Einige biblische Geschichten prägen sich besonders ein. Für mich gehört dazu Apostelgeschichte 19, wo Lukas das mächtige Wirken von Paulus erzählt, als er einen Kranken heilt und Dämonen in der Stadt Ephesus austreibt. Als sie solche Erfolge sahen, entschieden offenbar einheimische jüdische Exorzisten, den Namen von Jesus in ihre Formeln einzubauen und damit einen Mann zu heilen, der ebenfalls von einem bösen Geist besessen war. Unvergesslich, wie der Besessene dann antwortete: „Jesus kenne ich, Paulus ist mir bekannt, aber wer seid Ihr?“ (19,15). Dann griff er die Exorzisten an, überwältigte sie, so dass sie „nackt und verwundet“ fliehen mussten. Das war für viele Einwohner der Gegend Anlass, mit Gläubigen zusammenzukommen, ihre andauernde Bejahung von magischen Praktiken zu bekennen und schließlich öffentlich ihre magischen Bücher zu verbrennen (V. 19). Lukas berichtet von dem unglaublichen Wert der Bücher: 5000 Silberstücke. Das waren damals rund 135 Jahresgehälter. Obwohl es Lukas hier darum geht, die Kraft und das Wachstum der Gemeinden durch das Wort Gottes darzustellen, ist die Geschichte auch hilfreich zum Verständnis der biblischen Lehre von der unsichtbaren Wirklichkeit und der darin wirkenden Kräfte.
Die unsichtbare Wirklichkeit ist real
Lukas, Paulus und die Apostel taten ihren Dienst unter Menschen, die an eine unsichtbare geistliche Wirklichkeit glaubten und sich der Gegenwart von Geistern bewusst waren. Die Menschen damals stimmten darin überein, dass die übernatürliche und unsichtbare Wirklichkeit eine Kontrolle über das tägliche Leben ausübte und auch über unser ewiges Schicksal bestimmte. Sie setzten Magie, Wahrsagerei, Astrologie und dergleichen ein, um einen gewissen Einfluss darauf auszuüben. Sie wollten die Geister so manipulieren, dass Gutes dabei herauskommt und alles Übel abgewehrt würde.
Das Neue Testament erkennt nicht nur solch eine unsichtbare Wirklichkeit an, sondern zeigt uns auch den Dienst von Jesus und den Aposteln als Gegner dazu und letztlich Überwinder der geistlichen Mächte. Die Autorität und Kraft von Jesus über den „Fürsten dieser Welt“ (Joh 12,31; 14,30; 16,11) können in den Evangelien daran erkannt werden, wie Jesus die Versuchung durch Satan überwand, aus besessenen Menschen Dämonen austrieb und bestimmte dämonisch gewirkte Krankheiten heilte. Lukas beschreibt das Wirken der Apostel im Kampf gegen die Macht der Finsternis, indem sie die Sinnlosigkeit und Kraftlosigkeit der heidnischen Götzenverehrung mit allen damit verbundenen Aktivitäten aufzeigen. Paulus unterschied sich da nicht. Oft erwähnt Paulus die Mächte (Röm 8,38; 1Kor 15,24; Eph 1,21; 3,10; 6,12; Kol 1,16; 2,10.15), die Kräfte (1Kor 15,24; Eph 1,21; 2,2; 3,10; 6,12; Kol 1,16; 2,10.15), die Herrschaften und Elementargeister (Eph 1,20; Kol 1,16; 2,8.20; Gal 4,3.9), um an die Realität der geistlichen Mächte, die Gott und seinem Volk entgegenstehen, zu erinnern. Darüber hinaus hat Paulus es auch nicht unterlassen, die Gemeinden an die machtvolle Gegenwart des Bösen zu erinnern, indem er ihn den Satan, den Teufel, den Bösen, den Fürsten, den Geist, den Belial, den Feind, die Schlange, den Versucher und den Gott dieser Welt nennt.
Es ist kaum möglich, die Existenz der unsichtbaren geistlichen Welt zu verneinen oder zu übersehen. Es wurde versucht, die Bibel zu „entmythologisieren“, indem man alle übernatürlichen Elemente löscht. Andere haben versucht, die Realität der unsichtbaren Wirklichkeit zu ignorieren, indem sie im Leben so tun, als ob solche Mächte und Geister keine Rolle spielten. Das führt oft zu einer Spiritualität ohne echten Glauben oder zu einem Glauben, der vor allem Selbstvertrauen ausstrahlt, aber nicht Abhängigkeit von Gott. Der Glaube an eine unsichtbare geistliche Wirklichkeit ist kein Überbleibsel einer vormodernen Weltanschauung. Er gehört vielmehr zur Überzeugung der weit überwiegenden Mehrheit der Menschen weltweit. Das gilt genauso für die moderne Zeit wie für das Altertum. Die Bibel zeigt ein Verständnis der Welt, das die modernen Vorurteile übersteigt und von den Gläubigen erwartet, dass sie ernst nehmen, was die Bibel auch ernst nimmt.
