Wenn etwas nicht das Wichtigste ist – wie man es z.B. für das Weihnachtsfest sagen kann –, dann ist es noch lange nicht unwichtig. Es stimmt, dass die Feier von Weihnachten – also dem Kommen des ewigen Sohnes Gottes als Mensch in diese Welt – sich erst relativ spät in der Christenheit eingebürgert hat. Allerdings gehörte seine besondere Geburt von der Jungfrau Maria schon früh zu den ersten Glaubensbekenntnissen1. Es hat sich allerdings bei einigen Christen ein Argumentationsmuster eingebürgert, dass der einfachen Wahrheit über wichtig und unwichtig entgegensteht. Mit der Behauptung, dass man sich auf das Wichtigste konzentrieren will, werden wesentliche Dinge des Glaubens an den Rand geschoben bzw. zu einer Liebhaberei einzelner Christen erklärt. Beispiele dafür gibt es zahlreich.
Man sagt z.B.: Das Wichtigste an Jesus Christus ist doch, dass er unser Retter ist, der uns von der Sünde befreit hat. Seine Geburt von einer Jungfrau ist für den Glauben und die Rettung dann nicht entscheidend, oder? Die Sache wird auch nur bei zwei der vier Evangelisten überhaupt erwähnt. Paulus redet nicht davon, sondern sagt, dass Jesus von „einer Frau“ geboren wurde (Gal 4,4). Können wir dann das kleine Detail nicht auch aus dem Glaubensbekenntnis streichen?
Oder es heißt: Jesus selbst hat doch die Frage nach dem wichtigsten Gebot nicht abgelehnt, sondern positiv beantwortet. Das wichtigste ist es, dass wir Gott von ganzem Herzen, ganzer Seele, mit dem Verstand und allen unseren Kräften lieben und unseren Nächsten, wie uns selbst. Warum machen dann manche Christen von den Ordnungen der biblischen Sexualethik so viel Aufhebens? Es scheint so, als ob sie das für das Wichtigste halten. Sollte man nicht besser diese Thematik irgendwo am Rande behandeln oder auch einfach darüber schweigen? Immerhin hat Jesus doch fast nichts dazu gesagt.
Im Hinblick auf die Bedeutung der Bibel vertritt doch auch der Bibelbund, dass zur ewigen Rettung der Glaube an Jesus Christus notwendig ist, aber nicht die Überzeugung von der Irrtumslosigkeit der Bibel oder einer bestimmten Auffassung der Inspiration der Bibel. Darüber hinaus wird aber von manchen immer wieder betont, dass Christen zuerst an Gott und Jesus Christus glauben und nicht an das Buch, das über Christus berichtet. Der Glaube an Christus selbst und dass er durch den Glauben in uns wohnt, ist doch wichtiger als jedes einzelne Wort der Bibel, oder?
Wenn wir die Sache genau betrachten, können wir zustimmen und müssen doch zugleich vor falschen Schlussfolgerungen warnen. Ja, die Bibel selbst macht deutlich, dass es Wichtigeres und Unwichtigeres gibt. Allerdings wäre es falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass das Unwichtigere deswegen gar nicht wichtig sei. Jesus erinnert seine Zuhörer mit Betonung daran (Mt 5,18): „Denn ich versichere euch: Solange Himmel und Erde bestehen, wird auch nicht ein Jota oder ein Strichlein vom Gesetz vergehen; alles muss sich erfüllen.“ Gott selbst kommt es auf Kleinigkeiten an, wenn es um das geht, was er geredet hat, und auch wenn er die ganz großen Ziele im Blick hat. Vieles, was in seinem Wort wie eine Nebensächlichkeit erschien, hat mit dem Kommen von Christus seine besondere Bedeutung gefunden. Es waren Verheißungen Gottes, die mit Christus erfüllt wurden. Die scheinbare Nebensächlichkeit des Geburtsortes von Jesus z.B. hat durch seine Geburt Wichtigkeit erhalten.
