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In allem uns gleich – doch ohne Sünde

Es ist für sündige Menschen nicht leicht, zu verstehen, was es bedeutet, dass Jesus ohne Sünde war. Er war es sich im Himmel in der Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist. Er war es aber auch im Leben auf der Erde. Ja, Jesus hat keine Gebot Gottes gebrochen. Aber das ist im Neuen Testament nicht der wichtigste Punkt. Viel wichtiger war, dass Jesus wirklich Mensch wurde und auch wirklich als Mensch auf der Erde lebt. Wichtiger war, dass er im Glauben an Gott, seinen Vater lebte und nur tat, was der Vater wollte. Jesus zeigt uns wahres Menschsein, wie Gott es für uns will.

Wir feiern das Wunder von Weihnachten. Gott wurde Mensch: „Er, das Wort, wurde Mensch und lebte unter uns. Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit, wie sie nur der einzigartige Sohn vom Vater bekommen hat.“ (Joh 1,14). Woran denkt Johannes, wenn er sagt, dass er und die anderen Apostel die Herrlichkeit von Jesus gesehen haben? Es war eine Herrlichkeit, die sich durch Gnade und durch Wahrheit gezeigt hat. Das stimmt mit den anderen Evangelien überein. Die Herrlichkeit zeigte sich nicht in Macht oder Reichtum. Jesus kam doch als Kind einer armen Familie, unter äußerem Druck und am Ende in einem Stall zur Welt. Aber in der Krippe lag trotzdem kein normales Kind. Denn dieses Kind war schon ewig bei Gott gewesen. Es hat und hatte immer eine tiefe Beziehung zu Gott, dem ewigen Vater. Allein dieser kleine Mensch ist in der Lage, uns Gottes Wesen und Willen bekannt zu machen. Wir können Gott nur richtig kennen, wenn Jesus ihn uns bekannt macht (18). Man kann Ahnungen von Gott haben. Man kann viel aus den Offenbarungen Gottes ableiten. Aber es kennt niemand den Vater wirklich als alleine der Sohn – und wem es der Sohn zeigt (Mt 11,27). Erst seit Weihnachten, Karfreitag und Ostern können wir Gott wirklich kennen. Das war ohne Jesus Christus nicht möglich. Auch hier gilt, was Jesus später sagt: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich!“ (Joh 14,6).

Trotz der Verheißung, dass der „unbekannte“ Gott nicht länger unbekannt bleibt, nahmen die Menschen Jesus nicht an. Sie lehnten ihn ab und verfolgten ihn teilweise. Johannes unterstreicht das Problem (1,9-11):

Das war das wahrhaftige Licht, das, in die Welt kommend, jeden Menschen erleuchtet. Er war in der Welt, und die Welt wurde durch ihn, und die Welt kannte ihn nicht. Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an.

Jesus kommt als leuchtendes Licht. Das zeigt sich vor allem an der Wahrheit, die er vermittelt. Was er sagt und tut, das ist unbestreitbar und unwiderlegbar. Gerade die Auseinandersetzungen mit den Pharisäern zeigen niemals eine Art von Unentschieden. Es ist immer klar, wer die Wahrheit spricht. Das ist so ganz anders, als wenn wir heute zwei Seiten in Verhandlungen miteinander sehen. Man wird nicht selten hin und her gerissen, wessen Darstellung der Wahrheit entspricht. Oder der Eindruck drängt sich auf, dass gleich beide Seiten lügen. Jesus hat mit seinen Zeichen und Wundern die Wahrheit unterstrichen, aber nie Menschen beeindrucken wollen, um sie auf einen falschen Weg zu locken. Das zweite Element der Herrlichkeit, wie sie Jesus als Mensch vermittelt hat, ist die Gnade. Er kann Sünden vergeben. Er ruft zur Umkehr und macht deutlich, dass es echte Annahme bei Gott gibt für diejenigen, die Christus annehmen. Da ist kein „eventuell“ oder „vielleicht“. Da steht die Zusage Gottes fest, weil sie mit Jesus aus dem Mund Gottes kommt. So klar und deutlich wie die Gesetze Gottes, so klar und deutlich leuchtet jetzt die Gnade (1,17): „Durch Mose wurde das Gesetz gegeben, aber durch Jesus Christus ist Gnade und Wahrheit Wirklichkeit für uns geworden.“

