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Die Souveränität Gottes und die Evangelisation

Wie passen Gottes erwählendes Handeln und die Verkündigung des Evangeliums zusammen?

Es gibt wohl keine Lehraussage der Bibel, die soviel Skepsis und Ablehnung von den Christen erfahren hat, wie gerade die Lehre von der Vorherbestimmung Gottes, der Prädestination. Die Vorstellung, dass Gott souverän entscheidet und bestimmt, ist für viele nur schwer annehmbar. Deshalb wird diese biblische Lehre oft schamhaft verschwiegen, bekämpft oder wenigstens abgeschliffen – mit äußerst negativen Folgen für die Evangelisation. Wer die Lehre von der Prädestination ablehnt, bekommt ein schiefes Bild von der Gnade Gottes, von der Buße und von der Rettung, und er bekommt eine falsche Vorstellung von Gott als Person.

Gott erwählt zum Heil

Zunächst stellen wir fest: Die Bibel lehrt eindeutig, dass von Gott allein die Rettung jedes einzelnen Menschen abhängt. Er allein entscheidet souverän darüber, wer zum Heil erwählt wird. Er allein entscheidet, wer den Weg zu Umkehr, Vergebung und Neugeburt im Heiligen Geist findet. Die Bibel lehrt jedoch nicht in gleicher Weise, dass Gott die Verlorenen zur Verdammnis vorherbestimmt hat. Daraus ergibt sich eine Spannung, auf die wir noch eingehen. In Eph 1,3-6.11-12 heißt es zur Erwählung: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus. Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten; in seiner Liebe hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten … In ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden, die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens; damit wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit, die wir zuvor auf Christus gehofft haben.“

Drei wesentliche Aussagen legt der Apostel Paulus hier den Christen in Ephesus vor:

  • Gott wirkt alles nach dem Vorsatz seines Willens (Vers 11).
  • Gott bestimmt allein und souverän, welche Menschen er zu seinen Kindern und Erben erwählt (Verse 5 und 11).
  • Gott hat diese Wahl getroffen, ehe der Welt Grund gelegt war (Vers 4).

Also: Noch bevor der Planet Erde existierte, hat Gott festgelegt, welche von den Menschen, die im Laufe der Jahrtausende auf der Erde leben würden, wiedergeboren und gerettet werden würden. Gott legte sozusagen die Namen fest. In der Apostelgeschichte wird als Ergebnis der Evangelisationspredigt des Paulus in Antiochia (Apg 13,48) berichtet: „Es wurden alle gläubig, die zum ewigen Leben bestimmt waren.“ – Für „bestimmt waren“ steht im Griechischen das Wort „tasso“, was unter anderem heißen kann „in eine Liste einschreiben“. Dies geschah zum Beispiel, wenn Soldaten angeworben und dann in eine Liste eingeschrieben wurden. Wenn man die Aussagen aus Eph 1 und Apg 13,48 zusammenzieht, wird klar: Vor Grundlegung der Welt hat Gott die Namen all derer eingeschrieben, die zum ewigen Leben bestimmt sein würden. Das ist die grundsätzliche Aussage der Bibel. Warum es gar keinen anderen Rettungsweg geben kann, wird in Eph 2,1 so erklärt: „Auch ihr wart tot durch eure Übertretungen und Sünden.“ Das ist eine profunde Aussage: Ein Toter ist tot. Er kann keine Entscheidungen mehr treffen. Er kann keine Schritte tun. Er kann nichts mehr bewirken oder verändern. Ein Mensch „in Übertretungen und Sünden“ befindet sich geistlich im gleichen Zustand. Er kann den Weg zu Jesus nicht finden! Er kann nicht Buße tun. Er kann sich nicht für Jesus entscheiden. Er kann keine Schritte zur Rettung tun. Er ist tot. Darum betont Paulus, dass die Rettung allein Gottes Geschenk ist. Menschen haben daran keinen verursachenden Anteil: „Denn aus Gnade seid ihr gerettet worden durch Glauben, schreibt er, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme“ (Eph 2, 8-9).

Wie tot ist ein Toter?

