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Ein gewalttätiger Gott?

Einige Aussagen und Berichte des Alten Testaments scheinen gar nicht mehr zum Gottesbild des modernen Christen zu passen. Wie konnte Gott nur durch Katastrophen so viele Menschen umkommen lassen? Aber er befahl auch seinem Volk, an den Kanaanitern „den Bann zu vollziehen“. Sie sollten jede Person bestimmter Stämme im eroberten Land töten. Es ist notwendig, die Bibeltexte genau anzusehen, um nicht der Versuchung zu erliegen, sie mit der Überzeugung, dass es solche Brutalität heute nicht mehr gibt, wegzuerklären. Wir würden uns damit eine Vorstellung von Gott schaffen, in der auch der Tod von Jesus Christus, der nach Gottes Willen sein sollte, unpassend wirkt. Bei genauer Betrachtung können wir einiges aus den Bibeltexten lernen, ohne ein Recht zur Gewalt für uns abzuleiten.

Im Alten Testament finden wir eine Reihe von Massentötungen, die offenbar auf Gottes Geheiß erfolgten:

  • Die Sintflut (vgl. 1Mose 6–8)
  • Die Städte der Ebene, einschließlich Sodom und Gomorra (vgl. 1Mose 18–19)
  • Die erstgeborenen Söhne der Ägypter während des Passahfestes (vgl. 2Mose 11–12)
  • Die Kanaaniter unter Mose und Josua (vgl. 4Mose 21,2–3; 5Mose 20,17; Jos 6,17.21)
  • Die Amalekiter, die von Saul vernichtet wurden (vgl. 1Sam 15)

Die ersten drei Beispiele ähneln sich insofern, als kein Mensch beteiligt war. Es war jeweils Gott oder ein Engel Gottes, der die Massentötungen selbst ausführte. Die Massentötung der Kanaaniter ist der erste von zwei Fällen, in denen der Text sagt, dass Gott seinem Volk Israel befahl, andere Völker anzugreifen. Aus diesem Grund wird dieser Fall im Mittelpunkt dieser Studie stehen.

Viele Menschen haben mit diesen Berichten von Massentötungen ein Problem, weil sie nicht in das gängige Bild vom christlichen Gott zu passen scheinen. Insbesondere fragen sich viele, wie ein Gott der Liebe eine solche Brutalität zulassen oder gar befehlen kann. Außerdem wird behauptet, dass der in den alttestamentlichen Büchern beschriebene Gott ein anderer sei als der im Neuen Testament. Der eine ist angeblich zornig, rachsüchtig und unbarmherzig, der andere liebevoll, geduldig und vergebend. Selbst für Menschen, die davon überzeugt sind, dass die Bibel wahr und Gottes Selbstoffenbarung ist, können diese Berichte zutiefst beunruhigend sein, insbesondere wenn man an den Tod unschuldiger Kinder denkt.

Befahl Gott die Massentötung der Kanaaniter?

Eine Möglichkeit, mit der Bibelforscher versucht haben, das Problem der Massentötung der Kanaaniter zu lösen, ist die Behauptung, dass Gott sie nie befohlen hat. Es gibt zwei Varianten dieses Argumentes:

1. Die Israeliten führten Massentötungen durch, aber irrten sich darin, dass Gott sie befohlen habe.

Diese Ansicht suggeriert, dass die Massen­tötungen ein Überbleibsel eines heidnischen Gottesverständnisses waren. Es war zu Zeiten des Alten Testaments nicht ungewöhnlich, dass Könige im Nahen Osten die Bevölkerung ganzer Städte als Opfergabe für ihre Götter auslöschten. In der Inschrift auf der Mescha-Stele aus dem 9. Jahrhundert v.Chr. rühmt sich der König Mescha, dass er alle Einwohner von Atarot als Opfer für seinen Gott vernichtet habe. Manche vermuten, dass Israel zur Zeit Josuas ein begrenztes Gottesverständnis hatte und fälschlicherweise dachte, der Gott Jahwe erwarte dieselbe Art von Opfergaben. Diese Argumentation wirft ernste Fragen über das Wesen Gottes auf, insbesondere darüber, ob er sich selbst klar verständlich machen kann und ob er es zulassen würde, dass ein solch eklatanter Ungehorsam einfach so durchging.

Um diese Schwierigkeit zu überwinden, wird vorgeschlagen, dass Gott es zuließ, dass sein Name mit diesen Massentötungen in Verbindung gebracht wurde, weil seine Liebe zu Israel so groß war und er seinen Ruf um dieser Beziehung willen beflecken ließ. Diese Ansicht lässt sich jedoch anhand des Alten Testaments nicht stützen, da dort eindeutig gesagt wird, dass Gott die Massentötungen befohlen hat (vgl. Jos 6,17.21; 5Mose 20,16–17). In späteren Texten werden die Israeliten sogar dafür kritisiert, dass sie den Befehl nicht befolgt haben (vgl. Ps 106,34–42). Um die alttestamentlichen Berichte mit dieser Sichtweise in Einklang zu bringen, muss man das Alte Testament als Text betrachten, der eine reine Dokumentation über Israels eigene Wahrnehmung seiner sich verändernden Gottesbeziehung ist. Damit reduziert man das Alte Testament auf einen menschlichen Bericht über die Entwicklung von monotheistischer Religion und betrachtet es nicht als göttliche Offenbarung von Gottes Handeln in der Geschichte.