Das Neue Testament legt an mehreren Stellen Wert darauf, dass Jesus Christus ohne Sünde blieb. Gnade und Wahrheit waren nicht mit irgendwelchen Sünden verbunden. Das muss betont werden, weil es das bei keinem Menschen je gab und gibt. Obwohl die Sündlosigkeit im Zusammenhang mit dem Kommen von Jesus in die Welt wichtig ist, wird sie nicht als Erkennungsmerkmal genannt (Hebräer 7,26): „Denn einen solchen Hohenpriester mussten wir auch haben, der heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern geschieden und höher ist als der Himmel.“ Aber Johannes sagt nicht: „Wir sahen die Herrlichkeit eines sündlosen Menschen“. Jesus sollte ein echter Mensch werden, nicht anders als wir, aber ohne Sünde bleiben (Hebräer 4,15): „Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.“ Weil er unsere Sünden auf sich nehmen wollte, musste er angreifbar werden für die Sünde und doch ohne Sünde bleiben. Es lohnt, einen Blick auf einzelne Aspekte zu werfen.

1. Auffällig unauffällig

Es sticht ins Auge, dass die Sündlosigkeit von Jesus niemandem auffällt. Die Leute denken sogar, dass Jesus gegen Gottes Gebote verstoßen haben muss. Hat er nicht öfter am Sabbat geheilt, obwohl auch Ärzte nicht arbeiten durften? Und hat er nicht sogar die schlimmste Sünde überhaupt begangen und mindestens angedeutet, dass er Gott ist? War das nicht Gotteslästerung? Als es zur Auswahl kam, ob man lieber Barabbas oder Jesus freibekommen wollte, da fanden die Leute, der Verbrecher sei irgendwie besser als Christus. Petrus stellt später allerdings messerscharf fest: „Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und gebeten, dass euch ein Mörder geschenkt würde“ (Apg 3,14). Wir können festhalten: Sündlosigkeit ist offenbar nicht erkennbar. Aber wir müssten wohl besser sagen: Sündlosigkeit ist für sündige Menschen nicht erkennbar. Wir sind derart in unserem Denken, Fühlen, Wollen und Handeln sündig, dass wir keinen Maßstab besitzen, um jemanden ohne Sünde zu erkennen, selbst wenn er mit uns lebte. Wenn jemand scheinbar ohne Fehl und Tadel ist, wissen wir, dass das nicht stimmen kann. Den meisten Menschen sind solche Leute auch nicht angenehm. Sie sind lieber mit Menschen zusammen, deren „kleine“ Sünden sie kennen. Das scheint uns sympathischer zu machen als Fehlerlosigkeit, die doch nur geheuchelt sein kann.

» Für sündige Menschen ist die Sündlosigkeit von Jesus nicht zu erkennen. Wenn sie wählen, ziehen sie Lügner, Wichtigtuer und Verbrecher dem Heiligen vor.

Was ist dann eigentlich Sündlosigkeit? An Adam und Eva, die als erste Menschen die erste Sünde begingen, erkennen wir den eigentlichen Kern von Sünde. Die Tat, die den Tod zur Folge hatte, war nämlich mehr als die Übertretung des Gebots „Von dem Baum der Erkenntnis sollt ihr nicht essen!“ Gelockt wurden die beiden mit dem Versprechen, dass sie wie Gott sein könnten, wenn sie die Frucht essen. Wenn sie erst wie Gott wären, dann bräuchten sie Gott nicht mehr. Niemand muss ihnen dann noch sagen, was gut und was böse ist. Sie überwinden ihre Abhängigkeit als Geschöpfe Gottes. Damit wir nicht übersehen, dass es wirklich darum ging, bestätigt Gott den Zusammenhang hinterher: „Und Gott, der HERR, sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen Gutes und Böses“ (1Mo 3,22). Dass der Mensch aus der Abhängigkeit von Gott heraustreten will, das macht ihn zum Feind Gottes (Röm 5,10). Er nimmt Gottes Gaben und tut so, als bräuchte er Gott nicht. Er dankt nicht oder behauptet sogar, dass es keinen Gott gibt, während er keinen Atemzug tun kann ohne Gott. Ohne Sünde zu sein, bedeutet also im Kern mehr, als keines der Gebote Gottes zu übertreten. Es heißt, Gottes Gottheit anzuerkennen und das eigene Menschsein in völliger Abhängigkeit gern zu bejahen.