Sie wollen nicht wahrhaben, dass es „ein bisschen tot“ genauso wenig gibt wie „ein bisschen schwanger“

Damit kommen wir zu einem entscheidenden Punkt: Viele Christen glauben, dass sie nur ein „bisschen tot“ waren vor ihrer Bekehrung und dass sie darum doch ein bisschen mitwirken konnten bei ihrer Rettung. Sie glauben nicht so ganz, dass sie tot waren, bevor Gott sie rettete. Sie wollen nicht wahrhaben, dass es „ein bisschen tot“ genauso wenig gibt wie „ein bisschen schwanger“. Es behagt ihnen nicht, dass sie so völlig ausgeliefert und hilflos sind vor Gott. Aber: Gottes Wort sagt es knapp und nüchtern: Jeder Mensch ist von Natur aus tot vor Gott. Und ein Toter kann nichts tun! Von daher wird deutlich, dass die Rettung von Menschen zunächst auf Gottes souveräner Entscheidung beruht. Dabei ist wichtig, dass die Bibel nur die Erwählung zum Heil, nicht aber die Erwählung zur Verdammnis lehrt. Das heißt: Wir finden in der Bibel nur die Aussage, dass Gott vor Grundlegung der Welt Menschen zum Heil erwählt hat. Dass der Lebendige Gott auch Menschen zum Unheil erwählt, sagt die Bibel dagegen nicht. Sie präsentiert nur die positive Aussage, dass Menschen zum Heil erwählt werden, nicht aber ihr negatives Gegenstück. Und die Bibel liefert weitere ergänzende Details: In Joh 6,44 legt Jesus dar, dass zwar viele ihn hören, aber nur diejenigen zu ihm kommen und ihm gehören werden, die vom Vater zu Ihm gezogen werden: „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat, und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“. Und in Mt 11, 27 heißt es bekräftigend: „Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.“

Gott bietet allen die Wahrheit und die Einladung zur Buße an, aber er allein legt fest, wem er die Buße gibt

Das heißt: Viele Menschen hören die Wahrheit Gottes, manche vielleicht Jahre und Jahrzehnte lang. Aber nur diejenigen finden den Weg zu Jesus, die vom Vater im Himmel gezogen werden. Das ist eine sehr starke Formulierung: Man kann den Weg zu Jesus nicht allein gehen. Man muss von Gott förmlich hingezogen werden. Zugespitzt gesagt: Gott bietet allen die Wahrheit und die Einladung zur Buße an. Aber er allein legt fest, wem er die Buße gibt. Von allein greift nämlich keiner danach. In 2Tim 2,25 heißt es darum: „Ein Knecht des Herrn aber ist jemand, der … mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweist, ob ihnen Gott vielleicht Buße gebe, die Wahrheit zu erkennen.“ Gott allein legt fest, wem er die Buße gibt und gewissermaßen in die Hände legt. Wenn das geschehen ist, dann, so sagt die Bibel, sorgt Gott auch für alles Weitere: Für das Leben in der Heiligung und auch für die Verherrlichung in der Ewigkeit. Er allein sorgt souverän für alles! In Röm 8,28-30 führt der Apostel Paulus dazu aus: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht“.

Ist Gott gerecht?

Gott behandelt uns entweder gerecht oder gnädig, aber niemals ungerecht

Das alles erscheint vielen schwer annehmbar. Sie haben den Eindruck, Gott sei unfair. Wenn er sich einigen gegenüber gnädig zeige – so sagen sie – dann sei er doch moralisch verpflichtet, es auch bei allen anderen zu tun. Es ginge doch nicht an, dass Gott einige gnädig zum Heil erwähle, andere aber nicht. Im Stillen machen sie Gott Vorwürfe. Genau mit diesen Vorwürfen hat der Apostel Paulus sich nun auseinandergesetzt. In Röm 9,14-21 schreibt er dazu: „Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! Denn er spricht zu Mose (2Mo 33,19): Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Denn die Schrift sagt zum Pharao (2Mo 9,16): Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde. So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.1 Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?“ Mindestens zwei Botschaften stecken in diesem leidenschaftlichen Plädoyer für die Souveränität Gottes. – Zum einen: Wir sind einfach nicht in der Position, den lebendigen Gott zu beschuldigen und auf die Anklagebank zu zitieren. Wir sind als verlorene und sündhafte Geschöpfe einfach nicht in der Lage, den heiligen und gerechten Gott zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist zutiefst unangemessen und absurd. Zum andern: Gott behandelt uns Menschen entweder gnädig oder gerecht. Niemand aber wird ungerecht behandelt. Wenn Gott einen Menschen in die Verdammnis gehen lässt, dann ist das – so schrecklich sich das auch anhört – gerecht. Es ist keineswegs ungerecht oder unfair, sondern (leider) gerecht. Niemand, der im Jüngsten Gericht zur Verdammnis verurteilt wird, wird sich beklagen können. Er wird sehen: Das Urteil ist gerecht. Es ist den Taten meines Lebens absolut angemessen! Wenn Gott nun beschließt, einen Menschen nicht gerecht, sondern gnädig zu behandeln, dann ist dies seine freie Entscheidung! Wir halten also fest: Gott behandelt uns entweder gerecht oder gnädig, aber niemals ungerecht! Und damit ist klar: Ob ein Mensch gerettet wird und das Evangelium annimmt, ist allein von Gottes gnädiger Erwählung vor Grundlegung der Welt abhängig. Das ist eine Seite der Medaille.