2. Die Massentötungen haben nie wirklich stattgefunden.

Die Vertreter dieser Ansicht gehen davon aus, dass die Berichte über die Massentötungen nicht zeitgleich mit den Ereignissen selbst entstanden sind, sondern später während der Zeit der Könige von Schriftgelehrten verfasst wurden, die die negativen Auswirkungen des kanaanitischen Götzendienstes auf ihr Volk beobachteten. Dieser Sichtweise nach kamen diese Schriftgelehrten zu dem Schluss, dass es besser gewesen wäre, wenn Israel die Kanaaniter zur Zeit der Landnahme gleich ausgerottet hätte, und nahmen daher die betreffenden Befehle Gottes in ihre „offizielle Geschichte“ auf.

Auch diese Ansicht betrachtet die Heilige Schrift als Meinung von Menschen und nicht als wahres Wort Gottes oder gar als genaue Aufzeichnung historischer Ereignisse. Sie geht nicht von der Ehrlichkeit der Autoren des Alten Testaments aus, sondern impliziert, dass sie die Geschichte verbiegen. Auch wirft sie die Frage auf, wie sich das Volk Gottes in seiner Sicht auf Gott so sehr irren konnte. In gewisser Hinsicht schafft diese Sichtweise sogar größere Probleme als die vorhergehende, da sie die erfundenen Berichte über Massentötungen in eine spätere Phase der Geschichte Israels verlegt, in der man (gemäß der Vorstellung einer sich entwickelnden Religion) ein aufgeklärteres Gotteskonzept erwarten würde.

Die Frage läuft also auf unser Verständnis der Autorität der Heiligen Schrift hinaus. Wir können hier nicht die unterschiedlichen christlichen Auffassungen über die Schrift oder die Argumente des Autors für die Schrift als das maßgebliche Wort Gottes untersuchen, das irrtumsfrei und originalgetreu ist und in seiner Gesamtheit dazu dient, uns zu lehren und herauszufordern. Ich vertrete keine mechanistische Sicht der Inspiration (als ob Gott die Worte jedes Bibelbuches wortwörtlich diktiert hätte), sondern folge vielmehr der Ansicht der neutestamentlichen Autoren: Gott hat die Schreiber des Alten Testaments geleitet, sodass ihre Worte auch Gottes Worte waren (vgl. 2Petr 1,20–21) und die daraus resultierende Schrift – einschließlich des Buches Josua – in ihrer Gesamtheit als von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung und Korrektur falscher Ideen bezeichnet werden kann (vgl. 2Tim 3,16–17).

Um das Problem der alttesta­ment­lichen Massen­töt­ungen wegzu­argumentieren, muss man die biblische Autorität gering schätzen.

Um das Problem der alttestamentlichen Massentötungen wegzuargumentieren, muss man die biblische Autorität gering schätzen. Dieser Artikel hält die Autorität der Bibel hingegen hoch, weshalb er versucht, die Heilige Schrift für bare Münze zu nehmen und genau zu prüfen, wie die Massentötung der Kanaaniter mit unserem Verständnis von Gott als Liebe zusammenpasst.

Warum gebot Gott die Massentötungen an den Kanaanitern?

1. Sie waren Gottes Gericht an einer Kultur, die von abscheulichen religiösen Praktiken durchdrungen war.

Ohne zu verstehen, dass Gott die Sünde richten muss, können wir weder das Wunder von Gottes Vergebung und Gnade noch die erstaunliche Wahrheit des Kreuzes begreifen, an dem Christus den Zorn Gottes für unsere Sünde ertrug.

Stellen wie 5. Mose 9,4–6 („wegen ihrer Gottlosigkeit vertreibt der HERR, dein Gott, diese Heidenvölker aus ihrem Besitz“), 5. Mose 18,12 („um solcher Greuel willen vertreibt der HERR, dein Gott, sie vor dir aus ihrem Besitz“) und 3. Mose 18,24–25 („dadurch ist das Land verunreinigt worden, und ich suchte ihre Schuld an ihm heim, so dass das Land seine Einwohner ausspeit“) machen deutlich, dass Gott die Kanaaniter richtete. Gottes Zorn über Sünde und sein gerechtes Gericht über Sünder sind wichtige biblische Grundsätze. Ohne zu verstehen, dass Gott die Sünde richten muss, können wir weder das Wunder von Gottes Vergebung und Gnade noch die erstaunliche Wahrheit des Kreuzes begreifen, an dem Christus den Zorn Gottes für unsere Sünde ertrug.

Das endgültige Gericht Gottes über die Sünde ist zwar für jenen Tag in der Zukunft festgesetzt, „an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird durch einen Mann“ (Apg 17,31). Dennoch gibt es in der Heiligen Schrift Fälle, in denen Gott schon zu Lebzeiten Einzelpersonen (z.B. Ananias und Saphira in Apg 5), Gruppen (z.B. Korah und seine Anhänger in 4Mose 16) und sogar – wie im Fall der Kanaaniter – ganze Völker richtete. Beim Gericht Gottes über Sodom und Gomorra sagte Abraham: „Sollte der Richter der ganzen Erde nicht gerecht richten?“ (1Mose 18,25). Abraham verstand, dass die Kernfrage rund um solche Gerichte das Wesen Gottes ist, und seine Frage drückt Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit aus. Die Schrift betont immer wieder, dass Gott als Richter gerecht ist, wie Paulus in Römer 2,1–16 erklärt. Die Kultur der Kanaaniter war zutiefst sündhaft, und zwar in einem solchen Maße, dass Gott beschloss, sie zu richten.

Niemand außer Gott hat heute das Recht, eine ganze Kultur zu verurteilen. Aber deswegen können auch nicht alle Kulturen als gleichwertig angesehen werden, sondern müssen sich an Gottes Gerechtigkeit messen lassen.

