurzfassung sind, die wir üblicherweise dafür halten, sondern die Fassung, die in beiden Texten mit kleinen Abweichungen im Detail stehen (5Mo 5,22). Dass wir für den regelmäßigen Gebrauch eine Kurzfassung benutzen, scheint mir nicht falsch zu sein. Offenbar waren solche Kurzfassungen auch schon zur Zeit von Jesus üblich, ohne dass man allerdings vergaß, dass sie auf den vollständigen Text zurückgehen. Auch Römer 7,7 kann Paulus das letzte Gebot einfach zusammenfassend „Du sollst nicht begehren“ nennen. Mt 19,19 heißt die Fassung auch nur „Ehre Vater und Mutter“, aber an Eph 6,2 wird deutlich, dass die Verheißung „auf dass es dir wohl gehe und du lange lebst auf Erden“ deswegen nicht vergessen war. Auf den Steintafeln aber war der gesamte Textbestand aufgeschrieben.
Die zehn Gebote hat Gott selbst mit seinem Finger auf zwei Steintafeln geschrieben (2Mo 24,12; 31,18) und Mose übergeben. Als Mose vom Berg herunter kam und das goldene Kalb sah, zertrümmerte er die beiden Platten (2Mo 32,19). Da bekam der 80-jährige Mose beim zweiten Mal den Auftrag, zwei Platten auf den Berg Sinai hoch zu tragen, damit Gott wieder die Gebote auf die Tafeln schreiben konnte (2Mo 34,1+4). Mit dem eingravierten Text trug er sie wieder herunter (2Mo 34,28+29). Sie wurden vor dem ganzen Volk vorgelesen und dann in der Bundeslade, einem mit Gold überzogenen Holzkasten, im Allerheiligsten des Tempelzeltes aufbewahrt. In der Erinnerung beschreibt Mose die Sache in 5Mo 10,1-5:
„Zu derselben Zeit sprach der HERR zu mir: Haue dir zwei steinerne Tafeln zu wie die ersten und komm zu mir auf den Berg und mache dir eine hölzerne Lade, so will ich auf die Tafeln die Worte schreiben, die auf den ersten waren, die du zerbrochen hast; und du sollst sie in die Lade legen. So machte ich eine Lade aus Akazienholz und hieb zwei steinerne Tafeln zu, wie die ersten waren, und ging auf den Berg und hatte die beiden Tafeln in meinen Händen. Da schrieb er auf die Tafeln, wie die erste Schrift war, die Zehn Worte, die der HERR zu euch geredet hatte mitten aus dem Feuer auf dem Berge zur Zeit der Versammlung; und der HERR gab sie mir. Und ich wandte mich und ging vom Berge herab und legte die Tafeln in die Lade, die ich gemacht hatte, und sie blieben darin, wie mir der HERR geboten hatte“.
Die Bundeslade hatte Außenmaße von ungefähr 1,20 m x 0,70 m x 0,70 m (2Mo 25,10). Innen war also genug Platz für zwei Tafeln von ungefähr 40 x 60 cm. Das entspricht ungefähr unserem Format A2 (42×59,4 cm), das sind 4 Blätter der Normalgröße A4. Wenn die Platten eine Dicke von 4 cm hatten, also die Dicke einer Küchenarbeitsplatte, dann hätten sie zusammen – je nach der Art des Steines – rund 50 kg gewogen. Das scheint mir auch die obere Grenze für das zu sein, was man einen Berg rauf und runter tragen kann und noch vernünftig in der Hand halten. Alles was kleiner oder dünner ist, wäre natürlich deutlich leichter, z.B. 30 x 50 cm ergeben bei einer Dicke von 3 cm rund 25 kg. Selbst wenn man den ganzen Text auf die vier Seiten (2Mo 32,15) in der sehr weitläufigen hebräischen Quadratschrift eingemeißelt hätte, die seit vielen Jahrhunderten benutzt wird, so wäre eine Zeilenhöhe von ungefähr 3,5 cm möglich. Da aber in früherer Zeit sehr viel platzsparender geschrieben wurde, wären auch 4 bis 5 cm Zeilenhöhe kein Problem. Der vollständige Text hatte also auf zwei tragbaren Natursteinplatten ausreichend Platz.