LiteraturBuchbesprechungen, Gemeindeleben

Vielleicht schaffen wir die Trendumkehr

Aufgrund der Christenverfolgung im DDR-Unrechtsstaat hat die Kirchenmitgliedschaft in Vor­pommern dramatisch abgenommen von 700 000 Mitgliedern im Jahr 1959 auf 73 000 Mitglieder in 2020. Die Frage stellt sich, wie Christen in den neuen Bundesländern evangelisieren und Gemeinde gestalten können, damit Gemeindewachstum geschieht. Dafür hat das Forschungstrio sowohl Mitgliederzahlen im Pommerschen Evan­gelischen Kirchenkreis von 2002 mit 2020 verglichen als auch Interviews mit Freiwilligen und Hauptamtlichen geführt und dabei elf Wachstumsbedingungen, sechs Hinderungs- und sechs Schrump­fungsgründe ermittelt.

Im Hauptteil erklären die drei Forscher die Gründe für Gemeindewachstum, -resignation und -schrumpfung. Eine Gemeinde wächst, wenn sie verschiedene Arten von Gottesdiensten mit anschließendem Mittagessen gestaltet: „Die inhaltliche Intensivierung wird vor allem durch die Hauptgottesdienste und Kleingruppen gefördert. Zentrum der Gottesdienste ist eine bibelnahe Verkündigung“ (S. 54). Dabei stießen sie auf einen interessanten Ansatz: „Nicht der Pastor macht die Gemeindearbeit, sondern die Gemeinde macht die Gemeindearbeit“ (S. 53).

Elisabeth Schaser, Benjamin Limbeck, Patrick Todjeras: Vielleicht schaffen wir die Trendumkehr. Eine Studie zu Wachsen und Schrumpfen von Kirchengemeinden im Pommerschen Evangelischen Kirchenkreis. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 155 S. Klappenbroschur: 25,00 €. ISBN: 978-3-374-07149-4

Nachdenklich gestimmt hat mich eine Warnung im Begleitwort von Prof. Dr. Michael Herbst, der offen über die persönlichen Kosten schreibt, die Gemeindebauer im Osten Deutschlands zahlen müssen: „Die Kehrseite ist der erlebte und erlittene Verschleiß der Kräfte, der Mangel an begabten Mitstreitern, die Mühsal, mit Menschen auf dem Weg zum Glauben voranzuschreiten, die Überlastung derer, die mittun, der Pfarrpersonen, Ältesten, Mitar­bei­tenden und Ehren­amtlichen. Empirische Forschung kann feststellen, dass es so ist“ (S. 11).

Als Abschluss fasst Altbischof Hans-Jürgen Abromeit seine Erkenntnisse aus 18-jähriger Tätigkeit als Bischof (2001-2019) in zehn Thesen zusammen: „Nur wer Erfahrungen mit Gott und seinen Leuten macht, wird bereit sein, Kirchenmitglied zu werden“ (S. 112). Stadtgemeinden sollen unterschiedliche Musikstile anbieten und Landgemeinden sich als Kirchenfamilie verstehen. Der Pfarrer soll sowohl neue, freiwillige Mitarbeiter gewinnen als auch Angebote für Kinder und Jugendliche organisieren (lassen). Das Motto laute: „Wir sind für euch da – wir brauchen euch“ (S. 122).

Diese Studie hat mich ermutigt, weniger Administratives und dafür mehr Hausbesuche zu machen, geduldig zu evangelisieren, weiterhin mit Dorfvereinen zusammenzuarbeiten, freudig zu predigen und tragfähige Beziehungen aufzubauen (vgl. S. 18-19). Nur der Titel „Vielleicht schaffen wir die Trendumkehr“ scheint mir unglücklich gewählt, denn nicht wir Menschen schaffen die Trendumkehr, sondern Gott! Nicht einmal die DDR konnte die Gemeinde Jesu ganz besiegen, denn die „Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18).