1. Fundamentalisten
Die folgende Definition wählte der 1. Weltkongress der Fundamentalisten (15.-22.6. 1976, Edinburgh, Schottland).
„Ein Fundamentalist ist ein wiedergeborener Christus-Gläubiger, der:
1. unbeirrbare Treue gegenüber der irrtumslosen, unfehlbaren und wörtlich inspirierten Bibel hält
2. glaubt, dass alles, wovon die Bibel spricht, auch so ist
3. alle Dinge gemäß der Bibel beurteilt und selbst nur von der Bibel beurteilt wird
4. die grundlegenden Wahrheiten des geschichtlichen christlichen Glaubens bejaht:
4.1. die Dreieinigkeitslehre
4.2. die Menschwerdung, Jungfrauengeburt, stellvertretendes Sühnopfer, leibliche Auferstehung, Himmelfahrt und die Wiederkunft des Herrn Jesus Christus
4.3. die Wiedergeburt durch die Erneuerung mit dem Heiligen Geist
4.4. die Auferstehung der Gottlosen zum Endgericht und ewigem Tod
4.5. die Gemeinschaft der Heiligen, welche der Leib Christi sind
5. diesen Glauben treu einhält und bemüht ist, ihn aller Kreatur zu verkündigen
6. jede kirchliche Leugnung jenes Glaubens, Kompromiss mit Irrlehre und Abfall von der Wahrheit aufdeckt und sich davon absondert
7. ernsthaft für den ein für allemal überlieferten Glauben kämpft.“
Daher ist Fundamentalismus eine kämpferische Orthodoxie, die brennend danach trachtet, Seelen (für Christus) zu gewinnen. Wenn sich Fundamentalisten auch in gewissen Auslegungsfragen der Bibel unterscheiden mögen, so sind sie doch von Herzen in dem Hauptanliegen einig, den Glauben und die Predigt des Evangeliums ohne Kompromiss oder Zerteilung zu verteidigen. Solange jemand nicht den schriftgemäßen Glauben festhält und verteidigt und nicht um die Rettung Verlorener besorgt ist, ist er kein echter Fundamentalist.
Wie Gott durch seine Fügung Eliah rief, so glauben wir, ruft ER auch heute einen treuen Überrest, um für ein Bekenntnis einzutreten, das mit keinerlei feindlichem Widerstand einen Kompromiss eingeht. Als Gemeinschaft des Gottesvolkes, aus Gnade errettet und vom Heiligen Geist wiedergeboren, haben wir gemeinsam beschlossen, in dieser bösen Zeit mit Christus für alles einzutreten, wofür ER eintritt und gegen alles anzutreten, wogegen ER ist:
- ein Zeugnis für die vollständige Botschaft von Golgatha in einer Zeit des Abfalls, der Abtrümügkeit und des Kompromiss beizubehalten;
- ein Zeugnis für die Übernatürlichkeit des Christentums, gegen den Antisupranaturalismus der Modemisten, den Betrug des Fanatismus und die Förmlichkeit einer toten und wirkungslosen Orthodoxie aufzurichten zum Ruhm und Ehre unseres HERRN JESUS CHRISTUS.
2. Evangelikale
Ursprünglich bedeutete dieser Ausdruck, der von „euangelion“ (griech.) kommt, „dem Evangelium entsprechend“; er war früher gleichbedeutend mit „Fundamentalist“. In Europa war es der meistgebrauchte Ausdruck für diejenigen, die den fundamentalistischen Standpunkt gegen das Vordringen und den Betrug der modernen Theologie einnahmen. Doch, mit dem Fortschreiten des Abfalls im Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts sind die beiden Begriffe nicht länger gleichbedeutend: die Mehrheit der heutigen Evangelikalen lehnt sowohl den Fundamentalismus als auch die Fundamentalisten ab. Der Name „Evangelikale“ wurde zu einer Behausung für eine Vielzahl religiöser Gruppen und Menschen. Selbst die röm.-kath. Kirche und sogar der Papst beanspruchen diesen Titel. Jene Evangelikalen, die sich noch zu den fundamentalen Glaubensaussagen halten und dabei den Begriff „fundamentalistisch“ ablehnen, sind weder kämpferisch in der Verteidigung des Glaubens noch eindeutig in der Verurteilung des Abfalls. Sie praktizieren weder kirchliche Absonderung, noch sind sie offensiv in ihrer Evangeliumsverkündigung.
Deshalb bezeichnet dieser Name nicht länger eine spezielle religiöse Position und hat den tadelnden Klang verloren, der ihm einmal anhaftete. So hat diese Tatsache gewisse Evangelikale zu einer Klärung des Wortes veranlasst, um eine Identität zu schaffen. Hierher rührt der Begriffsgebrauch „Evangelikaler (gemäß der alten Schule)“ und „Neu- Evangelikaler (Neo-Evangelikaler)“.