Dass Jesus das getan hat, konnte aber nur Gott selbst beurteilen. Dazu muss man nämlich ins Herz der Person schauen. Es hätte nicht funktioniert, Jesus daran zu messen, ob er alle Gebote eingehalten hat. Das hat er ohne Zweifel getan, aber es ist kein Maßstab. Mit diesem Maßstab würde sich der sündige Mensch nämlich über Gott stellen können, indem er Richter über Jesus wird. Aber Gott allein beurteilt Jesus und er hat zweimal bestätigt: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ Aber erst, als Gott Jesus von den Toten auferweckt hat und Jesus zurück in den Himmel ging, ist das sicher bestätigt. Wir können von uns aus über Sündlosigkeit nicht urteilen, aber der Geist Gottes will, dass wir sie erkennen, indem wir Gottes Urteil über Jesus wahrnehmen und anerkennen (Joh 16, 8-11).

2. Gelebte Sündlosigkeit

Dass Jesus im Himmel sündlos war, ist selbstverständlich. Er lebte in völliger Harmonie mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Ein Himmel, in dem die Götter miteinander im Streit liegen, wie es in der Umwelt Israels normal war, ist für die Bibel unvorstellbar. Die Herausforderung für Jesus und damit auch die Versuchung zur Sünde entstand mit seinem Weg auf die Erde. Paulus betont in Philipper 2, dass Jesus wahrer Gott ist, aber sich nicht daran klammerte. Er war Gott, aber er hielt es nicht fest wie etwas, was er unrechtmäßig erworben hat. Die Gottheit war sein Wesen und die Ehre dafür stand ihm zu. Er wurde jedoch auf eine Art und Weise Mensch, dass sein göttliches Wesen nicht mehr ohne Weiteres erkennbar war. Man hielt ihn für einen Menschen und damit für einen Sünder wie alle anderen auch (Phil 2,5-8 NEÜ):

In euch soll die Einstellung regieren, die auch in Christus Jesus war. Er war in Gottes Gestalt, / nutzte es aber nicht aus, Gott gleich zu sein, sondern beraubte sich selbst / und wurde einem Sklaven gleich. / Er wurde Mensch / und alle sahen ihn auch so. Er erniedrigte sich selbst / und gehorchte Gott bis zum Tod – zum Verbrechertod am Kreuz.

Der Kern der Versuchung Jesu durch den Teufel (Mt 4,1-11) ist dann, dass der möchte, dass Jesus seine Gottheit beweist und vorzeigt. Er sollte Steine in Brot verwandeln, was Jesus als Gottessohn und wahrer Mensch konnte. Er sollte sich von Engeln tragen lassen, was die ohne Zweifel gern für ihn getan hätten. Das lehnte Jesus ab, weil er alles von Gott empfangen wollte und sich nichts selbst nehmen. Er war schrecklich hungrig, aber er wollte warten, bis Gott ihm zu essen gab. Jesus will allein Gott die Ehre geben, indem er Gottes Gottheit anerkennt und selber ganz Mensch ist. Das Gleiche sehen wir, wenn Jesus im Johannesevangelium immer wieder betont, dass er nur redet, was er von seinem Vater hört (Joh 12,49-50). Er tut nur die Taten, die sein Vater will und vorgibt. Jesus könnte mit seiner göttlichen Macht natürlich auch Lazarus einfach aus dem Grab rufen, aber er tut es so, dass er dabei seinen himmlischen Vater ehrt (Joh 11,41-43): „Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich aber wusste, dass du mich allezeit erhörst; doch um der Volksmenge willen, die umhersteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. Und als er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!“

» Jesus lebte Sündlosigkeit gerade darin, dass er ganz Mensch war und sein Vertrauen völlig auf Gott setzte. Obwohl er es konnte, machte er von seiner Gottheit keinen Gebrauch zu seinem eigenen Vorteil.

Der, der selber Gott ist, und leicht hätte vom Kreuz herabsteigen können, bleibt hängen. Er widersteht der Versuchung, aus dem Menschsein auszusteigen (Mt 27,40). Dann hätte er nicht an unserer Stelle für unsere Sünden leiden können. Er, dem alle Engel dienten, sollte der am meisten Verachtete werden (Jes 53,3). Jesus war doch die Auferstehung und das Leben (Joh 11,25) und der Fürst des Lebens (Apg 3,15). Aber sogar im Grab wartete er auf die Stunde des Vaters, ihn aus dem Tod aufzuerwecken. So können wir verstehen, wenn Paulus sagt, dass Gott den, „der Sünde nicht kannte, … für uns zur Sünde gemacht (hat), damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm“ (2Kor 5,21). Jesus wurde, weil er unsere Sünde auf sich nahm, im Tod für eine kurze Zeit wie ein Feind Gottes. Nicht die Schmerzen der Folter waren ausschlaggebend für seine Bitte, ob ihm das Leid erspart bleiben könnte, sondern die drohende Gottverlassenheit. Was Menschen aus Unwissenheit und Vermessenheit für eine Kleinigkeit halten, nämlich ohne Gott zu sein, das war für Jesus das allerschlimmste Leiden.