An dieser Stelle muss man betonen, dass keine Einzelperson oder Kirche heute das Recht hat, eine ganze Kultur zu verurteilen. Dennoch müssen wir gerade in dieser Zeit, in der man alle Kulturen als ebenbürtig betrachtet (philosophischer Pluralismus), lernen, die den verschiedenen Kulturen innewohnenden Werte – inklusive unser eigener – zu erkennen und ihre Unzulänglichkeiten an Gottes Gerechtigkeit zu messen. Keine Kultur ist vollkommen gerecht und keine Gesellschaft völlig sündig, aber es ist möglich, zwischen Kulturen und Gesellschaften zu unterscheiden, die mehr von Gottes Absicht für die Menschheit widerspiegeln, und solchen, die davon weiter entfernt sind.

Das große Ausmaß der Sünde der Kanaaniter hing mit ihren religiösen Praktiken zusammen. In 5. Mose 12,31 heißt es: „Du sollst dem HERRN, deinem Gott nicht auf diese Weise dienen, denn alles, was ein Greuel ist für den HERRN, was er hasst, haben sie für ihre Götter getan.“ In 3. Mose 18 werden viele der sündigen religiösen Praktiken der Kanaaniter beschrieben, darunter Kinderopfer für den Gott Moloch, Inzest, Sodomie, Homosexualität und kultische Prostitution.

2. Sie zeigten Gottes Wunsch, Israel vor den kanaanitischen Religionen zu bewahren.

Als Gott den Israeliten in 5. Mose 20,16–18 befiehlt, alle Bewohner der kanaanitischen Städte zu töten, tut er dies, „damit sie euch nicht lehren, alle ihre Greuel zu verüben, die sie für ihre Götter verübt haben, und ihr euch so versündigt an dem HERRN, eurem Gott“. Die religiöse Reinheit Israels war nicht nur um ihrer selbst willen wichtig, sondern auch weil Gott wollte, dass sie anderen Völkern seine Macht und Güte bezeugen (vgl. 1Mose 18,18). Deshalb war es für Gott so wichtig, dass Israel sein Dasein im verheißenen Land ohne den Einfluss falscher Religionen begann, die es von ihm wegführen würden. Leider befolgten die Israeliten Gottes Gebot nicht und wurden in der Folge tatsächlich beeinflusst, den falschen Religionen der Kanaaniter zu folgen. Bereits im Buch der Richter wird diese Verstrickung in die kanaanitischen Religionen deutlich. Ihren Höhepunkt erreicht sie aber in der Zeit der Könige. Obwohl es Zeiten gab, in denen Israel ein wirksames Zeugnis für Gottes Macht und Güte ablegte (z.B. Rahab in Jos 2 und die Königin von Saba zur Zeit Salomos in 1Kön 10), gab es zwei Gründe, warum sie letztlich doch versagten:

  • wegen ihrer mangelnden Treue zu Gott, was bedeutet, dass sie sich nicht länger von anderen Völkern unterschieden;
  • weil sie ein Gefühl der eigenen Überlegenheit entwickelten. Dies führte dazu, dass sie kein Interesse daran hatten, anderen Kulturen die Wahrheit über Gott zu vermitteln, da Gott und seine Segnungen nur ihnen gehören sollten. Das Buch Jona ist ein klassisches Beispiel dafür.

Vielleicht kann die Kirche heute aus diesen beiden Gefahren manche Lehren ziehen, die ein Scheitern im Bereich der Mission verhindern. Wir müssen sicherstellen, dass wir anders sind, aber auch, dass wir uns nicht in eine „heilige Nische“ zurückziehen und uns von denen abschotten, die von Christus wissen müssen. Effektive Mission erfordert sowohl unsere Andersartigkeit als auch unsere Auseinandersetzung mit der Gesellschaft.

Hatten die Kanaaniter eine Chance?

Ein naheliegender Einwand gegen die Vorstellung, dass Gott die Kanaaniter richtete, ist, dass es ungerecht wäre, sie zu richten, wenn sie gar keine Gelegenheit hatten, umzukehren und gerettet zu werden. Angesichts der biblischen Belege löst sich dieser Einwand jedoch aus zwei Gründen in Luft auf:

1. Gott war geduldig mit den Kanaanitern.

Es war keine spontane Entscheidung Gottes. In 1. Mose 15,13–16 sagt Gott zu Abraham, dass seine Nachkommen 400 Jahre lang Sklaven in einem fremden Land sein werden, dass sie aber nach vier Generationen in das Land Kanaan zurückkehren werden. Der Grund für diese Verzögerung lautet, „das Maß der Sünden der Amoriter ist noch nicht voll“. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Kanaaniter zur Zeit Abrahams vom wahren Gott wussten:

  • Das Gericht über Sodom und Gomorra (die in der Nähe des kanaanitischen Gebietes lagen) und die Befreiung Lots waren Beweise für Gottes Gericht über die Sünde (vgl. 1Mose 18–19).
  • Abraham lebte unter ihnen und war ein reicher und mächtiger Mann. Er war sogar in der Lage, Lot vor den vereinten Kräften von vier Königen zu retten, wie 1. Mose 14 berichtet. Sein Glaube an Gott muss ein Zeugnis für die Kanaaniter gewesen sein.
  • Der geheimnisvolle Melchisedek war König von Jerusalem und „Priester Gottes, des Allerhöchsten“ (1Mose 14,18). Mit Sicherheit hat er sein Volk über den wahren Schöpfergott informiert (vgl. 1Mose 14,19).

Es scheint, dass die Kanaaniter in der Zeit zwischen Abraham und Josua ihr Wissen über Gott allmählich verwarfen und immer tiefer in die Sünde abglitten.