3. Der Neu-Evangelikale
Der Begriff wurde von Dr. H. Ockenga geprägt; er berichtet selbst davon in seinem Vorwort zu Harold Lindsells Buch“ Der Kampf um die Bibel:
„Der Neo-Evangelikalismus entstand 1948 in Verbindung mit einer Eröffnungsrede, die ich im Auditorium von Pasadena hielt. Während sie den theologischen Standpunkt des Fundamentalismus bekräftigte, lehnte sie dessen Kirchen-und Soziallehre ab. Der mächtige Ruf nach Ablehnung der Absonderung sowie die Aufforderung zum sozialen Engagement fand die begeisterte Zustimmung vieler Evangelikaler. Der Name verfing, und Sprecher wie Dr. H. Linsell, Carl F. H. Henry, E. Camell und G. Archer unterstützten diesen Standpunkt. Wir wollten keine neue Bewegung ins Leben rufen, doch merkten, dass diese Betonung von überallher Unterstützung bekam und großen Einfluss ausübte.“
Der Neo-Evangelikalismus unterschied sich vom Modernismus darin, dass er das Übernatürliche anerkannte und die grundlegenden Lehren der Schrift betonte. Von der Neo-Orthodoxie unterschied er sich, weil er das geschriebene Wort als irrtumslos hervorhob, im Gegensatz zum Wort Gottes, das über und verschieden von der Schrift sei, jedoch in ihr offenbart sei. Vom Fundamentalismus unterschied er sich in der Ablehnung der Absonderung und seiner Absicht, sich am aktuellen theologischen Dialog zu beteiligen. Die Anwendung des Evangeliums auf die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebensbereiche wurde neu betont.
„Die Neo-Evangelikalen legten besonderen Wert auf eine neue Formulierung der christlichen Theologie entsprechend dem Bedürfnis unserer Zeit, die erneute Beteiligung am theologischen Streitgespräch, die Wiederergreifung der Führung in den Kirchen und die Nachprüfung theologischer Probleme wie das Alter der Menschheit, die weltweite Sintflut, Gottes Schöpfungsmethode und andere.“
Seit der Entstehung der Neo-Evangelikalen ist ihr Versagen erkennbar. Der Neo-Evangelikale ist dem Dialog verfallen; Wahrheit ist für ihn diskutierbar. (Für den Fundamentalisten ist sie nicht nur indiskutabel, sondern göttlich offenbart und endgültig.)
Der Neo-Evangelikale ist ökumenisch gesinnt; er wird alle als Christen bezeichnen. Er steht nicht klar für die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift und lehnt sie bisweilen sogar völlig ab. Er ist nicht von der direkten Schöpfung überzeugt, sondern übernimmt Ansichten, die er „theistische Evolution“, „Schwellenevolution“ oder „fortschreitende Schöpfung“ nennt. Die einzige Sache, gegen die er wirklich ist, ist die reine schriftgemäße Lehre der kirchlichen Absonderung.
Spurgeon hatte schon zu seiner Zeit mit den Vorvätern der neuen Evangelikalen zu kämpfen. In der Dezemberausgabe seiner Zeitschrift „Schwert und Kelle“ (1887) stellt er fest: Die unverschämte Art, in der gewisse Leute behaupten, es sei entgegen der Gesinnung Christi, sich von Menschen abzusondern, die an grundlegenden Irrtümern festhalten, wäre belustigend, wenn sie nicht so betrüblich wäre. Sie schreiben, als gäbe es so ein Buch wie das Neue Testament überhaupt nicht; sie entscheiden offensichtlich darüber, was als die Gesinnung Christi zu gelten hat, ohne solch „arme“ Kreaturen wie die Apostel zu berücksichtigen. Wir für unseren Teil halten mehr von Paulus und Johannes als von sämtlichen modernen Denkern. Was sagt die Schrift?
„Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht. Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken“ (2.Joh. 10f.) „Aber wenn auch wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium verkündigte außer dem, was wir euch als Evangelium verkündigt haben: Er sei verflucht! Wie wir zuvor gesagt haben, sage ich auch jetzt wiederum: Wenn jemand euch etwas als Evangelium verkündigt außer dem, was ihr empfangen habt: er sei verflucht!“ (Gal. 1,8+9)
Der Geist der Schrift ist einer, und deshalb dürfen wir sicher sein, dass eine Entscheidung für die Wahrheit und die Absonderung vom Irreführenden in voller Übereinstimmung mit der Liebe aus 1Kor 13 stehen, auf die wir doch ständig hingewiesen werden. Wahre Liebe zu denen, die fehlgehen, besteht darin, dass man es ablehnt, sie in ihrem Irrtum zu bestätigen und zu unterstützen. „Liebe“ klingt sehr wohllautend im Munde derer, die sich selbst ins rechte Licht rücken wollen, doch wenn sie sie in der Vergangenheit geübt hätten, dann hätten sie uns nicht aus jenem Volk gejagt, zu dem wir natürlicherweise gehören.“
Der Neo-Evangelikale wurde im Ungehorsam gezeugt, im Kompromiss geboren, genährt mit intellektuellem Stolz, wuchs auf mit der Beschwichtigung des Bösen und ist auf dem Weg zum Gericht des allmächtigen Gottes. Er wird vom Wort Gottes, das er so offenkundig ablehnt, angeklagt und verurteilt. In seinem Buch „Der Kampf um die Bibel“ entlarvt Dr. Lindsell die vielen Neo-Evangelikalen, die jetzt öffentlich die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift ablehnen. Doch es muss betont werden, dass alle Neo-Evangelikalen, einschließlich Dr. Lindsell, die Autorität des Wortes Gottes dort völlig ablehnen, wo es die Absonderung von aller kirchlichen Leugnung des geschichtlichen christlichen Glaubens eindeutig lehrt. (S. 1Joh 4,1-3; Röm 16,17; 1Tim 6,3-5; 2Joh 10-11; Offb 18,4f.; Tit 3,10; 2Kor 6,14-18.)
P.S. Für denjenigen unter unseren Lesern, der eine genauere theologische Darlegung des Evangelikalismus und seiner Unterschiede zum Fundamentalismus möchte, empfehlen wir das richtungweisende Buch „Bibel im Angriff“ (1989, Edition ABC) von Dr. Alan Caims.
Mit freundlicher Genehmigung der „Internationalen Arbeitsgemeinschaft bekennender Christen“, aus deren „Zeit-Ruf“ Nr. 2/1990, obiger Beitrag stammt.