Wir sind dem Bibelbund Ungarn, dem wir uns brüderlich verbunden wissen, dankbar, dass er uns seine Stellungnahme zur Verfügung gestellt und übersetzt hat. Sie geht zurück auf einen Vortrag, den der Generalsekretär des Bibelbundes Ungarn, Pastor Ete Álmos SIPOS, am 10. November 2002 in der reformierten Kirche Budapest-Nagyvárad tér gehalten hat. Das Thema lautete: „Ist die ‚Charta Oecumenica’ auch in unserem Namen1 unterzeichnet worden?“ d. Red.
Eine kurze Mitteilung auf der letzten Seite des (Wochen-) „Blattes der Reformierten“ (Reformátusok Lapja) vom 29. September 2002 wies darauf hin, dass die Leiter der Kirchen in Ungarn durch Unterzeichnung einer Erklärung am 1. Oktober die „Charta Oecumenica“ annehmen werden. Sollte jemand das verpasst haben, wurde er durch das staatliche öffentlich-rechtliche Fernsehen MTV 1 und die Tagespresse über dieses Ereignis am 1. Oktober informiert. Das reformierte Wochenblatt berichtete anschließend begeistert über das feierliche Ereignis und empfahl allen Gemeindegliedern den Text zu studieren.
1 Was ist die „Charta Oecumenica“ eigentlich?
Die Charta ist ein durch zwei Organisationen zusammengestelltes Dokument. Die eine ökumenische Organisation ist die „Konferenz der Europäischen Kirchen“ (KEK), zu der die meisten orthodoxen, protestantischen, anglikanischen, freikirchlichen und altkatholischen Kirchen in Europa gehören. Die andere Organisation ist der „Rat der Europäischen Bischofskonferenzen“ (CCEE), in dem die römisch-katholischen Bischofskonferenzen in Europa zusammengeschlossen sind.
Das Dokument wurde von Vertretern beider Organisationen formuliert, und am 22. April 2001 in Straßburg von deren Leitern unterschrieben und den Mitgliedskirchen zur Annahme empfohlen.
Die sich der Charta anschließenden Kirchen wollen mit dem Evangelium für die Würde der menschlichen Person als Gottes Ebenbild eintreten und … dazu beitragen, Völker und Kulturen zu versöhnen.
Deshalb verpflichten sich die Unterzeichner, sich um die sichtbare Einheit der Kirche zu bemühen, die ihren Ausdruck in der gegenseitig anerkannten Taufe und in der eucharistischen Gemeinschaft findet sowie im gemeinsamen Zeugnis und Dienst.
Bei Letzterem „darf niemand durch moralischen Druck oder materielle Anreize zur Konversion bewegt werden“.
Weiterhin verpflichten sich die Unterzeichner zur Verteidigung der Rechte von Minderheiten, sowie zur vertiefenden Gemeinschaft und zum Dialog mit dem Judentum, indem sie auch unsere jüdischen Geschwister um Versöhnung bitten. „Wir verpflichten uns“, steht weiter im Dokument, „allen Formen von Antisemitismus und Antijudaismus in Kirche und Gesellschaft entgegenzutreten.“
Schließlich verpflichten sich die Unterzeichner, die Beziehungen zu den Muslimen zu pflegen und schlagen vor, „über den Glauben an den einen Gott“ Gespräche zu führen. Die „Charta Oecumenica“ ruft alle zur Versöhnung auf. Der Ausdruck „wir verpflichten uns“ kommt zwölfmal im Dokument vor.
2 Kurze Analyse der „Charta Oecumenica“
Die „Charta Oecumenica ist wie fast jedes heutzutage erscheinende Dokument in einer so modernistischen theologischen Sprache geschrieben, die nur diejenigen verstehen, die die ökumenische Literatur kennen. Das durchschnittliche Kirchenmitglied hält die Formulierungen für harmlose Gemeinplätze“.
2.1 Das gemeinsame Eintreten für die Würde der menschlichen Person und für die Versöhnung der Kulturen
Eine solche Zielsetzung seitens christlicher Kirchen ist im europäischen Kulturkreis, wo Menschenanbetung, Star- und Körperkult in gewaltigem Ausmaß herrschen, schon merkwürdig. Wir meinen, dass die Aufgabe der Kirche das Eintreten für die göttliche Würde von Jesus Christus und der Bibel wäre! Das größte Unglück der
Die Aufgabe der Kirche ist das Eintreten für die göttliche Würde von Jesus Christus und der Bibel
Völker und Kulturen besteht ja gerade darin, dass sie Gott und die biblischen Normen verlassen haben, und statt des Schöpfers das Geschöpf anbeten (Röm 3,25). Die Völker sollten sich mit dem einzigen wahren Gott versöhnen, denn nur das kann zum Frieden zwischen Menschen führen.
