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ThemenMission und Evangelisation, Nachfolge

Am gedeckten Tisch im Angesicht der Feinde

Gastfreundschaft ist für Christen eine wichtige Lebenseinstellung. Dazu ermahnt sie auch die Bibel und verbindet die gelebte Gastfreundschaft mit der Verheißung der Nähe Gottes. Gastfreundschaft bleibt auch in unserer Zeit wichtig und kann sogar lebensverändernd sein.

Der Tisch war gedeckt mit einfachen schmackhaften Gerichten, gelblichen Stoffservietten und Wasser­gläsern. Einer der Söhne des Pastors, er war ein Kollege an der Universität, an der ich unterrichtete, nahm große Wasserflaschen aus dem Kühlschrank und füllte unsere Gläser. „Es ist zwar kein gefiltertes Wasser, aber dafür ist es kalt, wie ich es mag“. Pastor Ken Smith lachte, als er mich mit einem warmen Händedruck begrüßte und mich freundlich aber kräftig zum Tisch zog. Das war meine erste Erfahrung mit einem Fest in einer christlichen Familie. Zu ihr gehörte die Familie Smith, andere Mitglieder aus der Gemeinde und eben ich. Der Raum summte vom Lachen und dem Singsang von Kinderstimmen. Ich bemerkte, wie lange es her war, dass ich diesen Klang aus freundlichem Lachen und dem Kichern von Kindern erlebt hatte. Während ich als Professorin die Werte der Diversität propagierte, bestand doch mein Umfeld ausschließlich aus weißen, lesbischen Frauen in den Dreißigern, die in Soziologie promovieren wollten. Inzwischen hatten die Kinder auf extra Stühlen Plätze gefunden. Mehrere Schüsseln waren gefüllt mit einem dampfenden Gemüse mit süßsauren Sojabohnen aus Floy Smiths Küche, während Ken alle freundlich aber bestimmt zu Tisch bat. Als endlich alle auf einer bunten Mischung aus verschiedenen Stühlen um den langen Familientisch saßen, war für die Ellbogen kaum noch Platz. Es war ziemlich eng, aber jedenfalls nicht langweilig. Das Gespräch drehte sich um schwierige aktuelle Fragen, bei denen ich regelmäßig die Opposition zu den anderen vertrat, und Bibelversen und biblischen Prinzipien, die manchmal als Antworten eingebracht wurden und dann eine Reihe neuer Fragen aufwarfen. Es schien mir, dass Pastor Ken Smith und die anderen Christen die Bibel benutzten, um mal Gedanken damit zu belegen und sich dann länger damit zu beschäftigen. Wir aßen und redeten und lachten. Und dann sangen wir den Psalm 23.

Plötzlich wurde mir klar: Nicht die Christen, die mich an ihren Tisch geladen haben, sind mir feind. Vielmehr habe ich immer als Feind ihres christlichen Glaubens gelebt.

Alle vier Stimmlagen der Melodie erklangen kräftig und klar, als wir sangen „Der Herr mein Hirte führet mich“. Als wir zu „Den Tisch bereitest du vor mir, selbst vor der Feinde Schar“ kamen, war ich verwirrt, wie es weiterging. Ich fing an, mich am Tisch umzusehen und fühlte mich, als ob ich gedankenlos den falschen Abzweig gegangen war auf einem eigentlich bekannten Weg. Ich war innerlich ganz darauf trainiert, die Rolle des Opfers einzunehmen und mich selbst als Teil einer sexuellen Minderheit zu sehen, die keine Stimme hat. Und als wir sangen, sagte ich innerlich zu mir selbst: „Ja, liebes Opfer, nun bist du hier in der Gegenwart deiner Feinde, diese schrecklichen hasserfüllten Leute, die auf deinen Rechten herumtrampeln.“ Aber weder das, noch, dass die Opferrolle mich täglich bestimmte, konnte mich in diesem Moment, als wir den Psalm 23 sangen, überzeugen. Irgendetwas stimmte nicht. Und dann ging mir, der Professorin für englische Literatur, langsam auf, dass ich den Text ganz falsch verstanden hatte. Nicht ich aß hier im Angesicht meiner Feinde. Ich war der Feind.

