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Transgender. Eine wertschätzende Annäherung aus christlicher Perspektive

Der Autor hat sich als Theologe darauf spezialisiert, in seinem „Center for Faith, Sexuality & Gender“ Informationen zum Thema Sexualität für Gemeindeleiter und Gemeinden aufzubereiten. Er hat bereits über Homosexualität geschrieben und stellt auf einer Plattform Schriften zur Verfügung, die christlichen Rat z.B. zu Hormontherapien, der An­stellung von bekennenden homosexuell lebenden Per­so­nen in Gemeinden betreffen, außerdem Predigtreihen über Sexualität. Sein Anliegen ist bei alldem, dass nicht allein über sexuelles Verhalten, biblische Gebote und gemeindliche Ordnungen gesprochen wird, sondern dass Christen die Menschen, um die es dabei geht, nicht aus den Augen verlieren. Ich halte das für ein wichtiges Anliegen und bereite selbst, wenn ich über das Thema Sexualität spreche, Gemeinden darauf vor, dass – wenn es nicht schon der Fall ist – mitten unter ihnen Christen sein werden, die eine sogenannte „Transition“ hinter sich haben. D.h. sie haben mit Hormonbehandlungen und Operationen, aber vor allem mit öffentlichen Bekenntnissen und entsprechendem Verhalten versucht, ein anderes Geschlecht anzunehmen als das, in dem sie geboren sind und das ihrem Körper entspricht. Wie immer wir darüber denken, Christen sind beauftragt, Menschen mit den Verirrungen, Nöten und Problemen zu lieben, die sie betreffen. Sie werden sie wie Jesus an ihren Tisch und natürlich zum Glauben einladen und sie als Christen begleiten.

Der Autor redet nicht nur davon, sondern lässt in seinem typisch amerikanischen Buch mit vielen Geschichtchen aufleuchten, dass er Trans­gender-Freunde hat und einige darunter auch hingegebene Christen sind. Dass Preston Sprinkle nie distanziert schreibt, ist ein Pluspunkt des Buches. Ein weiterer ist, dass der Autor nicht einfach die Mythen der Transgender-Bewegung emphatisch wiederholt, sondern gute Information beisteuert. So macht er darauf aufmerksam, dass Menschen, die sich als transgender sehen, oft eine ganze Reihe psychischer Probleme bzw. Krankheiten haben. Er spricht aus, dass eine „Transition“ diese Probleme meistens nicht löst und auch das hohe Risiko zur Selbsttötung nicht mindert. Er klärt darüber auf, dass sich hinter „transgender“ eine vielschichtige Problematik verbirgt, die bei fast jedem Betroffenen anders ist und dass es darum unchristlich wäre, nicht den einzelnen Menschen zu sehen. Der Autor entfaltet auch die biblische Botschaft zur Geschlechtlichkeit und Körperlichkeit nah am Bibeltext und versucht nicht, die Auslegung aus Empathie hinzubiegen.

Seine „wertschätzende Annäherung“ beinhaltet, dass er zahlreiche „wissen­schaftliche Studien“ zur Frage der Deu­tung und Ursachen von Ge­schlechts­dysphorie referiert. Das ist die psy­cho­logische Bezeichnung für ein Krank­heitsbild, bei dem sich ein Mensch hin­sichtlich seines Geschlechts oder seiner Geschlechtsmerkmale nicht in Über­ein­stimmung mit seinem eigenen inneren Bild empfindet. Er kommt allerdings – unter Betonung, dass vielleicht auch alles anders sein könnte – zu dem Ergebnis, dass es offenbar keine „männlichen Gehirne in weiblichen Körpern“ und umgekehrt gibt. „Die Vorstellung von einem männlichen und weiblichen Gehirn … widerspricht der wissenschaftlichen Datenlage“ (162). Sprinkle arbeitet gut heraus, wie stark die ganze Debatte um Transgender von der Betonung von Geschlechtsstereotypen bestimmt ist. Das ist auch in den Geschichten seiner Trans-Freunde der Fall, die mit 4 oder 5 Jahren merkten, dass sie als Junge lieber mit Puppen spielten und sich nicht gern rauften. Er warnt zu Recht: „Wir sollten uns vor allen Stereotypen hüten, die nichts mit der Bibel zu tun haben“ (107). Er kann sich allerdings selbst nicht wirklich davon trennen.

Sprinkle, Preston: Transgender. Eine wertschätzende Annäherung aus christlicher Perspektive. Basel Fontis 2024. 350 S. Hardcover 24,90 €. ISBN 978-3-03848-272-7

Sprinkle lehnt eine Transition für Christen aus biblisch-ethischen Gründen ab. Er tut das wieder sehr zurückhaltend und ohne verurteilen zu wollen. Denn ihm liegt noch mehr daran, „alle mit der Transition zusammenhängenden Fragen mit einem tiefen Verständnis der Bibel und einer großen Abscheu vor Heuchelei (zu) betrachten“ (223). Deswegen mahnt er auch zum Respekt für „bibelgläubige Christ*innen“, die sich in der Hoffnung auf Linderung ihres Leidens zu einer Transition entschieden haben. Er erinnert auch daran, dass ein Weg zurück (Detransition) äußerst schwierig ist, aber trotzdem von manchen beschritten wird, die dann besondere seelsorgerliche Begleitung brauchen. Aus Rücksicht will Sprinkle die Pronomen verwenden, die sich die jeweiligen Men­schen wünschen. Im Buch führt das dazu, dass für eine „non-binäre“ Person „sier“ benutzt wird. Die Überlegungen, wie man die Zuordnung auf christlichen Jugendfreizeiten in Gemeinschaftsräumen regeln soll, nehmen viele Seiten in Anspruch ohne eine wirklich gute Lösung. Das rückt das Transgender-Thema in den Mittelpunkt, wo es eigentlich um Christus und den Glauben gehen sollte.

Genau das ist es auch, was am Ende ein zwiespältiges Gefühl beim Lesen zurücklässt. Zur Transgender-Debatte mit all ihren Zweigen gehört, dass das Thema „Geschlecht“ derart in den Vordergrund rückt, dass Christus und der Glaube in den Hintergrund treten müssen. Das Wort „Christen“ im generischen Maskulinum diente immer dazu, von Christen zu sprechen unter Absehung von ihrem Geschlecht: eine Gruppe von Menschen, die an Christus glauben, die auch Männer und Frauen, Juden und Nicht-Juden, Schwarze und Weiße und sonst was sind. Mit „Christ*innen“ wird eine ganz andere Betonung gesetzt. Es hat auch früher in christlichen Gemeinden immer Menschen gegeben, die intersexuell waren, sich nicht mit ihrem Geschlecht in Übereinstimmung fühlten oder gleichgeschlechtliche Anziehung empfanden. Weil das nicht Thema war, heißt es aber nicht, dass sie nicht seelsorgerlich mehr oder weniger gut begleitet wurden und liebende Geschwister einen Weg mit ihnen gesucht haben, wie sie als Christen gut leben konnten. Das Buch enthält viele hilfreiche Gedanken und fördert die Liebe zu Menschen, die an Geschlechtsdysphorie leiden, aber es bringt auch die Gefahr mit sich, dass es zu einer ungesunden Verschiebung der Mitte beiträgt.