Fünf Fragen an R.C. Sproul
Im Jahr 2018 begehen wir das 40. Jubiläum der Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel. Wie beurteilen Sie die Bedeutung dieses Bekenntnisses? In welcher Relation sehen Sie diese Erklärung mit den großen Erklärungen und Bekenntnissen der Kirchengeschichte?
R.C. Sproul: Durch Gottes Gnade hat die Chicago-Erklärung einen weitreichenden Einfluss darauf gehabt, zu erklären, was die Kirche geschichtlich damit gemeint hat, wenn sie daran fest gehalten hat, dass die Bibel irrtumslos ist. Die Erklärung hat geholfen, einen gemeinsamen Konsens zwischen vielen verschiedenen christlichen Organisationen darüber zu erreichen. Viele theologische Ausbildungsstätten verweisen heute auf diese Erklärung, wenn es um ihre Position zur Lehre über die Schrift geht.
Soweit es andere Erklärungen und Glaubensbekenntnisse in der christlichen Geschichte betrifft, denke ich, dass die Chicago-Erklärung in schriftlicher Form das beschreibt, was die Verfasser des Bekenntnisses von Nicäa, des Glaubensbekenntnisses von Chalcedon, des Westminster Bekenntnisses und anderer Glaubensbekenntnisse über die Vertrauenswürdigkeit der Schrift glaubten. Gott alleine weiß, ob die Chicago-Erklärung so lange von Bedeutung sein wird, wie es bei den o.g. Bekenntnissen der Fall war. Eins weiß ich aber sicher: die Kirche ist immer wieder gefordert, klarzustellen, was wir bezüglich der Vertrauenswürdigkeit der Bibel glauben, und muss diese Position gegen jeglichen Angriff und Kritik verteidigen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Jesus wiederkommt, wird die Kirche ihren Glauben an die Vertrauenswürdigkeit der Bibel bekennen müssen, sei es durch die Chicago-Erklärung oder durch ein anderes Bekenntnis.
Was entgegnen Sie jemanden, der predigt, dass wir “Jesus treu sein sollen”, anstatt „der Bibel treu“ gegenüber zu sein?
Jesus-treu zu sein, heißt Bibel-treu zu sein, und Bibel-treu zu sein, heißt Jesus-treu zu sein. Etwas anderes war dem Selbstverständnis von Jesus völlig fremd.
Meine Antwort darauf ist, dass dies eine falsche Unterteilung ist. Niemand hatte eine größere Wertschätzung für die Bibel als Jesus, und niemand hat eine größere Wertschätzung für Jesus, als es die biblischen Autoren hatten. Wir können doch gar nichts über Jesus sagen außerhalb der Bibel. Einfach gesagt: Jesus-treu zu sein, heißt Bibel- treu zu sein – und Bibel-treu zu sein, heißt Jesus-treu zu sein. Der Gedanke, dass wir losgelöst von den Texten des Paulus, Petrus, Jesaja oder irgendeines anderen biblischen Schreibers Jesus haben oder Treue gegenüber Jesus haben können, ist dem Selbstverständnis von Jesus völlig fremd.
Wie wird der geistliche Zustand des bibeltreuen Protestantismus in zwanzig Jahren sein? Denken Sie, dass wir in der Lage sind, den modernen Einflüssen der sexuellen Revolution und des moralischen Relativismus zu widerstehen?
In der westlichen Welt ist für viele der Glaube an Jesus und das Bekenntnis zur Bibel leer und wird in Drucksituationen keinen Bestand haben.
Ich bin kein Prophet, so dass es sehr schwierig ist zu sagen, was in den nächsten zwanzig Jahren passieren wird. Sofern wir keine große geistliche Erweckung erleben, denke ich schon, dass sich im Westen die Reihen derjenigen, die an die Bibel glauben, in den nächsten zwanzig Jahren lichten werden. Das ist deshalb der Fall, weil viele im Westen nur ein leeres Bekenntnis haben, das in Drucksituationen keinen Bestand haben wird. Andererseits denke ich, dass die Zahl bibelgläubiger Christen in Regionen wie Süd-Amerika, Afrika und Asien zunehmen wird, insbesondere aufgrund der modernen Missionsbewegung und der zunehmenden internationalen Arbeit, die auch wir durch Ligonier Ministries oder durch andere Werke erreichen.