Christus ist der Überwinder
Die Kraft von Paulus, Geister auszutreiben wie in Apostelgeschichte 19, erinnert uns daran, dass Christus und seine Kirche zwar in einem geistlichen Kampf gegen den Bösen und seine Dämonen stehen, aber der Ausgang nicht ungewiss ist. In den Evangelien zeigt die Fähigkeit von Jesus, die zu heilen, die von Geistern besessen sind, nicht nur die Gegenwart des Reiches Gottes, sondern auch seine absolute Macht über den Bösen. Er ist gekommen, um „den starken Mann“ zu binden (Mk 3,27), sein Reich zu berauben und die „Werke des Teufels“ zu zerstören (1Joh 3,8; vgl. Joh 12,31; 16,11). Der entscheidende und endgültige Sieg über das Böse und den Bösen wurde am Kreuz erkämpft. Paulus erklärt, dass Gott dabei die Herrscher und Autoritäten entwaffnet hat und sie öffentlich beschämt, indem er über sie triumphiert (Kol 2,15). Jesus hat durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung aus dem Grab die Macht des Bösen weggenommen, weil er nicht länger die Herrschaft und Gewalt über diejenigen hat, die an Christus glauben. Sogar der Tod, der Satans stärkste Waffe war, konnte nicht bestehen und Jesus letztlich überwinden. Christus hat in seiner Auferstehung seine Macht über den Bösen ein für alle Mal gezeigt.
So ist das Kreuz, das früher ein Symbol für das Leiden und den scheinbaren Sieg des Bösen über den Sohn Gottes war, ein Zeichen der Kraft, der Liebe und der Weisheit Gottes geworden, weil es jetzt die Schwachheit, Machtlosigkeit und Sinnlosigkeit der Machenschaften des Teufels zeigt. Jesus wird bald wiederkommen, um das Königreich Gottes aufzurichten, nachdem er jede feindliche Herrschaft, Autorität und Kraft zerstört hat (1Kor 15,24).
„Denn vor dem Namen Jesus wird einmal jedes Knie gebeugt, von allen, ob sie im Himmel sind, auf der Erde oder unter ihr. Und jede Zunge wird bekennen: Jesus Christus ist der Herr! So wird Gott, der Vater, geehrt.“ (Phil 2,10-11)
Die biblischen Autoren sind keineswegs naiv vor der Realität der Sünde, der Feindschaft und auch nicht vor der Verfolgung. Aber trotz der Macht, der Komplexität oder der Häufigkeit von geistlicher Gegnerschaft werden wir an die Zusagen Gottes erinnert (Römer 8,38-39):
„Denn ich bin überzeugt: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch andere Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder hohe Kräfte noch tiefe Gewalten – nichts in der ganzen Schöpfung kann uns von der Liebe Gottes trennen, die uns verbürgt ist in Jesus Christus, unserem Herrn.“
Wir sind weder Leugner noch auf das Böse fixiert
Lukas geht in Apg 19 davon aus, dass es unter denen, die Magie-Bücher zum Verbrennen brachten, auch etliche gab, die schon Christen geworden waren (V.18):
„Nun traten viele von denen, die zum Glauben gekommen waren, vor die Gemeinde und bekannten, sich auch mit okkulten Praktiken abgegeben zu haben.“
Auch wenn es einige gibt, die theoretisch oder praktisch die unsichtbare Wirklichkeit und die Geister leugnen, so gibt es doch andere, die die geistlichen Mächte ernstnehmen und auch unbiblische Überzeugungen und Praktiken über die unsichtbare Welt bei sich haben. Das mag der Glaube an ein höheres Wesen oder eine unpersönliche Macht sein, die Anbetung der Vorfahren, ein magisches Vertrauen in Rituale oder der Glaube an die Astrologie. Gläubige haben immer wieder mal unbeholfen, mal unwissend die Lehre der Bibel mit den Überzeugungen ihrer Kultur oder bestimmten Bräuchen verbunden und einen synkretistischen Glauben geschaffen mit Praktiken, die das Zeugnis des Evangeliums untergraben und ihren Glauben gefährden. Manche Gläubige werden völlig eingenommen davon, in jedem Ereignis geistliche Dimensionen, Engel und Dämonen oder die Kräfte des Bösen am Werk zu sehen. Da hilft es nicht, dass wir alle täglich durch die einströmenden Medien mit Nachrichten aus der Popkultur überschüttet werden, die von A wie Astrologie bis zu Z wie Zombies reichen.
Unser Zugang zu diesem Thema sollte mit der Lehre der Schrift beginnen und ganz an sie gebunden sein. Johannes Calvin hat einmal gesagt:
„Lasst uns mit unserem Willen in den Grenzen bleiben, die Gott uns dafür setzen wollte, statt unsere Vernunft darüber hinaus gehen zu lassen und in ihrer großen Freiheit abzuirren.“
Auch wenn Paulus deutlich die Realität der unsichtbaren geistlichen Welt und des geistlichen Kampfes lehrt, so schließt das keine tiefgreifenden Erklärungen über die geistliche Welt ein, etwa über die Geschichte und den Fall der Engel, über die Hierarchie unter den Engeln, die spezielle Macht einzelner Engel und Dämonen, die Wege, wie die Dämonen genau wirken oder an welchen Orten sie sind. Stattdessen erinnert Paulus wiederholt daran, dass, so machtvoll auch die Kräfte und Dämonen gegen die Glaubenden und Kirche wirken, sie sich letztlich als machtlos erweisen werden, weil Jesus siegt.
Im Vorwort zu seinem klugen Buch „Dienstanweisungen an einen Unterteufel“ hat C.S. Lewis geschrieben:
„Es gibt zwei gleichwertig aber entgegengesetzte Irrtümer über die Teufel, in die wir verfallen können. Einer ist, dass wir nicht an ihre Existenz glauben, der andere, dass wir glauben, aber ein übermäßiges und ungesundes Interesse an ihnen entwickeln.“
Diesen Rat von ihm sollten wir aufmerksam beherzigen.
Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Ligonier Ministries.