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Buch: Archä­ologie der biblischen Welt

Wer keine Zeit oder kein Geld hat, die Ausgrabungsstätten in Israel zu besichtigen, aber dennoch Interesse an aktuellen Funden zeigt, sollte sich mit diesem Buch auseinandersetzen.

Vieweger, Dieter. Archä­ologie der biblischen Welt. Gütersloh: Gütersloher Verlags­haus 2012 602 S. Hardcover: 39,99 €. ISBN 978-3-579-08131-1

Archäologie der biblischen WeltDer Autor des Buches, Dieter Vieweger, kann als ausgewiesener Kenner der Materie betrachtet werden. Er war als Professor für alttestamentliche Wissenschaft und biblische Archäologie an verschiedenen deutschen Hochschulen tätig (Berlin, Wuppertal, Witten-Herdecke). Er war auch selbst an archäologischen Ausgrabungen beteiligt. Seit 2005 ist Vieweger leitender Direktor des „Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes“ (DEI) und Mitgliedes „Deutschen Archäologischen Instituts“ (DAI).

Das 2012 in der vierten überarbeiteten und erweiterten Auflage erschienene Standardwerk zur „Biblischen Archä­ologie“ ist mit seinen 600 Seiten nicht nur umfangreich, sondern thematisch und stilistisch äußerst vielfältig. Fast jede Seite wird von hilfreichen Fotos, Zeichnungen, Graphiken oder farblich markierten Themenblöcken illustriert.

Jedes Kapitel will Antwort auf eine bestimmte Frage aus dem Umfeld der Archäologie geben: Kapitel 1: „Was hat die Archäologie mit der Bibel zu tun?“ (S.23-59); Kapitel 2: „Was erforscht die Archäologie?“ (S. 60-74); Kapitel 3: „Wo spielte sich alles ab?“ (S. 75-85); Kapitel 4: „Was findet man?“ (S.86-103); Kapitel 5: „Wie entdeckt man Spuren der Vergangenheit?“ (S. 104-143); Kapitel 6: „Wie gräbt man aus?“ (S. 144-166); Kapitel 7: „Wann geschah es?“ (S. 167-206); Kapitel 8: „In welcher Umwelt lebten die Menschen?“ (S. 207-261); Kapitel 9: „Wie könnte es gewesen sein?“ (S. 262-351); Kapitel 10: „Wie restauriert man Antiken?“ (S. 352-388); Kapitel 11: „Wie präsentiert man Funde?“ (S. 389-425) und Kapitel 12: „Wie kann man die Vergangenheit erleben?“ (S. 426-458). Ergänzt wird die Darstellung durch eine tabellarische Übersicht der chro­nologischen Da­ten Palästi­nas und seiner Umwelt (S. 459-508), durch ein deutsch- arabisch- hebräisches Kurz­lexikon (S. 511-516), Wort­erklä­rungen mit wichtigen Fachbegriffen zur Archäologie (S. 517-527), eine ausführliche Literaturliste (S. 527-564), ein Register der zitierten biblischen und außer­biblischen Texte (S. 571-574) und ein Sachregister (S. 575-598).

Die Kapitel sind auch für den interessierten Nicht-Fachmann gut lesbar, wobei historische, naturwissenschaftliche und theologische Grundkenntnisse natürlich eine Hilfe sind.

Ergänzt wird das Werk durch eine Bild-DVD mit 1368 Fotos historischer Stätten in Israel, den palästinensischen Gebieten und Jordanien. Die Mischung aus archäologischen Funden, aktuellen Kirchen, Menschen, Landschafts- und Naturaufnahmen erwecken gelegentlich allerdings den Eindruck von Urlaubsfotos.

Archäologie in biblischen Ländern ist für Vieweger keinesfalls ein apologetisches Werkzeug. Er strebt eine scheinbare Neutralität an, in der die biblische Geschichte kulturell und religiös eingebettet wird in die Geschichte des Alten Orients.

Vieweger will die „Biblische Archäologie“ auch nicht als Hilfswissenschaft der Theo­logie verstanden wissen, sondern als multi­disziplinäres Unternehmen mit naturwissenschaftlicher Systema­tik (S. 45-47). Von einer theorie­­lasti­gen „New Archaeology“, die sich eher der Interpretation „allgemein­gesellschaft­licher Pro­zesse und Gesetz­mäßigkeiten“ widmet, grenzt sich Viewe­ger bewusst ab (S. 65f). Allerdings sieht er in der durch archäologische Funde gestützten Beschreibung des Alltagslebens durchaus einen Schlüssel zum besseren Verständnis biblischer Berichte (z.B. S. 223ff).