2.2 Das Bemühen um die sichtbare Einheit der Kirchen und praktische Schritte dazu
Der Ausdruck „sichtbare Einheit“ ist eine typisch römisch-katholische theologische Formel. Nach Ansicht dieser Kirche gibt es nur eine einzige Kirche von Jesus Christus, die ihre sichtbare Form in der römisch-katholischen Kirche hat, im organisatorischen Aufbau des Klerus und in deren Haupt, dem Papst. Die Bemühung um die sichtbare Einheit bedeutet daher nichts anderes, als die verschiedenen Konfessionen in die römisch-katholische Kirche zu integrieren. Man sollte wissen, dass vor zwei Jahren unter den Protestanten in Deutschland eine Bewegung mit dem Ziel entstand, dass alle europäischen protestantischen Konfessionen den Papst als den Vertreter und Sprecher des Christentums anerkennen.
2.3 Das Streben nach Einheit durch die gegenseitige Anerkennung von Taufe und eucharistischer Gemeinschaft
Laut römisch-katholischer Tauflehre wäscht das Taufwasser die Erbsünde des Säuglings ab und bewirkt die Wiedergeburt
Leider sind wir davon nicht überzeugt, dass unseren Kirchenmitgliedern (und Pfarrern?) bewusst ist, welche (unüberbrückbare) Kluft zwischen der römisch-katholischen und der reformierten Tauflehre besteht. Laut römisch-katholischer Tauflehre wäscht nämlich das Taufwasser die Erbsünde des Säuglings ab, bewirkt die Wiedergeburt und vermittelt ihm auch das Geschenk der Rechtfertigung. Einer, der als Reformierter diese Tauflehre annimmt, kennt entweder die Bibel nicht oder er ist bereits in die römisch-katholische Kirche konvertiert.
Es ist notwendig zu wissen, dass das Wort Eucharistie in der römisch-katholischen Theologie das Meßopfer bedeutet. Deshalb müssen wir die Frage stellen, wo sich der gemeinsame Punkt zwischen dem römisch-katholischen Altarsakrament und der reformierten Abendmahllehre befindet. Der Priester verwandelt doch im Meßopfer die Hostie (und den Wein) in den materiellen Leib und das Blut von Jesus Christus und wiederholt praktisch das geschehene Opfer unseres Herrn für die Gläubigen. Die Gemeinde betet dabei kniend den in der Hostie „leiblich anwesenden“ Jesus Christus an.
Gemäß reformierter Abendmahllehre befindet sich Christus jetzt im Himmel, und – während man das Abendmahl im Glauben an Jesus zu sich nimmt – schenkt der Heilige Geist dem Gläubigen die Gemeinschaft (Kommunion) mit Christus, der zur Rechten des Vaters sitzt (Unio mystica cum Christo). Die Bibel verbietet die Anbetung Gottes in irgendwelchen Dingen.
Die „Charta Oecumenica“ stellt die Sache so dar, als ob die Messe und das reformierte Abendmahl ein und dasselbe wären. Auch schon deshalb ist es für uns nicht zu fassen, wie ein reformierter Bischof solch ein Dokument unterzeichnen konnte. Wie ist es möglich, über die eucharistische Gemeinschaft zu sprechen, wenn es so schwere Meinungsunterschiede zwischen den beiden Konfessionen gibt?
2.4 Niemand darf durch moralischen Druck oder materielle Anreize zur Konversion bewegt werden
Diese auf den ersten Blick einleuchtend erscheinende Forderung bedeutet nichts anderes, als das Ende der Mission.
Was heißt denn „moralischer Druck“? Moralischer Druck ist heutzutage schon, wenn man jemand, der sich homosexuell betätigt, sagt, so etwas zu tun sei in Gottes Augen Sünde, und er müsse sich davon bekehren … Ist es nicht auch schon moralischer Druck, wenn man einem anderen sagt: „Wenn du nicht an Jesus Christus glaubst, dann bleibst du in der ewigen Verdammnis!“, oder wenn man einem von den Krishna-Gläubigen erklärt, dass jeder Götzendienst dem lebendigen Gott ein Greuel ist und dass er deshalb seine Religion verlassen muss … Ist es dann schon Diskriminierung, wenn man sagt, dass es ohne Christus keine Seligkeit gibt?
Wenn man ein einheitliches Europa mit einer einheitlichen Religion schaffen will, dann wird unsere Mission als erste dieser Einheit zum Opfer fallen.
2.5 Der Dialog mit Juden und Muslimen
Von der (christlichen) Mission ist also keine Rede. Obwohl Jesus die Seinen mit dem Missionbefehl aussandte, sowohl Juden als auch die übrigen Völker zu Jüngern zu machen: (Mt 28,20; Apg 1,8), weist die Intention des Dokumentes in die entgegengesetzte Richtung, als wäre Mission unter Juden und Muslimen geradezu eine Beleidigung oder eine Sünde gegen die menschliche Würde jener Gruppen. – Aber würde nicht gerade die Annahme des Evangeliums zur Versöhnung dieser beiden Völker führen?
