Gerhard Meier ist durch seine wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig bibeltreue Auslegung bekannt. In diesem Buch, welches nun bereits in der 6. Auflage erschienen ist, befasst er sich intensiv mit den Grundlagen und Voraussetzungen für eine richtige Auslegung der Heiligen Schrift – der „Biblischen Hermeneutik“.
Die Hermeneutik definiert er als das richtige Auffassen dessen was man auslegen möchte. Für ihn ist die Bibel kein Buch wie jedes andere von Mensch zu Mensch geschriebene. Da durch die Bibel Gottes Geist zu den Menschen spricht, können wir nicht einfach die hermeneutischen Grundlagen nutzen, welche wir zum Beispiel verwenden um Plato richtig zu verstehen. So benötigt die Bibel in ihrer Einzigartigkeit auch eine ganz spezielle Hermeneutik. Je spezieller diese Hermeneutik ist, desto ertragreicher wird die Auslegung. Das Spezielle sieht er u.a. darin, dass ein prinzipieller Zweifel bei der Bibel fehl am Platz ist und gleichzeitig durch den Heiligen Geist eine Beziehung zwischen Gott und dem Exegeten entsteht. Jeder Mensch bringt Voraussetzungen mit, durch die er versucht die Bibel zu verstehen. „Doch gerade unsere Voraussetzungen will die Bibel in Frage stellen, korrigieren und teilweise zerstören“ (:15). So kommt Maier zu dem Grundsatz eines induktiven Verfahrens der Hermeneutik, das alle seine Erkenntnisse aus der Schrift selbst gewinnt. Diese Theologische Hermeneutik ist aus seiner Sicht eine Wissenschaft mit den Besonderheiten: der Offenbarungsgebundenheit und des Glaubensbezuges. Trotzdem sieht er nicht jedes Lesen und Verstehen der Bibel vom Glauben abhängig, genauso wie trotz gläubiger und geistgeleiteter Auslegung Irrtümer nicht ausgeschlossen sind. Eine gute Auslegung lebt vom Austausch und der brüderlichen Korrektur.
Nachdem er die heutige Exegese durch das historische Verständnis seit der Aufklärung als Verengung bezeichnet, stellt er diesem den mehrfachen Schriftsinn der Christenheit vor der Aufklärung entgegen. Insgesamt macht er das kognitive, dynamische und ethische Verstehen als Verständnismöglichkeiten aus.
Gerhard Maier. Biblische Hermeneutik. Witten: SCM R.Brockhaus 2009 (6. Aufl.) 403 S. Paperback: 32,9 € ISBN 978-4-17-293555-
Ein weiterer wesentlicher Teil ist die Beschäftigung mit der Inspiration der Schrift. Dabei geht er auf verschiedene Modelle ein, wobei er besonders die Kritik an der Verbalinspiration untersucht. Die Schrift betrachtet er als „vollkommen verläßlich und fehlerlos“. Schwierigkeiten können hingegen auftreten wenn sich der Ausleger „mit der Offenbarung auf dieselbe Stufe stellen will“ (:125). Im achten Kapitel geht er auf den Kanon in seiner Entstehung, Geschichte und Abgrenzung ein. Die 200-jährige Suche nach einem Kanon im Kanon bezeichnet er als vergeblich. Für die Autorität und Einheit der Schrift zeigt er primär Begründungen aus der Offenbarung selbst auf (den sogenannten Schriftbeweis). Die Einheit der Schrift sieht er auch durch die heilsgeschichtliche Auslegung bestätigt. Diese Art der Exegese bietet einen dreifachen Vorteil: (1) wird sie am Ehesten der geschichtlichen Struktur der Offenbarung gerecht, (2) nimmt sie die Fülle der Offenbarung in die Geschichte hinein und (3) wird dadurch die Einheit der Offenbarung am Besten zum Ausdruck gebracht.
Die Suche nach der „Mitte der Schrift“ lehnt Maier nicht ab, jedoch darf sie nicht zur Trennung der Einheit der Bibel führen. Das Verhältnis von Schrift und Geschichte ist für ihn wichtig, weil Gott selbst sich in „seine Geschichte hinein offenbart“ (:180). Eine Grundfrage die sich immer wieder durch das Buch zieht, ist die „wie sich die (historische) Kritik zur Offenbarung überhaupt verhält.“ (:221). An der historischen Bibelexegese übt er sehr starke Kritik und bezeichnet sie als eine Bewegung, welche „die Geschichte am meisten entwertet“ (:236) hat und die Offenbarung verfehlt. Auf dieses Thema geht er sehr intensiv ein.
Auf der Suche nach einer möglichen Methode die Offenbarung zu verstehen kommt er als erstes zur sogenannten pneumatischen Exegese, die er intensiv in ihrer Wirkungsgeschichte betrachtet. Als „dringendste hermeneutische Aufgabe“ sieht er die Notwendigkeit der „Entwicklung einer biblisch-historischen Auslegung“ (:332). Früher schrieb er noch von der historisch-biblischen Auslegung, doch hat er jetzt die beiden Begriffe umgedreht um eine bessere Abgrenzung zur historisch-kritischen Auslegung und die Vorrangstellung der biblischen zu erreichen. Dieser Auslegung schreibt er „grundsätzlich keine höhere Qualität“ zu als der Auslegung die „geistgeleitet und im Wort gegründet“ (:334) ist. Für ihn verbinden „Gebet, Austausch, Gespräch, Korrektur und Praxis“ (:334f) den wissenschaftlichen Ausleger mit der Gemeindewirklichkeit. So kommt er zum Schluss von der „biblisch-historischen Auslegung“ zur „Hermeneutik der Begegnung“, denn „Begegnung ist der Grundcharakter der Offenbarung“ (:358). Die für ihn entscheidende Begegnung dabei ist die Begegnung mit dem Herrn Jesus selbst.
Im Anschluss bietet das Buch nach einem kurzen Leitfaden zur Handhabung der biblisch-historischen Auslegung ein umfangreiches Literaturverzeichnis, sowie ein Namensregister. In Auswahl wurde ein Sach- und Bibelstellenregister beigefügt. Durch diese Anhänge kann eine weitergehende wissenschaftliche Arbeit deutlich erleichtert werden.
Obwohl Maier in seinem Buch immer wieder die Gemeinde und deren Auslegung hervorhebt, ist dieses Buch kaum für die Allgemeinheit in der Gemeinde geeignet, sondern setzt eine gewisse wissenschaftliche Vorbildung voraus. Das wird an vielen Zitaten (englisch, griechisch, lateinisch, holländisch) deutlich, die nicht übersetzt werden; oder bei theologischen Themen deren Wissen in diesem Buch vorausgesetzt wird. Insgesamt ist es sehr inhaltsreich und wie viele andere Bücher von ihm reich an Zitaten, wobei sogar C.H. Spurgeon zu Wort kommt. Obwohl er zum Ende etlicher Abschnitte eine kurze Zusammenfassung gibt, wird diese nicht extra hervorgehoben.
Dieses Buch ist allen zu empfehlen denen eine wissenschaftliche und gleichzeitig bibeltreue Auslegung wichtig ist. Es bietet insgesamt eine hilfreiche Grundlage zur eigenen Auslegung und gleichzeitig ein Verständnis und eine Erkenntnis anderer hermeneutischen Zugänge zur Bibel. Durch die intensive Auseinandersetzung mit vielen anderen Ansichten bietet es außerdem eine gute Grundlage für die Apologetik der Bibel.