Es gibt gute Gründe dafür, dass wir das weniger Wichtige nicht verwerfen. Weihnachten ist weniger wichtig als Karfreitag und Ostern. Die Erlösung von Sünden kam durch das Sterben am Kreuz und nicht durch die Geburt von Jesus. Aber deswegen ist die Tatsache der Inkarnation, des Kommens des ewigen Sohnes als Kind, nicht unwichtig. Beides ist miteinander verbunden: Ohne seine Menschwerdung konnte der Sohn nicht für uns sterben. Auch die Art der Erlösung bekommt dadurch eine Erklärung: Sie ereignet sich durch ein geschichtliches Ereignis in unserer Welt und nicht durch eine (philosophische) Erkenntnis z.B. der Art „Gott hat uns alle lieb“.
Wichtiges und weniger Wichtiges werfen aber auch gegenseitig Licht aufeinander. Wir könnten sagen, dass das weniger Wichtige durch das Wichtigste seine Bedeutung und seinen Rang bekommt. Das weniger Wichtige gibt aber dem Wichtigsten auch Bedeutung, indem es wie ein Hinweisschild darauf deutet, worauf es ankommt. Natürlich ist das Schild, das mir den Weg weist, nicht genauso bedeutend wie das Ziel, das ich mit seiner Hilfe finden will. Aber es wird für mich bedeutend, weil es mir überhaupt erst möglich macht, das Ziel zu erreichen. Genauso glauben wir an Jesus Christus, aber wir glauben nicht an ihn ohne das zuverlässige Gotteswort, das wir nirgendwo anders finden als in der Bibel.
Das Verwerfen der weniger wichtigen Dinge des Glaubens hat allerdings Folgen. Was erst aussieht, als wolle man das Wichtigste unterstreichen, indem man das weniger Wichtige für unwichtig erklärt, ist am Ende nämlich die Ablehnung des Wichtigsten. Denn wenn wir die vielen zweitwichtigen Details rund um die Errettung durch Jesus Christus wegstreichen, dann wird damit die Mitte des Glaubens unter der Hand zum Spielball unserer Ideen. An die Stelle der Jungfrauengeburt tritt anderes: eine uneheliche Schwangerschaft; eine normale Vaterschaft von Josef; ein Fragezeichen an die Zuverlässigkeit der Geschichtserzählung von Lukas. An die Stelle der biblischen Sexualethik darf sich die Sexualethik des Zeitgeistes setzen, der Platz ist ja frei geworden. Auch an der Stelle der Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift macht sich anderes breit: die Frage, was wichtige Wahrheit und was erdichtetes Beiwerk ist; der abnehmende Respekt vor dem Wort Gottes bzw. der menschliche Versuch, der Bibel doch wieder Bedeutung zu geben.
Es kommt also darauf an, das Wichtige und Zweitwichtige und Drittwichtige gemäß der Bibel richtig einzuordnen. Das bedeutet aber auch, dass wir überhaupt nichts, wovon die Bibel spricht, für unwichtig erklären. Wir fragen vielmehr danach, welche Bedeutung selbst kleine Details im Ganzen haben. Dabei werden wir sie nicht in einen Rang heben, der ihnen nicht zusteht. Das hat schon zu vielen Sekten geführt. Aber wir werden sie auch nicht für unbedeutend erklären, denn das bringt die Gefahr mit sich, dass wir das Wichtigste und die Mitte des Glaubens verlieren.
Können wir fröhlich Weihnachten feiern, obwohl es nicht das wichtigste christliche Fest ist? Ja, weil wir das Wichtigste des Kommens von Jesus kennen:
Lukas 2,10-11: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“
Apostelgeschichte 10,43 „Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.“
Vor 1700 Jahren im Nizänischen Glaubensbekenntnis heißt es: „der für uns Menschen und wegen unseres Heils herabgestiegen und Fleisch geworden ist,
Mensch geworden ist“. Das knapp 50 Jahre jüngere Nizänisch-Konstantinopolische Glaubensbekenntnis hat noch ausführlicher: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.“ ↩