Der christliche Glaube hat aus den mehr als hundert Namen für Gott in der Bibel mit gutem Grund „Gott, den Vater“ besonders hervorgehoben. Das ist vielfach biblisch begründet, weil Jesus selbst Gott immer wieder als den „himmlischen Vater“ vorstellt (z.B. Mt 6,14.29.32; Joh 6,32; 15,9), unser Christsein „Kindschaft“ bei Gott genannt wird (Röm 8,14-21) und unsere Anbetung Gottes mit „Abba, lieber Vater“ zusammengefasst wird (Gal 4,6). Gott unseren Vater zu nennen hat seinen Ursprung im Wesen Gottes und ist zugleich ein guter Weg, sich dem Gott zu nähern, der alles Denken übersteigt und trotzdem „unser Gott“ sein will (Joh 20,28; Heb 11,16).
1. Der Ursprung aller Vaterschaft
Es war nicht die Idee von Menschen, in Gott einen gütigen Vater sehen zu wollen anstatt den gerechten Richter oder den unnahbaren Herrscher. Das Neue Testament spricht davon, dass alle Vaterschaft ihren Ursprung in Gott hat (Eph 3,14-15). Weil Gott schon immer Vater war, hat er, als er uns Menschen schuf, ein Abbild seiner Vaterschaft eingerichtet (1Mo 1,26-27). Ein Mann wird zum Vater, wenn er mit einer Frau ein Kind zeugt, das zur Welt kommt. Er ist ein guter Vater, wenn er die besondere Beziehung zu seinem Kind achtet, solange wie notwendig für das Kind sorgt und es beschützt. Er pflegt die Beziehung und will, dass sein Kind das Wichtigste fürs Leben von ihm lernt. Gott ist von Ewigkeit her Vater und wollte, dass auch im irdischen Vatersein seine Charaktereigenschaften sichtbar werden. Es ist wichtig, dass wir Gottes Vatersein von dieser Richtung her denken. Die Rede vom Vater ist kein Anthropomorphismus, also die Übertragung menschlicher Eigenschaften in ein Bild, das sich der Mensch von Gott gemacht hat. Gott will nicht, dass wir uns selber ein Bild von ihm machen (2Mo 20,4), darum zeigt er uns einen starken Wesenszug von sich, der unsere Beziehung zu ihm bestimmen soll.
2. Der ewige Vater und sein Sohn
Gottes ewige Vaterschaft bestand zuerst in seiner Beziehung zu seinem Sohn. Jesus Christus wird im NT der „einziggeborene“ Sohn des Vaters genannt (Joh 1,14.18; 3,16-18). Dabei ist aber nicht daran gedacht, dass Gott erst irgendwann Vater wurde, als Jesus geboren wird. Jesus ist schon ewig der einzigartige Sohn. Die Rede von Vater und Sohn drückt also die besondere Beziehung aus, die Gott-Vater und Gott-Sohn innerhalb der Dreieinigkeit zueinander haben. Teil dieser Beziehung war, dass Jesus sich zu jeder Zeit seinem Vater untergeordnet hat (Joh 5,19). Er tat das nicht, weil er geringer oder weniger Gott gewesen wäre als der Vater. Die Unterordnung, die sich nicht selber aufspielt, sondern den anderen ehren will, gehört zur liebevollen Beziehung. Gott wiederum gibt als Vater seinem Sohn alle Ehre (Apg 5,31; Phil 2,9; Heb 2,7-9). Gott, der Vater, ist damit immer in Beziehung, niemals war er ein einsamer Gott. Er konnte deswegen schon ewig lieben (1Joh 4,7-16) und musste dazu nicht erst Menschen erschaffen. Aber als er die Menschen sich zum Gegenüber erschaffen hatte, da wollte er auch mit ihnen in einer liebevollen Beziehung leben. Das ist keine Beziehung „auf Augenhöhe“, sondern Gott ist „väterlich“ und erwartet von uns eine kindliche Antwort. Er gibt den Menschen damit eine überaus hohe Würde (Ps 8,4-6), die sie aber verlieren, wenn sie nicht mehr Kinder sein wollen, sondern selber „wie Gott“ (1Mo 3,4-5.22; Röm 3,23).
3. Der himmlische Vater und seine Schöpfung: sein Erschaffen
Vater ist Gott für seine ganze Schöpfung. Es gibt nichts, was nicht aus seinen Ideen und seiner Schöpferkraft hervorgegangen ist (Heb 11,3). Aber Gott ist nicht nur eine Art Ingenieur oder Handwerker, der sich alles ausdenkt und dann baut. Alles, was er geschaffen hat, trägt auch in gewisser Weise seine Handschrift (Röm 1,20). Darum lobt ihn seine Schöpfung, sie bezeugt ohne Worte, dass sie von einem überaus mächtigen Gott gemacht wurde (Ps 19,2-6). Gottes Schaffen führt aber auch dazu, dass er eine Beziehung zu allem hat, was er gemacht hat (Jona 4,9-11). Gott handelt väterlich, weil ihm die Entwicklung und Erhaltung seiner Werke am Herzen liegen.
