LiteraturBuchbesprechungen

Hören – Wagen – Staunen: vom Abenteuer, sich auf die Führung Gottes einzulassen

Der Autor ist Jahrgang 1950 und war nach seiner Ausbildung am Johanneum in Wuppertal die meiste Zeit Referent beim CVJM. Dort ist er auch in verschiedene Leitungspositionen aufgestiegen und war auch im Vorstand des Johanneums. Buch und Inhalt werden aktuell von der Evangelischen Allianz in Deutschland beworben, die damit das „Hören auf Gottes Reden“ in den Gemeinden fördern will. Gerhard Proß engagiert sich nämlich in verschiedenen charismatisch-ökumenischen Netzwerken für die „Einheit der Christen“. Dazu gehört „Miteinander für Europa“, „Treffen von Verantwortlichen“, „Christlicher Convent Deutschland“ und „Deutschland betet“. Gemeinsam ist diesen, dass dort „Verantwortliche“ aus Gemeinden und christlichen Werken zusammenkommen, um über die „Zukunft der Kirche“ nachzudenken. Ein Element dabei – und darum geht es im vorliegenden Buch: Man will irgendwie die Führung Gottes wahrnehmen. Bei den Zusammenkünften erhofft man sich Wegweisung durch den Heiligen Geist und ein tieferes Verständnis für Entwicklungen, die man in der Christenheit wahrnimmt. Das Vorwort von Kardinal Walter Kasper macht deutlich, dass sich dabei die Überzeugung entwickelt hat, dass man „in bester evangelikal-protestantischer Tradition“ steht, die zugleich „auch katholische Tradition“ sei. Man ist auf den Spuren des Gründers des Jesuitenordens „mystisch“ unterwegs, um „zu hören, was der Geist den Gemeinden sagt“. Denn es sei klar: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein oder er wird nicht sein.“

Anders als in der Offenbarung des Johannes ist das „Hören“ auf den Heiligen Geist aber keine konkrete Weisung, die der Apostel Johannes schriftlich den Gemeinden Kleinasiens weitergegeben hat, sondern es geht um irgendwelche Botschaften, die man in besonderen „Hörprozessen“ empfangen haben will. Der beschriebene „Hörvorgang“ ist ziemlich weit weg vom Wort Gottes der Bibel, auch wenn man die empfangenen „Impulse, Eindrücke und Bilder“ angeblich immer am Wort Gottes prüft. Das vorliegende Buch ist einerseits geprägt von biografischen Erlebnissen des Autors in seinem Dienst und andererseits von dem Versuch, die Praxis dessen, was auch unter „Hörendes Gebet“ bekannt ist, biblisch zu begründen. Der Autor erlebt z.B., dass ein Gemälde vom letzten Abendmahl mit Jesus und seinen Jüngern anfängt, sich lebendig zu bewegen, und er in die Szene eintritt. Er deutet das so, dass Jesus ihn nahe bei sich haben will. Der Blick über die Schulter von Jesus ins weite Land bedeutet „Ich darf und soll mit Jesus ins Land gehen.“ (88-89) Ich mache keine Fragezeichen an die Erlebnisse des Autors, aber beides hätte er natürlich auch in der Bibel lesen können. Dann hätte er nicht zu willkürlichen Deutungen greifen müssen; mir würden noch viele andere mögliche einfallen. Aber Gerhard Proß kann so bestimmte Führungen in seinem Dienst mit dem „Bild“ zusammenbringen.

Proß, Gerhard: Hören – Wagen – Staunen: vom Abenteuer, sich auf die Führung Gottes einzulassen. Verlag der Geistlichen Gemeindeerneuerung/Verlag Patris Schönstatt, 2022. 320 S. 20 €. ISBN 978-3-98183404-8

In seiner biblischen Begründung behauptet er, Petrus habe an Pfingsten gepredigt, jeder Christ sei mit einer besonderen prophetischen „Hör-Gabe“ beschenkt worden. In der Apostelgeschichte ist allerdings gemeint, dass Christen die Schriften des AT durch den Heiligen Geist als in Christus erfüllt erkennen. Natürlich darf an der Stelle Joh 10,27 nicht fehlen: Die Schafe hören die Stimme von Jesus. In der Verwechslung von Bild und Sache im Gleichnis wird daraus, dass wir alle regelmäßig „Stimmen“ wahrnehmen sollen. Darüber hinaus gebe es noch Christen, die solche Botschaften als besondere Gabe häufiger oder eindrücklicher empfangen. Proß will, dass sich alle Christen „auf den Prozess des inneren Hörens einlassen“, aber macht zugleich deutlich, „dass wir nie mit 100-prozentiger Sicherheit sagen können, ob diese Impulse Reden des Heiligen Geistes sind oder unserer eigenen Seele entspringen“ (119). Das klingt zwar, als ob es wenigstens 70% Sicherheit gäbe, aber gemeint ist, dass man es bei diesen „Hörvorgängen“ nie wirklich wissen kann. Dabei ist Proß der Überzeugung, dass Gott sogar durch eine Predigt zu uns sprechen kann. Aber er meint keine bibelgemäße Auslegung, sondern ein Angesprochenfühlen. Träume und Ereignisse stehen bei ihm auf der gleichen Stufe. Er scheint zu wissen, wie viel Verwirrung mit dieser Art „Lauschen auf Gott“ angerichtet werden kann, weswegen er zu weiteren Prozessen des Prüfens mahnt. Ihm kann der Heilige Geist auch schon mal sagen, dass er keine römisch-katholische Irrlehre wie das Gebet zu verstorbenen „Heiligen“ ablehnen soll. Es scheint ihm nicht leichtzufallen, aber er hat einen inneren Kompromiss gefunden.

Mit seiner Werbung für mystische Erlebnisse und „Hören“ auf Impulse oder Bilder ist das Buch geeignet, einem gesunden Glauben, der aus dem Hören auf Gottes Wort aus der Bibel kommt, Schaden zuzufügen. Tatsächlich kann man beobachten, dass sich das „hörende Gebet“ sehr verbreitet hat und bei ungefestigten Christen Verwirrung mit sich bringt. Die gefestigten Christen machen sich damit meistens selber wichtig. Die biblischen Begründungen für diesen Frömmigkeitsstil sind an den Haaren herbeigezogen. Mit den konkreten, erzählten Erlebnissen und „Hörvorgängen“ wird entgegen der Absicht nicht der Heilige Geist geehrt. In die angeblichen Botschaften kann man meistens alles Mögliche hineinlesen oder sie stehen klar und deutlich lange in der Bibel. Der Geist redet dort in einer ganz anderen Qualität und ordnet sich freiwillig unter, indem er von Christus und seinem Heil spricht.