ThemenMission und Evangelisation

Zur Ethik christlicher Mission

Über viele Jahre haben Vertreter der Römisch-katholischen Kirche, des Ökumenischen Rates der Kirchen und der Weltweiten Evangelischen Allianz an einer Vereinbarung gearbeitet, die eine christliche Missionspraxis sicherstellen soll. Ohne Zweifel sind zahlreiche Missbräuche vorhanden, die sich aber nicht auf die Bibel berufen können. Denn dort sind gewaltsame Bekehrungen genauso falsch wie gekaufte. Der Verhaltenskodex betont viele richtige und wichtige Elemente einer Missionsethik. Allerdings ist er an entscheidenden Stellen zu ungenau, um die Probleme etwa von „gekauften“ Bekehrungen zu lösen. An anderen Stellen transportiert er Überzeugungen, die den Vorrang des Missionsziels der ewigen Errettung genauso in Frage stellen wie den Absolutheitsanspruch der christlichen Botschaft.

Missbräuche in der Mission fordern heraus

In einigen Ländern wurden in den vergangenen Jahrzehnten äußerst problematische Methoden angewandt, um Menschen für den eigenen Glauben zu gewinnen oder davon abzuhalten, ihre Religion zu wechseln. Menschen wurden bedroht oder sogar getötet. Manchmal wurden, mehr oder weniger deutlich, materielle Vorteile in Aussicht gestellt, wenn man zu einer anderen Religion konvertierte: Studienkredite, Ausbildungsplätze, Nahrungsmittel, Krankenhausbehandlun­gen usw. Gelegentlich wurden auch Nachteile oder Repressionen angedeutet, für den Fall, dass ­eine Person ihren Glauben ändert oder eben nicht ändert. Zuweilen wurden vollkommen unrealistische Heils- oder Heilungsversprechen gegeben, wenn man sich nur der jeweiligen Gruppe anschlösse. Andere Missionare versuchten Anhänger zu gewinnen, indem sie fremde Religionen oder Glaubensrichtungen massiv diffamierten oder offene Lügen über sie verbreiteten. Damit sollten die mutmaßlichen religiösen Konkurrenten illegitim aus dem Rennen geworfen werden.1 Solche und ähnliche Vorgehensweisen führten in vielen Ländern zu gewalttätigen Aus­ein­andersetzungen sowie staatlichen Re­strik­tionen und Ein­schränkungen. Zur Ver­hinderung zukünftiger religiöser Konflikte wurden missionarische Akti­vitäten deshalb an einigen Orten ganz verboten oder stark ein­geschränkt (19, 21).

Um sich von solch zweifelhaften Metho­den der Mission öffentlich zu distanzieren und überflüssige religiöse Konflikte zu vermindern, kam es zu einer mehrjährigen Konsultation zwischen der katholischen Kirche (Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog / PCID), dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) (2006-2011). Von evangelikaler Seite aus wurden die Gespräche insbesondere von Thomas Schirrmacher und Geoff Tunicliffe geführt. Als Ergebnis dieser Verhandlungen wurde 2011 eine Art Selbstverpflichtung mit dem Titel „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt. Empfehlungen für einen Verhaltenskodex / Ver­haltensempfehlungen“ (Mission Respekt) veröffentlicht. Darin werden gemeinsame Standards angemessener Missionsarbeit formuliert und ein wertschätzender gegenseitiger Umgang mit den Vertretern jeweils anderer Glaubensrichtungen vereinbart.

Sehr weich wird die Ziel­rich­tung dort folgendermaßen formuliert:

„Wir empfehlen unseren Kirchen, nationalen und regionalen konfessionellen Zu­sam­menschlüssen und Missions­orga­ni­sationen, insbesondere den­jenigen, die in einem interreligiösen Kontext arbeiten, dass sie: 1. die in diesem Dokument dargelegten Themen studieren und gegebenenfalls Ver­hal­tens­richtlinien für das christliche Zeug­nis formulieren, die ihrem spezifischen Kontext angemessen sind. […]“ (17).

Seit seiner Ver­öffent­lichung (2011) wurde Christliches Zeugnis in Deutschland und auch international von zahlreichen Kirchen aufgegriffen und größtenteils als hilfreiche Leitlinie für Mission angenommen.

Anfragen und Bedenken zu „Christliches Zeugnis“

Der Verhaltens­kodex zur Mission betont vieles, was eigentlich selbstverständ­lich für biblische Maßstäbe der Mission und Evangelisation ist. Aber er hat auch einige schwer­wiegende Defizite.