4. Der himmlische Vater und seine Schöpfung: seine Fürsorge
Deswegen sorgt der himmlische Vater für seine Geschöpfe. Jesus kann das über die Vögel und über die Blumen aussagen, wenn er die Menschen daran erinnern will, dass Gottes Fürsorge besonders ihnen gilt (Mt 6,26-28; Lk 12,24). Das väterliche Wesen Gottes führt dazu, dass er sich für die Erhaltung, das Überleben und die großzügige Versorgung allen Lebens verantwortlich sieht (Heb 1,3). Was Gott geschaffen hat, dem hat er auch eine begrenzte Freiheit gegeben. Samenkörner haben z.B. in sich die Kraft, Pflanzen hervorzubringen, aber trotzdem bleibt es Gott, der durch seine Fürsorge das „Gedeihen“ wirkt (1Mo 8,22; Ps 104,10-15). Das gilt in gleicher Weise für den Menschen, dem Gott eine besondere Stellung und Würde gegeben hat, zu der ein Leben unter seiner Fürsorge gehört.
5. Der Vater aller Menschen
Gott ist von Ewigkeit her Vater in der Beziehung zu seinem Sohn und dem Heiligen Geist. Er hat ein Bild seiner Vaterschaft in die Schöpfung der Menschen gelegt, damit wir immer nach unserem himmlischen Vater fragen.
Die Bibel macht deutlich, dass Gott als Schöpfer und Versorger der Vater aller Menschen ist (Ps 68,6-7; Mal 2,10). Das hat aus der Sicht Gottes natürlich Folgen, denn es geht ihm um die lebendige Beziehung zu uns. Die Sünde des Menschen ist, dass er sich von seinem Vater lossagt. Er will nicht anerkennen, dass er von ihm stammt, und verneint, dass er in jedem Augenblick von der Versorgung des himmlischen Vaters lebt (Ps 104,29). Gott lässt das zu, aber er fordert doch auch Verantwortung. Weil der Mensch sich von Gott, seinem Vater, losgemacht hat, erscheint Gott für ihn als Gesetzgeber und Richter, der ihn für alles Böse zur Verantwortung ziehen wird. Das führt Gott uns vor Augen, indem er dem Tod in der Welt Macht gibt (Ps 90,7-12; Röm 6,23). Wir sind ständig vom Tod bedroht und doch bleibt es Gott, der der Herr über Anfang, Verlauf und Ende unseres Lebens ist.
6. Mit dem Vater versöhnt – Vater seiner erlösten Kinder
Die Erlösung von Sünde, Schuld und Tod beschreibt das Neue Testament als Versöhnung mit dem Vater (Gal 4,6-7; Kol 1,19-23). Indem der himmlische Vater seinen Sohn sendet und Jesus Christus für die Schuld der Menschen stirbt, macht er es möglich, dass jeder, der Gott vertraut, in die besondere Stellung der Kindheit bei Gott eingesetzt wird (Eph 1,4-11). Er ist nicht mehr allein Kind als Geschöpf, sondern Kind Gottes mit der Würde, die auch der ewige Sohn Jesus Christus im Himmel hat. Es entsteht eine zusätzliche Dimension von Vaterschaft und Kindschaft, die uns zu Erben der ewigen Errettung mit einer Zukunft zusammen mit Gott als Hausvater eines ewigen Zuhauses macht (Joh 17,22-24).
7. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder
Jesus macht seinen Jüngern klar, dass eine versöhnte Zukunft mit dem wahren Gott nur eine Beziehung zwischen Vater und Kindern sein kann (Mt 18,3). Deswegen können wir nur mit einem kindlichen Glauben in die versöhnte Beziehung mit Gott eintreten. Als Kinder erkennen wir unsere Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit an. Zugleich erkennen wir, dass Gott auch in seinem mahnenden und strafenden Verhalten uns gegenüber immer als barmherziger Vater gehandelt hat und handelt (Ps 103,13). Mit seinem Wirken schenkt Gott uns ein kindliches Vertrauen zu ihm, der alles kann und für uns alles zu dem besten Ziel führen wird, das nur denkbar ist (Röm 8,28). Zum kindlichen Vertrauen gehört, dass wir Gott in diesem Leben nicht umfassend kennen können (Eph 3,18-20). Wir kennen ihn durch Jesus in seinem väterlichen Wesen, aber wir können nicht sein ganzes Handeln mit allen Menschen und der ganzen Welt in allen Einzelheiten begreifen (Joh 14,9; Röm 11,33-36). Erst in der ewigen Gemeinschaft bei Gott wird uns alles klar sein (1Kor 13,12-13). Gott aber hilft uns, in der Vater-Kind Beziehung zu bleiben, indem er uns mit seinem Heiligen Geist eine innere Gewissheit schenkt, dass wir seine Kinder sind (Röm 8,14-17).