Das Abendessen wurde mit einer gemeinsamen Gebetszeit abgeschlossen. Die Gebete ruhig und voller Ehrfurcht. Es gab natürliche Pausen und keine Hast während diese Christen ihr Herz voreinander und vor Gott ausschütteten. Die drängenden und unbeantworteten Fragen, die die Gespräche vorher bestimmt hatten, wurden hier in Gottes Hände gelegt. Sie wurden so weder unter den Teppich gekehrt, noch wurden sie zu einem Anlass von Feindschaft oder Ärger. Nach dem abschließenden „Amen“ sagte jemand „Lasst uns noch Psalm 122 singen!“. Die meisten schienen den Psalm auch auswendig zu können, aber Floy berührte meinen Arm und legte mir ein aufgeschlagenes Buch in die Hände. Und dann erhoben sich die Stimmen erneut mit Mut und Freude und sangen: „Ich war so froh, zu hören ‚Lasst uns zum Hause Gottes gehen!‘, denn unsere Füße werden bald in den Toren Jerusalems stehen. Sei behütet in deinen Palästen, um meiner Brüder willen und um meiner Freunde willen, sage ich ‚Friede sei Dir!‘“ Am Ende des Psalms sagte jemand etwas, was ich damals nicht verstand. Er sagte: „Das ist mein Weg als Fremdling.“

Auch wenn ich den Satz nicht verstand, war doch dieser Abend irgendwie der Anfang meines Wegs als Fremdling. Dass ich der Feind am Tisch war, schien Pastor Ken nicht zu stören. Er wusste doch, dass ich mit Christus nichts anfangen konnte. Dass ich Christen verspottet hatte und Richtlinien an der Universität verfasst hatte, die durchaus Hass gegen Gott ausdrückten, dass ich Kurse gegeben hatte, die in eine Weltsicht führten, die in der Hölle endet, und gegen andere gesündigt hatte, war für diesen Pastor und die Gemeinde, der er diente, offenbar nicht die Hauptsache. Die Hauptsache war ihnen offenbar Jesus Christus, der gekreuzigt und auferstanden war. Das christliche Leben geht weiter, wie viele Feinde auch immer mit am Tisch sitzen, weil die Feinde nicht bestimmen können, was die Hauptsache des christlichen Lebens ist: „Ich möchte nichts anderes mehr kennen als Christus, und will die mächtige Kraft, die ihn aus den Toten auferweckte, an meinem eigenen Leib erfahren. Ich möchte lernen, was es heißt, mit ihm zu leiden und in ihm zu sterben“ (Phil 3,10).

Dieses Fest und das ausgedehnte Familienessen im Haus der Familie Smith waren für mich nicht einmalig. Es wurde ein regelmäßiger Punkt in meinem Leben. Je öfter diese Christen mich, ihre Feindin, bei ihren Feiern aufnahmen, desto mehr machte mich das hungrig nach dem, was sie hatten. So begann ich die Bibel zu lesen, nicht mehr mit ständiger Kritik und Spott und Verachtung. Sie hielt Einzug in mein inneres Gespräch und meine Träume, so dass die Seiten der Bibel und die Seiten meines Herzens eine Verbindung eingingen. Sie begannen mich zu reinigen, zu prägen, mich zu ermahnen und zu trösten. Ich erinnere mich an den Tag, als ich erlebte, dass die Bibel mir größer wurde als meine Sünde und Selbstverliebtheit. An einem anderen Tag erkannte ich, dass ich meine Sünde hassen kann, ohne mich selbst hassen zu müssen. Aber ständig im Hintergrund dieser inneren Prozesse war das Feiern im Haus der Familie Smith. Was dann folgte, war die wunderbare Reinigung, die die Umkehr mit sich brachte. Ich konnte mein Leben ganz Jesus anvertrauen und diesen Bund auch mit meiner Mitgliedschaft in einer Gemeinde festmachen. Ich war nun nicht länger ein Feind von Jesus. Ich war seine Nachfolgerin geworden, die sich ihm hingab.

