ThemenFrage & Antwort

Warum durfte Samuel Priesterdienste tun?

Warum durfte Samuel Priesterdienste tun, obwohl er nur ein Levit war und nicht aus der Aaron-Linie stammte? Die Leviten durften sich doch bei Todesstrafe nicht am Tempeldienst vergreifen.

Antwort:

Mit der folgenden Antwort will ich die Frage nicht abschließend behandeln, denn nicht nur diese, sondern noch eine Reihe von weiteren Stellen werfen Fragen zum Thema „Priesterdienst” auf. Brevard S. Childs hat wohl Recht, wenn in seiner AT-Theologie schreibt: „Wenige Probleme im Alten Testament sind derart komplex wie das der Priesterschaft”. Das hatte etwa Julius Wellhausen (1844-1918) dazu geführt, ein völlig neues Bild der Geschichte Israels und der Entstehung des AT zu zeichnen, bei der der nachexilischen Priestergeneration eine Schlüsselrolle in der angeblichen Umarbeitung der Texte zugewiesen wurde. Das wirkt trotz der Kritik daran bis heute nach. Aber man muss dem nicht folgen.

2Mo 28 beschreibt die Erwählung von Aaron und seinen Söhnen zum Priesteramt. Das soll eine ewige Ordnung sein (2Mo 29,9; 40,15). 3Mo 8-10 zeigt ihre Absonderung und Einsetzung. Warum Gott das tut, obwohl er doch ein Volk von Priestern will (2Mo 19,6)? Der Weg zum Volk von Priestern ist offenbar länger und erfüllt sich erst für die an Jesus Glaubenden. Aber weiter: der Dienst der Priester und der Leviten erscheint deutlich voneinander geschieden. Die Nachkommen Aarons hatten den eigentlichen Priesterdienst und die Leviten sollten Hilfsdienste tun. So versteht man jedenfalls 4Mo 3,9+10: Und du sollst die Leviten dem Aaron und seinen Söhnen geben; zu eigen sind sie ihm gegeben von den Söhnen Israel. Und Aaron und seine Söhne sollst du beauftragen, daß sie ihr Priesteramt versehen. Der Fremde aber, der sich ihr nähert, soll getötet werden. Wir sollten aber hier schon bedenken, dass Aaron selber von Levi abstammte (4Mo 18,2; 1Chr 5,27-29). Deswegen sind Ausdrücke wie „levitischer Priester” (5Mo 17,9+18) oder Moses Segen über den Stamm Levi (5Mo 33,8-11) kein Widerspruch. Aber an dem Übergriff der Rotte Korach wird doch die besondere Stellung des Priestergeschlechtes innerhalb der Leviten deutlich (4Mo 16,8-10): Und Mose sprach zu Korach: Hört doch, ihr Söhne Levis! Ist es euch zu wenig, daß der Gott Israels euch aus der Gemeinde Israel ausgesondert hat, um euch zu sich nahen zu lassen, damit ihr den Dienst an der Wohnung des HERRN ausübt und vor der Gemeinde steht, um ihr zu dienen, daß er dich und alle deine Brüder, die Söhne Levis, mit dir hat herzunahen lassen ? Und ihr trachtet auch noch nach dem Priesteramt! Die Aufteilung des Dienstes in der Stiftshütte beschreibt 4Mo 18,1-7: die Leviten sind an allen Arbeiten beteiligt, außer am Altar und hinter dem Vorhang des Allerheiligsten. Es ist nicht sinnvoll davon auszugehen, dass mit dem Altar der Brandopferaltar im Vorhof gemeint ist, sondern der Räucheraltar im Heiligtum. Der Zugang zum Opferaltar bestand ja für alle rituell reinen Israeliten. Sonst hätte man bei bestimmten Opfern nicht seine Hand auf den Kopf des Tieres legen und die Schlachtung selbst vornehmen können (zB. 3Mo 1,1-4).

Verschiedene Opfer, etwa aufgrund von Gelübden, konnten auch außerhalb der Stiftshütte dargebracht werden.