Es scheint, dass die Kanaaniter in der Zeit zwischen Abraham und Josua ihr Wissen über Gott allmählich verwarfen und immer tiefer in die Sünde abglitten. Erst als ihre Sünde ein gewisses Maß an Schwere erreichte, beschloss Gott, die Israeliten für das Gericht zu benutzen. Selbst zur Zeit Josuas hatten die Kanaaniter gehört, was Gott für die Israeliten getan hatte, als er sie aus Ägypten befreite und ihnen den Sieg über die Amoriter östlich des Jordans schenkte (vgl. Jos 2,8–12). Dennoch taten sie nicht Buße und wandten sich Gott nicht zu.

2. Es gab Rettung für diejenigen, die sich zum Glauben an Gott bekehrten.

Die Prostituierte Rahab, deren Geschichte in Josua 2 erzählt wird, erkannte aus dem, was sie und andere Kanaaniter über Israels Befreiung aus Ägypten und die Siege über die Amoriterkönige gehört hatten, dass Gott das Land Kanaan den Israeliten geben würde. Wegen ihres Glaubens an Gott, den sie durch ihre Worte und ihre Rettung der israelitischen Kundschafter bewies, wurde sie vor der Zerstörung bewahrt und in das Volk Israel aufgenommen. Sie wurde sogar eine Vorfahrin von König David und schließlich von Jesus Christus! Leider ist sie die einzige Kanaaniterin, von der wir lesen, dass sie zum Glauben an Gott kam, obwohl sicherlich auch andere die Gelegenheit dazu hatten.

Was genau gebot Gott?

Die Frage, was es genau war, das Gott befahl, bringt die Sache auf den Punkt. Oft wird die Massentötung der Kanaaniter als Völkermord oder Massaker bezeichnet. Außerdem beschreiben Kritiker des Alten Testaments die Israeliten als blutdürstige, chauvinistische Psychopathen, die völlig außer Kontrolle geraten waren. Die biblischen Berichte sind jedoch ganz anders, sowohl was die Formulierung des göttlichen Befehls als auch was die Ereignisse betrifft.

1. Der Befehl zur Ausrottung war auf die Bewohner Kanaans beschränkt.

In 5. Mose 20 macht Gott sehr deutlich, dass nur die Bewohner des „gelobten Landes“ vernichtet werden sollten. Für den Krieg gegen andere Feinde gab Gott den Israeliten strenge Regeln, wie etwa:

  • dass die Priester das Heer vor der Schlacht segnen sollten (vgl. Vers 3);
  • dass sie Gott vertrauen sollten, dass er ihnen den Sieg gibt (vgl. Vers 4);
  • dass Kämpfer aus persönlichen Gründen vom Kampf ausgenommen werden konnten, etwa wenn sie neues Land oder Haus besaßen, erst seit Kurzem verlobt waren oder Angst hatten (vgl. Verse 5–8);
  • dass feindlichen Städten vor einer Belagerung ermöglicht werden musste, Frieden zu schließen (vgl. Verse 10–12);
  • dass bei der Eroberung einer Stadt nur die Männer hingerichtet werden sollten – die Frauen und Kinder sollten in Israel aufgenommen und der Besitz sollte behalten werden (vgl. Verse 13–15);
  • dass sie keine Kriegstaktik der „verbrannten Erde“ anwenden, sondern die zur Stadt gehörigen Obstbäume stehen lassen sollten (vgl. Verse 19–20).

Die Zurückhaltung, die im biblischen Verhaltenskodex gegenüber den Kanaanitern zum Ausdruck kommt, ist für jene historische Periode bemerkenswert.

Die Zurückhaltung, die in diesem Verhaltenskodex zum Ausdruck kommt, ist für jene historische Periode bemerkenswert. Vor diesem Hintergrund sticht der Befehl zur Ausrottung der Kanaaniter als Sonderfall hervor. Es handelte sich um einen gezielten Feldzug, nicht um einen unkontrollierten Amoklauf.

2. Das Gericht war als Vertreibung aus dem Land und nicht als Völkermord zu verstehen.

Eine sorgfältige Lektüre der betreffenden Passagen zeigt, dass es Gottes Absicht war, den Kanaanitern die Möglichkeit zu geben, vor dem Vorrücken der Israeliten aus dem Land zu fliehen.

Wenn es darum geht, wie die Kanaaniter behandelt werden sollten, gibt es in den Geboten an Israel eine Reihe von Verben, die eindeutig von Ausrottung sprechen, andere wiederum sprechen eher von Vertreibung (siehe 5Mose 7). In 5. Mose 9,3 kommen beide Begriffe vor: „du wirst sie aus ihrem Besitz vertreiben und schnell ausrotten, so wie der HERR es dir verheißen hat“. Eine sorgfältige Lektüre der betreffenden Passagen zeigt, dass es Gottes Absicht war, den Kanaanitern die Möglichkeit zu geben, vor dem Vorrücken der Israeliten aus dem Land zu fliehen. Für die Könige und Städte, die sich weigerten, gab es keine andere Option als die Vernichtung. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Kanaaniter, die das Land verließen, verfolgt werden mussten; vielmehr beschränken sich die Befehle zur Vernichtung auf die Menschen in den Städten. Hätten die Kanaaniter Kanaan verlassen, wären sie vermutlich wie alle anderen Völker behandelt worden. Die Israeliten hätten mit ihnen Verträge schließen können und wären an die allgemeineren Verhaltensregeln für die Kriegsführung aus 5. Mose 20 gebunden gewesen (siehe oben).