Heute kann ich unseren eigenen Familienesstisch decken. Es ist mir ein so großes Geschenk, dass ich heiraten durfte, meinen Pastor, Kent Butterfield. Und jetzt wachsen unsere Kinder bei uns auf und ich kann sie zu Hause unterrichten. Unser großer Esstisch ist schon in der 5. Generation in der Familie meines Mannes. Er füllt unser Esszimmer aus, und Jesus schickt uns Brüder und Schwestern im Glauben und andere Nächste, die an ihm Platz finden. Manche kommen mit Ärger, andere mit Zorn. Manche bringen ihre Einsamkeit mit, andere ihre Freude. Wie die Smiths wollen auch die Butterfields niemanden rauswerfen. So sind wir zusammen im Feiern, mit Singen und Beten. Unter uns sind Nachbarn und ihre Kinder oder die Freunde unserer Kinder. Wir diskutieren drängende Fragen des Alltags und wir leben mit der Bibel, die unseren Weg erhellen kann. Lange sitzen wir abends an diesem Tisch.

Wir sollten es nicht als ungewöhnliche oder unvorhersehbare Ereignisse ansehen, dass wir in einer Zeit, in der uns Maßnahmen der Regierung einen Gottesdienst in der Gemeinde unmöglich machen, den Gottesdienst am Tisch mit Gottes Wort, Psalmen und in Gemeinschaft mit anderen feiern. Das Gleiche gilt für die Unterrichtung der Kinder zu Hause. Gott hat so etwas vorgesehen. Unser Glaube soll blühen in der Gegenwart unserer Feinde. Psalm 110,2 sagt: „Den Stab deiner Macht wird der HERR aus Zion ausstrecken. Herrsche inmitten deiner Feinde!“ Es ist also Gottes Wille, dass wir selbst in der Gegenwart unserer Feinde weiter ihn feiern. Zion und damit auch die Gemeinde soll leuchten in der Mitte ihrer Feinde. Johannes Calvin hat das einmal so ausgedrückt:

Ohne Zweifel bringen die Umstände in dieser Welt viele Schwierigkeiten mit sich, aber Gott wollte es so, dass die Herrschaft Christi von vielen Feinden umgeben ist. So hat er es eingerichtet, dass wir in einer Art ständigem Kriegszustand leben. Das aber übt uns in Geduld und Sanftmut. Und weil wir uns der Hilfe Gottes sicher sein können, dürfen wir daran festhalten, dass selbst der Zorn der ganzen Welt wie nichts ist.

Wir feiern in der Gegenwart unserer Feinde nicht, weil es notgedrungen so sein muss, sondern weil Gott es so eingerichtet hat und das nicht als Strafe, sondern als ein Segen. Paulus beschreibt einmal die Waffen, die uns für diesen Kampf gegeben sind, in dem wir stehen (2Kor 10,4-5): „Die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig für Gott zur Zerstörung von Festungen; so zerstören wir Vernünfteleien und jede Höhe, die sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt, und nehmen jeden Gedanken gefangen unter den Gehorsam Christi.“

Diese Waffen können in unserem Kampf all die schönen falschen Ideen mit einer Mischung aus einem Topf Suppe und Wassermelone, Psalmen und einer warmen Tasse Tee, Gebet und Buße niederreißen. Wie können wir solche Feste vorbereiten? Du musst wissen, was wirklich wahr ist. Darum lass das irrtumslose und lebendige Wort Gottes bestimmen über dein Herz, deine Vernunft und deinen Körper. Ehre, was wahr ist. Gib Gott die wahre Anbetung, die er verlangt. Dazu gehört die Bereitschaft, an den Leiden für Christus teilzuhaben. Kehr täglich von falschen Wegen um. Bleibe ein zuverlässiges Mitglied einer treuen Gemeinde. Wenn du in Christus bist, dann sind deine Feinde doch die Feinde von Christus und das bedeutet, dass du nichts zu fürchten hast.

Von der Autorin Rosaria Butterfield erscheint in Kürze ein Buch in deutscher Übersetzung: Offene Türen öffnen Herzen: Radikal einfache Gastfreundschaft in einer nachchristlichen Welt. Dillenburg CVG, 2021. 336 S. 17,90 €.

Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Ligonier Ministries