Ob wir der sexuellen Revolution und dem moralischen Relativismus zu widerstehen vermögen? Wir werden es, wenn wir uns standhaft an Christus und sein Wort binden. Solche, die sich derart verpflichten, werden widerstehen. Und diejenigen, die nicht widerstehen, werden sich als solche erweisen, die sich nicht wirklich treu an Christus und sein Wort gebunden haben.
Können Sie jungen Christen einen Rat geben, wie man in einer nicht-christlichen Umwelt leben kann?
Wenn wir Gott kennen, werden wir ihn fürchten. Wenn wir Gott fürchten, werden wir uns nicht vor Menschen fürchten oder vor dem, was sie uns antun können.
Mein Rat ist, dass sie alles tun sollten um zu erkennen wer Gott wirklich ist. Den Charakter Gottes zu verstehen ist das allerwichtigste, was wir tun können. Wenn wir lernen, wer Gott ist, werden wir Gott fürchten. Und wenn wir Gott fürchten, dann werden wir uns nicht vor Menschen fürchten oder vor dem, was Menschen uns antun können. Um Gott zu erkennen, müssen wir natürlich in erster Linie die Schriften studieren. Dem nachgeordnet sollten wir studieren, was die großen Denker der Kirchengeschichte über Gott gesagt und geschrieben haben. Weiter sollten wir zu gesunden Gemeinden gehören, in denen die Bibel klar und breit gelehrt wird. Denn Teil einer Gemeinschaft zu sein, in der andere sind, die Gott kennen, hilft uns mit der nicht-christlichen Umwelt umzugehen.
Können Sie uns Ihr persönliches Zeugnis geben? Welche Schriftstelle war in Ihrem Leben besonders wichtig für Sie? Weshalb?
Ich wuchs in einer reformierten Gemeinde auf, die liberal in ihrer Theologie war. Ich habe quasi nie das wirkliche Evangelium gehört, bis ich im ersten Semester auf dem College war und den Kapitän des Football-Teams traf. Die Art und Weise wie er über Christus sprach, ließ ihn für mich so real erscheinen. Auch machte er mir das Wort Gottes groß und wichtig. Ich ging zurück in mein Zimmer im Studentenwohnheim, ging auf meine Knie und vertraute mein Leben Christus an.
Eine einzige Bibelstelle anzugeben, die wichtig in meinem Leben war, ist schwierig. Ich könnte auf Prediger 11,3 verweisen, diese Stelle war zentral bei meiner Bekehrung zu Christus. Aber ich wäre nachlässig, wenn ich nicht Jesaja 6 erwähnen würde. Ich habe so oft ausgehend von diesem Kapitel über die Heiligkeit Gottes gepredigt, so dass diese Stelle für meinen Dienst von großer Wichtigkeit war.
Vielen Dank.
Fünf Fragen an Steven J. Nichols
Sie waren in den letzten Jahren als Redner auf verschiedenen Konferenzen in Deutschland und haben deutsche Christen kennengelernt. Wie beurteilen Sie die Gemeindesituation in Deutschland im Vergleich zu der in den USA? Welche Defizite und welche Stärken haben Sie erkannt?
Steven J. Nichols: Es war ein großes Privileg, in Deutschland als Konferenzredner sprechen zu dürfen. Ich habe eine große Wertschätzung für Luther und die Reformation, so dass es für mich eine Freude war, in dem Land Luthers zu sprechen. Ich war tief beeindruckt durch das Engagement der deutschen Christen reformierter Prägung, mit denen ich Kontakt hatte.
Als Besucher in Deutschland war es für mich offensichtlich und es drängte sich der Eindruck auf, dass das Feuer der Reformation nicht mehr so brennt wie einst.
Das post-christliche Europa ist in mancherlei Weise ein Warnsignal für die amerikanische Kultur, die sich auch mehr und mehr in eine post-christliche Richtung zu entwickeln scheint. In Amerika gibt es viel mehr Gemeinden und die Christen dort haben den Luxus, dass sie viel Gemeinschaft mit Gleichgesinnten haben können und eine große Auswahl an christlichen Angeboten haben. Aber manchmal ist es so, dass die amerikanische Gemeindelandschaft zwar quasi „ein Kilometer breit“ ist, aber auch nur einen Millimeter Tiefgang hat.