Es handelte sich also weniger um einen Völkermord (die Ausrottung einer ethnischen Gruppe), sondern vielmehr um eine Zwangsumsiedlung aus dem Land Kanaan. Gottes Gericht bestand in erster Linie darin, dass die Kanaaniter das Land verlieren sollten, weil sie verabscheuungswürdige religiöse Praktiken verfolgten und weil die Reinheit der israelischen Anbetung bewahrt werden sollte. Bei der Lektüre von Josua und Richter scheint sich dies zu bestätigen, denn die Ausrottung der Kanaaniter wird nie vollständig vollzogen.

Dass das Gericht in erster Linie in Vertreibung bestand, hilft uns, 3. Mose 18,24–29 zu verstehen, wo Gott sagt, dass „das Land seine Einwohner ausspeit“. Auch steht dort, dass das Land sie „ausspeie, wenn ihr es verunreinigt, wie es die Heiden ausgespien hat, die vor euch gewesen sind“, wenn die Israeliten die Religionen Kanaans nachahmen. Als das Gericht über Israel kam, bestand es nicht in der Vernichtung, sondern in der Verbannung aus dem Land. In Josua 12 finden wir eine Aufzählung von 31 Königen, die von Josua besiegt und deren Städte ausgelöscht wurden (zu dieser Zeit lebten die Kanaaniter größtenteils in unabhängigen Stadtstaaten mit Stadtmauer).

Die durchschnittliche Einwohnerzahl einer ummauerten Stadt lag damals wahrscheinlich bei 1.000–3.000, wobei viele Städte nicht mehr als etwa 700 Einwohner hatten. Die 31 Städte, die Josua eroberte, hatten wahrscheinlich zusammen eine Bevölkerung von etwa 70.000 Menschen. Viele von ihnen flohen möglicherweise vor dem Angriff der Israeliten, aber selbst, wenn wir davon ausgehen, dass sie alle getötet wurden, sind das nur etwa 3,5 Prozent der Bevölkerung Kanaans: Laut 5. Mose 7,1–7 waren die Kanaaniter ein größeres Volk als Israel, und die Israeliten zählten etwa 1,6 Millionen. Also können wir davon ausgehen, dass es mindestens zwei Millionen Kanaaniter gegeben haben muss. Die restlichen 96,5 Prozent flohen entweder oder wurden nach Josua 12 erobert.

3. Gott ist nicht „rassistisch“ – Später richtete er Israel, indem er sie aus dem Land vertrieb.

Wie bereits erwähnt, richtete Gott die Israeliten, als sie die religiösen Praktiken der Kanaaniter nachahmten – genauso wie er es mit den Kanaanitern getan hatte. Er verbannte sie aus dem Land, um sie zu reinigen, damit diejenigen, die unter Serubbabel, Esra und Nehemia zurückkehrten, nur ihn anbeten würden. Gottes Gericht basierte nicht auf der ethnischen Zugehörigkeit der Kanaaniter, sondern auf ihren religiösen Praktiken und dem Ausmaß, in dem die Sünde ihre Kultur durchdrang.

Es ist wichtig zu erkennen, dass dieser Fall in der Heiligen Schrift einzigartig ist und dass es keine biblische Grundlage gibt, anhand derer man heute ähnliche Handlungen rechtfertigen könnte. Den Christen wurde kein irdisches Reich oder Land versprochen. Christus hat uns zur Mission unter allen Völkern aufgerufen, nicht zum Gericht mancher Völker.

Zweifelsohne werden diese Argumente die Bedenken des modernen Lesers nicht ausräumen: Ist „religiöse Säuberung“ wirklich besser als Völkermord? Ist es wirklich gerechtfertigt, eine ganze Kultur zu verurteilen und eine ganze Bevölkerung aufgrund ihrer Religion auszulöschen? An dieser Stelle ist es wichtig zu sagen, dass dieser Fall in der Heiligen Schrift einzigartig ist und dass es absolut keine biblische Grundlage gibt, anhand derer man heute ähnliche Handlungen rechtfertigen könnte. Den Christen wurde kein irdisches Reich oder Land versprochen. Christus hat uns zur Mission unter allen Völkern aufgerufen, nicht zum Gericht mancher Völker. Dennoch bleibt die unausweichliche Tatsache, dass der Gott Israels den alttestamentlichen Texten zufolge die Vernichtung einer ganzen Zivilisation befahl.

Daraus ergeben sich drei weitere Fragen:

  • Warum benutzte Gott Menschen als Vollstrecker seines Gerichts?
  • Was ist mit den unschuldigen Kanaanitern?
  • Ist dieser Gott Israels wirklich der Gott, den die Christen verehren?

Warum benutzte Gott in diesem Fall die Israeliten für sein Gericht?

In den Fällen der Sintflut, von Sodom und Gomorra und den ägyptischen Erstgeborenen wurde das Gericht direkt von Gott selbst oder durch die Vermittlung eines Engels vollstreckt. Manche fragen sich, wie er sündige Menschen dazu benutzen konnte, andere sündige Menschen zu richten. Wie konnte er von Menschen erwarten, einen Akt der Brutalität (insbesondere gegen unschuldige Kinder) durchzuführen? Waren die Israeliten in Gottes Augen moralisch überlegen? 5. Mose 9, wo Gott die Vernichtung befiehlt, ist in dieser Hinsicht hilfreich. In diesem Kapitel macht Gott unmissverständlich klar, dass die Israeliten nicht deswegen eingesetzt werden, weil sie besser als die Kanaaniter oder moralisch überlegen wären, sondern einfach, weil sie als Vollstrecker seines Gerichts fungieren sollten. Er wiederholt sogar zweimal, dass dies nicht um der Gerechtigkeit der Israeliten willen geschieht. Vielleicht wollte Gott die Israeliten auf diese Weise gebrauchen, damit sie erkennen, wie schwer Sünde wiegt, wie abscheulich die kanaanäischen Religionen für Gott sind und wie real Gottes Gericht ist. Diese Wahrheiten brannten sich tief in ihr Bewusstsein ein, als sie sich an die Vernichtung erinnerten, an der sie beteiligt waren.

