Ist das gemeinsame (persönliche) Lob Gottes nur eine Möglichkeit oder eine Pflicht für Christen? Die Frage ist tatsächlich wichtig, besonders in Zeiten von immer mehr Online-Gottesdiensten und sehr oberflächlichen Ansichten über den öffentlichen Gottesdienst. Die Antwort der Bibel ist unmissverständlich: Nein, das gemeinsame Lob Gottes ist nicht nur optional. Es ist tatsächlich eine göttliche Forderung an jeden Nachfolger Christi. Wenn ihnen nicht ernsthafte Hindergrundsgründe wie z.B. Krankheit oder lebensgefährliche Wetterlagen im Wege stehen, werden die Gläubigen aufgefordert, sich zum Gottesdienst in einer auf der Bibel gegründeten Gemeinde zu versammeln (Heb 10,24-25). Eine solche Gemeinde ist zu verstehen als eine örtliche Gemeinschaft von Glaubenden, die von geeigneten Ältesten mit Liebe geleitet wird. Das sind Älteste, die auf die Herde Christi achten und für eine treue Predigt des Wortes Gottes sorgen, die die Sakramente austeilen und das öffentliche Gebet leiten (Apg 2,42; 14,23; Eph 4,11-16; 1Tim 3,3-13). Der gemeinsame Gottesdienst in einer biblischen Gemeinde ist also unverzichtbar – eben ein wesentliches Kennzeichen und Ausdruck christlichen Lebens, von Jüngerschaft und Zeugendienst. Die Gemeinde ist sicher mehr als die Versammlung von Glaubenden am Sonntag, aber sie ist auch nicht weniger als das.
Im Dezember ist der Gottesdienstbesuch traditionsgemäß reger. Da sind die Advents- und Weihnachtslieder, die festliche Dekoration, die Weihnachtspredigten und die Familientraditionen, die das Versammeln des Volkes Gottes zum Lob Gottes intensiver werden lassen. Was wird dann an den folgenden 48 Sonntagen sein? Warum eigentlich ist der gemeinsame persönliche Gottesdienst so überlebenswichtig für den Christen?
Gründe, die das Zusammenkommen verhindern
Bevor ich mich diesen Fragen zuwende, wird es wohl hilfreich sein, einige der typischen Gründe zu bedenken, die viele heutige Glaubende vorbringen, um nicht am gemeinsamen Gottesdienst teilzunehmen. Ich will sie zu zweien zusammenfassen: persönliche Spiritualität und negative Erfahrungen mit der Gemeinde.
Christen vernachlässigen die Teilnahme in der Gemeinde oder verlassen sie, weil sie ihre persönliche Spiritualität pflegen und oft böse Erfahrungen in Gemeinden gemacht haben.
Der erste Grund, der auch bekennende Glaubende dazu führt, die Teilnahme am gemeinsamen Gottesdienst aufzugeben, ist der wachsende Trend zu einer individualistischen Spiritualität. Statt sich in der Einheit mit Christus durch eine verbindliche Zugehörigkeit zu einer Gemeinde und das gemeinsame Lob und die Anbetung im sonntäglichen Gottesdienst zu begreifen, haben sich viele vom gemeinsamen Dienst und der Sendung der sichtbaren Gemeinde gelöst. Sie ziehen es vor, sich eine sehr persönliche Spiritualität von Webseiten, aus Büchern, Podcasts und unverbindlichen Gemeinschaften zusammenzuschustern. Aus Gründen der Bequemlichkeit und Unabhängigkeit nehmen viele davon in zunehmendem Maß nur noch an Online-Gottesdiensten teil, statt persönlich anwesend zu sein. Sie stellen sich ein Christentum nach ihren Maßstäben vor, in dem Verlässlichkeit, Disziplin und christliches Nachgehen und Begleiten kaum vorkommen. Das offensichtliche Problem mit diesem Ansatz ist, dass es in der Heiligen Schrift einen solchermaßen privatisierten Glauben nicht gibt. Er ist dem biblischen Christentum ganz fremd. Jesus erwartet von seinen erlösten Kindern, dass sie aktive Glieder am Leib von Christus sind (1Kor 12,12-16; Eph 4,15-16). Sie sollen sich freiwillig und gern geeigneten Leitern unterordnen, die eingesetzt sind, zu „wachen über eure Seelen“ (Heb 13,17). Ein Christ ohne eine Gemeinde wird als einsames Schaf in der Wildnis angesehen, das zahlreichen Gefahren ausgesetzt ist.