Was mich an den Christen in Deutschland beeindruckt hat, ist die große Wertschätzung für fundierte Lehre und aufrichtige Gemeinschaft. Das ist eine nachhaltige Stärke. Ich war ebenso beeindruckt von der Einsatzbereitschaft junger Leute in den deutschen Gemeinden.
Diejenigen, die sich wahrhaft dem Evangelium in Deutschland verpflichtet fühlen, scheinen nur einen sehr geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung zu haben. Obwohl das entmutigend sein kann, war ich doch beeindruckt über den Zuspruch, den ich von Christen in Deutschland erfahren habe. Auch war ich überrascht von dem Wunsch, das Evangelium wieder hell scheinen zu sehen an dem Ort, wo die Reformation vor 500 Jahren begann.
Denken Sie, dass es in der klassischen evangelikalen Bewegung wieder zu einer Art Reformation kommen kann?
Wir alle neigen dazu, uns der jeweiligen Kultur anzupassen. Wir wollen keine Außenstehenden der Kultur sein. Das ist ein Problem mit düsteren Konsequenzen.
In jeder Generation bedürfen die Gemeinden einer Reformation, denn es heißt ja „Re“-formation. Wir alle stehen in der Gefahr, schnell von der uns umgebenden Kultur beeinflusst zu werden, und wir alle haben den natürlichen inneren Drang zur Sünde. Das Problem der klassischen evangelikalen Bewegung ist, dass sie gerne von der sie umgebenden Kultur akzeptiert werden möchte. Man möchte nicht außerhalb davon stehen, und man möchte auf keinen Fall ein kulturell Ausgestoßener sein. In dieser Konsequenz opfert die klassische evangelikale Bewegung viel zu oft lang überlieferte Glaubensüberzeugungen und Verpflichtungen und versäumt es dadurch, sich dem Wort Gottes zu unterwerfen. Als ein Beobachter des amerikanischen Evangelikalismus kann ich nur sagen, wir alle neigen dazu, in die jeweilige Kultur hineinpassen zu wollen. Wir wollen keine Außenstehenden der Kultur sein. Und das ist ein Problem mit düsteren Konsequenzen.
Wir können dieses kulturelle Entgegenkommen und die damit verbundene Anpassung insbesondere in gesellschaftspolitischen Fragen wie der gleichgeschlechtlichen Ehe sehen. Wir können diese Einstellung auch gegenüber einzelnen Lehren der Bibel erkennen.
Uns wird heute gesagt, dass Wissenschaft und neuere gesellschaftspolitische Überzeugungen bessere Quellen und Autoritäten sind, als es ein altes Buch sein kann. Das setzt sich fort in der Theologie und einzelnen Glaubensüberzeugungen. Es gibt eine Menge an Glaubenslehren, die heute von den meisten Gemeinden abgelehnt werden, damit man mit der Kultur nicht aneckt. Lehren wie die Souveränität Gottes, die Heiligkeit Gottes, die Ausschließlichkeit des Evangeliums und den Alleinanspruch von Christus als den einzigen Mittler zur Errettung – diese Lehren werden von der Kultur des 21. Jahrhunderts nicht sehr wohlwollend aufgenommen.
Wir müssen als Christen immer gründlich darüber nachdenken, welchen Stimmen wir folgen wollen. Folgen wir dem Zeitgeist oder folgen wir Gott nach?
Das bedeutet aber, dass wir als Christen gründlich darüber nachdenken müssen, welchen Stimmen wir folgen wollen. Folgen wir dem kulturellen Zeitgeist? Oder folgen wir Gott nach?
Das einzige Heilmittel ist das Wort Gottes. Es ist der unveränderliche und zeitlose Maßstab der absoluten Wahrheit. Also sollten wir als Gemeinden und als einzelne Christen nicht bei dem kulturellen Zeitgeist Schlange stehen.
Stattdessen müssen wir uns verändern lassen. Und diese Veränderung kommt dadurch zustande, dass wir unser Denken verändern lassen. Die Veränderung unseres Denkens aber ergibt sich aus dem Studieren, dem Unterwerfen und Ausleben von Gottes Wort. Das ist es letztendlich, was Reformation wirklich meint: dass wir r e f o r m i e r t werden nach dem Wort Gottes. Jede Generation hat eine solche Reformation nötig.
