ThemenGelebte Bibeltreue

Wollen wir belogen werden?

Wollen Menschen eigentlich gerne belogen werden? Spontan würde ich diese Frage immer mit einem entschiedenen „Nein!“ beantworten und denke an ein paar Situationen, wo es anderen gelungen war, mich erfolgreich hinters Licht zu führen mit ihren ausgedachten Geschichten. Ich war darauf hereingefallen und fühlte mich hintergangen und betrogen. Angenehm war das nicht, obwohl ich in einem Fall sogar eine seltsame Art von Bewunderung empfand, weil die Täuschung so gut ausgeheckt und so überzeugend vorgetragen war, dass ich mir wegen meiner eigenen Dummheit keine Vorwürfe machte. Meistens aber dachte ich: „Wie konntest du nur so naiv sein, auf diese Lüge hereinzufallen?!“

In einem modernen Wahlkampf ist das wahrscheinlich ein normales Ritual, aber ich kann mich trotzdem nicht daran gewöhnen, wenn mir von allen Seiten offensichtliche Lügen zugerufen werden. Oder wie soll man sonst Versprechen nennen, von denen jeder weiß oder doch wissen kann, dass sie nicht erfüllt werden können? So ziemlich alle versprechen z.B., dass jeder – oder mindestens fast jeder – mehr Geld besitzen wird, wenn diese Partei regieren sollte. Es haben sich nun einige daran gemacht, zu errechnen, bei welcher Partei welche Personen den größten Geldgewinn erzielen würden, wenn sie denn nicht nur gewählt würde, sondern auch (mit)regiert und ihr „Programm“ durchsetzen könnte. Bei so vielen „Wenns“ und „Abers“ kann jeder wissen, dass es nicht so kommen wird, zumal die gleichen Leute betonen, wie viel Steuergeld fehle, um ihre anderen Projekte umzusetzen. Ich frage mich in solchen Momenten, ob wohl irgendjemand gewählt würde, der keine haltlosen Versprechen macht und die Menschen nicht belügt, sondern ihnen die schmerzhafte Wahrheit sagt, verbunden natürlich mit ein wenig Hoffnung, dass es unter Mühe und Entbehrung und mit der Gnade Gottes vielleicht möglich ist, wenigstens die negativen Auswirkungen von ein paar Problemen abzumildern.

Und hier liegt wohl einer der Gründe, warum sich Menschen lieber belügen lassen, als die Wahrheit zu hören: Ohne Hoffnung kann kein Mensch in einer Welt leben, die von Sünde, Tod, Lügen, Gewalt und Ungerechtigkeit bestimmt ist. Eine Möglichkeit mit Hoffnungslosigkeit umzugehen, ist der Versuch, die Wirklichkeit auszublenden. Das geht eine Zeit lang durch Abtauchen in eine Fantasiewelt oder durch Betäubung, aber dann brauchen wir wieder irgendeine Hoffnung. Lieber als ohne Hoffnung zu sein, lassen sich Menschen dann Lügengeschichten auftischen, wenn sie irgendeine Hoffnung enthalten. Sie glauben diesen Lügen auch, weil es noch schlimmer wäre, zu erkennen, dass das, worauf man hofft, nur Täuschung ist.

Eine andere Art gern geglaubter Lügen sind die Schmeicheleien. Wie gern hört der Mensch, dass er großartig ist, klug, schön, befähigt und beinahe ohne Fehler?! Und wie schmerzhaft ist es, wenn man die Wahrheit über sich zu hören bekommt. Das will nur selten jemand ungeschönt über sich hören. Inzwischen benutzen viele junge Menschen Filter für Fotos von sich selbst, die alles wegbügeln, was nicht als schön empfunden wird. Fältchen, unreine Haut, matte Augen, schiefe Gesichtszüge: Alles wird beseitigt, ohne dass man selber viel Hand anlegen muss. Früher war es Aufgabe der Hofmaler, den Herrscher auf dem Gemälde möglichst vorteilhaft erscheinen zu lassen. Heute macht es das Selfieprogramm. Die Pädagogik meint, dass Menschen mit Lob, selbst wenn es nicht wahr ist, erfolgreicher und glücklicher sind.