Das Buch bietet einen breiten Überblick über die „Biblische Archäologie“, von deren Geschichte über die Frage nach ihrem Ziel bis hin zu den konkreten Details archäologischer Alltagsarbeit. Es wird besprochen, auf welche Quellen Archäologen im Nahen Osten hoffen können, wie man Fundstätten identifiziert, wie systematische Ausgrabungen orga­nisiert werden, wie die Funde datiert und interpretiert werden. Dabei kom­men auch die Unwäg­barkeiten und Unge­nauigkeiten zeitlicher Einordnungen der Fundstücke zur Sprache (S. 204ff). Darüber hinaus wird ausführlich erklärt, wie Antiken restauriert und wie sie sinnvoll präsentiert werden können. Sehr hilfreich für die Praxis sind Angaben über konkrete Möglichkeiten der Mitarbeit an archäologischen Grabungen, über archäologische Parks, Bibelmuseen und historische Erlebnisparks in Israel, aber auch in Europa.

Bei der Besprechung der Grabungs­techniken, der Datierungs­möglichkeiten und der Präsentation archäologischer Funde geht Vieweger auch auf neuere Methoden und Diskussionen ein. Beispielsweise referiert er anregende Überlegungen zu neuen Formen der Darstellung von Artefakten in virtuellen Räumen oder mit Hilfe erlebbarer Nachstellungen historischer Szenen (S. 426ff, 456). Sicher kommt es in der Archäologie nicht nur auf die Sicherstellung entsprechender Funde an, sondern auch auf die sach- und fachgerechte Vermittlung ihrer Ergebnisse.

In der Darstellung der Archäologie kommt Vieweger neben der geographi­schen Region „Biblischer Archäologie“ immer wieder auf europäische Schau­plätze zu sprechen, auch wenn der Zusammenhang hier nicht immer ganz deutlich wird.

Stellvertretend werden im Buch einzelne Grabungen verschiedener Epo­chen vom Neolithikum bis in die früh­islamische Zeit vorgestellt (z.B. Arad, Hazor, Lachisch, Dor und Gerasa). Exkurse in die Kulturgeschichte illustrieren die Bedeutung archäologischer Artefakte und machen ihre Bedeutung sichtbar.

In jedem Kapitel wird auf sinnvolle, weiterführende Literatur hingewiesen (z.B. S. 56, 258). Das Literaturverzeichnis ist durchaus interessant und aktuell, für den normalen Leser allerdings schwer erschließbar und zu umfangreich.

Eine Auswahl oder gar Konzen­tration auf biblisch relevante Grabungen findet sich bei Vieweger, in Abwei­chung zum Titel des Buches, nicht. So wundert es kaum, dass der Autor sich ausführlich auch archäologischen Grabungen widmet, die nur indirekt mit biblischer Geschichte zu tun haben. So bespricht er Arad und Hazor in erster Linie als vorisraelische Siedlungen, Dor als phönizischen Ort und Gerasa als römische Stadt (S.274ff).

Wer auf zahlreiche archä­ologische Hintergrund­in­for­­matio­nen zum besseren Verständnis der Bibel hofft, wird durch das Buch größtenteils enttäuscht. Eigentlich finden sich Angaben zur biblischen Geschichte nur am Rande, so z.B. Informationen zur militärischen Auseinandersetzung zwischen Hiskia, dem König von Juda, und dem assyrischen König Sanherib (S. 299f).

Erfreuli­cher­weise werden von Vieweger die biblischen Könige David und Salomo als auch spätere jüdische Propheten als historische Per­sonen behandelt (z.B. S. 172, 186, 386f, 480ff). Der Auszug Israels aus Ägyp­ten, die Landnahme und alles, was sich nach biblischen Berichten vor­her ereignet hat, wird in diesem Werk aber übergangen oder als legendarisch beiseite gelassen. Jericho wurde demnach nicht von den Israeliten erobert (S. 50ff). Auch geht Vieweger davon aus, dass in Israel bis zum Babylonischen Exil Schweinefleisch verzehrt wurde (S. 220), ganz im Gegensatz zu biblischen Aussagen. In den „Hapiru“ sieht er keine frühen Hinweise auf die Hebräer, wie andere Forscher vermuten (S. 291). Der alttestamentliche Glaube wird im Buch als Weiterentwicklung altorientalischer Religiosität interpretiert (S. 57, 242ff).

In der Einordnung archäo­logischer Daten geht Vieweger von dem Grundmodell der biologischen und kulturellen Evolution aus, was die möglichen Interpretationen natürlich von vornherein beeinflusst. Deutlich lehnt er „fundamentalistische Richtungen“ ab, die von einem tradi­tionell-biblischen Menschenbild und einem „wörtlich verstandenen Schöp­fungs­­bericht“ aus­gehen (S. 29).

Wer sich aktuell über die konkrete archäologische Arbeit im Nahen Osten informieren will, nach­vollziehen möchte, wie archäologische Funde entdeckt, sichergestellt und bearbeitet werden und wie sie in der gegenwärtigen Theologie auf biblische Berichte bezogen werden, ist mit Viewegers Buch gut bedient.