Sebastian Rink, Pastor der FeG Fischbacherberg (Siegen), der Theologie in Marburg und Ewersbach studierte, veröffentlicht mit diesem Buch eine Predigtreihe zu Matthäus 5-7. Bereits im Vorwort macht er klar, dass er seinen Glauben mit einer „manchmal unangenehmen Offenheit“ im Sinne Dorothee Sölles denken und leben möchte: „Wer Theologie treibt, muss mindestens mit der Möglichkeit rechnen, dass der Glaube ein Irrtum sei“. Entsprechend sei das Buch auch nur für Menschen gedacht, die für diese Sichtweise offen sind. Jedenfalls darin hat er Recht.
Inhaltlich beschäftigt sich das Buch mit der Bergpredigt, die in einzelne Sinnabschnitte unterteilt ist. Rink präsentiert aber meist keine Auslegung im klassischen Sinn, sondern teilt uns Assoziationen, Fragen und Gedanken mit, die der Text bei ihm auslöst – mit dem Text selbst aber oft nicht viel zu tun haben. Der Auftakt der Bergpredigt etwa ist ihm eine „Erinnerung gegen das Vergessen“, Sanftmütige sind Menschen, die nicht anders können, weil sie weder Mittel noch Lobby haben, um ihr Recht einzufordern und machtlos untergehen. Wenn Gott das Sagen hätte (sic!, S. 23), dann wäre das anders. Hier blitzt für ihn „Heiliges“ auf, wobei „Heilig“ ein unklarer Begriff ist, eine „entleerte Worthülse“ (S. 12), die er als Suchbegriff verwenden möchte.
Jesus lädt dazu ein, „das eigene Bauchgefühl ernst zu nehmen und ein einfaches Schwarz-Weiß zu vermeiden“ (S. 47). Die Bergpredigt schlägt vor, göttliche Vorschriften zu relativieren, damit Menschen friedlich miteinander auskommen können (S. 59 – als stünden göttliche Vorschriften diesem Ziel entgegen!). Den Begriff Schöpfungsordnung hält Rink mit einer sehr merkwürdigen Begründung für unbrauchbar (S. 79): so werde alles abgewertet, was nicht in der Schöpfungserzählung erwähnt werde, etwa die bürgerliche Ehe, Kleidung oder Strom. Mit derselben Logik könnte man auch behaupten, der Begriff „Evangelium“ sei unbrauchbar, weil er alles abwerte, was nicht in den Evangelien erwähnt wird. Besonders irritierend ist die Auslegung zu Matthäus 6,24-34. Wo Jesus dazu ermahnt, auf Gottes Versorgung zu vertrauen, macht Rink ein Gedankenspiel: Was, wenn man sich sein Leben als Kellerraum vorstellt, vollgestopft mit allerlei Dingen, und ihn dann entrümpelt, bis er leer ist? Worauf ist noch Verlass, wenn alles weg ist? Rinks verblüffende Antwort (S. 186): „Es kann mich beruhigen zu sehen, dass ich selbst noch da bin. Dass da wenigstens noch ein ‚Ich‘ ist, das sich nicht so einfach ausräumen lässt. (…) Selbst wenn alles ‚Lebenszeug‘ entschwindet, bleibt ein ‚Ich‘ zurück“.
Rink, Sebastian: Heiliges Leben. Spurensuche zum Himmel. Books on Demand 2019. 264 S. 15 €. ISBN: 978-373223496-7
Über das Buch verstreut finden sich hin und wieder auch richtige Gedanken (etwa das Plädoyer gegen sexistische Werbung, für einen ehrlichen Umgang miteinander, die Sorge um die Armen und Benachteiligten dieser Welt). Diese wenigen guten Ansätze gehen jedoch unter in einer „Theologie“, die vor Defiziten nur so strotzt. „Gott“ sei eine Umschreibung für die „Suche nach dem tiefen Geheimnis des Lebens selbst“ (S. 13). Dem Göttlichen begegnen wir, „wo wir die Anfänge aufmerksam wertschätzen, wo wir unseren Anteil am Miteinander verantwortlich wahrnehmen und wo wir mit den Folgen unseres gemeinsamen Lebens hoffnungsvoll umgehen“ (S. 61). Jesus, der „(Pseudo?)Prophet“ (S. 226), „ringt mit seiner eigenen Tradition und sucht nach einem Weg, sie sich anzueignen“ (S. 43). So diskutiert er „ergebnissoffen und auf Augenhöhe mit Seinesgleichen“ (S. 43) über die Bedeutung der Tora. Die Bibel wird nur dann zum göttlichen Reden, „wo uns in diesen urigen Texten die Textur unserer heutigen Wirklichkeit aufscheint“ (S. 55 – was immer das heißen mag). Denn es gilt der „harte Gegensatz“: „Menschen haben das geschrieben, nicht Gott“ (S. 155). Wer das anders sieht, vertritt „kindisches Ällabätsch“. Die biblischen Texte sind Dokumente von Lebenserfahrungen im Licht Gottes – und können natürlich „immer auch noch anders gelesen werden“ (S. 205).