Verwandt mit dieser Art gern geglaubter Lügen sind solche über das Wesen und Selbst des Menschen. Da geht es aber nicht nur um Schmeichelei, sondern um ein Programm der Selbstrechtfertigung durch Lüge. „Der Mensch ist im Kern gut und nur die schlechten Umstände haben ihn zum Bösen verführt.“ Lieber lässt man sich belügen, als wahrzunehmen, wie abgrundtief böse und verdorben der Mensch sein kann. Und wenn wir einen solchen Zustand doch bejahen, dann nur bei anderen Menschen, die hoffentlich ganz anders sind und wenig Ähnlichkeit mit mir haben. Da ist es egal, ob das dann „der alte weiße Mann“ ist oder der junge schwarze Mann. Alles dient dazu, sich einzureden, dass man selber im Grunde nicht schlecht ist. Und wenn man sich das Negative bei sich selbst doch eingestehen muss, dann war man jedenfalls nicht selbst schuld. Man ist letztlich immer Opfer böser Umstände oder böser Menschen. Eine Umfrage in englischen Gefängnissen zeigte, dass die meisten Inhaftierten der Überzeugung sind, dass sie moralischer und freundlicher als jeder Durchschnittsbürger sind. Nur bei der Gesetzestreue lägen sie gleichauf. Der Wunsch, gut und gerechtfertigt dazustehen, geht bei manchen so weit, dass ihnen dabei auch die Bibel, Gott und die Kirche dienen sollen; aber nicht mit dem biblischen Evangelium, sondern mit eigenwillig interpretierten Bibelversen und der Erwartung, dass ihnen für beinahe alles der Segen der Kirche gegeben werden sollte. Wenn aber die Kirche segnet, was Gott nicht segnet, dann lügt sie. Das Wort „segnen“ meint nämlich auf Hebräisch und Griechisch „jemandem etwas Gutes zusagen“. Aber solche Zusagen können wir natürlich nur machen, wenn sie der Wahrheit entsprechen.

In der Welt der Bibel gelten andere Maßstäbe. „Lüge hasse und verabscheue ich. Dein Gesetz liebe ich“, sagt der Beter in Psalm 119,163. Dass er das in jeder Hinsicht Ernst meint, wird im Psalm klar (67): „Bevor ich gedemütigt wurde, irrte ich. Jetzt aber halte ich dein Wort.“ Auch die manchmal demütigende Wahrheit über sich selbst will der Glaubende hören. Denn „es ist gut für mich, dass du mich gedemütigt hast, damit ich deine Gebote lerne“ (71). Und auch, wo Gott verurteilt, ist das – weil es bei ihm immer mit seiner Gnade verbunden ist – gut für uns und führt zu rechter Erkenntnis über uns und dann zu rechter Erkenntnis über Gott (75): „HERR, ich weiß, dass deine Urteile gerecht sind; in deiner Treue hast du mich gedemütigt.“ Und selbst wenn es schmerzhaft wird, so sucht der Beter seine Rechtfertigung und seinen Trost nicht woanders – und schon gar nicht in den Lügen seiner Umgebung –, sondern bei Gott und seinem Wort (107): „Ich bin sehr gedemütigt; HERR, erquicke mich nach deinem Wort!“

Aus dem Mund von Jesus hören wir, dass die rechte Anbetung Gottes nur durch den Geist Gottes, d.h. auch geleitet durch das geistgewirkte Wort Gottes, und in der Wahrheit geschehen kann (Joh 4,23-24). Wer die Lüge lieb hat, der kann Gott nicht verehren. Darum hat Gott als Trostspender und Hoffnungsgeber auch den „Geist der Wahrheit“ gesandt (Joh 14,16-17): „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht noch ihn kennt. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“ Das ist der Grund dafür, dass Christen keine Lügen brauchen, um in einer hoffnungslosen Welt eine feste Hoffnung zu behalten. Wir hoffen auch nicht auf zweifelhafte politische Heilsbringer, sondern auf Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, den Sieger über Sünde und Tod.

Damit ist klar, dass Christen es nicht nötig haben, all den offensichtlichen Lügen zu glauben. Sie haben nämlich eine sichere Hoffnung, die sie nicht enttäuschen wird. Sie brauchen auch all die angenehmen Schmeicheleien nicht. Sie kennen das Evangelium, das viel süßer ist als all der Honig, der einem ums Maul geschmiert werden soll. Im Glauben an Jesus Christus können sie es auch ertragen, dass sie die ungeschminkte Wahrheit über sich selbst zu hören bekommen. Denn sie hören bei Gott zugleich den Zuspruch der Vergebung, der Versöhnung und der Annahme. So kann man die Wahrheit nicht nur ertragen. So werden wir die Wahrheit lieben und die Lügen hassen.