Die Frage, wie Gott sündige Menschen als Vollstrecker über andere sündige Menschen einsetzen konnte, taucht später im Alten Testament wieder auf. Das Buch Habakuk befasst sich im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Einfall der Babylonier in Juda mit dieser Frage. Der Prophet kämpft mit der Tatsache, dass Gottes Volk, so sündig es auch war, im Begriff ist, von einer noch sündigeren Nation besiegt zu werden (vgl. Hab 1,13). Kapitel 2 beschreibt die Antwort Gottes an Habakuk, in der er sich selbst rechtfertigt und dem Propheten versichert, dass er die Babylonier zu gegebener Zeit nach demselben gerechten Maßstab richten wird, den er jetzt gegen Juda anlegt. Das Buch endet mit einem Glaubensbekenntnis Habakuks, in dem er Gott lobt und sein Vertrauen in ihn zum Ausdruck bringt (vgl. Kapitel 3).

Was ist mit den unschuldigen Kanaanitern?

Wir müssen bedenken, dass der Tod nicht das Ende ist. Das Gericht nach dem Tod ist viel schwerwiegender als jedes Todesurteil, weil es über das ewige Schicksal des Menschen entscheidet.

Selbst wenn wir akzeptieren, dass Gott die Kanaaniter durch die Israeliten richtete, kann der Einwand erhoben werden, dass einige der Kanaaniter unschuldige Opfer waren, da sie nicht an den abscheulichen Praktiken der kanaanitischen Religionen beteiligt waren. Vor allem der Gedanke, dass kleine Kinder getötet wurden, ist beunruhigend. Wir müssen dabei jedoch bedenken, dass der Tod nicht das Ende ist. Das Gericht nach dem Tod (vgl. Hebr 9,27) ist viel schwerwiegender als jedes Todesurteil, weil es über das ewige Schicksal des Menschen entscheidet. Wir können darauf vertrauen, dass Gott mit den unschuldigen Kindern, die bei der Eroberung Kanaans starben und die nicht für die Sünde ihrer Kultur oder Religion zur Ver­antwortung gezogen werden können, gerecht umgeht.

Wir sind niemals in der Lage , alle Dimensionen des Dilemmas zu ermessen, die es bedeutet, dass im Volk der Kanaaniter auch scheinbar unschuldige Menschen mit den Schuldigen umkommen.

Es ist unwahr­scheinlich, dass das folgende Argu­ment alle Be­denken des modernen Lesers ausräumt, aber wir müssen noch eine weitere Dimension be­rücksichtigen und uns fragen: Wäre es besser, wenn Gott es zulässt, dass die Kinder in einer solch perver­tierten Gesellschaft aufwachsen, oder wenn er ihrem jungen Leben ein Ende setzt und sie zu sich holt? Wenn wir dies in Betracht ziehen, befinden wir uns auf gefährlichem Terrain. Nur Gott kann ein solches Urteil fällen, da er allein über alles Wissen und alle Weisheit verfügt. Unser begrenzter Verstand ist nicht in der Lage, alle Dimensionen eines solchen Dilemmas zu verstehen. Wie Paulus müssen wir anerkennen, dass Gottes Gerichte unergründlich und seine Wege unerforschlich sind (vgl. Röm 11,33).

Ist der Gott des Neuen Testaments derselbe wie der Gott des Alten Testaments?

Nachdem wir die obigen Fragen erörtert und gesehen haben, was uns jene alttestamentlichen Berichte über Gottes Gericht lehren, können wir uns nun der grundlegenden Frage zuwenden, ob es möglich ist, das alttestamentliche Gottesbild mit den Offenbarungen des Neuen Testaments in Einklang zu bringen.

Alttestamentliche Passagen wie jene, die wir in diesem Artikel betrachtet haben, veranlassten einige Menschen in der Kirchengeschichte (wie Marcion von Sinope im 2. Jahrhundert) zu der Schlussfolgerung, dass der alttestamentliche Jahwe eine andere Gottheit war als der im Neuen Testament dargestellte Vater Jesu Christi. Obwohl nur wenige bekennende Christen heute so weit gehen würden, verursachen diese Teile des Alten Testaments bei vielen sicher erhebliches Unbehagen und eine gewisse Verlegenheit. Wir vertreten jedoch die Position, dass es keinen echten Konflikt zwischen dem Alten und dem Neuen Testament in Bezug auf ihr Gottesverständnis gibt und dass die Behauptung, es gebe einen solchen Konflikt, auf eine falsche Auslegung beider Testamente zurückzuführen ist.

Es stimmt, dass die Offenbarung Gottes in der Bibel fortschreitend ist und dass unser Verständnis des Wesens Gottes immer klarer wird, je mehr sich die große Erzählung der Bibel entfaltet. Dies wird besonders deutlich, wenn wir das Konzept der Dreieinigkeit betrachten. Im Alten Testament wird der Gedanke, dass Gott drei Personen und doch eine ist, nur angedeutet. Im Neuen Testament wird die Dreieinigkeit jedoch deutlich sichtbar, auch wenn sie ein Geheimnis bleibt, das nicht einfach erklärt oder formuliert werden kann. Erst mit dem Kommen Christi konnte eine so tiefe Wahrheit wie diese endlich deutlich und Gottes Wesensart und das Ausmaß seiner Liebe vollständig offenbart werden.

