Kürzlich hörte ich, das „Verlangen” der Frau nach ihrem Mann (1Mo 3,16), sei ein Verlangen danach beherrscht zu werden. Kann das stimmen? Leider habe ich bisher in keiner Auslegung zu dieser Stelle eine gute Erklärung gefunden, was mit dem Verlangen gemeint sein könnte.
Antwort:
Tatsächlich kommt das der deutschen Übersetzung „Verlangen” zugrundeliegende hebräische Wort (teschuqah) nur dreimal vor und das genaue Verständnis hängt davon ab, ob man es der hebräischen Wurzel schuq zuordnen muss, woraus sich am ehesten die Übersetzung „Trieb” oder „Leidenschaft” ergibt (so etwa Delitzsch). Diese Übersetzung scheint auf den ersten Blick durch die Verwendung in Hohelied 7,11 gestützt zu werden. Die meisten modernen Kommentare deuten dann auch das Verlangen als sexuell triebhaft. Die Parallele im Hohelied ist aber so eindeutig nicht, denn dort ist aus dem Mund der Frau vom Verlangen des Mannes nach ihr die Rede. Außerdem wird das Verlangen und die Sehnsucht nacheinander im Hohelied sehr unterschiedlich ausgedrückt. Weiter müsste man auch fragen, worin in 1Mo 3,16 dann das Strafwort bestehen soll, da es das sexuelle Verlangen vor dem Sündenfall auch gab. Sexuelles Verlangen hat in der Bibel kein einzelnes Wort für sich, sondern kann mit verschiedenen Wörtern ausgedrückt werden, die aber auch anderes Verlangen meinen können. Diese sexuell-triebhafte Deutung ist also mindestens einseitig.
Die Übersetzer der Septuaginta haben an den drei Stellen weniger den Affekt gesehen als eher die aktive Hinwendung. Die Frau wendet sich an ihren Mann (1Mo 3,16), obwohl er über sie herrscht, die Sünde wendet sich wie eine Person an Kain (4,7) und der Bräutigam wendet sich seiner Braut zu (Hoh 7,11). Das Motiv der Hinwendung entfällt in den meisten neueren Übersetzungen.
Das Verlangen der Frau sei ein Verlangen danach, unabhängig vom Mann leben zu können und ihn zu dominieren.
Susan Foh argumentiert im Westminster Theological Journal (1974/75: 376-83) stärker von 1Mo 4,7 her, weil die beiden Stellen nah beieinander liegen und außerdem völlig parallel formuliert sind. Das Verlangen der Frau sei ein Verlangen danach ist, unabhängig vom Mann leben zu können und ihn zu dominieren. Das ist am ehesten mit dem Verlangen der Sünde in 4,7 gemeint, dass sie wie ein Raubtier auf dem Sprung ist und die Gelegenheit sucht, die Herrschaft über das Handeln Kains zu übernehmen. Dagegen soll Kain über die Sünde herrschen. Das Herrschen des Mannes über die Frau stünde dann im Gegensatz zu ihrem Bestreben nach Unabhängigkeit und Dominanz. In die Ehe als inniger Verbindung von Mann und Frau, in der der Mann von Anfang an die Führung haben sollte, kommt damit ein Machtkampf. Das wäre auch eine echte Strafe. Der Versuch mit dem Essen der verbotenen Frucht Unabhängigkeit von Gott zu erlangen, wirkt im Streben gegen die Führung des Mannes fort, und aus der liebevoll, helfenden und unterordnenden Haltung wird Auflehnung und Machtkampf, denn Gott verheißt der Frau die Aussichtslosigkeit ihres Strebens.
Eine etwas andere Erklärung, versteht das hebräische Wort im Sinne eines zum Mann hingezogen und auf ihn bezogen sein. Samuel Külling etwa meinte: „Es geht hier in erster Linie um das weibliche Anlehnungsbedürfnis, die Abhängigkeit der Frau vom Mann, die positiv die Anpassung an den Mann, negativ die Hörigkeit, das ihm Verfallensein, zur Folge hat”. Diese Position argumentiert von der Zuordnung der Frau als Hilfe für den Mann (1Mo 2,18) und aus der Erfahrung, dass selbst die meisten Frauen, die „ihren Mann stehen können”, den Wunsch nach einer Verbindung mit einem Mann haben. In Wiederholung antiker Quellen hatte auch Luther gemeint, dass eigentlich kein vernünftig handelnder Mensch eine Ehe eingehen würde und so Gott gegen die Vernunft dafür gesorgt hat, dass Mann und Frau zueinander finden. Statt allein zu bleiben und sich den „Stress” einer Ehe zu ersparen, sind es meist stärker die Frauen, die von einer harmonisch, liebevollen Beziehung träumen und sich an den Mann binden wollen. Die Strafe für die Frau liegt dann darin, dass sie auf der Beziehungsebene, die für sie besonders wichtig ist, Herrschaft erlebt.
Die in der Frage angedeutete Auslegung geht in die falsche Richtung und ist durch die hebräische Formulierung nicht gedeckt.
Diese beiden Möglichkeiten zum Verständnis liegen nicht weit auseinander und scheinen mir die Sache gut zu treffen. Die in der Frage angedeutete Auslegung geht aber in die falsche Richtung und ist durch die hebräische Formulierung nicht gedeckt, die einen Gegensatz zwischen den Satzteilen nahelegt, was durch den Vergleich mit 1Mo 4,7 bestätigt wird.