Merkwürdigerweise empfiehlt die Charta, „miteinander (mit diesen beiden Religionen) über den Glauben an den einen Gott zu sprechen“, und das heißt praktisch, über die Gottheit unseres Herrn Jesus Christus zu schweigen. Immer häufiger machen wir die Erfahrung, dass die Betonung des „solus Christus“ (allein Christus) die europäische Einheit stört.
2.6 Widerstand gegen allen Formen von Antisemitismus und Antijudaismus
Wir meinen, dass man Christen nicht zum Zusammenschluss gegen Antisemitismus auffordern oder gar verpflichten muss, weil ein wahrer Christ, dem die Bibel als absolute Autorität gilt, weder Juden, noch Zigeuner, noch Russen hassen kann. Wer doch solchen Haß in sich hegt, hat nichts mit dem wahren Christentum zu tun!
Der „Antijudaismus“ dagegen ist ein Problem vollkommen anderer Art. In der christlichen Theologie nennt man Judaismus die
Ist es dann schon Diskriminierung, wenn man sagt, dass es ohne Christus keine Seligkeit gibt?
Lehre, die behauptet, die mosaischen Gesetze (samt den kultischen Geboten) seien auch von dem wiedergeborenen Gläubigen einzuhalten. Diese Lehre betrachtet die Seligkeit letztendlich als Verdienst. Ein Antijudaist ist jemand, der diese Lehre ablehnt. Der Apostel Paulus wäre demnach selbst der größte Antijudaist gewesen, weil er die Rechtfertigung durch den Glauben lehrte und sich im Galater-Brief den Judaisten entgegenstellte. Die Rechtfertigung durch den Glauben ist das Wesen des Christentums. Darauf kann kein Christ je verzichten.
Unter „Judaismus“ wird in der theologischen Fachliteratur die Lehre über die Rechtfertigung durch das Einhalten von Geboten verstanden, unabhängig davon, ob ein römisch-katholischer oder reformierter Theologe sie vertritt, und sie hat nichts mit dem Judentum zu tun. Es ist doch eigenartig, dass die „Charta Oecumenica“ den „Judaismus“ verteidigt.
3 Der geistliche Hintergrund der „Charta Oecumenica“
Eine Untersuchung des geistlichen Hintergrundes der „Charta Oecumenica“ macht klar, warum eben jetzt die Charta unterschrieben worden und gerade in dieser Form erschienen ist.
Es ist eine gut bekannte Tatsache, dass die europäischen Nationen sich seit Jahren mit der Bildung eines einheitlichen Europa befassen. Dieser Prozess hat sich nun vor unseren Augen beschleunigt, denn für ein einheitliches Europa braucht man unbedingt eine einheitliche Ideologie bzw. Religion, die die
Die „Charta Oecumenica“ ist ein Teil der Strategie des Synkretismus
Masse der vielen Nationen und Religionen zusammenhält. Der römische Katholizismus ist in Europa ohne Zweifel eine monarchische Religion, die die größten Massen bewegt. Es liegt auf der Hand, dass diese Kirche den Rahmen der Religion bilden könnte, in den auch die Anhänger der übrigen Religionen durch milde Kompromisse eingeschmolzen werden können.
Gleichzeitig hat der Katholizismus eine geschichtliche Praxis im Synkretismus mit nichtchristlichen Religionen. Die strategischen Schritte dieses Vorganges werden von nüchternen gläubigen Christen schon seit Jahren beobachtet,2 und auch die „Charta Oecumenica“ ist ein Teil dieser Strategie. Der gemeinsame Nenner der Religionen und Konfessionen ist schon vorhanden: Das ist der Monotheismus, von dem nach alle Richtungen Türen geöffnet werden können.
In der neuentstehenden Religion wird das Neue Testament wohl keinen Platz haben, da es von der Dreifaltigkeit spricht. Auch Jesus selbst nicht, als der alleinige Erlöser, weder Paulus, der Antijudaist, noch Lukas, der als „Fundamentalist“ niederschrieb:
„Und es ist in keinem anderen das Heil; denn auch kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden müssen.“ (Apg 4,12)
Die Zeit drängt, denn solange keine neue Religion zustande kommt, die alles integrieren kann, wird es kein einheitliches Europa geben.
Pfarrer SHIPOS fragt anschließend wie die Reformierte Kirche in Ungarn überhaupt dazu kommen kann, die Charta zu unterschreiben, wo doch in mehreren Mitgliedskirchen die Bibel nicht als Offenbarung Gottes anerkannt wird, wo die Autorität des Wortes Gottes mißachtet wird, die Homosexualität nicht nur verteidigt wird, sondern auch Homopaare getraut und lesbische Pfarrerinnen in den Dienst gestellt werden, wo eine Liturgie zur Ehescheidung eingeführt wird, wo manche Bischöfe offen erklären, dass sie nicht an die leibliche Auferstehung von Jesus Christus glauben. Shipos kritisiert diese Haltung deutlich und beschreibt die Folgen, die die Unterzeichnung der Charta für diese Kirche haben wird. Außerdem verfasste der Bibelbund Ungarn ein Protestschreiben an die Kirchenleitung der Reformierten Kirche in Ungarn.