Die Sündlosigkeit von Jesus zeigt sich also nicht daran, dass er ein guter Mensch war, der anderen nie etwas Böses getan hat. Sie zeigt sich daran, dass Jesus überhaupt Mensch wurde und Mensch blieb. Er verzichtete auf die Göttlichkeit, nach der alle Menschen in ihrer Sünde streben. Er ehrte Gott als Gott und erwies sich als wahrer Mensch, der gern im Gehorsam, der Abhängigkeit von Gott und der Liebe zu ihm lebt. Man versteht den seltsamen Spruch von Pilatus am besten prophetisch, als er Jesus mit Dornenkrone und einem Königsmantel vor das Volk stellt und sagt: „Seht, welch ein Mensch!“ (Joh 19,5).

3. Unsere Zukunft ohne Sünde

Die Botschaft von der Sündlosigkeit von Jesus gehört zum Evangelium und tröstet uns auf verschiedene Weise. Erstens sehen wir, dass Jesus nicht für seine eigenen Sünden sterben musste. Er wurde Mensch und konnte für unsere Sünden sterben. Er wurde zu einem vollkommenen Opfer für unsere Sünden. Menschen fällt es schwer, zu ihrer Schuld zu stehen. „Ich war das nicht!“ rufen wir schon als Kinder und zeigen auf andere. Jesus war ohne Sünde, aber nahm fremde Sünde auf sich. Er ließ sich beschuldigen und sogar bestrafen für etwas, was er nicht getan hatte. Und so hat er uns erlöst. Jetzt können wir Gottes Urteil über uns zustimmen und sogar bereit sein, für etwas zu leiden, wo wir nichts Böses getan haben (Mt 5,11).

» Erlösung bringt uns dazu, dass wir gern sind, wozu Gott uns gemacht hat: Menschen.

Zweitens liegt eine Verheißung in der Betonung dieser Eigenschaft von Jesus Christus: Auch wir werden ohne Sünde sein. Durch die Vergebung wird seiner Gemeinde schon jetzt zugesagt, dass sie in Gottes Augen ohne Fehl und Tadel dasteht (Eph 5,25-27). In Ewigkeit aber wird es nichts mehr geben, was sich zwischen Gott und uns stellen kann. Was Paulus in 1Kor 15 von der körperlichen Beschaffenheit des ersten Menschen Adam und des zweiten Menschen Jesus nach der Auferstehung sagt, das gilt analog auch für sein Wesen und damit für unsere Zukunft (47-48):

„Der erste Mensch stammt von der Erde, vom Staub, der zweite Mensch vom Himmel. Wie der Irdische beschaffen war, so sind auch die irdischen Menschen beschaffen, und wie der Himmlische beschaffen ist, so werden auch die himmlischen Menschen beschaffen sein.“

Wir werden durch Christus von unseren Sünden erlöst hin zum wahren Menschsein, wie es Jesus in seiner Sündlosigkeit gelebt hat. Während die Sünde uns dazu drängt, etwas sein zu wollen, was wir nicht sind, wird uns die Versöhnung mit Gott dazu bringen, dass wir gern sind, wozu Gott uns gemacht hat.

Drittens soll uns bis dahin trösten, dass auch Jesus versucht wurde. Er war nicht unantastbar. Jetzt steht er als einer vor unserem geistigen Auge, der mitfühlen kann. Mit dieser Haltung steht er uns auch bei (Heb 4,14-16). Das soll uns vor dem Verzweifeln bewahren, wenn wir gefallen sind. Es klingt auf den ersten Blick widersprüchlich, aber die Sündlosigkeit von Jesus raubt uns nicht den Mut oder klagt uns an, weil wir nicht so sind. Sie ermutigt uns, dass wir bei Christus Hilfe suchen. Wir werden sie finden. Aber diese Hilfe ist nicht das beruhigende Gefühl, dass die anderen auch nicht besser sind als wir. Es ist die Hilfe, dass Sünde überwunden wird und die Verheißung trägt, dass ich als Mensch bei Gott sein werde.