Bekehrung – die Verantwortung des Menschen

Es gibt keinen einzigen Fall in der Bibel, wo ein Mensch sich bekehren wollte aber abgewiesen wurde, nur weil er nicht zu den Erwählten zählte

Nun hat die Bibel aber durchaus noch mehr zu diesem Thema zu sagen: Neben die Lehre von der Vorherbestimmung Gottes stellt sie ebenso deutlich die Lehre von der Verantwortlichkeit des Menschen. Als Paulus und sein Mitarbeiter Barnabas in der Stadt Antiochia evangelisierten, haben sie einige ihrer Zuhörer, die ablehnend auf das Evangelium reagierten, auf ihre Verantwortung hingewiesen – Apg 13,46: „Euch musste das Wort Gottes zuerst gesagt werden; da ihr es aber von euch stoßt und haltet euch selbst nicht für würdig des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden.“ Hier haben wir es vor Augen: Paulus und Barnabas erinnern die Leute daran, dass sie verantwortlich sind dafür, wie sie mit dem Wort Gottes umgehen. Es liegt in ihrer Verantwortung, ob sie es annehmen oder ablehnen. Und sie sind verantwortlich für die Folgen, die ihre Entscheidung nach sich zieht. So finden wir es durchgängig in der Bibel, dass die Menschen in die Pflicht genommen werden. Ihr Wille wird angesprochen. In Joh 5,39-40 heißt es: „Ihr sucht in der Schrift, sagte Jesus, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist´s, die von mir zeugt; aber ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet.“ In Röm 1,19-20 finden wir dieselbe Botschaft. Die Menschen sind verantwortlich, wenn sie Gott in ihrem Leben verfehlen: „Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, so dass sie keine Entschuldigung haben“. Also: Neben die Lehre von der Vorherbestimmung Gottes stellt die Bibel die Lehre von der Verantwortung des Menschen. Das heißt: Allen Menschen wird die Offenbarung Gottes angeboten. Wer sie abweist ist vor Gott verantwortlich für sein Tun.

Dabei ist nun eines ganz wichtig: Es gibt keinen einzigen Fall in der Bibel, wo ein Mensch sich bekehren wollte aber abgewiesen wurde, nur weil er nicht zu den Erwählten zählte. Im Gegenteil: Die Evangelien berichten übereinstimmend, dass Jesus ausnahmslos alle, die seine Gnade und Vergebung erbaten, angenommen hat. Das heißt: Jeder, der sich bekehren will und die Rettung durch Christus erbittet, bekommt sie. Keiner, der zu Jesus kommt, wird abgewiesen (Joh 6, 37).

Die logische Spannung

Natürlich kommt immer wieder die Frage auf, wie denn die Lehre von der Vorherbestimmung Gottes und die Lehre von der Verantwortung des Menschen zusammenpassten. Die schlössen sich doch gegenseitig aus! Und es stimmt:

Auch die Erwählten werden nicht ohne die Predigt des Evangeliums gerettet

Aus unserem begrenzten menschlichen Blickwinkel erscheint das so. Bei Gott allerdings bilden beide eine perfekte Einheit. Die Bibel macht unübersehbar klar, dass beide – die Lehre von der Vorherbestimmung Gottes und die Lehre von der Verantwortung des Menschen – gleichermaßen zu einhundert Prozent wahr und von Gott offenbart sind. Das heißt: Wir sollen den Menschen die Wahrheit Gottes so sagen, als hinge alles von ihrer Entscheidung ab. Dabei aber wissen wir, dass nur diejenigen sich für Gottes Wort und für die Rettung entscheiden werden, die Gott vor Grundlegung des Welt dazu erwählt hat. Wir wissen nur nicht, wen Er erwählt hat. Das bleibt ein Geheimnis. Und darum müssen wir das Evangelium allen sagen. Auch die Erwählten werden nicht ohne die Predigt des Evangeliums gerettet. Und darum sind wir verpflichtet, allen die Wahrheit Gottes weiterzugeben (Röm 10,13-14). Die Bibel führt uns hier zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die Rettung der Bekehrten erweist sich im Rückblick allein als Gottes Verdienst. Deshalb danken wir ja Gott für unsere Bekehrung und die anderer Menschen. Für die Verdammnis der Verlorenen aber macht die Bibel diese selbst verantwortlich, weil sie an der Sünde festgehalten und den Glauben verweigert haben.