Grundsätzlich kann man vielen Aussagen des von der Römisch-katholischen Kirche, dem Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) und der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) verabschiedeten Missions-Dokuments natürlich nur zustimmen. Das betrifft insbesondere die Aussagen, die nach christlicher Ethik Selbstverständliches betonen. Es sollte selbstverständlich sein, dass Christen ohne Zwang, Bestechung, Manipulation, psychischen Druck oder ähnlich zweifelhafte Strategien missionieren (9+12). Es sollte für Christen auch kein Zweifel darüber bestehen, dass Mission dem Vorbild Jesu folgt und deshalb in Liebe und Achtung geschieht (11-12).

Andererseits weist die Mis­sions-Handreichung Christliches Zeugnis einige schwerwiegende Defizite auf:

1. Im Gegensatz zur Rö­misch-katho­lischen Kirche und dem ÖRK hat die Evan­gelische Allianz keinerlei Mandat, im Namen der evangelikalen Christen zu verhandeln oder zu sprechen. Der ÖRK ist ein Zusammenschluss von Kirchen. Die Evangelische Allianz ist ein Forum einzelner evangelikaler Christen, die ein relativ allgemeines Bekenntnis teilen. Sie arbeiten vereinzelt zusammen, ohne jede weiter bindende Verpflichtungs- oder Leitlinien-Kompetenz zu haben (24-25).2 Insofern hat das Dokument aus evangelikaler Perspektive nur eine sehr bedingte Relevanz bzw. Vertragskraft.

2. Die meisten in Christliches Zeugnis genannten Kriterien illegitimer Mission sind dermaßen flexibel formuliert, dass sie im konkreten Missionsalltag oder in missionsbezogenen Konflikten mehr behindern oder sogar schaden können, als helfen. Beispiel: Zu Recht wird in Christliches Zeugnis abgelehnt, Menschen durch finanzielle Vorteilen für den Glauben gewinnen zu wollen. Diejenigen aber, die bisher auf diese Strategien gesetzt haben, werden aufgrund eines solchen Dokuments ihr Verhalten kaum ändern. Ehrliche Missionare aber müssten nun theoretisch jede ihrer Aktionen daraufhin überprüfen und rechtfertigen; was in der Praxis natürlich unmöglich ist.

Weil Mission aus christlicher Liebe heraus fast immer mit praktischer Hilfe verbunden ist, kann nie ausgeschlossen werden, dass eine Bekehrung wegen der Hoffnung auf materielle Vorteile geschieht.

Und wer will am Ende zuverlässig beurteilen, ob eine Lieferung Lebens­mittel oder der Heim­platz für ein Kind nicht als illegitimer, „materieller Vorteil“ gewertet werden kann, mit dem unterschwelligen Ziel, Menschen für den christlichen Glauben zu gewinnen? Um diesem prinzipiell fast immer möglichen Vorwurf zu entgehen, müsste der Missionar möglichst wenig über den Glauben bzw. eine Bekehrung reden. Das aber ist geradezu kontraproduktiv für die eigentliche Aufgabe des Missionars, Menschen für Jesus Christus zu gewinnen.

Um in der Praxis keine unendlichen Aus­legungsstreitigkeiten heraufzubeschwören, müsste das Dokument deutlich konkreter ausfallen, was bei solchen Kon­sens­verein­barungen allerdings kaum möglich sein wird, weil sich geschickte Ver­hand­lungs­partner natürlich nicht unnötig einschränken wollen.

3. Christliches Zeugnis will grundlegende Aussagen über christliche Mission machen. Vor allem aber hebt das Dokument politische und soziale Aktivitäten hervor. In erster Linie wird hier der Mission die Aufgabe wirtschaftlicher, ethischer, humanitärer und gesellschaftlicher Verbesserungen zugesprochen, die im Detail aber auch wieder vage bleiben. Mission wird demnach primär als Tätigkeit „im Dienst am Nächsten […] in völliger Selbsthingabe“ (7) gesehen. An die Stelle deutlicher Aussagen zur geistlichen Rettung von Menschen treten in Christliches Zeugnis Formulierungen wie diese:

„Soziale Dienste, wie die Be­reit­stellung von Bil­dungs­­mög­lich­keiten, Gesund­heits­­fürsorge, Not­hilfe sowie Eintreten für Ge­rechtigkeit und rechtliche Für­sprache sind inte­graler Bestandteil davon, das Evangelium zu bezeugen.“ (12)

Der Kodex folgt dem langjährigen Trend, das zeitliche irdische Wohl statt der ewigen geistlichen Rettung ins Zentrum der Mission zu rücken.