Der zweite wesentliche Grund für das Verlassen der gemeinsamen Anbetung in der Gemeinde sind schlechte Erfahrungen, die man in oder mit der Kirche gemacht hat. Es sind nicht wenige Gläubige, die traumatische Erfahrungen mit Missbrauch durch Leiterschaft gemacht haben, die vergiftete Beziehungen erlebt haben und falscher Lehre in ihren Gemeinden ausgesetzt waren. Für manche bleiben die Erinnerungen daran unverarbeitet. Der Schrecken ist echt. Aber trotzdem sollten nicht alle Gemeinden auf der Grundlage der bösen Erfahrungen mit einigen Gemeinden verurteilt werden. Jesus Christus versteht den Schmerz, der von bösen Leitern und untreuen Gemeinden verursacht wurde. Er weiß aber auch am besten, was seine Nachfolger, die er durch sein Blut erkauft hat, benötigen: Und das ist gemeinsamer Lobpreis, der durch die Gnade Christi begründet ist und im Kontext einer gesunden Gemeinde stattfindet.
Der göttliche Befehl
Der Hebräerbrief wurde an Christen im ersten Jahrhundert adressiert, die unter der ständigen Bedrohung durch Verfolgung lebten. Sich mit Christus und seiner Gemeinde zu verbinden, war teuer. Das war nicht anders als für den Rest Israels in früherer Zeit oder für viele Millionen Gläubige in unseren Tagen. Die wachsende Gemeinde „erduldet … einen großen Kampf des Leidens, indem ihr zum Teil selbst durch Schmähungen und Bedrängnisse zum Schauspiel geworden seid“ (Heb 10,32-33). Trotzdem sollten sie ihre Gemeinden nicht verlassen, um dann in geistlicher Isolation zu leben. Im Gegenteil befahl ihnen Gott trotz und wegen dieser Umstände, sich weiter zu Lob und Anbetung Gottes zu versammeln:
Hebräer 10,23-25: „Lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unwandelbar festhalten – denn treu ist er, der die Verheißung gegeben hat – und lasst uns aufeinander achthaben, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen, indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei einigen Sitte ist, sondern einander ermuntern, und das um so mehr, je mehr ihr den Tag herannahen seht!“
Ein festes Bekenntnis der Hoffnung lebt nicht nur von mir, Jesus und meiner Bibel. Wir brauchen die Gemeinschaft und Gottes Mittel der Gnade als Nahrung für unser geistliches Leben.
Ein unerschütterliches Bekenntnis der Hoffnung des Evangeliums braucht mehr als nur mich, Jesus und meine Bibel, besonders in einer Kultur, die in zunehmendem Maße dem Christentum feindlich gegenübersteht. Christen brauchen auch die Mittel der Gnade, die Gott in Taufe und Abendmahl eingesetzt hat. Und sie brauchen einer den anderen. Der Glaube welkt in der Vereinzelung dahin. Das Volk Gottes braucht tiefgründige Predigt, die Sakramente, die den Glauben stärken, und ernsthaftes gemeinsames Gebet, und das alles in der Gegenwart Gottes und der Gemeinschaft der versammelten Gemeinde. Wenn Gott verlangt, dass Christen zusammenkommen für den Gottesdienst, dann geschieht das aus Liebe zu uns, denn er weiß, was das Beste für uns ist. Genau das war den treuen Gläubigen der ersten Zeit nach Pfingsten besonders wichtig (Apg 2,42): „Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten.“ Es war zwar für die ersten Christen nicht ungefährlich, aber es war ihnen wesentlich, zusammenzukommen zur gottesdienstlichen Gemeinschaft. Außerdem geschah das zur Freude ihres Herrn.
Auch die endzeitliche Dimension des gemeinsamen Gottesdienstes erscheint wichtig, wenn wir über den göttlichen Befehl nachdenken, sich zum Gottesdienst zu treffen. Wenn wir es biblisch deuten, dann ist der biblische Gottesdienst auch eine Vorschattung der Anbetung in der Ewigkeit, wenn „eine große Volksmenge, die niemand zählen konnte, aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen, … vor dem Thron und vor dem Lamm [steht] und sie rufen mit lauter Stimme und sagen: Das Heil unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm!“ (Offb 7,9-10).