Folgen für die Evangelisation

Wenn wir meinen, wir hätten Bekehrungen zu produzieren, müssten wir eine unwiderstehliche Technik entwickeln, die den gewünschten Erfolg herbeiführt

Es wird deutlich: Die Souveränität Gottes und die Evangelisation haben eine Menge miteinander zu tun. Der Theologe J.I. Packer hat die Sache vor mehr als dreißig Jahren so auf den Punkt gebracht.2 „Wenn wir vergessen, dass es Gottes alleiniges Recht ist, Frucht zu wirken, wo das Evangelium verkündigt wird, werden wir anfangen, uns selbst dafür verantwortlich zu fühlen. Und wenn wir vergessen, dass Gott allein den Glauben wirken kann, werden wir immer mehr denken, Bekehrungen zu schaffen sei letztlich von uns und nicht von Gott abhängig, und dass der entscheidende Faktor in der Evangelisation die Art der Darbietung sei. Und diese Denkart führt uns – konsequent zuende gedacht – weit in die Irre.“ „Sehen wir uns das einmal genauer an: Wenn wir meinen, unsere Aufgabe sei mehr, als nur Christus anzubieten, wenn wir meinen, wir hätten Bekehrungen zu produzieren – also nicht nur treu, sondern auch erfolgreich zu evangelisieren – dann werden wir pragmatisch und berechnend an die Evangelisation herangehen. Wir würden folgern, dass wir – sowohl im persönlichen Gespräch, wie auch bei öffentlichen Predigten – über zwei Grundvoraussetzungen verfügen müssten: Es genügte nicht nur ein klarer Begriff von der Bedeutung und Reichweite des Evangeliums; unerlässlich wäre außerdem eine unwiderstehliche Technik, die den gewünschten Erfolg herbeiführt. Wir sähen es daher als unsere Aufgabe an, eine solche Technik zu entwickeln und einzuüben. Und wir würden unsere und anderer Leute Evangelisationsarbeit nicht nur an der verkündeten Botschaft, sondern auch am sichtbaren Erfolg messen. Brächten unsere Bemühungen keine Erfolge, so schlössen wir daraus, dass unsere Technik verbesserungswürdig ist. Wenn sie aber Frucht bringen, so hielten wir dieses für die Bestätigung, die richtige Methode zu haben. Wir sähen in der Evangelisation einen Kampf zwischen unserem Willen und dem unserer Zuhörer, einen Kampf, bei dem der Sieg darauf zurückzuführen ist, dass wir durch unser wirkungsvolles Artilleriefeuer den gewünschten Erfolg erzwungen haben.“ Es ist kaum zu fassen: Obwohl Packer zu einer Zeit schrieb3 als weder von ProChrist, Willow Creek noch von Jesus House die Rede war, ist es doch, als beschriebe er die Wesenszüge dieser in der Tat sehr pragmatischen Methoden der Evangelisation. Sowohl Bill Hybels in Willow Creek, als auch die Aktion ProChrist/ Jesus House gehen grundsätzlich nach den von Packer beschriebenen pragmatisch-erfolgsorientierten Methoden vor. Bei ProChrist liegt das Hauptproblem in der pragmatischen Zusammenarbeit mit Charismatikern, Katholiken, Adventisten und liberalen Gemeinden. Bei Willow Creek ist unter anderem die pragmatische und unkritische Übernahme von psychologisierenden Marketing-Methoden das Problem. Treibende Kraft hinter beiderlei Pragmatismus ist (auch wenn das den Verantwortlichen nicht bewusst sein sollte) der Wille zum menschlich-machbaren Erfolg und – eine Vernachlässigung der Lehre von der Souveränität und Vorherbestimmung Gottes.