Sünde bezeichnet dann unter anderem „die Abstriche, die man schweren Herzens von einer großen Idee machen muss, ohne ganz von ihr abzulassen“ (S. 49) – oder die „Angst davor, Fehler zu machen und an den Ansprüchen des Lebens zu scheitern“ (S. 144). Mit Ungehorsam hat sie natürlich nichts zu tun, denn der Begriff Gehorsam „funktioniert heute nicht mehr“ (S. 98). Schließlich hat niemand eine Ahnung, „wie es sich für dich anfühlt, wenn du dich zu irgendetwas gezwungen fühlst. Auch der Bergprediger Jesus weiß es natürlich nicht. Wie sollte er dir daher vorgeben wollen oder gar können, wie du dich in deiner Situation zu verhalten hast?“ (S. 98). Entsprechend „dürfte“ es für Gott dann auch „ziemlich egal sein, ob du Muslima bist oder Jüdin, Christin, Buddhistin oder Atheistin“ (S. 112) – denn wie sollte oder könnte er dir vorschreiben, was du zu glauben hast? Das christliche Konzept der Erlösung muss dann ebenfalls umgedeutet werden, sie geschieht jetzt einfach „in der Sorge füreinander“ (S. 191).
Um die Ewigkeit kann es folglich nicht gehen, aber „mal ehrlich, für eine Entscheidung von solcher Tragweite ist die Menschheit nicht gemacht“ (S. 218). Das Endgericht ist „Sehhilfe, um zu erkennen, was ‚am Ende‘ im Leben entscheidend ist“. Glaube ist „die Wette, dass das Leben im Tun des Göttlichen aufblüht“ (S. 229).
Auch das übliche 1×1 der modernen Theologie darf nicht fehlen: „einfache Antworten“ gehen selbstredend gar nicht (S. 13 – man wartet immer noch auf eine Erklärung dafür, warum komplizierte Antworten per se richtiger sein sollten als einfache), Gott könnte genauso gut auch „unsere Mutter“ sein (S. 140), wir müssen mehr „Selbstunsicherheit“ wagen (S. 199), insbesondere, wenn es um den Glauben geht. Verfasst ist das Werk natürlich in einer reichlich „sensiblen“ Weise (es wimmelt nur so von Schüler/innen, Salzstreuer/innen und Täter/innen), mit der all die Leser ausgegrenzt werden, die den Unterschied zwischen grammatischem und tatsächlichem Geschlecht kennen und auf Lesbarkeit Wert legen.
Insgesamt ist es kaum noch möglich, dieses Buch an den Maßstäben christlicher Theologie zu messen. Es ist auf jede erdenkliche Weise so weit vom christlichen Glauben entfernt, dass man es eher als esoterisch einordnen muss. Nicht zum ersten Mal beschleicht einen die Befürchtung, dass an theologischen Fakultäten in Marburg, Ewersbach und anderswo hauptsächlich Feminismus, atheistische Philosophie und Sozialarbeit auf dem Lehrplan stehen, während spezifisch christliche Inhalte zusammengestrichen wurden. Bitter ist das für die Gemeinden, die auf diese Weise ausgebildete Absolventen ertragen müssen. Sie können nicht mehr auf Orientierung hoffen, nicht mehr auf Gottes Wort, sondern allenfalls noch auf Geschichten, die stets auch noch irgendwas anderes bedeuten können. Wo immer das hinführen mag, das Himmelreich wird es nicht sein.