Weitere Opfer, etwa aufgrund von Gelübden, konnten auch außerhalb der Stiftshütte gebracht werden. Dies war vor ihrer Einrichtung normal gewesen und auch danach nicht abgeschafft. Die Ordnung zum Passafest ist ein Zeugnis davon (2Mo 12,21). 5Mo 12 legt fest, dass es einmal im verheißenen Land einen Zentralort und ein Heiligtum geben soll, wo alle Opfer (auch die Passaschlachtung 5Mo 16,5f) dargebracht werden, aber Vers 8 deutet schon an, dass dies auch zu Zeiten der intakten Stiftshütte noch nicht so war: Ihr dürft es nicht mehr so machen nach allem, wie wir es heute hier tun, daß jeder all das tut, was in seinen Augen recht ist. Soweit ich sehe, war also schon vom Gesetz her die Situation bis zum Bau des Tempels eine andere als danach. Vorher durften auch an anderen Orten Jahwe Opfer gebracht werden und diese Opfer konnte jeder Israelit bringen. Die besonderen von Gott vorgeschriebenen Opfer aber sollten nur von den Priestern im Heiligtum dargebracht werden.

Aber der Pentateuch ist an keiner Stelle idealistisch, sondern rechnet mit dem Ungehorsam gegen die vorgeschriebenen Gesetze. Bei seinem Abschied sagt Mose zu den Leviten: Nehmt dieses Buch des Gesetzes und legt es neben die Lade des Bundes des HERRN, eures Gottes, daß es dort zum Zeugen gegen dich wird! Denn ich kenne deine Widerspenstigkeit und deine Halsstarrigkeit wohl. Siehe heute schon, während ich noch bei euch lebe, seid ihr widerspenstig gegen den HERRN gewesen; wieviel mehr nach meinem Tod! (5Mo 31,26f). Vor diesem Hintergrund sollte man nun die Geschichtsbücher lesen.

Dass Samuel an verschiedenen Orten (Mizpa; Rama; Gilgal) Opfer brachte, war vor dem Bau des Tempels nicht gegen das Gesetz.

Aus 1Chr 6,12 geht hervor, dass Samuel Levit war und das Versprechen ihn zum Tempeldienst zu weihen, entsprach damit dem Gesetz. Dass Samuel an verschiedenen Orten (Mizpa; Rama; Gilgal) Opfer brachte, war vor dem Bau des Tempels nicht gegen das Gesetz. Gideon war auch kein Priester und Gott befahl ihm in seiner Heimatstadt ein Opfer zu bringen (Ri 6,25f). Manoah brachte ein Opfer (Ri 13), ebenso David (2Sam 6) und sogar Salomo (1Kön 3), obwohl sie die eigentliche Handlung vielleicht von den Priestern vollziehen ließen. Dass aber der Levit Micha und einige Nachkommen von Moses Sohn Gerschom ein eigenes Heiligtum mit einem geschnitzten Gottesbild aufbauen, ist gegen Gottes Willen (Ri 18). Auch wurde Saul nicht deswegen verworfen, weil es ihm grundsätzlich nicht erlaubt gewesen wäre zu opfern, sondern weil er mit dem Opfer nicht auf Samuel wartete und damit seine falschen Motive und sein Unglaube offenbar wurden. Bis zum Bau des Tempels scheint es eine größere Freiheit gegeben zu haben sowohl bei der Wahl der Opferstätten und auch bei den Personen, die Opfer bringen konnten. Danach aber werden die Opferhöhen zu einer Konkurrenz zum Dienst an Jahwe und zu einer Brutstätte des Götzendienstes. Damit wird erst unter Hiskia und Josia (2Kön 23) weitgehend aufgeräumt und da fällt auch auf, dass man seit der Richterzeit kein Passahfest mehr gefeiert hatte, obwohl das für jedes Jahr geboten war.

Man sollte also beim Verständnis der schwierigen Stellen (zB. 2Sam 8,18, wo vielleicht an ein Ratgeberamt gedacht ist; vgl 1Chr 18,17) über den Priester- und Levitendienst zwei Dinge bedenken. Erstens gibt es einen Unterschied zwischen der Zeit vor dem Bau des Tempels und danach und zweitens gab es allerorten viel Ungehorsam gegen die Gebote Gottes, was uns unverblümt berichtet wird. Bei Samuel aber müssen wir m.E. nicht von Ungehorsam reden.