Methoden der Evangelisation

Auch zur Frage der Methodenauswahl in der Evangelisation hat Packer die Konsequenzen aus der Souveränität Gottes formuliert.4

„Es gibt nur eine Methode zu evangelisieren: nämlich getreulich die Botschaft des Evangeliums zu erklären und anzuwenden. Daraus folgt – und dieses ist das Schlüsselprinzip, nach dem wir suchen – dass der Test für jegliche Art von geplanter Strategie, Technik oder Form evangelistischer Aktivität dieser ist: Dienen sie dem Wort? Sind sie so berechnet, dass dadurch das Evangelium wahrheitsgetreu und vollständig dargestellt wird und tief und genau die Hörer trifft? Insoweit sie dazu helfen, sind sie rechtens, insoweit sie dazu neigen, die Wirksamkeit der Botschaft zu verdecken oder zu verdunkeln und ihre Schärfen abzupolstern, sind sie böse und falsch.“ Und dann präsentiert Packer noch einige Testfragen5 die auch wir an jede neue Form der Verkündigung richten sollten:

Ist diese Präsentation Christi geeignet, die Leute davon zu überzeugen, dass das Evangelium Gottes Wort ist?

„Ist diese Präsentation Christi geeignet, die Leute davon zu überzeugen, dass das Evangelium Gottes Wort ist? Schmeichelt diese Präsentation Christi menschlicher Klugheit und Darstellungskunst? Ist die Präsentation Christi dazu angetan, das Werk des Wortes an den Herzen der Menschen zu fördern oder es zu behindern? Hilft sie, die Aussagen der Botschaft deutlicher zu machen, oder vernebelt und verdunkelt sie diese? Ist diese Präsentation Christi dazu berechnet, die Lehre des Evangeliums zu vermitteln oder nur einen Teil derselben? … Ist diese Präsentation Christi dazu berechnet, das Evangelium in angemessenem Ernst zu vermitteln? Wirkt sie so, dass die Menschen merken, hier geht es um Tod und Leben? … Ist sie geeignet, deutlich zu machen, dass es schrecklich ist in die Hände des Lebendigen Gottes zu fallen? Oder ist die Präsentation Christi so obenhin, unbestimmt, gemütlich und vergnüglich, dass es den Hörern schwer fällt, das Evangelium für eine Angelegenheit äußerster Wichtigkeit zu halten?“ Evangelisation im biblischen Sinn ist Evangelisation im Vertrauen auf die Souveränität Gottes. Sie achtet zuerst und grundsätzlich darauf, die Wahrheit Gottes vollständig, unverfälscht und vor allem treu weiterzugeben. Sie sucht nicht den machbaren Erfolg, sondern gibt dem Wort Gottes allen nur möglichen Freiraum. Sie erwartet alles von der rettenden Kraft des Wortes Gottes und der überführenden Wirkung des Heiligen Geistes. Evangelisation im biblischen Sinn geht den direkten Weg zu den Herzen der Menschen: Sie präsentiert die Wahrheit Gottes ganz und vertraut dabei auf den souveränen Gott, der denen die Gnade der Bekehrung und Wiedergeburt schenkt, die zum Heil erwählt sind. Der amerikanische Theologe John MacArthur, Pastor einer der größten Gemeinden in den USA, hat einmal geschrieben.6

„Der Glaube an Gottes Souveränität würde die Kirche vor dem Niedergang durch Pragmatismus und Weltförmigkeit befreien. Er würde uns zurücktreiben zu biblischer Predigt. Setzten die Prediger ihr Vertrauen nur in Gottes Kraft und Gottes Wort, so brauchten sie die Botschaft nicht zu beschneiden, zurechtzubiegen oder abzuschwächen. Sie wären nicht der Meinung, durch künstliche Mittel könnten sie zahlreichere Bekehrungen erzielen. Sie sähen die Evangelisation nicht als Marketing-Problem an, sondern als das, was sie ist – die Verkündigung der göttlichen Offenbarung als dem einzigen Mittel, durch das Gott seine Auserwählten zu sich ruft. Sie würden sich mehr auf das Evangelium verlassen, als der »Kraft Gottes zur Errettung«. Und sie würden mit den weltlichen Komödien aufhören, durch die die Kirche nur immer schneller dem Untergang entgegengetrieben wird.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.


  1. Damit ist nicht gesagt, dass Gott den Pharao von Ewigkeit her zur Verstockung vorherbestimmt habe. – d. Vf. 

  2. J. I. Packer, Evangelism and the Sovereignity of God, Downers Grove, Ill., 1961, S. 27 – 28 

  3. Anfang der sechziger Jahre 

  4. aaO. S. 86 

  5. aaO. S. 87–90 

  6. John F. McArthur, Wenn Salz kraftlos wird, Bielefeld 1996, S. 175f.