Im Zuge der fort­schreitenden Of­fenbarung wird die genaue Be­deutung der Liebe und der Wahrheit Gottes immer klarer, und was am wichtigsten ist: Das Kreuz Christi offenbart, wie diese beiden Eigenschaften, die so oft miteinander in Spannung zu stehen scheinen, zusammengehalten werden. Das Kreuz zeigt uns, wie ein heiliger Gott Sünder mit sich selbst versöhnen kann, ohne ungerecht zu sein und ohne Sünde einfach ungestraft zu lassen. Dennoch – und das ist der entscheidende Punkt – legen das Alte und das Neue Testament in Übereinstimmung Zeugnis sowohl von Gottes Liebe als auch von seiner Wahrheit (oder Heiligkeit) ab. Zu behaupten, dass Gottes Liebe dem Alten Testament fremd war, wäre völlig falsch. Gottes Liebe zu Israel ist sogar ein Hauptthema des Alten Testaments, und sein Gericht über die Feinde kann als Ausdruck dieser Liebe verstanden werden. Ebenso falsch wäre es, zu behaupten, dass der Gott des Neuen Testaments nicht auch ein gerechter Richter ist.

Sogar in den Berichten über die Massentötungen im Alten Testament sehen wir sowohl die Gerechtigkeit als auch die Gnade Gottes, da sein Gericht diejenigen trifft, die gegen ihn rebellieren, während diejenigen gerettet werden, die glauben.

Im Alten Testament wird Gott als derjenige dargestellt, der sowohl gerecht als auch liebevoll ist (vgl. 2Mose 34,6; Ps 85,10; Ps 86,15), und dieses vollkommene Gleichgewicht zeigt sich auch im Wesen Gottes, wie es sich in Christus offenbart hat (vgl. Joh 1,14). Sogar in den Berichten über die Massentötungen im Alten Testament sehen wir sowohl die Gerechtigkeit als auch die Gnade Gottes, da sein Gericht diejenigen trifft, die gegen ihn rebellieren, während diejenigen gerettet werden, die glauben. Dieses Muster setzt sich in der Lehre Jesu fort, der sowohl von Erlösung als auch von Gericht sprach (siehe z.B. die Geschichte vom reichen Mann und Lazarus in Lk 16). In den neutestamentlichen Briefen wird diese vollkommene Einheit von Gerechtigkeit und Liebe des Charakters Gottes immer wieder deutlich. So sagt etwa Johannes in seinem ersten Brief, dass Gott sowohl Licht (d.h. Wahrheit) als auch Liebe ist (vgl. 1Joh 1,5 und 4,16). Weder Christus noch seine Apostel schienen Bedenken hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der alttestamentlichen Berichte über die Massentötungen zu haben, was verdeutlicht, dass sie fest daran glaubten, dass der Gott des Alten Testaments derselbe Gott war, dem auch sie vertrauten. Tatsächlich ergibt die Lehre Jesu und der Apostel ohne den Hintergrund des Alten Testaments überhaupt keinen Sinn – wir können die Bedeutung des Lebens, des Todes und der Auferstehung Christi nur „nach den Schriften“ verstehen (1Kor 15,3–4).

Solange wir nicht verstehen, dass Gott zornig über Sünde ist und dass dieser Zorn seinen Ausdruck im Gericht finden muss, können wir das Wunder der Liebe Gottes nicht begreifen, das sich im Kreuz Christi zeigt.

Jesus und die Apostel lehrten, dass an einem zukünftigen Tag des Gerichts die Sünde endlich nach Gottes Maßstab der Gerechtigkeit gerichtet werden wird. Solange wir nicht verstehen, dass Gott zornig über Sünde ist (vgl. Röm 1,18) und dass dieser Zorn seinen Ausdruck im Gericht finden muss (vgl. Röm 2,5), können wir das Wunder der Liebe Gottes nicht begreifen, das sich im Kreuz Christi zeigt (vgl. Röm 5,8). Ebenso wenig werden wir verstehen, warum sein Tod notwendig war, um Gottes Gerechtigkeit zu erweisen und Gottes Zorn von uns abzuwenden (vgl. Röm 3,25). Ohne ein Verständnis von Gottes Zorn wird das Kreuz bedeutungslos und die Gnade wird zu einer schwachen und faden Angelegenheit. Wir können aus den Massentötungen des Alten Testaments viel über Gottes Gericht lernen.

Lehren aus den alttestamentlichen Massentötungen über Gottes Gericht

Die im Alten Testament aufgezeichneten Massentötungen sind Ausnahmefälle, die bestimmte Faktoren gemeinsam haben, wie die folgende Tabelle zeigt:

Gott vollstreckt Gericht durch …

Gelegenheit zur Buße

Gottes Zeugen

Rettung durch Glauben

Die Flut

Sintflut (1Mo 6,5-7)

während der Bauzeit der Arche (1Pet 3,20)

Noah

Noah und seine Familie in der Arche, die sie bauen

Sodom und Gommora

Feuer vom Himmel (1Mo 18,20-21

Abraham verhandelt mit Gott (1Mo 18)

Lot und Abraham (2Pet 2,7)

Lot und seine Familie verlassen die Stadt Sodom (1Mo 19,12-13)

Erstgeburt Ägyptens

Engel (2Mo 12,12)

9 vorlaufende Plagen und Moses Reden mit Pharao (2Mo 7-10)

Mose und Aaron

alle Häuser, die durch das Blut des Lammes gezeichnet waren (2Mo 12,12-13)

Die Kanaaniter

das Heer Israels unter Josua (5Mo 9,4-6; 18,12; 3Mo 18, 24-25

Israel ist 40 Jahre in der Wüste unterwegs; die Kanaaniter wissen, was kommt (Jos 2,10)