8. In der Erziehung des himmlischen Vaters
In unserem Leben als Christen zeigt sich Gott ebenso als Vater. Hier ist es seine liebevolle Erziehung, mit der er uns durch unser Leben führt. Eine Seite dieser Erziehung ist, dass wir Gott immer besser kennenlernen. Wir wachsen in der Erkenntnis seines Wesens und Willens (Eph 3,14-21). Das ist Erziehung, weil wir – wie Kinder in einem bestimmten Alter das Gleiche tun wollen, was sie bei ihren Eltern sehen – Nachahmer Gottes sein sollen (Eph 5,1-2). Das bezieht sich natürlich nur auf Gottes väterliches Wesen, auf seine Liebe und Geduld, seine Wahrhaftigkeit und Freundlichkeit, seine Vergebungsbereitschaft und sein Mittragen. Als Kinder wollen wir nicht Gott sein, sondern mit Gott leben und sein Wesen widerspiegeln. Die andere Seite der Erziehung ist eher schmerzhaft, weil Gott uns straft oder Grenzen setzt, damit das Böse in uns nicht wieder die Herrschaft übernimmt (Heb 12,4-11). Wir sollen aber auch dieses Handeln Gottes uns gegenüber als väterliche Fürsorge begreifen. Er hält uns davon ab, dass wir uns und andere ins Unglück bringen und tut das auch dadurch, dass er uns Lasten durch Anfechtungen auflegt, uns schwierige Menschen in den Weg stellt, an denen unsere Geduld und Liebe herausgefordert wird, oder uns Leiden erleben lässt, weil Menschen um uns herum unseren Glauben ablehnen (Apg 14,22).
9. Kein anderer Gott, nur der Vater
Jesus macht in einer Gleichniserzählung deutlich, dass sich Gott damit, dass er uns vor allem mit seinem Wesen als Vater begegnet, zwei Gefahren aussetzt (Lk 15,11-32). Auf der einen Seite könnten wir die Güte und Großzügigkeit Gottes missbrauchen, indem wir uns nehmen, was er uns Gutes anbietet, aber dann lieber ohne die enge Beziehung zu ihm unser Leben führen. Wir würden dabei die reichen Gaben Gottes zu unserem Ersatzgott machen. Das nennt die Bibel einen Götzen. Im Gleichnis endet das darin, dass der Sohn, der seinen Vater so verlässt, im Dreck bei den Schweinen landet und selbst da zu verhungern droht. Die andere Gefahr ist, das Verhältnis zu Gott als das eines Dienstboten zu leben. Dabei sehen wir nur die Pflichten und Verbote, die Aufgaben und Lasten in der Beziehung zu Gott und im Leben im Glauben. Wir übersehen, dass Gott zuerst Vater ist und dann auch unser Herr, der immer das letzte Wort hat. Das endet in einer inneren Bitterkeit, Unzufriedenheit und im Gefühl, von dem himmlischen Vater irgendwie ungerecht behandelt zu werden (Mt 25,24-25). Das schlimmste bei all dem wäre, dass wir seine vergebende Gnade nicht mehr wahrnehmen und dann nicht mehr aus dem Glauben an die Botschaft von der Versöhnung mit Gott, unserem Vater, leben. Wir würden dann nur einfach versuchen, es Gott irgendwie recht zu machen. Beides zerstört das Verhältnis von Vater und Kind: Den ersten könnte man einen unfrommen Irrweg nennen, den zweiten einen fromm-religiös gefärbten Weg weg vom Vater. Vor beidem will uns Gott bewahren. Das geht aber nur, wenn wir ihn in seinem Wesen als ewiger himmlischer Vater richtig kennen.
10. Vater in Ewigkeit
Auch das ewige Leben bei Gott ist von seinem Vaterwesen bestimmt. Gott wird uns so beschrieben, dass er in Ewigkeit wie ein Hausvater ist und wir dort ungetrübte Kindschaft leben (Röm 8,23). In seinem Haus lebt er mit seinen Kindern zusammen (Joh 14,1-4). Es gibt keine unbekannten Seiten Gottes mehr und keine bohrenden Fragen, warum Gott in unserem Leben und mit dieser Welt so gehandelt hat, wie er es tat (Röm 8,18; Offb 21,4). Jesus Christus lebt dort als der ewige Sohn wie alle Glaubenden in einem Körper, der nicht mehr von Leid oder Tod betroffen ist (1Kor 15,19-20; 2Kor 5,6-9). Das wird es in der Gegenwart Gottes nicht mehr geben. Alles Böse ist verschwunden. Weder in uns noch in der neuen Welt Gottes wird es das mehr geben. Die Bibel deutet diese herrliche Zukunft nur an, weil wir das alles noch nicht richtig erfassen können. Wichtig ist aber, dass wir darauf hoffen, dass wir nach Hause zu unserem Vater kommen (Röm 8,23; Phil 1,21-23). Wenn wir bei ihm sind, werden wir wissen, dass es uns immer dahin zog. Und wir werden uns ganz zu Hause fühlen, weil wir dann bei unserem Vater angekommen sind.