Das bedeutet auch, dass Christen jetzt, wenn sie Gott und sein Evangelium ehren mit Wort und Sakrament in ihrem gemeinsamen Gottesdienst, im Glauben einen Vorgeschmack auf den Gottesdienst des kommenden Zeitalters erhalten (Mt 26,29; Heb 6,5; Offb 19,9). Darüber hinaus soll jeder irdische Sabbat eine Sehnsucht auf den ewigen Sabbat befördern, den nie endenden Tag freudiger Anbetung und herrlicher Gemeinschaft in der völligen Gegenwart Gottes. Philip Doddridge schrieb darüber: „Wir lieben, Herr, unsere irdischen Sabbate, aber noch mehr die bessere Ruhe im Himmel. Damit unsere müden Seelen sich ausstrecken mit brennender Hoffnung und sehnlichem Wunsch.“
Die Mittel der Gnade
Als ich in Edinburgh in Schottland lebte, konnte ich eine alte Ausgabe von Predigten von Thomas Boston von 1775 erwerben. Darin betonte der schottische Pastor: „Den Glauben ohne die rechten Mittel bewahren zu können, ist eine Einbildung. Die Mittel zu gebrauchen, ohne der Verheißung zu glauben, wäre lebloser Formalismus.“ Die Worte von Thomas Boston sind auch und gerade für eine evangelikale Kultur wichtig, die einerseits von privatisierter Spiritualität und andererseits von religiösem Formalismus betroffen ist. Gott rettet und heiligt normalerweise sein Volk mit äußeren, einfachen Heilsmitteln. Die sind die Predigt seines Wortes, die Sakramente und das Gebet. Aber damit verbunden ist der gemeinsame Gottesdienst der Gemeinde, in dem Gottes Volk Christus empfängt und seinen Reichtum durch die von Gott geordneten Mittel. Das war für die Christen von Anfang an so und wurde auch in der Reformation betont.
Die gemeinsame Anbetung ist eine Werkstatt des Heiligen Geistes. Die Mittel der Gnade, die in der rechten Weise durch berufene Diener ausgeteilt werden, sind heilige Werkzeuge, mit denen uns Gott in das Bild seines Sohnes umgestaltet. Diese Mittel hat Gott erwählt, damit sie durch die Kraft des Heiligen Geistes mitwirken zu unserer Errettung. Wer also den Gottesdienst der Gemeinde verlässt, der stellt Gottes Güte und seine göttliche Weisheit in Frage.
Von hoher Priorität
Aus diesen und weitere Gründen kann ich an dieser Stelle nicht schreiben, dass der gemeinsame Gottesdienst nur eine Möglichkeit ist, auf die man auch verzichten könnte. Er ist eine göttliche Notwendigkeit mit heiligen Folgen. Vielleicht hast Du, lieber Leser, Dir bereits gegen das biblische Wort angewöhnt, den gemeinsamen Gottesdienst zu vernachlässigen. Vielleicht nimmst Du fälschlicherweise an, Du könntest Dein christliches Leben auch auf eigene Faust hinkriegen. Erscheinen Dir schon viele Elemente des christlichen Glaubens als nicht mehr so wichtig? Wie weit es auch gekommen ist, es ist an der Zeit, zur heiligen Versammlung zurückzukehren, wie es Gott fordert und durch die er verspricht, das Leben seiner erretteten Kinder zu segnen. Es ist Zeit, dass Du Deinen Glauben wieder durch die auf Christus zentrierten Heilsmittel Gottes aufbauen lässt. Die Gemeinschaft mit der Gemeinde Gottes, die sich versammelt, muss erneuert werden auf dem Weg in die ewige Heimat.
Der Gottesdienst muss wieder unverrückbar in den wöchentlichen Ablauf zurückkehren, weil jeder Christ geistliche Nahrung durch die Mittel der Gnade Gottes braucht. Jeder Wanderer, der auf dem schmalen Weg vom Mangel zur Herrlichkeit unterwegs ist, braucht die liebevolle Gemeinschaft und die Verbindlichkeit einer Gemeinde. Ich wünschte, wir könnten wieder voller Freude, wie der Psalmdichter, sagen (Ps 122,1): „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: «Wir gehen zum Haus des HERRN!»“ „Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend.“ (Ps 84,11).
Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Ligonier Ministries