Israel unter Mose und Josua

Rahab und ihre Familie durch die rote Schnur am Fenster (Jos 2)

Die Amalekiter

Sauls Heer (1Sam 15,2-3)

etwa 350 Jahre lang seit ihrer Sünde gegen das Volk Israel (2Mo 17)

Das Volk Israel

(nichts berichtet)

Die vier gemeinsamen Merkmale dieser Er­eignisse sind also:

  • Göttliches Gericht: Es handelt sich bei allen Berichten um ein Gericht Gottes über extreme Sünde.
  • Zeit zur Umkehr: Allen Gerichten geht eine lange Zeitspanne voraus, in der die Menschen Gelegenheit zur Umkehr hatten.
  • Zeugen Gottes: Während der Zeit, in der es Gelegenheit zur Umkehr gab, konnten die Menschen von Gott erfahren.
  • Rettung durch Glauben: Den Menschen, die an Gott glaubten und vor ihm unschuldig waren, wurde immer die Möglichkeit zur Errettung gegeben. Ihre Familien wurden mit ihnen gerettet, gleich wie die Kinder derer, die gerichtet wurden, mit ihnen starben. Mit der vermeintlichen Ausnahme der Amalekiter wurden inmitten aller Gerichte auch Menschen gerettet.

Dieselben Grundsätze gelten auch für das, was das Neue Testament über das Endgericht sagt:

  • Göttliches Gericht: Wieder veranlasst Gott das Gericht, aber in diesem Fall wird das Ergebnis mehr sein als der physische Tod. Die Folgen werden entweder ewige Strafe oder ewiger Segen sein (vgl. Offb 20,11–15).
  • Zeit zur Umkehr: Gegenwärtig wartet Gott geduldig und gibt den Menschen Gelegenheit zur Umkehr (vgl. 2Petr 3,9). Erst wenn Christus wiederkommt, wird Gottes Gericht kommen, und niemand wird ihm entgehen können.
  • Zeugen Gottes: Christen leben als Zeugen für Gottes Wahrheit und Liebe in der Welt (vgl. 2Kor 2,14–16).
  • Rettung durch Glauben: Es gibt Rettung für jeden, der Buße tut und auf Christus vertraut (vgl. Apg 2,21).

Fazit: Warum beunruhigen uns diese Passagen?

Trotz der Ausführungen in diesem Artikel werden viele Leser (wie auch der Autor dieses Artikels) bei dem Gedanken an die Massentötung an den Kanaanitern ein tiefes Unbehagen verspüren. Der Gedanke allein scheint unserer Lebenserfahrung in Westeuropa zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehr fremd zu sein. Berichte über Massaker in Ländern wie dem Sudan und Bosnien sind für uns abscheulich. Wenn wir solche Abscheu verspüren, lohnt es sich, innezuhalten und zu fragen, warum wir so empfinden. Ist es falsch, dass wir mit diesem Gefühl reagieren? Ist es der Ausdruck eines mangelnden Glaubens an Gott? Es gibt zwei mögliche Ursachen für unser Unbehagen, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen:

Glaube an Gott

Bei manchen entspringt dieses Unbehagen einer tiefen Überzeugung, dass Gott gut ist und alle Menschen liebt. Für diejenigen, die ihn kennengelernt haben und ihm durch Jesus Christus vertrauen, ist dies eine unbestreitbare Tatsache. Wenn dies der Ursprung unseres Unbehagens ist, dann werden wir eine tiefe Sorge um diejenigen, die Gott nicht kennen, und ein Anliegen für die Mission im In- und Ausland entwickeln. Wenn wir über Gottes Gericht über die Kanaaniter zur Zeit Josuas nachdenken, werden wir erkennen, dass ein noch größeres Gericht bevorsteht und dass diejenigen, die nicht zum Glauben an Gott gekommen sind, ein schlimmeres Schicksal erleiden werden als die Kanaaniter. Wie können wir in der Sicherheit unserer Errettung ruhig schlafen, während andere noch nie von Christus gehört haben? Wir können unser Unbehagen vor Gott bringen und bekennen, dass es uns nicht loslässt. Wir dürfen darauf vertrauen, dass er unsere Fragen nicht zurückweist, solange sie von dem aufrichtigen Wunsch motiviert sind, ihn besser kennenzulernen (auch hier dient Habakuk als hilfreiches Beispiel).

Rebellion gegen Gott

Für andere ergibt sich das Unbehagen aus einem grundlegenden Einwand gegen die Vorstellung, dass Gott sündige Menschen richten kann oder soll. Nach der Heiligen Schrift muss hingegen jede Sünde gerichtet werden, und jeder Mensch verdient den Tod und die ewige Strafe. Weigern wir uns, diese Wahrheit zu akzeptieren, sind wir in großer Gefahr, denn auch wir lehnen Gott ab und werden sein Gericht erleben. Wir müssen unsere Sturheit und unseren Stolz ablegen und Gott um Gnade bitten. Wenn wir das tun, werden wir sie dank Christus finden.

Die eigentliche Herausforderung der alttestamentlichen Massentötungen besteht also darin, zu erkennen, dass Gottes Gericht über die Sünde eine Realität ist und dass wir uns jetzt in einer Zeit befinden, in der uns die Möglichkeit zur Umkehr und zur Rettung offensteht. Gottes Erlösung steht bereit! Christus hat sie am Kreuz vollbracht, er ist auferstanden und lebt, um die Menschen zu retten. Wir täten gut daran, die Warnung des Schreibers des Hebräerbriefs zu beherzigen:

„Wie wollen wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung mißachten?“ (Hebr 2,3)

Dieser Beitrag erschien zuerst bei bethinking.org und übersetzt bei evangelium21.net. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.