Diese Ziele sollen ausdrücklich in Kooperation mit Ver­tretern anderer Reli­gionen erreicht werden (16; vgl. 18,19,26). Damit folgt Christliches Zeugnis dem langjährigen Trend, das irdische Wohl des Menschen und nicht mehr seine geistliche Rettung ins Zentrum der Bemühungen zu stellen. Absolut unverzichtbare Aspekte christlicher Mission werden fast vollkommen übergangen: Die Rettung der menschlichen Seele, Bedingungen der Sündenvergebung, der Absolutheitsanspruch Jesu Christi, die christliche Perspektive auf das Jenseits usw. Es ist in diesem Papier nichts zu spüren von dem Anliegen für eine verlorene Welt und der Begeisterung für Jesus Christus. Es „fällt auf, dass das Wort Bekehrung oder Konversion in dem ganzen Dokument nur zweimal vorkommt. […] an wenigen Stellen ist die Rede von ‚das Evangelium bezeugen‘ oder ‚verkündigen‘. Damit tritt eine Sprache zurück, durch die Mission auf Veränderungen bei anderen ausgerichtet wird“ (29).3 Wenig überraschend wurde Christliches Zeugnis in der theologischen Diskussion deshalb auch als Verpflichtung für „ein respektvolles innerchristliches Miteinander ohne Proselytismus – interkonfessionell wie interreligiös“4 verstanden. Dahinter steht eine weitgehende Absage an Mission im Sinne einer Konversion zum biblischen Evangelium. Andere Konfessionen, gegebenenfalls sogar andere Religionen sollen als absolut gleichgestellte und akzeptierte Gesprächspartner betrachtet werden, denen man begegnet, ohne die Absicht, sie vom eigenen Glauben zu überzeugen.

4. Der starke Bezug von Christliches Zeugnis zur Förderung interreligiöser Aktivitäten steht in der Gefahr, das ureigene Anliegen christlicher Mission zu verwässern. Als vorbildlich werden gemeinsame, interreligiöse Gebete, Gottesdienste, Dialoge, und Hilfeleistungen erwähnt. Im Kern ist christliche Mission aber immer exklusiv mit einem ausgeprägten Absolutheits­anspruch. Christen werden in diesem Dokument nicht nur aufgefordert, mehr mit den Vertretern anderer Religionen zusammenzuarbeiten (18, 20, 26).

Darüber hinaus sollen sie in ihren Kreisen das Wissen und das Verständnis für die jeweiligen anderen Religionen fördern sowie möglichst auf kritische Äußerungen gegenüber diesen Religionen verzichten. Konkret sollen Christen beispielsweise in einen beständigen Dialog mit anderen Glaubensgemeinschaften treten (8) und „ihr Wissen über andere Religionen und deren Verständnis […] vertiefen, und zwar aus der Sicht von Angehörigen dieser Religionen“ (18).

Christen sollen darüber hinaus mit den Vertretern anderer Religionen in gegenseitigem Respekt zusammenarbeiten und mit ihnen gemeinsam „Gerechtigkeit, Frieden und Gemeinwohl vorantreiben“ (14, 18). Diese Vorgaben behindern und erschweren christliche Mission zuweilen mehr als sie zu fördern. Auch wenn Vertreter anderer Religionen natürlich nicht zu Unrecht karikiert oder diffamiert werden sollen (15), gehört das Wecken von Verständnis für andere Glaubensrichtungen nicht zum Hauptinhalt christlicher Mission. Gerade die Exklusivität christlichen Glaubens wird durch die Leitlinie von Christliches Zeugnis gefährlich relativiert. Einige Kommentatoren betrachten das Dokument deshalb auch als Absage an den absoluten Wahrheitsanspruch christlicher Mission.5


  1. Vgl. Studienausgabe Christliches Zeugnis (ChZ), Hamburg/Aachen, 2014. Präambel und Anhang, S. 5 + 27. Seitenangaben im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. 

  2. Von einigen Kommentatoren wurde die WEA allerdings als legitimer Vertreter aller evangelikalen Christen wahrgenommen. Vgl. Veronika Buter: Ethisch sauber missionieren. in: Kontinente, 2010. 1, S. 30–31. 

  3. Diese Neudefinition von Mission ist in Christliches Zeugnis durchaus beabsichtigt. 

  4. Vgl. André Gerth: Konfliktfeld Konversion, in: Missio Korrespondenz, 2011. S. 3, 9–10, 9. 

  5. Vgl. Christoph Anders, „In weltweitem Horizont: Mission weiter denken!: Impulse aus der Ökumene“, Vortrag auf dem „Fachtag Mission“, 2013, S. 13.