Was denken Sie über die heutige Generation junger Menschen? Gibt es dort eine Offenheit für das Wort Gottes? Oder macht die Postmoderne es für sie schwerer, die biblische Botschaft zu verstehen?
Wie jedes Zeitalter vorher hat das 21. Jahrhundert für uns besondere Herausforderungen und besondere Möglichkeiten, die es zu erkennen gilt.
Jedes Zeitalter hat seine speziellen Herausforderungen und Möglichkeiten. Im 1. Jahrhundert, als das Neue Testament verfasst wurde, gab es besondere kulturelle Herausforderungen. Aber dort gab es Möglichkeiten, das Evangelium zu verbreiten. Das ist genau so wahr für das 16. Jahrhundert. Luther hat sich der römisch-katholischen Kirche entgegengestellt. Er hatte auch die Bücherpresse, die ihm dabei half.
Genauso ist es aber auch im gegenwärtigen 21. Jahrhundert. Die Gemeinden in Amerika haben besondere Herausforderungen und Möglichkeiten. Die Gemeinden in Deutschland haben besondere Herausforderungen und Möglichkeiten. Unsere Aufgabe ist es, zu erkennen, wo die Herausforderungen und Möglichkeiten liegen. Wie uns 1. Petrus 3,15 aufgibt, sollen wir allezeit bereit sein, jedermann Antwort zu geben für den Grund der Hoffnung, die in uns ist. Wir sollten bereit sein, das Evangelium zu verteidigen und dafür zu kämpfen.
Speziell gefragt nach der jüngeren Generation: Letztes Jahr habe ich auf einer Konferenz in Hamburg gesprochen. Ich war durch zwei Dinge beeindruckt. Zum ersten von der Anzahl der Jugendlichen: Teenager bis in die 20er. Zweitens war ich über ihren Einsatz und die Art der Fragen beeindruckt, die sie stellten. Sie wollten die Wahrheit erkennen, und sie wollten sehen, wie diese Wahrheit auf das Leben zutrifft.
Die Moderne und die Postmoderne sind gescheitert. Es ist Zeit, die Wahrheit wieder mutig zu verkündigen, wie sie Gott uns in seinem Wort offenbart hat.
Die Moderne und ihr Glaube an Institutionen, um die Menschheit zu retten, ist gescheitert. Die Verdächtigungen und die Skepsis der Postmoderne sind ebenfalls nicht erfolgreich. Es ist Zeit, die Wahrheit zu verkünden, wie sie Gott in Seinem Wort uns offenbart hat. Dort gibt es Leben, dort finden wir Hoffnung und Erkenntnis in Wahrheit. Diese Botschaft müssen wir verkünden.
Welches sind die drei wichtigsten Bücher, die ein junger Christ heute lesen sollte?
„Die Heiligkeit Gottes“ von R.C. Sproul.
„Martin Luther. Rebell für den Glauben“ von Roland Bainton.
„Christentum und Liberalismus“ von J. Gresham Machen.
Als Bonus würde ich vorschlagen, eine gute Studienbibel zu besorgen und zu nutzen!
Eine persönliche Frage: Wie sind Sie zum lebendigen Glauben gekommen?
Mein Vater war ein Pastor und ich bin in der Gemeinde umgeben vom Evangelium aufgewachsen. In jungen Jahren kam ich zum persönlichen Glauben an Christus, als ich allein in Jesus mein Vertrauen setzte und in sein Werk für meine Erlösung. Ich realisierte, dass es nicht ausreicht, nur zur Gemeinde zu gehören. Ich merkte, dass es auch nicht genug war, in einem christlichen Heim aufzuwachsen. Wenn ich heute zurückblicke, dann kann ich erkennen, dass Gott souverän in mir wirkte, um mich zu ihm zu bringen. Damals würde ich es aber so ausgedrückt haben: „Ich bin ein Sünder und ich selbst kann die Kluft zwischen mir und Gott nicht überbrücken. Christus tat es aber für mich am Kreuz. Ich vertraue auf ihn.” Ich bin sehr dankbar für mein Zuhause und die guten Grundlagen, die ich dort mitbekommen habe. Mit der Schrift aufzuwachsen, Gläubige um mich herum und die Gemeinde gehabt zu haben, sind wirklich ein Vorrecht gewesen, wofür ich sehr dankbar bin.